Mose, der Mann Gottes (6)

4. Mose 12; 4. Mose 16

VI. Noch 38 Jahre in Ungemach mit dem Volk Gottes

In 5. Mose 2,14-15 lesen wir: «Die Tage aber, die wir von Kades-Barnea gegangen sind … waren 38 Jahre, bis das ganze Geschlecht der Kriegsleute aus dem Lager aufgerieben war.» Diese Männer hatten in Kades-Barnea eine Wahl getroffen: Sie hatten nicht den Glauben gehabt, hinaufzusteigen, um das Land der Kanaaniter in Besitz zu nehmen, wozu Kaleb und Josua sie aufgerufen hatten; aus Furcht vor den Feinden hatten sie es aufgegeben. Sowohl für das Heil als auch für den Wandel gibt es entscheidende Tage im Leben, wo man sich vor einer Wegkreuzung befindet. Entscheidet sich der einzelne wirklich für den Herrn, um Ihm anzuhangen und Ihm den ersten Platz zu geben? Oder will er noch für eine kurze Zeit, wie man so oft denkt, die Dinge der Welt geniessen? … Dann wird ihn der breite Weg von der Gemeinschaft mit dem Herrn weit weg führen. Für die Israeliten gab es kein Zurück, keine Wiederherstellung. Unter der Regierung Gottes haben ihre Gräber die Wege in der Wüste gekennzeichnet.

Wir werden uns nicht bei den verschiedenen Ereignissen dieser langen Jahre aufhalten, wovon das Wort berichtet, mit Ausnahme von dreien, die den Charakter Moses besonders hervorheben:

  • Die Verleumdung Mirjams,
  • die Empörung Korahs,
  • der Hader von Meriba.

1. Sanftmut und Demut gegenüber Eifersucht und Empörung

a) Die Verleumdung Mirjams1

(4. Mose 12)

Mirjam, die ältere Schwester Moses, hatte mit ihm Ägypten verlassen, hatte die Frauen im Reigen angeführt beim Triumphgesang am Roten Meer und sich ohne Zweifel eine bedeutende Stellung erworben, sowohl im Schoss der Familie, durch ihr Alter, als auch unter dem Volk (Micha 6,4).

Aber nun erschien Zippora,2 die für eine Zeit von Mose getrennt war, wieder auf der Bildfläche (2. Mo 18,2). Mose war jetzt von einer Gattin begleitet, und Mirjam konnte nicht mehr ganz denselben Platz einnehmen wie vorher! Wie es in ähnlichen Fällen so leicht vorkommt, beginnt sie ihren Bruder zu kritisieren, gegen ihn zu reden, ihn zu verleumden.

Sie gewinnt Aaron für ihre Sache und beide wagen es einzuwerfen: «Und sie sprachen: Hat der HERR nur mit Mose allein geredet? Hat er nicht auch mit uns geredet?» (4. Mo 12,2). Wie oft führen auch unter uns Neid und Eifersucht zu übler Nachrede, wenn nicht gar zu Verleumdung. In 1. Petrus 2,1 wird uns gezeigt, dass Neid und alles üble Nachreden abzulegen sind, wenn man sich von der vernünftigen Milch des Wortes nähren, sich dem Herrn nähern und Gottesdienst üben will. Unser Kapitel unterstreicht den Ernst dieser Verfehlungen. Zudem, verblendet durch die Wichtigkeit, die sie sich selbst beimessen, anerkennen Mirjam und Aaron nicht den Platz, den Gott dem Mose gegeben hat.

«Der HERR hörte es» (4. Mo 12,2). Man glaubt, nur eine Verleumdung ins Ohr seines Bruders oder seiner Schwester geflüstert zu haben, unter dem Vorbehalt, ja nichts auszuplaudern! Aber denken wir daran, der Herr hat es gehört, und Er wird die erforderlichen Konsequenzen daraus ziehen. Mose hatte wohl Kenntnis von den bösen Worten, die Mirjam gegen ihn ausstreute. Aber die Schrift sagt deutlich, dass er sehr sanftmütig war, mehr als alle Menschen, die auf dem Erdboden waren. Mose schweigt in seiner Demut, wie auch sein Meister es nach ihm tun wird. Wenn man Gegenstand übler Nachrede geworden ist und Verleumdungen wahrnimmt, ist es da nicht angemessen, sich Gott zu übergeben, der im richtigen Augenblick Licht geben und kein grösseres Mass an schlimmen Folgen zulassen wird als Er für seinen Diener nötig findet?

«Plötzlich» tritt der HERR dazwischen. Er gebietet Mose, Aaron und Mirjam, zum Zelt der Zusammenkunft hinauszugehen. Die letzteren zwei bilden sich vielleicht ein, es werde sich nun wiederholen, was soeben mit den siebzig Ältesten geschehen war: der HERR werde von dem Geist nehmen, der auf ihrem jüngeren Bruder war und ihn auf sie legen! Wenn dies ihre Gedanken sind, werden sie jetzt rasch ernüchtert! Der HERR ruft Aaron und Mirjam, sie sollen allein vor Ihm erscheinen und seine Worte hören. Er ergreift die Verteidigung Moses und sagt:

«Warum habt ihr euch nicht gefürchtet, gegen meinen Knecht, gegen Mose, zu reden?» Ein Vers, den wir in unserer Bibel wohl unterstreichen und beherzigen sollten, um vor ähnlichem Tun bewahrt zu werden. Wie leicht kritisiert man die Diener Gottes, ihren Dienst und ihr Verhalten!

Der Zorn des HERRN entbrennt, die Wolke weicht von dem Zelt «und siehe, Mirjam war aussätzig wie Schnee.» Sie muss die Folgen ihres Vergehens tragen. Mose tritt für sie ein, ein neuer Beweis seiner Liebe und seiner Demut; aber das ganze Volk wird nun erfahren, welche Züchtigung über die Prophetin gekommen ist, weil sie sich nicht gefürchtet hat, Böses zu sagen über ihren Bruder. Sieben Tage lang muss sie aus dem Lager ausgeschlossen bleiben. Israel wird auf seiner Reise aufgehalten, bis Mirjam wieder aufgenommen ist. Es genügt nicht, ein Vergehen zu bedauern; man muss in seinem Innersten empfinden, wie schwerwiegend es in den Augen Gottes und vielleicht auch in den Augen der Menschen gewesen ist.

Heben wir die Haltung Moses hervor, der für seine Schwester bittet und sich für sie verwendet, wie Hiob es für seine Freunde getan hat! Auch Johannes leitet an, so zu handeln, wenn man seinen Bruder sündigen sieht (1. Joh 5,16). Matthäus 18 lehrt uns, zu einem solchen Bruder zu gehen, um ihn zu gewinnen zu suchen. Wenn ein solcher Schritt zu keinem Ergebnis führt, obwohl er im Geist von Johannes 13 (Fusswaschung) getan wird, so müssen noch zwei oder drei Brüder zugezogen werden, um zu versuchen, den Fehlbaren wiederherzustellen. Erst nachdem sich die Nutzlosigkeit dieses zweiten Besuches erwiesen hat, ist es angezeigt, der Versammlung Mitteilung zu machen, vorausgesetzt, dass der Fall schwerwiegend genug ist. Auf keinen Fall darf das Böse nach links und nach rechts ausgebreitet werden. Vergessen wir nicht, was es Mirjam gekostet hat!

b) Die Empörung Korahs

(4. Mose 16)

Dieses Kapitel berichtet von der ernstesten Schwierigkeit, der Mose während der vierzig Wüstenjahre begegnet ist. Korah, ein Levit und Kehatiter, erhebt sich in seinem Geist, schart 250 Männer, Fürsten der Gemeinde, um sich und möchte sich der religiösen Macht bemächtigen: Warum sollte das Priestertum nur auf die Familie Aarons begrenzt sein? Weshalb sollten die Leviten nicht auch Zugang dazu haben? Übrigens ist doch die ganze Gemeinde Israels heilig, der HERR ist ja in ihrer Mitte! Warum erheben sich Mose und Aaron über die Versammlung des HERRN? – Nicht erst heute ist es so, dass der Eifer für die Heiligkeit der Versammlung oft nur ein Mittel ist, um sich selbst in den Vordergrund zu stellen und sich wichtig zu machen.

Dathan, Abiram und On, die Rubeniter, trachten nach der zivilen Autorität Moses, so würden wir sagen. «Ist es zu wenig … dass du dich auch zum Herrscher über uns aufwirfst?» (Vers 13).

Die doppelte Empörung nimmt immer grössere Formen an und ergreift die ganze Versammlung (Vers 19).

Was wird Mose tun? Wie so viele andere Male fällt er auf sein Angesicht (während Korah seinen Geist erhebt!) und überlässt Gott die Entscheidung: «Am Morgen, da wird der HERR kundtun … wen er erwählt» (Vers 5). Einerseits lässt Mose Gott entscheiden und die Stellung bestätigen, die Er jedem gegeben hat; anderseits aber wartet er auf morgen und will nichts übereilen, sondern Korah und den Seinen trotz des Ernstes der Lage noch Zeit zur Buße einräumen.

Angesichts einer solchen Undankbarkeit, einer solchen Empörung hätte der Führer verzichten, davongehen und das Volk seinem Schicksal überlassen können. Er bleibt jedoch, der Verantwortung bewusst, die ihm die von Gott gegebene Stellung auferlegt; er bewahrt sich alle Autorität, obwohl in sich selbst von Demut und Gnade durchdrungen.

Ist nicht dies die wichtige Lektion, die aus unserem Kapitel hervorgeht: Die Stellung, die Gott  jedem inmitten seines Volkes gegeben hat, muss anerkannt werden. Im Leib des Christus haben die Glieder nicht alle dieselbe Aufgabe; Gott hat jedes in dem Leib gesetzt, wie es Ihm gefallen hat. Die einen können nicht zu den anderen sagen: Wir brauchen euch nicht; noch ist es zulässig, von den scheinbar weniger wichtigen Gliedern zu denken, dass, weil sie nicht das ganze Ansehen eines anderen haben, sie nicht von dem Leib wären. Die Leviten, Mose hebt es hervor, haben eine bevorzugte Stellung. Sie können dem HERRN nahen, um den Dienst der Wohnung zu verrichten (Vers 9). Warum also auch nach dem Priestertum trachten? Wenn Gott es der Familie Aarons anvertrauen wollte, muss man dann nicht diese ihre Stellung anerkennen? Desgleichen, wenn Gott Mose mit Autorität bekleidet hat, gilt es dann nicht, zu gehorchen und sich ihr zu unterwerfen?

Heute verhält es sich nicht mehr ganz gleich, weil alle Gläubigen Priester sind; aber das Wort anerkennt Älteste und Führer, denen man untergeordnet sein muss; solche, die am Wort dienen, sind umso mehr in Liebe zu achten. Ist es nicht vor allem wichtig, den Platz zu unterscheiden, den Dienst, den der Herr jedem persönlich anvertraut hat? Dann aber gilt es, durch die Gnade, die Er geben will, und in seiner Abhängigkeit, ihm treu zu entsprechen suchen, ohne auf das Gebiet, das der Herr anderen anvertraut haben mag, übertreten zu wollen.

Angesichts der Unverschämtheit von Dathan und Abiram übergibt sich Mose ein weiteres Mal dem HERRN (Vers 15). Anderntags versammelt Korah seine 250 Männer; alle miteinander bringen am Eingang des Zeltes der Zusammenkunft Räucherwerk dar und üben so die Funktion von Priestern aus.

Von neuem droht der HERR, das ganze Volk zu vernichten (Vers 21); jedoch aufgrund der Fürbitte Moses verschont Er es unter der Bedingung, dass die Gemeinde von der Wohnung Korahs, Dathans und Abirams weiche und sich von ihnen absondere. Der Fall ist zu ernst, als dass Gott Barmherzigkeit üben könnte oder dass diese Menschen einfach aus der Gemeinde ausgeschlossen werden sollten. Man muss sich von ihnen entfernen und sie ihrem Los überlassen.

Sie selbst ziehen daraus keinerlei Lehre; im Gegenteil, sie posieren sich am Eingang ihrer Zelte mit ihren Frauen und ihren Söhnen und ihren kleinen Kindern und zeigen keinerlei Schuldbewusstsein. Plötzlich tut der Erdboden seinen Mund auf und verschlingt sie; auch geht Feuer von dem HERRN aus und frisst die 250 Männer, die das Räucherwerk dargebracht hatten. Das ganze Volk soll so erkennen, dass einzig die Fürbitte Moses, ein Vorbild von Christus, sie vor dem Verderben bewahren konnte, aber auch dass das Gericht Gottes die unbußfertigen Schuldigen nicht verschont.

Anderntags zwar ist die Ruhe nicht wiederhergestellt wie nach der Sache des goldenen Kalbes. Die ganze Gemeinde murrt von neuem gegen Mose und gegen Aaron und klagt sie an, das Volk des HERRN getötet zu haben. Eine Plage kommt über sie, die sie vernichtet hätte, wenn nicht Aaron auf Veranlassung Moses die Räucherpfanne genommen und sich zwischen die Toten und die Lebendigen gestellt hätte, um der Plage zu wehren. Das Räucherwerk redete von einem Opfer, dessen Wohlgeruch zu Gott emporstieg – ein Bild von dem vollkommenen Opfer Christi, das allein die vom ewigen Tod zu erretten vermag, die auf Ihn vertrauen. Dieses Mal wurden 14'700 Personen getroffen; das zeigt an, wie ernst es ist, sich gegen das Gericht Gottes aufzulehnen, wenn es sich deutlich offenbart hat.

Gott wollte das Priestertum Aarons jedoch noch öffentlich bestätigen. Er gibt ein Zeichen, um den, den Er erwählt hat, deutlich zu bestimmen. Nicht ein Zeichen des Todes, wie das Feuer es war, das die 250 Männer verzehrte, sondern das Zeichen des Lebens: den Stab Aarons, der zusammen mit den Stäben der Fürsten der zwölf Stämme ins Heiligtum gelegt wurde, Sprossen trieb, Blüten brachte und Mandeln reifte. Ist Aaron hierin nicht das Bild jenes anderen Priesters, der nicht nach dem Gesetz eines fleischlichen Gebots eingesetzt worden ist, sondern nach der Kraft eines unauflöslichen Lebens? (Heb 7,16)

  • 1Dieses Ereignis hat zweifellos vor dem Eintreffen in Kades-Barnea stattgefunden; wir betrachten es hier, weil es zum Gegenstand gehört.
  • 2Ist die Kuschitin von 4. Mose 12 Zippora? Es ist wahrscheinlich, aber nicht gewiss. Wenn es eine andere ist – was der Geist Gottes uns nicht deutlich zu sagen für gut befunden hat –, so ändert dies nichts an der Tragweite des Berichts.