Das Evangelium nach Markus (21)

Markus 14,22-42

Der Schatten des Kreuzes (2)

Verse 22-24

Nun folgt die Einsetzung des Abendmahls. Die Worte «während sie assen» machen eine klare Unterscheidung zwischen dem Passah, von dem sie assen, und dem Abendmahl. Beim Mahl des Herrn stellt das Brot seinen Leib dar; der Kelch sein Blut, das nicht nur für die Juden, sondern für viele vergossen wurde. Es ist ein Gedächtnismahl. Wir sind mit einer solchen Liebe geliebt, dass der Herr es wertschätzt, wenn wir Seiner gedenken. Das Blut Christi ist in seinem unschätzbaren Wert immer vor dem Auge Gottes, und Er wünscht, dass sein Volk sich jederzeit daran erinnern möge.

Vers 25

Der Herr hat den Kelch als das Symbol seines für viele vergossenen Blutes benützt. Wenn wir den Wein in seinem natürlichen Sinn als die Frucht des Weinstocks betrachten, so ist er ein Ausdruck irdischer Freude. Der Tod Christi unterbricht seine Verbindung zur Erde und dem Irdischen, bis schliesslich das Reich Gottes auf der Erde errichtet werden wird. Heute sind die Gläubigen mit einem himmlischen Christus verbunden, der auf der Erde gelitten hat; sie warten auf das zukünftige Reich, um mit Christus die Herrlichkeiten und Freuden des irdischen Reiches zu teilen.

Vers 26

Nach dem Mahl gingen sie, «als sie ein Loblied gesungen hatten», hinaus nach dem Ölberg. Beides ist wunderbar. Wir könnten es besser verstehen, wenn sie ein Loblied gesungen hätten und im Obergemach geblieben wären; oder wenn sie ohne Gesang hinausgegangen wären. Aber in dem Augenblick ein Loblied zu singen, als Er hinausging, um seinen Feinden zu begegnen, als der Verrat, die Verleugnung, der furchtbare Kampf in Gethsemane und das Verlassensein am Kreuz seiner warteten, das beweist eine innere Ruhe, die gewiss die Folge davon war, dass Er den Willen des Vaters im Auge hatte und die Freude, die Ihm nach dem Kreuz bevorstand.

Verse 27-31

Doch gerade die Umstände, die die Vollkommenheit des Herrn offenbaren, zeigen die Schwachheit der Jünger. In der Gegenwart des Herrn können sie miteinander singen, aber in der gleichen Nacht, sobald sie nicht mehr in seiner Gegenwart sind, werden sie Anstoss nehmen und zerstreut werden. Wie traurig und ernst! Sie offenbaren dadurch das, was unter dem Volk des Herrn geschehen ist. Nur in seiner Gegenwart, wenn jedes Herz mit Ihm selbst beschäftigt ist, können wir zusammen singen, wie der Prophet sagen kann: «Sie erheben die Stimme, sie jubeln insgesamt; denn Auge in Auge sehen sie» (Jes 52,8). Nur wenn jedes Auge auf Ihn gerichtet ist, werden wir Auge in Auge sehen. Ausserhalb seiner Gegenwart braucht es nicht viel, um seinetwegen Anstoss zu nehmen, und sich aneinander zu stossen, und verärgerte Heilige trennen sich bald und werden wie zerstreute Schafe. Nie mehr werden die Versprengten Israels oder die zertrennte und zerspaltene Kirche wieder gemeinsam singen, bis sie alle um den Herrn versammelt sein und Ihn von Angesicht zu Angesicht sehen werden.

Doch, gepriesen sei sein Name! Er versagt nie; darum wird die Zerstreuung ein Ende haben und die Zeit des Versammelns wird kommen. Das würden die Jünger noch in ihren Tagen erfahren, denn nachdem der Herr auferstanden war, sollten sie erleben, dass Er in aller Liebe und Gnade seines Herzens unverändert geblieben war. Er, der grosse Hirte der Schafe, würde vor ihnen hergehen und seine Schafe würden Ihm wieder folgen.

Der Herr hat ihnen ein Wort der Warnung gegeben, gefolgt von einem Wort der Ermunterung. Leider geht es auch uns oft wie Petrus: Wir achten nicht auf seine Warnungen und verfehlen den Segen seiner Worte der Ermunterung, weil wir auf uns selbst vertrauen. Unserer Schwachheit nicht bewusst, meinen wir sicher zu sein, während andere versagen mögen. So sagt Petrus: «Wenn auch alle Anstoss nehmen werden, ich aber nicht.» Sie würden alle Anstoss nehmen, aber der, der allen voran sein Selbstvertrauen betonte, sollte den tiefsten Fall erleben. Wir versagen ausgerechnet in dem, worin wir uns rühmen. Petrus rühmt sich, er werde niemals Anstoss nehmen. Der Herr sagt: «In dieser Nacht … wirst du mich dreimal verleugnen.»

Diese Ankündigung seiner Verleugnung veranlasst Petrus nur dazu, seine Hingabe an den Herrn noch leidenschaftlicher zu beteuern. Er sagt: «Wenn ich mit dir sterben müsste, werde ich dich nicht verleugnen.» Petrus meinte es zweifellos aufrichtig, aber wir müssen lernen, dass Aufrichtigkeit nicht genug ist, um dem Herrn treu zu bleiben. Wir müssen in der Gnade, die in Christus Jesus ist, stark sein, um die Schwachheit des Fleisches zu überwinden, den Listen des Feindes zu entgehen und von der Menschenfurcht befreit zu werden. Alles, was der Teufel nötig hat, um den Fall eines Apostels herbeizuführen, wenn er nicht mehr mit Christus in Verbindung ist, ist die einfache Frage einer Magd. Der Herr antwortet nicht mehr auf die Überheblichkeit des Petrus, in die auch die andern Jünger einstimmen. Es gibt offensichtlich Gelegenheiten, bei denen die Erklärungen von Gläubigen so eindeutig aus fleischlichem Hintergrund kommen, dass es zwecklos und unnötig ist, eine Antwort geben zu wollen. Schweigen hat seine Zeit, und Reden hat seine Zeit.

Verse 32-42

Es war ein tiefer Schmerz für den Herrn, dass das Volk den Plan schmiedete, ihn zu töten, dass einer der Zwölf im Begriff war, Ihn zu verraten, und ein anderer, Ihn zu verleugnen, und dass alle an Ihm Anstoss nehmen würden. Aber in Gethsemane stand die weit grössere Qual vor Ihm, die zu erdulden Ihm am Kreuz bevorstand, wenn Er, zur Sünde gemacht, von Gott verlassen sein würde. Angesichts dieses grossen Schmerzes finden wir Ihn, wie in allen anderen Prüfungen seines vollkommenen Lebens, im Gebet. Aber, wenn das Gebet auch Erleichterung bringen mag, so ist die unmittelbare Wirkung doch die, dass die Schwere der Prüfung noch schmerzhafter empfunden wird. Das Gebet bringt alle Umstände in die Gegenwart Gottes, um dort in ihrem wahren Charakter erfasst zu werden. Der Zerfall Israels, der Verrat eines Judas, die Schwachheit und das Versagen der Seinen, die Macht und Feindschaft Satans, die Wirklichkeit des Gerichts, die gerechten Forderungen eines heiligen Gottes – das alles wurde von unserem Herrn in der Gegenwart des Vaters tief empfunden.

Der Herr nimmt Petrus, Jakobus und Johannes mit sich in den Garten Gethsemane – es sind jene, die zu gegebener Zeit einen besonderen Platz als Säulen in der Versammlung einnehmen würden. Sie waren schon die auserwählten Zeugen seiner Herrlichkeit auf dem Berg gewesen; nun wird ihnen die Gelegenheit gegeben, seinen Schmerz in Gethsemane zu teilen. Das eigentliche Verlassensein am Kreuz kann niemand mit Ihm teilen, aber die Seelenangst in Erwartung des Kreuzes können andere, in ihrem bescheidenen Mass, mitempfinden. Für Ihn bedeutete der Tod, als unser Stellvertreter die Strafe für die Sünden zu tragen. Darum kann Er sagen: «Meine Seele ist sehr betrübt, bis zum Tod.» Weil Er den Tod als Lohn der Sünde auf sich nahm, hat Er für den Gläubigen den Tod seiner Schrecken beraubt. Stephanus kann sich in Erwartung des Todes freuen, und Paulus kann sagen: «Abzuscheiden und bei Christus zu sein, ist weit besser.» Es war ein Teil seiner Vollkommenheit, das Kreuz zu verabscheuen, und daher kann Er zum Vater sagen: «Alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir weg!» Aber es war gleicherweise ein Teil seiner Vollkommenheit, sich dem Kreuz zu unterwerfen und den Willen des Vaters zu tun daher kann Er hinzufügen: «Doch nicht was ich will, sondern was du willst!»

Die Leiden im Garten Gethsemane, ebenso wie zuvor die Herrlichkeiten auf dem Berg der Verklärung, waren zu gross für die arme, schwache menschliche Natur. Bei beiden Gelegenheiten finden die Jünger Erleichterung im Schlaf. Petrus, der im Rühmen seiner Hingabe an den Herrn weitergegangen war als die übrigen, wird vom Herrn besonders angesprochen, als Er zu diesen schlafenden Jüngern zurückkommt und fragt: «Simon, schläfst du? Vermochtest du nicht eine Stunde zu wachen?» Nur das Gebet, das unsere Abhängigkeit von Gott zum Ausdruck bringt, kann uns auf kommende Versuchungen vorbereiten. Das Selbstvertrauen unserer Natur lässt uns allzu oft wenig Angst vor Versuchungen haben und daher ist uns kaum bewusst, wie nötig wir das Gebet haben. In zartem Mitgefühl anerkennt der Herr die Tatsache ihrer Liebe zu Ihm, während Er ihre Schwachheit bezeugen muss: «Der Geist zwar ist willig, das Fleisch aber schwach.»

Wiederum geht der Herr weg und betet. Er sieht bei seiner Rückkehr zu seinen Jüngern aber nur, dass sie immer noch schlafen. Die Ermahnungen des Herrn waren unbeachtet geblieben, denn ihre Augen waren vom Schlaf beschwert. Als der Herr zum dritten Mal zu den Jüngern zurückkehrt, muss Er sagen: «So schlaft denn weiter und ruht euch aus.» Sie hatten die Gelegenheit verpasst, mit dem Herrn zu wachen, und ihre eigene Schwachheit bewiesen, und der Herr muss sagen: «Es ist genug.» Die Zeit zum Wachen und Beten war vorüber; die Stunde der Versuchung war gekommen; der Verräter war nahe gekommen, und der, der gewacht und gebetet hatte, kann nun im Vertrauen auf Gott und in Abhängigkeit von Ihm sagen: «Steht auf, lasst uns gehen.»