Das Hohepriestertum Christi (1)

Wie gesegnet und gewinnbringend ist es, sich mit dem Hohepriestertum Christi zu beschäftigen!

Sein Wesen und sein Zweck werden besonders im Hebräerbrief beschrieben. Doch gibt uns auch die Gegen­über­stellung mit dem Hohepriestertum Aarons manche Klarheit.

Nach dem Durchzug durch das Rote Meer war Israel von der Knechtschaft Ägyptens befreit und als erlöstes Volk zu dem HERRN, seinem Gott, in Beziehung gebracht. Aber es war ein schwaches Volk, das auf dem Weg durch die Wüste Hilfe nötig hatte. Darum wurde ihm das aaronitische Priestertum gegeben. Sie benötigten vor allem einen Stellvertreter, der ihretwegen beständig in der Gegenwart Gottes erschien und seine Beziehungen der Heiligkeit und Güte ihnen gegenüber aufrecht hielt.

In tiefer Dankbarkeit gegenüber Gott dürfen wir uns darüber freuen, dass jenes Priestertum nicht bestehen blieb und Gott mit einem Eidschwur für uns ein bleibendes und vollkommenes Priestertum, verbunden mit unvergleichlich herrlicheren Segnungen, eingeführt hat.

Das Hohepriestertum Aarons als Vorbild

Dieses Priestertum kam aus dem Stamm Levi und war dem Haus Aarons anvertraut. Es stand in Verbindung mit dem Gesetz eines fleischlichen Gebots (Heb 7,16). Es waren immer wieder andere Männer, die dieses Amt bekleideten, weil «sie durch den Tod verhindert waren, zu bleiben» (Heb 7,23), und diese Priester waren von ihrer eigenen Schwachheit umgeben (Heb 7,28). Die Schlachtopfer, auf die jenes Priestertum sich gründete, vermochten die Hinzunahenden nicht vollkommen zu machen; in jenen Opfern war alljährlich ein Erinnern an die Sünden (Heb 10,1-3). Aber wenn auch zwischen dem israelitischen und dem Hohepriestertum Christi gewaltige Unterschiede und Gegensätze bestehen, so wird uns Aaron in seinem Amt, seinem Dienst und seiner Kleidung im Wort Gottes doch als ein schönes Vorbild auf Christus hin vorgestellt. Im Lauf unserer Betrachtung werden wir dessen einzelne Züge mit dem Gegenbild vergleichen. Wir wollen hier nur kurz noch einige Einzelheiten dieses Vorbildes, wie sie uns in 2. Mose 28 gezeigt werden, in Erinnerung bringen. Das Kleid des Hohenpriesters war von besonderer Art. Er trug nicht nur ein leinenes Beinkleid und einen Leibrock von Byssus, wie die übrigen Priester (2. Mo 28,39.42), sondern auch das Oberkleid des Ephods aus blauem Purpur, an dessen Saum Granatäpfel aus rotem und blauem Purpur und Karmesin, wie auch Schellen von Gold befestigt waren (2. Mo 28,31-35). Darüber trug er das Ephod, ein kunstvolles, vermutlich kürzeres Gewand, das aus Gold, blauem und rotem Purpur, Karmesin und gezwirntem Byssus angefertigt war. Es wurde oben durch zwei Schulterstücke und um die Hüfte durch einen gewirkten Gürtel zusammengehalten (2. Mo 28,5-8).

Auf den Schulterstücken waren zwei grosse Onyxsteine befestigt, in die die Namen der Söhne Israels nach ihrer Geburtsfolge eingegraben waren. Aaron sollte so «ihre Namen auf seinen beiden Schultern tragen vor dem HERRN zum Gedächtnis» (2. Mo 28,9-14).

An der Vorderseite des Ephods war ausserdem ein quadratförmiges Brustschild in Kunstweberarbeit, wie das Ephod, befestigt. Dieses war mit vier Reihen zu je drei, also mit insgesamt zwölf Edelsteinen besetzt, und jeder trug wiederum den Namen eines der zwölf Stämme Israels. Aaron trug «die Namen der Söhne Israels an dem Brustschild des Gerichts auf seinem Herzen», wenn er ins Heiligtum hineinging, «Gedächtnis vor dem HERRN beständig.» Mit grosser Ausführlichkeit wird die Befestigungsart dieses Brustschildes beschrieben. Es durfte sich keinesfalls von dem Ephod verrücken. Wo immer auch Aaron im Heiligtum stand, was immer er tat, das Brustschild mit den zwölf Namen blieb auf seinem Herzen (2. Mo 28,15-29).

In das Brustschild des Gerichts wurden auch die Urim und die Tummim gelegt, «dass sie auf dem Herzen Aarons seien», wenn er vor den HERRN hineinging. Er sollte «das Gericht der Kinder Israel beständig auf seinem Herzen tragen vor dem HERRN» (2. Mo 28,30). Aaron trug schliesslich an seinem hohen Kopfbund ein Blech von reinem Gold mit der Aufschrift: «Heilig dem HERRN!» Es sollte «beständig an seiner Stirn sein, zum Wohlgefallen für sie vor dem HERRN» (2. Mo 28,36-38).

Das Opfer und das Hohepriestertum Christi

Seit dem Unterbruch der Beziehungen Gottes mit seinem irdischen Volk besteht auch das aaronitische Priestertum nicht mehr. Gestützt auf sein eigenes Opfer, hat mit der Auferstehung und Verherrlichung Christi zur Rechten Gottes im Himmel sein ewiges Hohepriestertum begonnen.

Während jene Hohenpriester immer wieder Opfer für die Sünden darbringen mussten, hat Christus als Hoherpriester im Himmel nichts mehr mit unseren Sünden zu tun. Wir lesen: «Der nicht Tag für Tag nötig hat, wie die Hohenpriester, zuerst für die eigenen Sünden Schlachtopfer darzubringen, dann für die des Volkes; denn dies hat er ein für alle Mal getan, als er sich selbst geopfert hat» (Heb 7,27). «Christus aber – gekommen als Hoherpriester der zukünftigen Güter, in Verbindung mit der grösseren und vollkommeneren Hütte … nicht mit Blut von Böcken und Kälbern, sondern mit seinem eigenen Blut – ist ein für alle Mal in das Heiligtum eingegangen, als er eine ewige Erlösung erfunden hatte» (Heb 9,11.12). «Welcher … nachdem er durch sich selbst die Reinigung von den Sünden bewirkt, sich gesetzt hat zur Rechten der Majestät in der Höhe» (Heb 1,3).

Sein Amt als Hoherpriester ist also auf den ewigen Wert des einen, am Kreuz vollbrachten Opfers gegründet, das nicht wiederholt zu werden braucht. – Die Frage:

Für wen ist Christus Hoherpriester?

ist nun leicht zu beantworten. Es sind solche, die durch wahren Glauben an Christus und sein Opfer «vollkommen» gemacht sind: «Denn mit einem Opfer hat er auf immerdar die vollkommen gemacht, die geheiligt werden» (Heb 10,14).

Aaron war nur für Israel Hoherpriester. Dieses dem Bild nach erlöste und befreite Volk (Passah, Rotes Meer), ist ein Vorbild des in Wirklichkeit erlösten himmlischen Volkes Gottes, das noch auf der Erde ist. Christus übt sein Hohepriesteramt nur für die Seinen aus, die – wie einst Israel nach Kanaan – als Pilger und Fremdlinge durch die Wüste dieser Welt der Ruhe Gottes entgegenwandern. Wir lesen von Christus und den Gegenständen seines Priesterdienstes: «Denn es geziemte ihm, um dessentwillen alle Dinge und durch den alle Dinge sind, indem er viele Söhne zur Herrlichkeit brachte, den Urheber ihrer Errettung durch Leiden vollkommen zu machen. Denn sowohl der, der heiligt, als auch die, die geheiligt werden, sind alle von einem; um welcher Ursache willen er sich nicht schämt, sie Brüder zu nennen» (Heb 2,10.11).

Die hervorgehobenen Ausdrücke zeigen deutlich, um welche Personen es sich handelt. Sie werden auch: «heilige Brüder» – «Genossen der himmlischen Berufung» (Heb 3,1) genannt, die zur Anbetung «durch ihn Gott nahen» (Heb 7,25), indem sie «Freimütigkeit haben zum Eintritt in das Heiligtum durch das Blut Jesu» (Heb 10,19-21), da sie, als durch Christus Geheiligte, «kein Gewissen von Sünden» mehr haben.

Als «Söhne» und «Genossen der himmlischen Berufung», die durch das Opfer Jesu Christi «vollkommen gemacht» sind, nahen wir uns nun Gott durch den Hohenpriester, also auf der Grundlage der Vergebung unserer Sünden.

Die Qualifikation Christi zum Hohepriestertum

Jesus Christus, unser Herr, besitzt in wunderbarer Vollkommenheit – wie könnte es auch anders sein! – in seiner Person und durch seine persönlichen Erfahrungen alle Voraussetzungen zum Hohepriesteramt und -dienst für das himmlische Volk Gottes.

1. Die Würde seiner Person

a) Als Sohn Gottes

Im Hebräerbrief, in dem, wie schon erwähnt, das Hohepriestertum Christi in besonderer Weise in den Vordergrund tritt, wird unsere Aufmerksamkeit im ersten Kapitel vor allen Dingen auf die Würde seiner Person gelenkt. Es werden dort seine persönlichen Herrlichkeiten aufgezählt:

  • Er ist der Sohn, der Erbe und der Schöpfer aller Dinge (Verse 1-2)
  • Er ist die Ausstrahlung der Herrlichkeit Gottes und der Abdruck seines Wesens
  • Er trägt alle Dinge durch das Wort seiner Macht
  • Nachdem Er durch sich selbst die Reinigung von den Sünden bewirkt, hat Er sich zur Rechten der Majestät Gottes in der Höhe gesetzt (Vers 3)
  • Im Vergleich mit den Engeln hat Er einen vorzüglicheren Namen ererbt (Vers 4)
  • Er ist der Sohn, der Erstgeborene (Verse 5.6)
  • Als Gott gehört Ihm der Thron der Gerechtigkeit
  • Er wurde mit Freudenöl gesalbt über seine Genossen (Verse 8.9)
  • Schliesslich werden wir noch einmal auf seine ewige und göttliche Schöpferherrlichkeit hingewiesen. Nun nimmt Er seinen Platz zur Rechten Gottes ein, fortan wartend, bis seine Feinde als Schemel seiner Füsse hingelegt sind (Verse 10-14)

b) Als Sohn des Menschen

Im zweiten Kapitel wird Er uns als Sohn des Menschen vorgestellt, den Gott über die Werke seiner Hände gesetzt hat. Als solcher war Er wegen des Leidens des Todes ein wenig unter die Engel erniedrigt, ist nun aber mit umso grösserer Ehre und Herrlichkeit gekrönt (Vers 9). Es geziemte der Herrlichkeit Gottes, dass Er als der Urheber der Errettung seines Volkes durch Leiden vollkommen gemacht wurde (Vers 10). Er ist des Blutes und Fleisches teilhaftig und in allem seinen Brüdern gleich geworden, damit Er in den Sachen mit Gott ein barmherziger und treuer Hoherpriester werden möchte, um die Sünden des Volkes zu sühnen (Vers 17). Das Wesen, die Würde und die Herrlichkeit seiner Person sind es, die Ihn vor allen Dingen für sein Hohepriesteramt qualifizieren und Ihn befähigen, es auszuüben. Wenn Er nicht sowohl Gott als auch Mensch gewesen wäre, hätte Er für die Sünden des Volkes nicht Sühnung tun und durch seinen Tod den zunichtemachen können, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel. Er hätte die, die durch Todesfurcht das ganze Leben hindurch der Knechtschaft unterworfen waren, nicht zu befreien vermocht, und, was Ihn selber betraf, nicht durch Leiden vollkommen gemacht werden können (Heb 2,10.14.15). Es ist seine Person, die uns bezüglich seines Amtes volle Sicherheit gibt; und darum hat der Heilige Geist, um unsere Herzen zu befestigen, zuerst seine Herrlichkeiten und Würden beschrieben, die Ihn auszeichnen. Erst in zweiter Linie beschäftigt Er uns mit den Einzelheiten des Dienstes unseres Hohenpriesters.

2. Er ist von Gott zum Hohenpriester berufen

Wir lesen in Hebräer 5,4-10: «Niemand nimmt sich selbst die Ehre, sondern als von Gott berufen, wie auch Aaron. Also hat auch der Christus sich nicht selbst verherrlicht, um Hoherpriester zu werden, sondern der, welcher zu ihm gesagt hat: «Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt». Wie er auch an einer anderen Stelle sagt: «Du bist Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks» … Er ist allen, «die ihm gehorchen, der Urheber ewigen Heils geworden, von Gott begrüsst als Hoherpriester.» Dass Christus von Gott zum Hohenpriester berufen worden ist, füllt das Herz des Gläubigen mit Freude. Er ist Gott so unendlich wohlgefällig!

Das zerstört alle Anmassungen eines menschlichen Priestertums. Wohl sind alle, die zum Volk Gottes gehören, eine heilige Priesterschaft (1. Pet 2,5), aber wer sich heute das Recht anmasst, im Gegensatz zu anderen Gläubigen als Priester aufzutreten und dieses Amt für sie auszuüben, wird umsonst zu beweisen versuchen, dass er von Gott dazu berufen worden ist.

In Bezug auf das Priestertum Jesu Christi wird im Vergleich zum levitischen Priestertum feierlich erklärt: «Jene sind ohne Eidschwur Priester geworden, dieser aber mit Eidschwur durch den, der zu ihm sprach: ‹Der Herr hat geschworen, und es wird ihn nicht gereuen: Du bist Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks›» (Heb 7,21).

3. Er ist im Blick auf sein Amt «vollendet» worden

«Vollendet worden, ist er allen, die ihm gehorchen, der Urheber ewigen Heils geworden» Heb 5,9).

In sittlicher Hinsicht musste Er in keiner Weise «vollendet» werden; Er war ja immer vollkommen und der Gegenstand des ununterbrochenen Wohlgefallens Gottes. Aber es war nötig, dass Er, der sich als Sohn Gottes nie in einer Stellung des Gehorsams befand, als Mensch den Gehorsam lernte (Heb 5,8), um auf diese Weise allen, die Ihm gehorchen, der Urheber ewigen Heils zu werden. So «vollendet», begrüsste Ihn Gott als Hohenpriester.

Er begab sich also in eine Stellung der Abhängigkeit Gott gegenüber und vollführte bei jedem Schritt den Willen Gottes, ob Ihn dieser Weg auch durch Leiden, ja sogar zum Tod am Kreuz führte. Im Widerstand der Menschen gegen die Wahrheit, die Er darstellte, in ihrem Hass gegen das Licht, das Er verbreitete, in ihrer Verachtung, in der Schmach, die Ihm angetan wurde, in den Versuchungen, in den körperlichen Leiden und seelischen Qualen des Kreuzes – lernte Er die Kosten des Gehorsams und die Schwachheit des Leibes kennen.

Von den Freunden unverstanden, von den Feinden umzingelt, bekämpft und verfolgt, hat Er die Fahne des Gehorsams bis zum Ende emporgehalten, um sie am Kreuz mit dem Ruf: «Es ist vollbracht!» Gott unversehrt übergeben zu können. Er hatte in allen Dingen seinen Willen erfüllt.

Wie hat Er nun volles Verständnis für alle, die berufen sind, auf demselben Weg des Gehorsams dem himmlischen Ziel entgegenzugehen! Wie vollkommen ist das Mitleid und das Mitempfinden unseres Hohenpriesters in allem, was wir dabei erfahren und erleiden!