Der Wert der Erfahrungen in der Wüste

5. Mose 8,2-3

Die Kinder Israel waren am Ende ihrer Wüstenreise angekommen und standen nun im Begriff, in das Land der Verheissung einzuziehen. Die Schwierigkeiten und Prüfungen der Wüste waren vorüber, und sie schauten nun mit Sehnsucht der Inbesitznahme ihres Erbteils entgegen. Aber es wurde ihnen nahegelegt, den Weg, den der Herr sie geführt hatte, nicht zu vergessen, denn das hätte dazu geführt, den Nutzen ihrer verschiedenen Erfahrungen zu verlieren.

Diese Erfahrungen waren tatsächlich wertvoll gewesen; denn das aus Ägypten herausgezogene Volk war, obwohl durch das Blut des Passahlammes erlöst, moralisch völlig unpassend, um in das verheissene Land einzugehen. Und es war ein ganz anderes Geschlecht, das Josua durch den Jordan folgte, als jenes, das vierzig Jahre zuvor im Unglauben umkehren wollte.

Nun sollen wir, wie Paulus (Phil 3,14), vergessen was dahinten und uns ausstrecken nach dem was vorn ist. Doch ist es nicht der Weg, den der Herr uns geführt hat, den wir zu vergessen haben, sondern vielmehr unsere eigenen vermeintlichen geistlichen Errungenschaften von vorher. So können wir also diese Ermahnung aus dem fünften Buch Mose für uns nehmen, wissend, dass, was auch immer zuvor geschrieben wurde, zu unserer Belehrung geschrieben worden ist. Obwohl wir noch nicht am Ende unserer Pilgerfahrt angelangt sind, so hat doch jeder von uns vieles, auf das wir zu unserem Nutzen zurückblicken können.

Hier wird im Fall der Kinder Israel der Zweck der Prüfungen der Wüste erwähnt: «Um dich zu demütigen, um dich zu prüfen, um zu erkennen, was in deinem Herzen ist, ob du seine Gebote halten würdest oder nicht» (5. Mo 8,2). Nicht Gott hat es nötig zu erforschen, was in unseren Herzen ist, denn Er weiss es von Anfang an und hat uns in den deutlichsten Ausdrücken mitgeteilt, was ihr Zustand ist (Jer 17,9). Aber wir glauben die bezügliche Wahrheit nicht, bis die Prüfungen der Wüste sie uns immer und immer wieder bewiesen haben. Wie schrecklich diese Offenbarung für die Gottesfürchtigen unter den Israeliten war, können wir aus solchen Schriftstellen wie Psalm 78 und 106 ersehen. Ist sie in unserem Fall weniger schlimm? Müssen wir uns nicht manchen Vorfall in Erinnerung rufen, wo wir über seine Wege mit uns gemurrt, seine Güte in der Vergangenheit vergessen und Ihn durch unseren Unglauben versucht haben? Wie oft, zum Beispiel, nachdem wir aus einer Zusammenkunft zurückkehrten, bei der unsere Seelen viel Segen empfingen, fiel unsere Freude in nichts zusammen, weil wir eine Enttäuschung erlebten oder weil eine geringfügige Sache dazwischentrat, die uns ärgerte. Ja, solche Dinge zeigen, was in unseren Herzen ist, und sollten sie uns nicht demütigen? Sollten uns solche Versager nicht davon abhalten, je auf «Fleisch» zu vertrauen, um etwas für Gott hervorzubringen? Wir wollen uns «erinnern» dann bleibt es uns erspart, diese demütigende Lektion noch einmal lernen zu müssen.

«Und er demütigte dich und liess dich hungern; und er speiste dich mit dem Man, das du nicht kanntest und das deine Väter nicht kannten, um dir kundzutun, dass der Mensch nicht von Brot allein lebt, sondern dass der Mensch von allem lebt, was aus dem Mund des HERRN hervorgeht» (5. Mo 8,3).

Vielleicht war der Mangel an Nahrung die grösste aller Prüfungen. Dass ein allmächtiger Gott und ein Gott, der sein Volk liebte, es zuliess, dass sie hungerten – welch eine Prüfung musste das für den Glauben eines Kaleb gewesen sein! Und so ist es immer noch, wenn ein dringendes Bedürfnis, das wir dem Herrn vorgelegt haben, nicht erfüllt wird.

Vielleicht geht einer der Leser durch solche Umstände. Warum ist das so? Das mag die Folge davon sein, dass er im Eigenwillen einen eigenen Weg erwählt hat. Aber es ist nicht immer so, denn wer führte das Volk nach Mara?, nach Tabera?, nach Meriba? Es war der HERR. Es geschah, wie Er sagte, «um sie zu demütigen».

Wie den Kindern Israel, so ist es auch uns bewusst, dass wir keine eigenen Hilfsquellen haben. Schon in den Angelegenheiten dieses Lebens können wir es nicht ohne Ihn machen, und noch viel weniger in geistlichen Dingen. Wir lernen auch, wie gesegnet es ist, alle unsere Anliegen auf Ihn zu werfen und alles aus der Hand unseres liebenden Vaters zu empfangen. Gott, der Herr, nahm seinem irdischen Volke ihren gewohnten Lebensunterhalt weg und machte es direkt von Ihm abhängig. Wenn sie am Abend dachten: «Woher wird unsere Speise für Morgen kommen?», so konnten sie nur sagen: «Wir haben nichts als das, was uns der HERR vom Himmel senden wird.» Und versäumte Er sie je einmal? Nicht einen Tag während der ganzen vierzig Jahre!

Aber wir sind geneigt, uns mit den Mitteln zu beschäftigen und das Bewusstsein unserer Abhängigkeit von Ihm zu verlieren. Brot ist ein Mittel des Lebensunterhaltes, aber Gott möchte uns lehren, dass «der Mensch nicht von Brot allein lebt», sondern «von jedem Wort, das durch den Mund Gottes ausgeht.» Oh, wie wichtig ist es, ein tieferes Bewusstsein unserer direkten Abhängigkeit von Gott zu erlangen!

Dieses Wort zeigt uns, was mit der Abhängigkeit unzertrennlich verbunden ist: der Gehorsam. Welch ein vollkommenes Beispiel von Gehorsam haben wir in unserem Herrn Jesus, der gesagt hat: «Meine Speise ist, dass ich den Willen dessen tue, der mich gesandt hat, und sein Werk vollbringe» (Joh 4,34). In der Wüste weigerte Er sich, seine göttliche Macht zu gebrauchen, um seine Bedürfnisse zu stillen und war willens, gerade so lange zu hungern, als der Vater es wollte, und Er führte diese Schriftstelle an, um die Versuchung des Teufels abzuweisen. In Ihm sehen wir vollkommenen Gehorsam, und dies inmitten des Leidens; vollkommenes Vertrauen in die Güte dessen, der Ihn hungern liess; vollkommene Abhängigkeit vom geschriebenen Wort, um seine Stellung zu rechtfertigen.

Wenn wir wünschen, Gottes Fürsorge für uns zu haben, so lasst uns daran denken, dass es die Seine ist, die Er auf seine Weise und zu seiner Zeit ausübt. Einer der Gründe, weshalb die Antwort auf unsere Gebete oft ausbleibt, ist der: wir wollen uns nicht dem Willen Gottes unterwerfen. Wenn es so steht mit uns, dann wollen wir uns in seiner Gegenwart einem Selbstgericht unterziehen, bis wir von Herzen sagen können: «Nicht mein, sondern dein Wille geschehe.» Es ist weit gesegneter für uns, dies sagen zu können, als die reichste zeitliche Segnung zu haben.

Zeitliches Gedeihen war recht für einen Juden, der zu irdischen Segnungen und Verheissungen berufen war (Vers 18), aber unsere Berufung ist viel höher. Wir sind gesegnet mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern, in Christus; und was die Güter dieser Welt anbelangt, sagt uns das Wort: «Begnügt euch mit dem, was vorhanden ist, denn er hat gesagt: ‹Ich will dich nicht versäumen und dich nicht verlassen›» (Heb 13,5). Wir sollten den gleichen Wunsch haben wie der Apostel Paulus, der gesagt hat: «damit ich Christus gewinne» und «um Ihn zu erkennen» (Phil 3,8.10).

Wir wissen, durch welche Drangsale der Apostel zu gehen hatte, und er war beim Aussprechen dieser Worte gerade im Gefängnis. Aber inmitten von all diesem hatte er nur diesen Gegenstand vor sich und konnte sagen: «Ich habe gelernt, worin ich bin, mich zu begnügen» (Phil 4,11).

Gebe Gott, dass wir, Christus vor Augen habend, dankbar annehmen, was Er in unsere Umstände einordnet, indem wir wissen, «dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken, denen, die nach Vorsatz berufen sind.» Und was könnte für uns gesegneter sein, als dieser göttliche Vorsatz: «dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu sein»? (Röm 8,28.29).