Das Hohepriestertum Christi (2)

Worin besteht sein Hohepriesteramt?

1. Er erscheint für uns vor Gott

Christus ist nicht wie Aaron in die Stiftshütte eingegangen. Diese war nur ein mit Händen gemachtes Heiligtum, ein Gegenbild des himmlischen Heiligtums. Er ging vielmehr in den Himmel selbst ein, um jetzt vor dem Angesicht Gottes für uns zu erscheinen (Heb 9,24). Er vertritt uns vor Ihm, gemäss den Rechten, die uns aufgrund des unendlichen Wertes des Werkes Christi und dessen für uns so herrlichen Ergebnissen geschenkt worden sind. Er ist als unser Stellvertreter vor Gott, entsprechend der Stellung und den himmlischen Segnungen, die uns in Christus gegeben worden sind.

Selbstverständlich hat unser Hoherpriester nicht das Kleid Aarons angezogen, aber die grossen Wahrheiten, von denen jenes Kleid in seinen Einzelheiten vorbildlich sprach, sind in Ihm nun volle Wirklichkeit geworden.

Die beiden Onyxsteine auf den Schultern Aarons und die zwölf Edelsteine des Brustschildes, die so eng und unverrückbar mit seiner Person verbunden waren und die Namen der zwölf Söhne Israels trugen, reden eine so verständliche und eindrückliche Sprache! Die Stärke der Schulter und die Zuneigung des Herzens unseres Hohenpriesters sind ganz den Interessen seiner Erlösten gewidmet, die Er mit Namen kennt. Er, der seine Macht in der Schöpfung und in der Erhaltung aller Dinge bewiesen und in der Hingabe seines eigenen Lebens eine alles Denken übersteigende Liebe zu uns an den Tag gelegt hat, trägt in ewiger Treue jeden Einzelnen der Seinen vor Gott. Selbst den Schwächsten unter ihnen betrachtet Gott in der Wohlannehmlichkeit Christi, mit seiner Schönheit bekleidet, angenehm gemacht in dem Geliebten (Eph 1,6). Für Ihn sind wir funkelnde Edelsteine, die zwar kein eigenes Licht besitzen, aber seinen Glanz widerstrahlen.

So wie Aaron an seiner Stirn zum Wohlgefallen für die Kinder Israel vor dem HERRN ein Blech von reinem Gold trug, mit der Aufschrift: «Heilig dem HERRN!», so ist nun die Heiligkeit Jesu Christi «beständig» unsere Heiligkeit vor Gott: «Aus ihm (Gott) seid ihr in Christus Jesus, der uns geworden ist Weisheit von Gott und Gerechtigkeit und Heiligkeit und Erlösung» (1. Kor 1,30).

In dem Brustschild befanden sich auch die Urim und die Tummim (= «Lichter und Vollkommenheiten»). Christus hat hier auf der Erde für uns das Gericht gemäss dem Licht und den Ansprüchen der Vollkommenheit Gottes getragen. Er ist jetzt der treue Zeuge dieser herrlichen Tatsache vor Gott.1

Unser Herr übt sein Hohepriesteramt im Himmel aus und ist in der Gegenwart Gottes verborgen. Das Oberkleid des Ephods war ganz von blauem Purpur, und wir bilden sozusagen den Saum dieses Kleides auf der Erde. Aber an dem Saum des Oberkleides waren Schellen von Gold und Granatäpfel befestigt ringsum: Der vom Himmel herab gesandte Heilige Geist zeugt nun inmitten der Versammlung Gottes von dieser verborgenen Stellung und Tätigkeit unseres Hohenpriesters und bringt in dem Erlösten die praktische Frucht hervor, die unserer himmlischen Stellung in Christus entspricht.

Der Gürtel redet davon, dass Christus durch seine Menschwerdung Diener geworden ist. Er ist es auch in seiner Eigenschaft als Hoherpriester. Und da Er «seine Frau», die «Versammlung», liebt, (auch sein irdisches Volk), will Er auf ewig Diener bleiben (vgl. 2. Mose 21,5-6; Lk 12,37).

Welch ein Trost liegt doch für uns, die wir uns noch auf dem Lauf durch die Wüste befinden, in allen diesen Wahrheiten! Wir dürfen auf unseren grossen Hohenpriester blicken und uns daran erinnern, dass Er sich in seiner Kraft und seinen Zuneigungen in der Gegenwart Gottes für uns verwendet, aufgrund dessen, was Er selbst für uns ist!

2. Barmherzigkeit und Gnade

Durch unseren Hohenpriester empfangen wir vom Thron der Gnade Barmherzigkeit und Gnade zu rechtzeitiger Hilfe (Heb 4,16).

Christus ist als Hoherpriester in Verbindung mit einem Volk in der Wüste, das der Ruhe Gottes droben entgegenwandert. Er reicht ihm, jedem Einzelnen der Seinen, Hilfe aus dem Heiligtum dar. Darüber freuen wir uns alle.

Doch sind sich manche über die Art dieser Hilfe nicht im Klaren. Unter der für uns so tröstlichen Feststellung: «Wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht Mitleid zu haben vermag mit unseren Schwachheiten» (Heb 4,15), verstehen sie ein Mitleid mit einem irdisch gesinnten Christen, der immer wieder den Versuchungen der Sünde erliegt und strauchelt.

Gewiss, einem solchen Christen muss seine Sünde zum Bewusstsein gebracht werden. Und wenn er sie bekennt und verurteilt wird er aufgerichtet und wiederhergestellt. Doch das ist die Aufgabe, die der Herr Jesus als «Sachwalter» übernimmt (1. Joh 2,1-2). «Wir, die wir der Sünde gestorben sind, wie sollten wir noch darin leben?» (Röm 6,2). Wenn unser Christenlauf durch Weltliebe, durch Leichtfertigkeit und Mangel an Wachsamkeit gekennzeichnet ist, da haben wir sicherlich auch Liebe nötig, aber die Liebe des Sachwalters und die Liebe des Vaters, der sein ungehorsames Kind züchtigt, um es so zu einer Sinnesänderung zu führen.

Wir haben uns daran erinnert, dass unser Herr Jesus alle Erfahrungen und Leiden, durch die Er als Mensch auf der Erde geführt worden ist, auf dem Pfad des vollkommenen Gehorsams gefunden hat, den Er in Absonderung von jeder Sünde als himmlischer Fremdling ging.

Wir Gläubige sind berufen, Ihm auf diesem Weg zu folgen. Wir werden dabei ähnlichen Schwie­rig­kei­ten und Leiden begegnen und uns unserer grossen Schwachheit bewusst werden. Aber lasst uns nicht davor zurückschrecken! Wir dürfen da in allen Einzelheiten mit dem verständnisvollen Mitleid unseres Hohenpriesters und seiner tatkräftigen Hilfe rechnen. Wenn Er dies tut, ist Er sozusagen in seinem Element.

In Verbindung damit muss Er aber auch unsere Herzen bilden und sie zu der Höhe unserer Stellung in Ihm und zum vollen Genuss unserer himmlischen Segnungen führen. Er will himmlisch gesinnte Personen aus uns machen. Das ist eine andere, wichtige Seite seines priesterlichen Dienstes.

Wie schwierig ist dieses Werk! Die Neigung unserer Herzen zu Oberflächlichkeit, Leichtfertigkeit und einem Sich-Gehenlassen hindert sie, sich zum Genuss der vollen Offenbarung des Herrn Jesus zu erheben. Damit sie an Christus Wonne finden, so wie Gott an Ihm Wonne hat, benötigen sie geistliches Verständnis; das Fleisch vermag die geistlichen Dinge nicht zu erfassen. Unsere Herzen müssen gehoben werden, um das, was Gott denkt, geniessen zu können.

Dabei handelt es sich weniger um ein Erfassen mit dem Verstand, als vielmehr um den sittlichen Zustand unserer Seele. Das Herz muss die Dinge im Glauben erfassen, die Gott offenbart. Christus will durch den Glauben in unseren Herzen wohnen. Wir müssen durch den Geist an dem inneren Menschen mit Kraft gestärkt werden, um in der Liebe gegründet zu sein, um sie zu erkennen und ihr Ausmass verstehen zu können (Eph 3,16-21). Wir haben nötig, von dem Einfluss befreit zu werden, der auf unsere natürlichen Sinne einwirkt.

Das Hohepriestertum Christi kommt uns also in diesem Zustand zu Hilfe. Er entspricht durch die Macht Gottes allen unseren Bedürfnissen, um uns zu der Höhe zu erheben, auf der Er sich selbst befindet. – Wenn ich jemand behilflich sein will, aus einem Graben herauszukommen, so muss ich mich ausserhalb des Grabens befinden. Vom Rand aus strecke ich ihm meine Hand zur Hilfe entgegen; denn im Graben könnten wir uns beide nicht helfen. – Auf diese Weise hilft der Herr Jesus.

Sein Priestertum steht im Gegensatz zu dem von Aaron, der von denselben Schwachheiten umgeben war wie jene, für die er sein Priesteramt ausübte.

In den Versen Hebräer 2,10 und 7,26 finden wir die Ausdrücke: «Es geziemte ihm» und es «geziemte uns». Es geziemte Gott, den Urheber unserer Errettung durch Leiden vollkommen zu machen. Um seine Schafe hinauszuführen, musste Er diesen Weg beschreiten. Aber was geziemt uns? Einen Hohenpriester zu haben, der höher als die Himmel geworden ist! Er muss sich im Himmel befinden, da, wo sich Gott mit seinem Volk in Verbindung setzt. Da kann Er sich in der wirksamsten Weise mit meinen Bedürfnissen und meinen Interessen beschäftigen. Wenn wir einen Hohenpriesters nötig hatten, der mit uns Mitleid hat, so musste es einer sein, der die Stellung einnimmt, die uns zukommt. Denn durch Gnade sind auch wir berufen, «heilig, unschuldig, unbefleckt, abgesondert von den Sündern» zu sein und eine himmlische Gesinnung zu haben.

3. Freimütigkeit zum Eintritt in das Heiligtum

Wir haben Freimütigkeit zum Eintritt ins Heiligtum durch das Blut Jesu, und weil Er als unser grosser Hoherpriester sich dort befindet.

Wir dürfen sagen: Unser Platz ist innerhalb des zerrissenen Vorhangs, aufgrund des Blutes, das unsere Sünden für immer ausgetilgt hat. Und weil wir einen Hohenpriester haben, der über das Haus Gottes gesetzt ist, können wir Gott nahen, «mit wahrhaftigem Herzen, in voller Gewissheit des Glaubens, die Herzen besprengt und so gereinigt vom bösen Gewissen und den Leib gewaschen mit reinem Wasser» (Heb 10,19-22). Der Platz innerhalb des zerrissenen Vorhangs ist der Ort unserer Anbetung; aber wir könnten uns nicht dort aufhalten, wenn sich nicht unser Hoherpriester dort befände, der für uns eine ewige Erlösung erfunden hat.

4. Lob und Anbetung

Durch unseren Hohenpriester steigt unser Lob und unsere Anbetung zu Gott empor. «Durch ihn nun lasst uns Gott stets ein Opfer des Lobes darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen» (Heb 13,15).

Welch unendliche Gnade, einen Hohenpriester zu haben, der in unserer Anbetung das Wertvolle vom Wertlosen zu unterscheiden vermag, und infolgedessen nicht zulässt, dass Gott etwas dargebracht wird, das seiner Heiligkeit fremd ist.

Die Priester im Alten Bund mussten die Opfer prüfen und alles Fehlerhafte zurückweisen, damit nur das auf dem Altar verbrannt wurde, was den von Gott gestellten Bedingungen entsprach. So macht es auch Christus in Bezug auf unsere Opfer des Lobes. Das ist im Blick auf unsere Unwissenheit und unsere Schwachheit ein grosser Trost. Ohne Zweifel sollten auch wir ein Unterscheidungsvermögen von Priestern haben und aus unserer Anbetung alles Unpassende ausschliessen. Aber es ist doch eine grosse Ermunterung für uns zu wissen, dass nichts vor Gott gebracht wird als nur, was unser Hoherpriester angenommen hat. Er weiss den «Kropf mit seinem Unrat» vom Brandopfer abzutrennen (3. Mo 1,14-17).

5. Völlige Errettung

Er vermag «diejenigen völlig zu erretten, die durch ihn Gott nahen, indem er immerdar lebt, um sich für sie zu verwenden» (Heb 7,25).

Er ist einmal gestorben und stirbt nicht mehr. Er lebt für immer und übt ein unveränderliches Priestertum aus (Heb 7,24). Wenn er unsere Sache in die Hand genommen hat, so wird Er sie folglich niemals aufgeben. Sein Amt hat kein Ende, und nichts wird seine allmächtige Fürbitte unterbrechen. Das ist uns eine unbedingte Garantie dafür, dass wir in der Wüste niemals umkommen werden, und dass Er uns aus allen Schwierigkeiten, Gefahren und Versuchungen zu erretten vermag, die uns auf dem Weg hier auf der Erde begegnen. Wenn es Josua nicht gegeben war, Israel in die Ruhe einzuführen, so wird uns aber unser Herr Jesus aufgrund seines Opfers gewiss dahin führen, da Er den Tod siegreich überwunden hat und immerdar lebt, um sich für uns zu verwenden.

Nachdem wir nun das Wesen und das Amt Christi als Hoherpriester betrachtet haben, sind unsere Herzen mit Anbetung und Dankbarkeit gegen Gott erfüllt. Er hat in seiner Gnade in so wunderbarer Weise Vorsorge für alle unsere Bedürfnisse auf der Wüstenreise getroffen. Dem Volk Israel hat Er einen Mose, einen Aaron und einen Josua gegeben, uns aber seinen vielgeliebten Sohn, den Herrn Jesus, und mit Ihm eine volle und unbedingte Gewissheit, dass Er uns in die ganze Herrlichkeit einführen wird, für die wir in Christus zuvor bestimmt sind.

Welche Wirkung sollte nun die Betrachtung Christi, unseres Hohenpriesters, in uns hervorbringen? Dass wir das Bekenntnis der Hoffnung unbeweglich festhalten (Heb 4,14; 10,23). Besitzen wir doch in Christus eine Hoffnung, einen festen und sicheren Anker der Seele, der ins Innere des Vorhangs hineingeht! (Heb 6,18-20). Da Er sich für uns vor Gott verwendet, wissen wir, dass trotz unserer eigenen Schwachheit, trotz der Kraft, der Tätigkeit und des Hasses unserer Feinde wir durch die Schwierigkeiten und Gefahren der Wüste hindurch kommen und in den Besitz und in den Genuss der ewigen Ruhe Gottes eintreten werden.

  • 1Durch die Urim und Tummim befragte man auch den HERRN, wie man sich in diesem oder jenem Fall zu verhalten hatte (4. Mo 27,21). Sie sind also auch ein Bild der Hilfsquellen der göttlichen Weisheit für einen Wandel in Übereinstimmung mit unserer Stellung.