Die ersten Jahrzehnte des Christentums (40)

Apostelgeschichte 20,17-27

Verse 17-21

Die Ansprache des Paulus an die Ältesten von Ephesus hat auf die ganze Versammlung Bezug und ist in der Geschichte der Kirche ein wichtiger Markstein.

Sein Dienst in Asien war vollendet. Er war im Begriff abzureisen und liess die Versammlungen ohne apostolische Autorität und Fürsorge zurück, die er ihnen mit so viel Liebe und Hingebung hatte angedeihen lassen. Er übertrug sie nicht auf andere Apostel. Er gab ihnen keinerlei Nachfolger, sondern befahl sie Gott und dem Wort seiner Gnade an. Das Schiff, das bis dahin von einem geschickten Steuermann geleitet worden war, sollte nun ohne ihn den Hafen verlassen, war aber im Besitz alles Nötigen, um den Gefahren der Überfahrt begegnen zu können.

Der Apostel stellte den Ältesten ihre Verantwortung vor, die Herde Gottes zu hüten und über sie zu wachen; denn der Feind werde nicht verfehlen, aus seiner Abwesenheit Nutzen zu ziehen; er werde durch Männer aus ihrer Mitte wie auch durch von aussen kommende Wölfe, sein Werk der Zerstörung tun. Diese Verantwortung liegt auf allen, die tatsächlich den Charakter von Ältesten besitzen, auch wenn sie nicht, wie zu den Zeiten der Apostel, öffentlich als solche bezeichnet worden sind.

Diese Ansprache lässt sich in vier Abschnitte einteilen. Der erste umfasst die Verse 17-21; die drei anderen beginnen in den Versen 22, 25 und 32 mit den Worten: «Und nun».

  • Im ersten Abschnitt erinnert der Apostel an sein Verhalten und an seine Tätigkeit in Asien;
  • im zweiten (Verse 22-24) spricht er von dem, was vor ihm persönlich lag: Seine geplante Reise nach Jerusalem, die Vollendung seines Laufes und des Dienstes, den er vom Herrn empfangen hatte;
  • im dritten (Verse 25-31) kündet er an, was sich nach seinem Weggang ereignen wird und gibt den Ältesten Ermahnungen. Sie sollen achthaben auf sich selbst und auf die Herde.
  • Im vierten Abschnitt, der mit dem 32. Vers beginnt, weist er auf die Hilfsquellen hin, woraus die Heiligen in den kommenden Zeiten schöpfen konnten, in denen sie den Dienst des Apostels entbehren mussten. Der Kirche blieben noch die inspirierten Schriften des Apostels; sie gehören zu dem ganzen Wort der Gnade Gottes, dem er sie anbefahl.

Paulus übte sich von Anfang an, ein gutes Gewissen zu haben. Darum konnte er sich hier auf seinen Wandel berufen, um seine Ermahnungen zu bekräftigen. Er hatte dem Herrn mit aller Demut und mit Tränen gedient – Kennzeichen eines Dieners, der dem Beispiel seines göttlichen Meisters folgt. Was bei ihm Tränen verursachte, das waren die Gefahren jeder Art, denen er die Erlösten des Herrn ausgesetzt sah; sie kamen aus der Furcht, dass ihr Wandel nicht zur Verherrlichung des Herrn sein könnte. Paulus wurde besonders durch den Widerstand der Juden geprüft, die jedes Mal ausser sich gerieten, wenn sie feststellten, dass er in seinem Dienst sowohl aus ihnen, wie auch aus den Heiden, auf demselben Boden Gefässe der Begnadigung machen wollte. Die Gnade hat bei den Selbstgerechten noch immer Widerstand hervorgerufen. Aber trotz dieser Feindschaft hatte er nichts zurückgehalten von dem, was allen nützlich war.

Der Apostel hebt vier wichtige Punkte hervor, die der Inhalt seiner Verkündigung gewesen waren:

  1. Er beharrte sowohl den Juden als auch den Griechen gegenüber auf der Notwendigkeit der «Buße zu Gott» und dem «Glauben an unseren Herrn Jesus Christus» (Vers 21).
  2. Er «bezeugte das Evangelium der Gnade Gottes» (Vers 24).
  3. Er predigte «das Reich Gottes» (Vers 25).
  4. Er hatte ihnen «den ganzen Ratschluss Gottes» verkündigt (Vers 27).

In diesen Themen, die die ganze Lehre des Christentums umfassen, gibt es eine Steigerung.

Die Buße zu Gott und der Glaube an unseren Herrn Jesus Christus stellen das Werk dar, das zu einer wahren Bekehrung nötig ist. Ohne Buße gäbe es keinen wahren Glauben an unseren Herrn Jesus Christus, ohne Glauben aber auch keine wahre Buße. Die Buße ist eine Sinnesänderung im Herzen des Unbekehrten, eine Änderung in der Beurteilung seiner selbst und seines Tuns. Statt weiterhin zu meinen, er sei gut und gerecht, lernt er unter der Einwirkung des Wortes Gottes auf sein Gewissen verstehen, dass er ein elender, verlorener Sünder ist, der Gott durch seine Sünden beleidigt hat. Er sagt nun wie David in Psalm 51,6: «Gegen dich, gegen dich allein habe ich gesündigt, und ich habe getan, was böse ist in deinen Augen.» Dementsprechend ändern sich auch seine Gedanken Gott gegenüber, so, wie die Gedanken des «verlorenen Sohnes» über seinen Vater bei seiner Heimkehr ganz anders waren als jene, die ihn beim Verlassen des Vaterhauses erfüllten, und ganz anders als die Gedanken seines älteren Bruders. Der Bußfertige erkennt, dass er das Gericht Gottes verdient hat; aber es ist ihm Gnade angeboten, und er empfängt durch Glauben an den Herrn Jesus Christus, der an seiner Stelle das Gericht ertragen hat, die Vergebung seiner Sünden. Das war es, was Paulus als Herold, Apostel und Lehrer der Nationen (2. Tim 1,11) verkündet und gelehrt hat. Er tat es öffentlich und in den Häusern. Heute muss man bei der Evangeliumsverkündigung mehr denn je auf der Buße zu Gott beharren, damit echte Bekehrungen stattfinden. Denn wenn nur Gnade gepredigt wird und keine wirkliche Sündenerkenntnis daraus hervorgeht, so lässt der Zustand derer, die das Evangelium annehmen, immer etwas zu wünschen übrig. – Das Werk der Buße setzt sich auch nach der Bekehrung fort und vertieft sich noch (Jer 31,19); durch tiefere Selbsterkenntnis und bessere Einsicht in die Schrecklichkeit der Sünde gelangt der Erlöste auch zu einer tieferen Erkenntnis Gottes und seiner Gnade.

Verse 22-24

Paulus hatte nun die Reise nach Jerusalem vor sich, vielerlei Trübsale und das Ende des Dienstes, den er von dem Herrn empfangen hatte. Er ging nach Jerusalem, gebunden in seinem Geist, gedrängt von einer unwiderstehlichen Kraft, ohne zu wissen, was ihm dort begegnen würde, ausser dass ihm der Heilige Geist von Stadt zu Stadt bezeugte, dass Fesseln und Bedrängnisse ihn erwarteten. Auch Agabus bestätigte dies (Kap. 21,10.11).

War es der Wunsch, die Beweise der Liebe und der Gemeinschaft, die Gaben der Versammlungen von Mazedonien und Achaja den Gläubigen in Judäa zu überbringen, was ihn in seinem Geist band? Oder war es seine innige Liebe zum Volk Israel (Röm 9,1-5) und der grosse Wunsch, beim Passahfest in Jerusalem zu sein, der sein Herz mit so starken Banden anzog? Er hatte auch vor, nach Rom und nach Spanien zu gehen. Wie dem auch sei, die Hand des Herrn leitete seine Umstände hinter der Szene, damit der Apostel der Nationen seinen Dienst zur Verherrlichung seines Meisters vollenden konnte.

Der Apostel nahm keine Rücksicht auf sein Leben und suchte es nicht zu schonen; das Werk des Herrn war ihm kostbarer. «Damit ich meinen Lauf vollende», sagte er, «und den Dienst, den ich von dem Herrn Jesus empfangen habe, zu bezeugen das Evangelium der Gnade Gottes.» Das Evangelium der Gnade ist das, was Gott in der Welt zum Heil der Sünder verkündigen lässt, und Paulus war der grosse Herold dieser Botschaft unter den Heiden. Sie umschliesst die ganze Offenbarung Gottes in Gnade und Paulus wollte davon Zeugnis geben bis zur Vollendung seines Laufes, der bis zu dem vom Herrn gesteckten Ziel währte.

Der Apostel, das auserwählte Gefäss, um den Namen des Herrn «sowohl vor Nationen als Könige und Söhne Israels» zu tragen (Kap. 9,15), sagte nach seiner Verantwortung vor dem Hof in Rom: «Der Herr aber stand mir bei und stärkte mich, damit durch mich die Predigt vollbracht würde und alle die aus den Nationen hören möchten» (2. Tim 4,17). Da erst war sein Dienst abgeschlossen und er konnte sagen: «Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe den Glauben bewahrt» (2. Tim 4,7). Den Lauf vollenden heisst, alles das ausführen, was der Herr vom Gläubigen verlangt. Wer nicht treu ist, hat ihn nicht vollendet, auch wenn er am Ende seines Lebens anlangt.

Vers 25

In diesem und in den folgenden Versen ermahnt der Apostel die Ältesten und – im Bewusstsein, dass sie ihn nicht mehr sehen würden – zeigt er ihnen an, was sich nach seinem Abschied ereignen würde. Er hatte in ihrer Mitte das Reich Gottes verkündigt. Der Ausdruck «Reich Gottes» stellt im Allgemeinen den sittlichen Charakter dieses Reiches dar: Es ist von Gott und muss folglich durch das gekennzeichnet sein, was Gott in denen ist, die dazu gehören. Nachdem ich Jesus als Heiland erkannt habe, lerne ich Ihn auch als meinen Herrn kennen. Er hat alle Rechte an mir, seinem Erlösten, und ich bin Ihm daher völligen Gehorsam schuldig. Es ist wichtig, immer wieder auf diese Kennzeichen des Reiches Gottes hinzuweisen. Der Gläubige soll zuerst «nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit» trachten und sich bemühen, vor allem die göttlichen Wesenszüge darzustellen; er soll die Interessen des Herrn seinen eigenen voranstellen.

Verse 26-30

Paulus sagte den Ältesten, dass sie sein Angesicht nicht mehr sehen würden und bezeugte ihnen, dass er rein sei von dem Blut aller. Das ist eine Anspielung auf Hesekiel 3,19-21, wo der HERR dem Propheten sagte, dass, wenn er den Gottlosen nicht warne, er dessen Blut von seiner Hand fordern werde; wenn er ihn aber warne und dieser nicht auf ihn höre, so habe der Prophet seine eigene Seele errettet.

Alle, die in Asien waren, hatten während seines zweijährigen Aufenthaltes in Ephesus das Wort des Herrn gehört (Kap. 19,10). Er hatte das Wort öffentlich und in den Häusern verkündigt und es sowohl Juden als Griechen bezeugt (Verse 20.21). «Ich habe nicht zurückgehalten, euch den ganzen Ratschluss Gottes zu verkündigen», sagte er (Verse 26.27). Er war daher «rein von ihrem Blut». Dieser Ausdruck wird hier im Zusammenhang mit der Belehrung der Gläubigen gebraucht. Als Verwalter der Geheimnisse Gottes hinsichtlich der Versammlung hatte Paulus alle erleuchtet, «welches die Verwaltung des Geheimnisses sei» (Eph 3,9). Er hat das Wort Gottes vollendet, «das Geheimnis, das von den Zeitaltern und von den Geschlechtern her verborgen war, jetzt aber seinen Heiligen offenbart worden ist» (Kol 1,25.26).

Im Besitz alles dessen, was den Ratschluss Gottes ausmachte, sollten die Ältesten auf sich selbst und auf die ganze Herde achthaben. Ja, zuerst auf sich selbst! Das Wort Gottes muss zunächst in denen wirksam sein, die es weitergeben, sie müssen selbst in einem guten Zustand aufrecht gehalten werden, um die Herde weiden und ihr die «zugemessene Nahrung» (Lk 12,42) geben zu können zur rechten Zeit, damit sie den Anläufen des Feindes zu widerstehen vermag. Der Heilige Geist setzt die Ältesten in der Mitte der Herde ein, damit sie eine heilige Wachsamkeit ausüben, im Bewusstsein des Wertes, den jedes Lamm für das Herz des Herrn darstellt. Die Herde bildet «die Versammlung Gottes … die er sich erworben hat durch das Blut seines Eigenen.» Paulus bezeichnet hier den Charakter dieser Versammlung (sie ist von Gott) und den Preis, den Er ihr beimisst: Er hat sie sich um den Preis seines eigenen Sohnes erworben. Diese Überlegung sollte die Ältesten von Ephesus und auch uns zur Wachsamkeit anspornen und uns veranlassen, bei der Beschäftigung mit einem so wunderbaren Gegenstand gebührenden Ernst und Eifer zu zeigen.

In den Schriften des Paulus begegnen wir diesem Ausdruck «Versammlung Gottes» oft, besonders im ersten Brief an die Korinther. Er will dort den Abstand zwischen dem praktischen Zustand jener Brüder und dem, was die Versammlung in den Augen Gottes war, dartun. Sie duldeten allerlei Böses in ihr und bewiesen damit, dass sie sie gering einschätzten und ihrem göttlichen Charakter nicht Rechnung trugen.

Durch die Versammlung wird den Fürstentümern und den Gewalten in den himmlischen Örtern die mannigfaltige Weisheit Gottes kundgetan; in der Versammlung, die in Christus Jesus ist, wird auch die Herrlichkeit Gottes auf alle Geschlechter des Zeitalters der Zeitalter hin offenbart (Eph 3,1-21). Sie wird einst mit der Herrlichkeit Gottes vom Himmel herabkommen, um ein Lichtglanz zu sein, sowohl während des tausendjährigen Reiches (Off 21,10.11) als auch im ewigen Zustand (Off 21,2), wo sie auf der neuen Erde die Hütte Gottes sein wird. Diese herrliche, für Gott und seinen Sohn so kostbare Versammlung muss von denen, die zu ihr gehören, in ihrem ganzen Wert und ihrer Herrlichkeit betrachtet werden, besonders aber von denen, die einen Platz der Verantwortung darin einnehmen, damit alles ihrem göttlichen Charakter entsprecht. Sie setzt sich aus den Erlösten des Herrn zusammen, die geweidet werden müssen, indem man ihnen die Person Christi vorstellt. In Hesekiel 34,15.16 wird uns gezeigt, wie der Herr sich seiner Schafe annehmen wird: Er weidet und lagert sie; Er sucht das Verlorene, führt das Versprengte zurück, verbindet das Verwundete und stärkt das Kranke. Welch nachahmenswertes Beispiel!

Der Apostel wusste, dass die Versammlung nach seinem Abschied verschiedenerlei, von innen und von aussen kommenden Gefahren ausgesetzt sein würde und ihnen nicht zu entrinnen vermag.

Aus ihr selbst würden Männer aufstehen, die verkehrte Dinge reden, um die Jünger hinter sich her abzuziehen. Das Tun dieser Männer wird in Matthäus 13,33 mit der Wirksamkeit des Sauerteigs verglichen, der den ganzen Teig durchsäuert. Solche Menschen lenken die Seelen von Christus ab und ziehen sie hinter sich her, im Gegensatz zu den wahren Dienern, die sie zu Christus führen, indem sie ihnen seine Schönheiten bekannt machen. In 2. Johannes 10 wird der «auserwählten Frau» geboten, solche, die die Lehre des Christus nicht bringen, weder aufzunehmen noch zu grüssen.

Die von aussen kommenden Wölfe sind die, die in der Christenheit fremde Lehren verbreiten und so der Herde Schaden zufügen. Der Geist Gottes nennt sie Wölfe; aber wenn sie sich den Schafen nähern, haben sie durchaus nicht dieses Aussehen. Der Herr warnt vor ihnen: «Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, innen aber sind sie reissende Wölfe» (Mt 7,15). «durch süsse Worte und schöne Reden verführen sie die Herzen der Arglosen» (Röm 16,17.18). Die Wölfe vermögen die Versammlung Gottes, die durch Christus gebaut wird, nicht zu zerstören; sie ist auf ihr Fundament gegründet; wenn man sie aber vom Standpunkt ihres Zeugnisses aus betrachtet, so hat sie versagt. Als Herde stehen die Schafe in grossen Gefahren, denn sie sind schwach; sie benötigen Pflege und Nahrung.