Der Segen Josephs (3)

1. Mose 49,22-24

In den Teilen 1 und 2 dieser Ausführungen haben wir gesehen, wie der Heilige Geist uns anhand der Aussagen Jakobs über seine zwölf Söhne einen prophetischen Überblick über die Geschichte des Volkes Israel gibt. Der erste Teil zeigte uns die Vorzugsstellung Israels, seine Treulosigkeit, die Verwerfung des Messias und ihre tragischen Konsequenzen bis zur zukünftigen Drangsalszeit und zum Auftreten des Antichristen. Im zweiten Teil sahen wir das zukünftige Erbarmen und Eingreifen Gottes, die Einführung ins Tausendjährige Reich und die damit verbundenen Gerichte, die der göttliche Richter ausführen wird. Jetzt kommen wir zu den Aussagen über Joseph.

Joseph – der Höhepunkt der prophetischen Schau

Die Aussagen über Joseph bilden den Höhepunkt dieser prophetischen Schau. Nicht umwälzende Ereignisse auf der Erde, nicht die Rache, die Christus an den Feinden Israels nehmen wird, auch nicht die Erfüllung der Verheissungen, die Gott seinem Volk Israel gegeben hat, sondern der Herr Jesus in seiner herrlichen Person ist der Mittelpunkt aller prophetischen Aussagen. Alle Pläne und Absichten Gottes, auch solche mit seinem irdischen Volk, konzentrieren sich auf seinen Sohn, der hier auf der Erde gelitten hat. Wenn es um die Verwaltung der Fülle der Zeiten geht, dann hat Gott diesen Einen vor Augen, diesen Abgesonderten oder Gekrönten unter seinen Brüdern, den Er zum Haupt über alle Dinge machen wird. Wenn Er seinen Segen über sein Volk und auch über die Nationen ausgiessen wird, dann wird Er es durch den wahren Joseph tun und auf der Grundlage des Werks, das Christus am Kreuz vollbracht hat.

Deshalb ist es auch nicht Benjamin, der in diesem Kapitel das Herz Jakobs bewegt. Nicht Benjamin bildet den eigentlichen Höhepunkt dieser prophetischen Schau, sondern Joseph. Das Herz des alten Israel ist von Joseph erfüllt. Nicht die richterliche Herrlichkeit des Herrn Jesus, d.h. seine Grösse als Befreier seines Volks, wird die Herzen der Glaubenden in Israel bewegen, sondern die persönlichen und moralischen Schönheiten dieser einzigartigen Person. Wenn Israel an Joseph denkt, dann lebt er auf (1. Mo 45,27.28). So beschreibt er hier im Vorbild Den, der schöner ist als die Menschensöhne.

Geht es dir auch so, wenn du an den Herrn Jesus denkst, von dem Joseph nur ein schwaches Abbild sein konnte? Ist Er für dich wirklich der Einzigartige, der «schöner» ist als alle anderen, der dein Herz in Resonanz versetzt, so dass dein Mund von seiner Schönheit und Herrlichkeit nicht schweigen kann? Was weisst du von Ihm zu berichten?

Sohn eines Fruchtbaums

«Sohn eines Fruchtbaums ist Joseph.» Gott hatte von jeher Frucht an den Menschen gesucht. Er hatte vom Himmel auf die Menschenkinder herniedergeschaut, um zu sehen, ob ein Verständiger da sei, einer, der Gott suche. Er schaute nach einem aus, an dem Er etwas Gutes finden könnte. Aber da war niemand. Auch Israel, dieses bevorrechtigte Volk, das Gott mit einem Weinstock oder einem Feigenbaum vergleicht (Ps 80; Jes 5; Hos 10; Lk 13,6), brachte keine Frucht. Gott fand nichts, woran Er sich freuen konnte. Es gab nur Einen, der wirklich Frucht brachte, der in seinem Leben das hervorbrachte, was Gott bei anderen vergeblich suchte, woran Er sich wirklich erfreuen konnte. Christus ist der Ausgezeichnete vor Zehntausenden, von dem Gott sagen konnte: «Siehe, mein Knecht, den ich stütze, mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat» (Jes 42,1). Durch Ihn kann auch Israel in Zukunft Frucht für Gott bringen und so ein Volk sein, an dem Gott sich freuen wird, denn: «Aus mir wird deine Frucht gefunden» (Hos 14,9).

Der Vergleich mit einem Fruchtbaum erinnert an die Beschreibung des Gerechten in Psalm 1. In diesem Psalm beschreibt Gott den, der seine Zustimmung findet, der in seinen Augen glückselig ist. Es ist der Mensch, der nicht auf dem Weg der Sünder wandelt, «sondern seine Lust hat am Gesetz des HERRN und über sein Gesetz sinnt Tag und Nacht». Ist das nicht eine Aussage, die auf den wahren Joseph, den Heiligen (= den für Gott Abgesonderten) und Gerechten (Apg 3,14) in besonderer Weise zutrifft? Der Herr Jesus konnte von ganzem Herzen sagen: «Dein Wohlgefallen zu tun, mein Gott, ist meine Lust; und dein Gesetz ist im Innern meines Herzens» (Ps 40,9). Er lebte in vollem Einklang mit dem Willen Gottes. Er ging in beständigem Gehorsam seinem Gott gegenüber über die Erde und war Ihm gehorsam bis zum Tod am Kreuz. Und welche Frucht hat Er als das wahre Weizenkorn in seinem Tod gebracht! Frucht, nach der sich Gott sehnte, die aber auch die Frucht der Mühsal seiner Seele ist.

Am Quell

Jakob vergleicht seinen Sohn mit einem Fruchtbaum am Quell – so wie der Psalmdichter von einem Baum spricht, der an Wasserbächen gepflanzt ist. Der Standort am Wasser oder an der Quelle ist die Voraussetzung, um Frucht zu bringen, sowohl in natürlicher wie auch in geistlicher Hinsicht. Der Herr Jesus lebte am Bach Gottes, der voll Wasser ist (Ps 65,10). Auf seinem Weg trank Er aus diesem Bach (Ps 110,7). Das heisst, Er war immer in ungetrübter Gemeinschaft mit seinem Gott. Als gehorsamer Mensch lebte Er von jedem Wort, das durch den Mund Gottes ausgeht (Mt 4,4). Das war seine verborgene Kraftquelle für sein fruchtbares Leben.

Obwohl sich die Aussagen Jakobs prophetisch auf den wahren Joseph beziehen, können wir auch eine Nutzanwendung auf uns machen. Dazu berechtigt uns das Neue Testament. Der Herr Jesus selbst spricht in Johannes 15 davon, dass wir dazu bestimmt sind, Frucht zu bringen, um dadurch den Vater zu verherrlichen. Da stellt sich natürlich die Frage: Worin besteht die Frucht, die der Vater an uns sucht? Sind es nicht die Wesenszüge des Herrn Jesus, die in uns als Ausdruck des neuen Lebens zum Vorschein kommen sollen und den Vater erfreuen? Diese Frucht können wir allerdings nicht aus uns selbst hervorbringen. Nur wenn wir in Christus bleiben, d.h. in seiner Gemeinschaft, und wenn seine Person uns erfüllt, können wir Frucht bringen. Deshalb fordert der Herr Jesus seine Jünger auf: «Bleibt in mir, und ich in euch … Wer in mir bleibt und ich in ihm, dieser bringt viel Frucht, denn ausser mir könnt ihr nichts tun» (Joh 15,4.5). Dazu sind auf der einen Seite Absonderung von der Welt und Trennung vom Bösen notwendig. Auf der anderen Seite können wir die Gemeinschaft mit Ihm nicht ohne sein Wort und seinen Geist erleben. Der Standort an der Quelle ist nötig. Davon spricht das Wasser.

Die Schösslinge treiben über die Mauer

Als der Sohn Gottes Mensch wurde, kam Er in das Seine (Joh 1,11). Gott hatte Ihn zu seinem irdischen Volk gesandt. Nur diesem Volk war Er als der Messias verheissen. Es wohnte gleichsam innerhalb der Mauer und befand sich im eingefriedeten Bereich, dem Schafhof, getrennt von allen anderen Völkern durch die Zwischenwand der Umzäunung, d.h. durch das Gesetz (Joh 10,1-3; Eph 2,14). Deshalb musste der Herr Jesus der kananäischen Frau aus Syrophönizien, die sich wegen ihrer besessenen Tochter an Ihn als den Sohn Davids wandte, zunächst eine Absage erteilen. Er gab ihr zu verstehen, dass sie keine Anrechte an den Messias seines Volkes hatte. Er war nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt (Mt 15,24). Alle anderen Völker standen ausserhalb, ohne einen Bezug zu Christus. Sie waren Fremdlinge betreffs der Bündnisse der Verheissung, ohne Hoffnung und ohne Gott in der Welt (Eph 2,12). Das hat sich mit dem Werk von Golgatha geändert. Gott hat die Zwischenwand der Umzäunung abgerissen. Als Folge davon sind wir, die wir fern waren, nun durch das Blut des Christus nahe geworden. In Christus ist der Segen Abrahams «über die Mauer» hinweg auch zu den Nationen gekommen (Gal 3,14).

Die Tatsache, dass die Gnade und der Segen Gottes in Christus über die Grenzen Israels hinausgingen, zeigte sich allerdings schon vor dem Kreuzestod des Herrn Jesus. Die kananäische Frau und auch der Hauptmann von Kapernaum wurden Zeugen dieser Gnade, dieser Schösslinge des wahren Joseph, die über die Mauern Israels hinausragten und die Menschen aus den Nationen erreichten. Welche Zeugen sind wir erst, die wir nach dem vollbrachten Erlösungswerk von Golgatha leben und im Herrn Jesus die Gnade Gottes kennen gelernt haben, den ganzen Reichtum und die Herrlichkeit seiner Gnade! Aber auch in der Zukunft, wenn Gott sich wieder seinem irdischen Volk zuwenden wird, werden die Schösslinge Josephs über die Mauern Israels treiben: Die Nationen werden im Nachkommen Abrahams ebenfalls gesegnet werden (1. Mo 22,18; Jes 25,6-8).

Es bekämpfen ihn die Bogenschützen

Wenn der Heilige Geist das Augenmerk auf diese einzigartige Person lenkt und auf den Segen, der durch Ihn ausströmen wird, kann Er nicht anders, als auch zurückzublenden. Denn Christus, der hier als Segenskanal für alle Völker gesehen wird, war einst der Erniedrigte und der von seinem Volk Verstossene. Wie Joseph es vonseiten seiner Brüder erlebte, hat es auch der Herr Jesus erfahren: Es reizten Ihn und schossen, es bekämpften Ihn die Bogenschützen. Wie haben Ihn die verborgenen Attacken seiner Feinde verletzt, als sie Ihn mit Worten des Hasses umgaben und ohne Ursache gegen Ihn kämpften. Was war es für Ihn, als die Stiere von Basan Ihn umringten und ihr Maul gegen Ihn aufsperrten (Ps 11,2; 22,13.14).

Sein Bogen bleibt fest

Wenn die Menschen auch in grausamster Weise auf unseren Herrn eindrangen, wenn sie Ihn auch von seiner Jugend an bedrängten, so haben sie Ihn dennoch nicht überwältigen können (Ps 129,2). Obwohl es so aussah, als hätten seine Feinde triumphiert, als Er durch die Hand von Gesetzlosen umgekommen war, war doch das Gegenteil der Fall. In seinem Tod hat der Herr Jesus den grössten Sieg errungen. Er hat den zunichtegemacht, der die Macht des Todes hat. Das beweisen seine Auferstehung und seine Erhöhung. Gott hat Ihn zum Herrn und zum Christus gemacht. Der Herr Jesus ist der Löwe aus dem Stamm Juda, der überwunden hat. Das wird Er in der Zukunft eindrucksvoll zur Schau stellen. Dann wird sich zeigen, dass sein Bogen festbleibt, wenn Er an seinen Feinden Rache üben wird. Alle, die gegen Ihn aufstehen, werden «zerschmettert» werden (Ps 2,9).