Die Versammlung des lebendigen Gottes (8)

Nun haben wir aber noch nicht alle Arten von Zusammenkünften einer örtlichen Versammlung besprochen, wirst du sagen. Da sind doch noch die

19. Evangelisations-Versammlungen

Wenn wir hier an letzter Stelle darauf zu sprechen kommen, so deshalb, weil solche Versammlungen einen anderen Charakter tragen als die Zusammenkünfte, die wir bisher beleuchtet haben.

Beim Zusammenkommen zum Brechen des Brotes und zur Anbetung, bei der Gebetsversammlung und der Zusammenkunft zur Verkündigung des Wortes Gottes handelt es sich um ein Zusammenkommen «als Versammlung» (1. Kor 11,18). Da hat – wie wir gesehen haben – nicht der Mensch die Leitung. Denn wenn die Gläubigen zum Namen des Herrn Jesus hin versammelt sind, so ist Er selbst in ihrer Mitte, um durch den Heiligen Geist den ganzen Ablauf der Zusammenkunft zu leiten.

Dieselben Gläubigen sind aber auch für die Ausführung des grossen Missionsbefehls verantwortlich, den der Herr seinen Jüngern erteilt hat: «Geht hin in die ganze Welt und predigt der ganzen Schöpfung das Evangelium!» (Mk 16,15). Als Einzelne – nicht «als Versammlung» – sollen sie hingehen, um den Kindern der Welt die gute Botschaft des Heils in Christus zu verkündigen. Bei der Ausübung dieses Dienstes werden Brüder, denen der Herr eine Evangelistengabe gegeben hat, allein oder mit gläubigen Helfern Evangelisations-Versammlungen abhalten. Diese Diener dürfen bei solchen Zusammenkünften alles vom Herrn erwarten. Seine Leitung und seinen Segen, die Wirksamkeit des Heiligen Geistes in der Darreichung des Wortes und in seiner Anwendung auf Herz und Gewissen der Hörer, wie auch in der Errettung von Sündern. Sonst wäre ja der ganze Dienst nutzlos. Aber die Evangelisations-Versammlung trägt gleichwohl nicht die Merkmale eines Zusammenkommens «als Versammlung». Erstens handeln die Diener in persönlicher Verantwortung dem Herrn gegenüber. Möglicherweise zeigt Er ihnen z.B. schon vor diesen Versammlungen, welche Schriftabschnitte oder Themata sie wählen, ob und welche Lieder gesungen werden sollen, usw. Zweitens ist an dem Ort, wo der Evangelist zur Verkündigung der guten Botschaft hingeführt wird, vielleicht noch gar keine örtliche Versammlung im Sinn des Wortes Gottes, so dass auch deshalb der Grundsatz von Matthäus 18,20 hier nicht angewendet werden kann.

Als Illustration zu diesen Feststellungen seien Beispiele aus der Apostelgeschichte erwähnt: Petrus und Johannes gingen mit dem geheilten Lahmen in den Tempel (Apg 3,1 bis 4,4). Ganz offensichtlich waren sie in allem vom Herrn geleitet. Durch das Wunder angelockt, lief das Volk voll Erstaunen zusammen in der Säulenhalle. Da benützte Petrus diese vom Herrn gegebene Gelegenheit, um den Juden in der Kraft des Heiligen Geistes und in aller Deutlichkeit Buße und Vergebung der Sünden durch Jesus Christus zu verkündigen, mit dem Resultat, dass viele Hunderte von Männern gläubig wurden. – Das war eine der ersten «Evangelisations-Versammlungen». Sie wurde nicht im Schoss der Versammlung in Jerusalem abgehalten, deren Zusammenkünfte zum Brechen des Brotes und zum Gebet in den Häusern stattfanden (Apg 2,46; 12,5.12), sondern draussen im Tempel, das heisst da, wo die Menschen zu finden waren. Und es wird nicht gesagt, ob unter den Zuhörern überhaupt noch andere Gläubige anwesend waren.

Als später Paulus und seine Begleiter verschiedene Missionsreisen unternahmen und dabei viele Städte Kleinasiens und Griechenlands besuchten, da fanden sie selbstverständlich nirgends Versammlungen von Gläubigen, in deren Mitte sie die gute Botschaft des Heils in Christus verkündigen konnten. Denn das Evangelium war ja unter den Nationen noch unbekannt. Sie predigten das Wort in den Synagogen, auf Strassen und Plätzen, und diese Menschenansammlungen waren gewiss kein zusammenkommen «als Versammlung».

Weshalb ist es denn so wichtig, den Unterschied zwischen den Zusammenkünften der Versammlung und den Evangelisations-Versammlungen hervorzuheben? Weil einerseits die Gläubigen versucht sein könnten, die Freiheit zu beschränken, die der Herr den Evangelisten zum Nutzen des Werkes eingeräumt hat. Diese Neigung mag aus der heutigen Gewohnheit herrühren, die Evangelisation in den üblichen Lokalen abzuhalten. Anderseits besteht aber auch die Gefahr, den Charakter der von einem Menschen geführten Evangelisationen auch den Zusammenkünften der Gläubigen aufzudrücken. Vor beidem müssen wir uns hüten.

Die örtlichen Versammlungen als Evangelisationszentren

Darf aus der Tatsache, dass nicht die Versammlung als solche es ist, die evangelisieren soll, der Schluss gezogen werden, dass das so überaus wichtige Werk der Evangelisation nur den Brüdern überlassen bleiben muss, die vom Herrn in besonderer Weise zu diesem Dienst berufen worden sind? Weit gefehlt! Das Wort belehrt uns durch schöne Beispiele, dass jede Versammlung eine Art Evangelisationszentrum sein sollte, von wo aus dieses Werk jede mögliche Unterstützung empfängt, durch mittragendes Gebet, materielle Unterstützung und praktische Hilfe. Überdies wird jeder Einzelne, der von der Liebe des Christus erfüllt ist, sich bemühen, die Menschen seiner Umgebung mit dem Evangelium in Verbindung zu bringen. Dass jede örtliche Versammlung auch in ihrem Lokal den Evangelisten, die an der Wahrheit festhalten, mit Freuden die Möglichkeit zur Verkündigung der guten Botschaft gibt, ist eine Selbstverständlichkeit. So hat jeder Gelegenheit, Freunde und Bekannte, um die er sich müht, einzuladen.

Auch bei den gewohnten Wortverkündigungen sollten sich die Brüder bewusst sein, dass sich unter den Zuhörern Unbekehrte und Kinder befinden mögen, die auf das Heil in Christus hingewiesen werden sollen.

Welche Versammlungen sind es denn, die das Wort Gottes als leuchtende Beispiele für den Eifer im Evangelium vor uns hinstellt?

1. Antiochien

Von dieser Versammlung haben Barnabas und Paulus die erste Missionsreise zu den Nationen unternommen (Apg 13,1-3). Es begann damit, dass die dortigen Brüder «dienten und fasteten». Ihnen allen lag es am Herzen, dem Herrn ganz zur Verfügung zu stehen und hinsichtlich ihres Dienstes auf seine Weisungen zu warten. Und als der Heilige Geist sprach: «Sondert mir nun Barnabas und Saulus zu dem Werk aus, zu dem ich sie berufen habe», da fasteten und beteten sie wiederum. Alle waren sich der Schwierigkeiten dieses Dienstes bewusst, der für die beiden so unzählige Mühen und Gefahren mit sich bringen würde und befahlen sie der Gnade Gottes an zu dem Werk (Apg 14,26). Dann «legten sie ihnen die Hände auf» und sagten in dieser symbolischen Sprache gleichsam: Wir machen uns völlig eins mit euch in euerem Dienst und werden euch während der langen Monate euerer gefährlichen Reise mit ernster und ausdauernder Fürbitte begleiten, damit der Herr euch leite und bewahre, euch eine Tür des Wortes auftue und aus euerer Arbeit reiche Frucht hervorgehen lasse.

Wie einst die Fürbitte Moses auf dem Gipfel des Hügels den Ausgang des Kampfes Israels mit Amalek bestimmte, so wird auch ohne Zweifel die anhaltende Fürbitte der Versammlung für den Erfolg des Dienstes der beiden Diener, die in das Reich finsteren Heidentums vordrangen, ein mächtiger Faktor gewesen sein!

Als dann Paulus und Barnabas von dem Werk, das sie erfüllt hatten, zurückkehrten, brachten sie die Versammlung zusammen und erzählten alles, was Gott mit ihnen getan, und dass er den Nationen eine Tür des Glaubens aufgetan habe. (Siehe auch Apg 18,22.23). Welche Teilnahme am Evangelium vonseiten der ganzen Versammlung, von Anfang bis zum Ende!

2. Philippi

Auch den Heiligen in Philippi lag die Sache des Evangeliums am Herzen. Paulus konnte wegen «ihrer Teilnahme an dem Evangelium vom ersten Tag an bis jetzt» (Phil 1,5) mit Freuden für sie alle danken und beten. Wie sich diese Teilnahme schon am ersten Tag auswirkte, sehen wir in Apostelgeschichte 16:

Kaum hatte Lydia, die Purpurhändlerin, das von Paulus geredete Wort in ihr Herz aufgenommen, kaum war sie errettet, nahm sie schon Paulus und seine Begleiter, die Boten des Evangeliums, in ihr Haus auf. Das war ein wichtiger und damals auch gefährlicher Dienst, den sie auf sich nahm. Er verursachte der Schwester manche Mühe, aber um des Herrn willen nahm sie alles gerne auf sich. «Sie nötigte uns.»

Beim Kerkermeister sehen wir etwas Ähnliches. «In jener Stunde der Nacht», in der die Gnade Gottes diesen brutalen Menschen mittels des Glaubens umgewandelt hatte, nahm er Paulus und Silas zu sich und wusch ihnen die Striemen ab, die ihnen der treue Dienst des Evangeliums eingebracht hatte. Dann setzte er ihnen einen Tisch vor und frohlockte, an Gott gläubig geworden mit seinem ganzen Haus. Auch als Paulus weiterzog, behielten sie ihn «im Herzen». Später, als er in Ketten gelegt wurde, erflehten sie Gnade für ihn und machten seine «Verteidigung und Bestätigung des Evangeliums» (Phil 1,7) zu ihrer eigenen Angelegenheit.

Ihr Interesse für das Werk des Evangeliums zeigte sich auch in den materiellen Opfern, die sie darbrachten: Als Paulus in Thessalonich war, hatten sie ihm «ein- und zweimal» für seinen Bedarf gesandt. Sie gehörten zu den Versammlungen Mazedoniens, deren tiefe Armut in den Reichtum ihrer Freigebigkeit übergeströmt ist (2. Kor 8,2).

Man darf annehmen, dass der erste Besuch von Paulus in Philippi im Jahr 53 n.Chr. stattfand. Diesen Brief aber schrieb er ihnen aus seiner ersten Gefangenschaft, also vermutlich im Jahr 64 n.Chr. Während all dieser Jahre, «von dem ersten Tag an bis jetzt», hatte ihre Teilnahme an dem Evangelium angehalten, trotz der Leiden, die sie dabei zu erdulden hatten!

3. Thessalonich

In Gottes Wort wird der Versammlung der Thessalonicher das schöne Zeugnis gegeben: «Von euch aus ist das Wort des Herrn erschollen, nicht allein in Mazedonien und in Achaja, sondern an jedem Ort ist euer Glaube an Gott ausgebreitet worden» (1. Thes 1,8).

Diese Versammlung war wie ein Brückenkopf des Lichts im weiten Reich der Finsternis. Ihr Leben spielte sich nicht nur innerhalb der vier Wände eines Versammlungsraumes ab Ihre Werke des Glaubens waren nach aussen hin sichtbar. Ihre Bemühungen der Liebe galten nicht nur den Gläubigen, die Liebe des Christus drängte sie, das Wort vom Herrn und seinem Erlösungswerk in ganz Mazedonien und Achaja bekannt zu machen. Auch sprach es sich dort überall herum, wie sie sich von den Götzenbildern zu Gott bekehrt hatten, dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten.

Wie sollte das Beispiel dieser Versammlungen doch auch in unseren Tagen die Gläubigen jeden Ortes anspornen, an dem Werk des Evangeliums warmen Anteil zu nehmen und sich einszumachen mit allen, die der Herr benützt, um sein Wort hinauszutragen zu denen, die noch «in Finsternis und Elend sitzen»!

Heutige Methoden der Evangeliumsverkündigung

Im Hinblick auf die grosse Gleichgültigkeit gegenüber der alten, aber herrlichen Botschaft des Heils in Christus, die sich in den christlichen Ländern immer mehr ausbreitet, sind seitens vieler, die ihr zum Durchbruch verhelfen möchten, neue Wege der Verkündigung betreten worden.

Sie versuchen, die Botschaft selber «mundgerecht» zu machen, indem sie gewisse unangenehme Elemente des Evangeliums: das völlige Verderben des Sünders, die Unmöglichkeit der Selbsterlösung, die Notwendigkeit gründlicher Buße und Sinnesänderung, der Hinweis auf das kommende Gericht, das Blut Jesu als einzige Grundlage des Heils usw., verschweigen oder wenigstens nur am Rand erwähnen. Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, dass eine Verwässerung des Evangeliums einer Entkräftung, ja, sogar einer Veränderung der göttlichen Botschaft gleichkommt, die in dieser Form ihre Wirkung verfehlen und sogar auf Irrwege führen muss.

Oder man sucht einer schriftgemässen Verkündigung Dinge hinzuzufügen, die dem natürlichen Menschen angenehm erscheinen, um auf diese Weise möglichst viele dieser Gleichgültigen anzulocken und für die Aufnahme des unbequemen Evangeliums empfänglich zu machen. Ohne hier auf nähere Einzelheiten eingehen zu wollen, sei dabei aber an den göttlichen Grundsatz erinnert, dass «geistliche Dinge» durch «geistliche Mittel» mitgeteilt werden sollen. «Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was des Geistes Gottes ist, denn es ist ihm Torheit, und er kann es nicht erkennen, weil es geistlich beurteilt wird» (1. Kor 2,13.14). Natürliche Mittel vermögen den Menschen wohl «in Stimmung» zu versetzen und ihn sogar «religiös» zu machen. Die Errettung und die Neugeburt eines Menschen jedoch sind die Ergebnisse der Wirksamkeit des Heiligen Geistes durch das Wort Gottes, aufgrund des Werkes Christi.

Anstatt uns von solchen Methoden und den dabei erzielten hohen Erfolgsziffern imponieren zu lassen, sollten wir uns vielmehr auf das besinnen, was nach Gottes Gedanken der Verkündigung Kraft verleiht: Die ungebrochene Kraft des göttlichen Wortes der Wahrheit, die Kraft des Heiligen Geistes, der zum Dienst des Wortes Gaben verleiht, und die Kraft der persönlichen und gemeinsamen Fürbitte. «Nicht durch Macht und nicht durch Kraft, sondern durch meinen Geist, spricht der HERR der Heerscharen» (Sach 4,6).

Freie Evangelisten

Eine weitere Erscheinung unserer heutigen Tage sind die sogenannten «freien» Evangelisten. Sie behaupten, sie seien «nirgends angeschlossen» und fühlen sich in Bezug auf ihren Dienst ganz unabhängig. Sie sehen darin grössere Freiheit und Beweglichkeit für ihre evangelistische Tätigkeit und haben diese zu einem Evangelisationswerk ausgebaut, in dem sie selbst die Führung haben. Nicht nur schliessen sich die Neubekehrten diesem Werk an; auch andere Gläubige glauben hier grössere Freiheit zu finden als in der zu Unrecht als «eng» empfundenen Ordnung des Hauses Gottes, zu der uns sein Wort anleitet (1. Tim 3,15).

Da müssen wir uns aber doch fragen: Kann es Gott wohlgefällig sein, wenn solche Glieder des Leibes Christi, die als lebendige Steine dem Haus Gottes hinzugefügt worden sind, sich der Ordnung dieses Hauses wie einer Zwangsjacke entledigen, um dadurch der Sache des Evangeliums scheinbar besser dienen zu können? Die menschliche Vernunft mag mit «ja» antworten. Der Glaube aber sagt «nie und nimmer» Er weiss, dass auch in der Evangeliumsverkündigung der Segen Gottes vor allem auf dem Pfad des Gehorsams und der Abhängigkeit von Ihm gefunden wird, mag das Werk, das auf diesem Weg zu tun möglich ist, nach aussen hin noch so gering und unbedeutend erscheinen.

Den ganzen Ratschluss Gottes verkündigen

Der Apostel Paulus, der grosse Evangelist, durch dessen Dienst ungezählte Menschen in den Städten der damaligen Welt zum Glauben gekommen sind, verkündigte ihnen nicht nur einige wenige Wahrheiten, die den Anfang des Heilsweges betreffen. Er fühlte sich darüber hinaus tief verantwortlich, sie alles «was nützlich ist» zu lehren, und er hat nicht zurückgehalten, ihnen den ganzen Ratschluss Gottes zu verkündigen (Apg 20,20.27). Seine Briefe an die verschiedenen Versammlungen sind ein weiteres Zeugnis dafür.

Wenn auch die heutigen Evangelisten nicht die Lehrgabe eines Paulus besitzen, so sollten sie doch den Willen Gottes vor Augen haben und die Hand dazu bieten, dass die Neubekehrten in die ganze Wahrheit eingeführt werden. Dazu gehört nicht nur die persönliche Heilsgewissheit, die Lehre über die Befreiung, über das Kommen des Herrn usw., sondern auch die grossen Wahrheiten der Versammlung Gottes, zu der sie nun gehören. Jeder muss wissen, wie man sich im Haus Gottes verhalten soll.