Die ersten Kapitel des Buches Josua (8)

Josua 7

5. Niederlage vor Ai

Was auf den grossen Triumph über Jericho folgte, ist sehr traurig. Die durch Gott bewirkte Zerstörung der befestigten Stadt war ein Angeld für das, was Er weiterhin für die Kinder Israel zu tun bereit war: die Unterwerfung aller Kanaaniter und ihrer grossen Städte, mit deren «himmelhohen Mauern». Für die Hand des HERRN war die Vernichtung der Feinde seines Volkes eine leichte Sache. Gemessen an der Erfahrung mit Jericho schien die Eroberung ganz Kanaans dem Volk etwas Leichtes. Aber im scheinbar leicht errungenen Sieg lag eine grosse Gefahr, die der Glaube hätte überwinden können, die dem Fleisch aber zum Fall diente. Der Glaube sah den HERRN mit gezücktem Schwert die Belagerung leiten; er gab die Ehre des Sieges Ihm. Das Fleisch aber schritt über die zerstörten Mauern mit dem stolzen Bewusstsein: Das ist das mächtige Jericho, das wir so leicht eingenommen haben! Vor allem wegen der verborgenen Sünde, auf die wir noch zu sprechen kommen, aber auch wegen dieses Geistes der Prahlsucht und des Selbstvertrauens folgte auf den Sieg in Jericho die Niederlage von Ai.

Ai war nur eine kleine Stadt. Ihr Name bedeutet «Steinhaufen» und deutet an, dass sie wenig befestigt war. Sie hatte nur eine kleine Bevölkerung im Vergleich zu Jericho. Josua sandte Männer aus, um den Ort auszukundschaften, wie er vorher auch zwei Männer zu einem gleichen Zweck ausgesandt hatte (Jos 2,1). Aber die, die Ai besichtigten, urteilten nach dem Sichtbaren, das vor ihren Augen war. Sie verfassten ihren Bericht als Männer im Fleisch. Der HERR wurde nicht darin erwähnt und auch nicht ihre Erfahrung in Jericho. Sie sagten zu Josua: «Es ziehe nicht das ganze Volk hinauf; etwa zweitausend Mann oder etwa dreitausend Mann mögen hinaufziehen und Ai schlagen; bemühe nicht das ganze Volk hin, denn sie sind wenige» (Jos 7,3 – Nach Josua 8,25 waren es immerhin 12'000 Einwohner). Sie hatten die ernsten Lehren vergessen, die ihnen in Gilgal gegeben worden waren. Offenbar vergass sie auch Josua, denn er befolgte ihren Rat. Der Glaube war geschwunden und das Fleisch hatte die Oberhand. Fleischliches Vertrauen trat an den Platz der geistlichen Demut und Abhängigkeit. Als Ergebnis davon erlitt das Heer des Volkes des HERRN eine schmachvolle Niederlage.

Josua verfügte über ungefähr 600'000 Mann, die fähig waren, Waffen zu tragen. Doch sandte er nur 3000 nach Ai. Sie wurden schimpflich in die Flucht geschlagen, und 36 Männer fielen im Kampf. Sie hatten den Arm des HERRN vergessen, der ihnen in Jericho Sieg gegeben hatte. Sie vertrauten auf den Arm des Fleisches, der sie trog und zuschanden werden liess, wie er es immer tut. «Da zerschmolz das Herz des Volkes und wurde wie Wasser.» Sie waren nicht besser als die Kanaaniter und die Amoriter (vgl. Jos 5,1 mit Jos 7,5). Die Israeliten hatten sich von Gott abgewandt, der doch die Kraft ihres Lebens war, und Er musste sie vor ihren Feinden in Ai demütigen.

Demütigung vor dem Herrn

Die Niederlage der dreitausend vor Ai brachte Josua in das Tal der Demütigung. Er «zerriss seine Kleider und fiel vor der Lade des HERRN auf sein Angesicht zur Erde bis an den Abend». Die Ältesten Israels machten sich eins mit ihrem Führer und «warfen Staub auf ihre Häupter». Hier, vor dem HERRN, brachte Josua seine Gefühle zum Ausdruck, teils in der Sprache des Glaubens, teils in der des Fleisches. Sein Glaube hielt fest an der Macht des HERRN, in der Er das Volk über den Jordan gebracht hatte, aber sein Fleisch warf Ihm ihre Niederlage vor und fürchtete sich vor völliger Vernichtung. Josua sagte: «Ach, Herr, HERR! Warum hast du denn dieses Volk über den Jordan ziehen lassen, um uns in die Hand der Amoriter zu geben, uns zugrunde zu richten? … Die Kanaaniter und alle Bewohner des Landes … werden uns umzingeln und unseren Namen von der Erde ausrotten» (Verse 6-9). Während Josua vor der Bundeslade auf seinem Angesicht lag, war es sein grösster Kummer, dass durch die Niederlage vor Ai Schande über ihn und über das Volk gekommen war. Erst am Schluss, statt am Anfang, dachte er daran, dass dort auch der HERR verunehrt worden war. Josua fragte Ihn: «Was wirst du für deinen grossen Namen tun?»

Verborgene Sünde im Lager Israels

Aber der HERR hiess Josua aufstehen. Seine äussere Haltung war nicht in Übereinstimmung mit dem Zustand seines Herzens. Wer Gott dienen will, darf nicht auf Fleisch vertrauen (Phil 3,3). Josua soll auf seine Füsse stehen und in seiner Seele die Wahrheit über Ai lernen; denn Gott will «Wahrheit im Innern», nicht Irrtum oder Trug auf den Lippen derer, die Ihm dienen. Sie hatten den HERRN nicht um Rat gefragt, ob sie gegen Ai hinaufziehen sollten oder nicht. Sie suchten nicht sein Angesicht, um sicher zu sein, dass Er in ihrem Tun mit ihnen war. Das war strafbare Nachlässigkeit nach dem grossen Sieg in Jericho. Sie hatten den HERRN und seine mächtigen Werke vergessen.

Aber Er schaute tiefer hinein als nur auf die äussere Handlung der Nachlässigkeit und der Selbstgenügsamkeit. Er sah die geheime Sünde der Übertretung im Lager. Verborgener Ungehorsam war die Grundursache des Rückschlages, den Israel in Ai erlitten hatte.

Das war die Wahrheit, die jetzt Josua offenbart wurde. Der HERR sagte: «Israel hat gesündigt.» Auf die Frage Josuas: «Bitte, Herr, was soll ich sagen, nachdem Israel vor seinen Feinden den Rücken gekehrt hat?» antwortete der HERR: «Sie haben von dem Verbannten genommen … und die Kinder Israel werden vor ihren Feinden nicht zu bestehen vermögen; sie werden vor ihren Feinden den Rücken kehren» (Verse 8-12). Unter dem Volk hatte es offenen Ungehorsam gegenüber dem ausdrücklichen Gebot des HERRN hinsichtlich der Beute Jerichos gegeben. Diese war zum Bann erklärt worden, das heisst, sie musste vernichtet werden. Alles musste verbrannt werden, mit Ausnahme von Gold und Silber wie auch der Geräte aus Kupfer und Eisen, die in den Schatz des HERRN gelegt werden mussten, zum Dienst in seinem Haus. Das Volk wurde vor dem Plündern gewarnt. Josua hatte ihnen gesagt: «Ihr aber, hütet euch nur vor dem Verbannten, damit ihr es nicht verbannt und doch vom Verbannten nehmt und das Lager Israels zum Bann macht und es in Trübsal bringt» (Jos 6,18). Der Makel des Götzendienstes haftete an Jericho und an allem, was es enthielt, und würde auch auf die kommen, die für ihren persönlichen Gebrauch und Besitz von den unreinen Dingen nähmen. Sie würden dadurch sich selbst und das ganze Lager Israels verunreinigen. Gegen dieses Wort des Herrn wurde gefehlt, und das ganze Volk war vor Ihm schuldig. Es wurde beschmutzt durch die Unreinheit, derentwegen der Fluch über Jericho kam und derentwegen die Stadt und alles, was darin war, vernichtet wurden.

Der Mann, der Israel sündigen machte

Der Schuldige war Josua und den Ältesten Israels unbekannt, aber der HERR kannte ihn. Er ordnete an, dass das ganze Volk nach seinen Stämmen, seinen Geschlechtern und seinen Häusern herzutreten sollte.

Das durchdringende Licht der göttlichen Heiligkeit erforschte das Gewissen aller. Der HERR bezeichnete schliesslich Achan, einen Mann vom Stamm Juda, als den Übertreter. Da legte Achan gegenüber Josua ein Bekenntnis ab. Die Lust des Fleisches, die Lust der Augen und der Hochmut des Lebens waren über ihn gekommen, und er hatte den Bund des HERRN übertreten. Achan sah unter der Beute einen schönen Mantel aus Sinear (1. Mo 11,2), und es gelüstete ihn danach. Er fand, er sei zu wertvoll für das Feuer.

Er sah auch 200 Sekel Silber und eine goldene Stange, im Gewicht von 50 Sekel; diese würde man doch im Schatz des HERRN nicht vermissen, da sie sich ja noch nie darin befunden hatten. Achan nahm das alles und vergrub es in der Erde unter seinem Zelt, denn er wusste wohl, dass er etwas Verbotenes tat und das ganze Lager Israels dadurch vor Gott zum Bann wurde. So kam durch einen Mann Sünde in das Lager, und der HERR sagte zu Josua: «Israel hat gesündigt.»

Die Einheit des Volkes

Es war das Ziel des HERRN, dass die Kinder Israel ihren Wohnsitz im Land Kanaan aufschlagen sollten, als ein Volk, als ein Königreich. In der Wüste hatte Er gesagt: «Ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und eine heilige Nation sein» (2. Mo 19,6). Da waren wohl zwölf Stämme, von denen jeder aus vielen Geschlechtern bestand, aber alle waren darin eins, dass sie von Abraham abstammten, dem der HERR die Verheissung gegeben hatte: «Deiner Nachkommenschaft will ich dieses Land geben» (1. Mo 12,7). Die Verheissung lautete, dass die Nachkommenschaft Abrahams so zahlreich sein würde wie die Sterne des Himmels und wie der Sand, der am Ufer des Meeres ist; aber sie sollten ein Herz und eine Seele sein, um dem HERRN zu dienen und ein vereintes Zeugnis gegen das Götzentum der umliegenden Nationen abzulegen.

Beim Durchschreiten des Jordans wurde diese nationale Einheit der Israeliten gesehen; denn die Stämme Ruben und Gad und der halbe Stamm Manasse betraten mit den übrigen Stämmen das Land. Auch vor Jericho wurde die nationale Einheit eine Woche lang in der gebotenen täglichen Umziehung der Mauer dargestellt. Dann aber wurde die ganze Nation durch die verborgene Sünde Achans und seines Hauses ins Unglück gebracht; Verunreinigung und Schuld wurden über das ganze Lager verbreitet. In des HERRN Augen war die Tat Achans die Tat ganz Israels. Er sagte zu Josua, sie haben übertreten, sie haben von dem Verbannten genommen, sie haben gestohlen, sie haben verheimlicht, sie haben es unter ihre Geräte gelegt (Vers 11). Aus diesem Grund war der HERR nicht mit ihnen, als sie nach Ai zogen; sie waren zum Bann geworden. Die Kinder Israels waren eine Nation, um Gott wie ein Mann zu dienen, aber der Ungehorsam des einen Mannes hatte diese Einheit schon befleckt.

Der Steinhaufen in Achor

Das Lager Israels war durch die Sünde Achans in Trübsal gebracht worden. Der HERR hatte sein Angesicht vor seinem Volk verborgen. Die Veranlassung dazu konnte nur durch das Gericht über den einen beseitigt werden, der Israel in Trübsal gebracht hatte. Der Schuldige wurde dann durch das Los offenbar. Er und alles, was ihm gehörte, wurde in das Tal Achor hinausgebracht, gesteinigt und mit Feuer verbrannt, Das Gericht, das über Jericho gefallen war, kam nun auch über Achan, den Übertreter des Bundes des HERRN, und über all die Seinen (Verse 24 und 25). Der Urteilsspruch wurde durch das ganze Volk ausgeführt, denn seine Sünde hatte alle in Mitleidenschaft gezogen. So lesen wir: «Und ganz Israel steinigte ihn, und sie verbrannten sie mit Feuer und bewarfen sie mit Steinen» (Vers 25).

Mit diesen Steinen errichteten sie einen grossen Steinhaufen über ihm – ein trauriges Denkmal! Es war wie die Salzsäule in den Städten der Ebene, von der unser Herr sagte «Erinnert euch an Lots Frau!» (Lk 17,32). Jedes dieser Denkmäler war eine feierlich ernste Warnung. Sie waren nicht Beispiele zur Nachahmung, sondern zur Mahnung. Sie redeten vom verzehrenden Feuer der Heiligkeit Gottes, eine Wahrheit, die in unserer Zeit der Gnade so wenig vergessen werden darf wie im Zeitalter des Gesetzes.

Die Lehren des Sieges und der Niederlage

Hiermit sind wir am Ende unserer Betrachtung über diese lehrreichen Kapitel angelangt. Aber wir wollen uns noch einmal die Lehren von Jericho und Ai in Erinnerung rufen. Der Sieg war eine Folge des strikten Gehorsams des Volkes gegenüber den Geboten des HERRN, obgleich sie ihrem Verstand und ihrer Erfahrung fremd erschienen sein mochten. Aber sie handelten im Glauben, und durch die Macht Gottes fielen die Mauern. Auch wir sollten nicht vergessen, dass wir den Kampf nicht «nach dem Fleisch» führen dürfen. «Denn die Waffen unseres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern göttlich mächtig zur Zerstörung von Festungen» (2. Kor 10,4). In unserem geistlichen Kampf ist es der Glaube, der überwindet. Denn der Glaube wartet auf Gott, um in seiner Weise und zu seiner Zeit zu handeln.

Wenn wir Niederlagen erleiden, wie jene in Ai, und unser Herz darüber niedergeschlagen ist, so lasst uns daran denken, dass es in uns oder um uns her dafür eine verborgene Ursache gibt. Das Unreine ist berührt worden. «Habsucht, die Götzendienst ist» (Kol 3,5) oder andere Dinge sind praktiziert worden. Diese Handlung im Dunkeln muss ans Licht gebracht und schonungslos verurteilt werden. Dann wird der heilige und gnädige Gott mit uns und für uns sein. Und wer vermag uns dann zu besiegen?