Gesetz und Gnade veranschaulicht (2)

5. Mose 21,18-21; Lukas 15,11-32

Als der verlorene Sohn zur Einsicht über sein sündiges Leben kam, kehrte er zum Vater zurück. Wie hätte das Gesetz jetzt mit ihm gehandelt? Es hätte ihn nach 5. Mose 21,18-21 zum Tod verurteilt. Wie handelt die Gnade? Sie nimmt ihn auf, vergibt ihm die Sünden und setzt ihn in eine wunderbare Stellung ein.

Der Tod am Kreuz ist die Grundlage

Wir fragen: Wie kann die Gnade so handeln? Wie können wir den Unterschied in der Handlungsweise von Gesetz und Gnade begründen? Wo finden wir die Lösung dieses scheinbaren Widerspruchs? Wie kann Gott schuldige Sünder umarmen? Wie kann Er sie vor einem gerechten Gericht und vor den Forderungen des Gesetzes schützen? Mit anderen Worten: Wie kann Er gerecht sein und zugleich den Sünder rechtfertigen (Röm 3,26)? Wie kann Er dem Sünder vergeben, der bis über beide Ohren verschuldet ist, und doch den Schuldigen nicht für schuldlos halten (2. Mo 34,7)? Wie kann Er, der Sünde nicht sehen kann (Hab 1,13) und in dessen Auge die Himmel nicht rein sind (Hiob 15,15), sich mit einem armen, elenden Sünder an einen Tisch setzen? Wo finden wir die Antwort auf solche Fragen?

Am Kreuz von Golgatha! Ja, dort gibt es eine kostbare und göttliche Antwort auf alles. Der Mann, der ans Kreuz genagelt wurde, regelte alles. Jesus Christus trug dort den gewaltigen Fluch der Sünde. Er setzte sich selbst den Schlägen der göttlichen Gerechtigkeit aus. Er leerte den Kelch des gerechten Zorns Gottes bis zur Neige. Er «trug unsere Sünden an seinem Leib auf dem Holz» (1. Pet 2,24). Von Ihm heisst es: «Den, der Sünde nicht kannte, hat er für uns zur Sünde gemacht, damit wir Gottes Gerechtigkeit würden in ihm» (2. Kor 5,21).

Damit wurde das Gesetz gerechtfertigt! Da erfüllten sich die Worte: «Du sollst das Böse aus deiner Mitte wegschaffen», so dass der leidende Erlöser ausrufen musste: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?» Weder all die Steine, die je einen Übertreter trafen, noch alle anderen Strafen, die jemals nach dem Gesetz ausgeführt wurden, noch das ewige Gericht in der Hölle können einen so ernsthaften Beweis für Gottes Hass gegenüber der Sünde liefern wie das, was am Kreuz geschah. Dort erblicken Menschen und Engel die Gedanken Gottes über die Sünde und über den Sünder. Sie sehen, wie Er die Sünde hasst und wie Er den Sünder liebt. Das gleiche Werk, das die Verurteilung der Sünde zeigt, offenbart auch die Rettung des Sünders. So öffnet das Kreuz, während es Gottes Heiligkeit und Gerechtigkeit vollumfassend verteidigt, einen Kanal, durch den nun Ströme der erlösenden Liebe zum schuldigen Sünder fliessen können. «Güte und Wahrheit sind sich begegnet, Gerechtigkeit und Frieden haben sich geküsst» (Ps 85,11), als sich der Sohn Gottes selbst als Opfer für die Sünde gab.

Die Auferweckung gibt Sicherheit

Nun stellt sich die Frage: Welchen Beweis haben wir dafür? Worin besteht die sichere Grundlage der vollen Vergebung und der vollkommenen Annahme des Gläubigen bei Gott? Die Antwort ist in der Auferweckung des Herrn Jesus zu finden. Er ist jetzt zur Rechten Gottes im Himmel, wo Er sich für die Gläubigen verwendet. Er ist «unserer Übertretungen wegen hingegeben» worden. Wenn wir nur das wüssten, hätten wir keine Sicherheit. Aber es heisst weiter: «… und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden» (Röm 4,25). Hier haben wir vollständigen Frieden, umfassende Befreiung und völligen Sieg. Als Gott den Herrn Jesus aus den Toten auferweckte, bezeichnete Er sich selbst als den «Gott des Friedens» (Heb 13,20). Seiner Gerechtigkeit war entsprochen worden und die Bürgschaft für die Rettung des Sünders wurde zur Rechten Gottes niedergelegt. Alle, die durch die Wirkung des Heiligen Geistes an den Tod und die Auferstehung des Erlösers glauben, werden stellungsmässig in Ihm vor Gott gesehen und sind von jeder Anklage der Sünde freigesprochen. Wunderbare Gnade!

Wer hätte sich so etwas ausdenken können? Wer hätte gedacht, dass der Sohn, der die Ausstrahlung der Herrlichkeit Gottes und der Abdruck seines Wesens ist (Heb 1,3), kommen würde, um als Mensch den Platz des Sünders einzunehmen? Wer hätte sich vorgestellt, dass Christus den Zorn, den Fluch und das Gericht Gottes über die Sünde tragen würde, so dass sich der begnadigte Sünder in der heiligen Gegenwart Gottes aufhalten kann, ohne «Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen» zu haben (Eph 5,27)? Wer hätte gedacht, dass Gott zu einem Sünder sagen kann: «Ganz schön bist du … und kein Makel ist an dir» (Hld 4,7)? Gab es je eine solche Liebe? Tatsächlich haben wir hier Liebe in ihrer Quelle, Liebe in ihrem Zufluss und Liebe in ihrer Anwendung. Der Vater ist die ewige Quelle, der Sohn die Verbindung und der Heilige Geist die Kraft der Anwendung. Was für eine göttliche Vollständigkeit! Was für ein vollkommener Frieden! Was für ein sicherer Ruheort für den Sünder! Wer kann da noch einen Einwand erheben? Die Geschichte zeigt uns, was Gott getan hat: Er hat den verlorenen Sohn aufgenommen, hat ihn bekleidet und geschmückt. Er hat das gemästete Kalb für ihn geschlachtet und dabei erklärt: «Lasst uns essen und fröhlich sein.» Diese Worte zerstreuen jeden Zweifel und verscheuchen jede Angst aus dem Herzen.

Wenn Gott aufgrund des Erlösungswerks seines Sohnes sagen kann: «Es genügt völlig!», wer darf dann sagen, dass es nicht genügt? Satan mag eine Anklage erheben, aber Gottes Antwort lautet: «Ist dieser nicht ein Brandscheit, das aus dem Feuer gerettet ist?» (Sach 3,2). Kurz gesagt: Wer an den Herrn Jesus glaubt, ist in einen vollkommenen, wolkenlosen Bereich gebracht worden, wo mit Bestimmtheit gesagt werden kann: «Es gibt keinen Widersacher mehr und keinen bösen Anschlag» (1. Kön 5,18). Dort können wir auch sehen, dass niemand glücklicher über das göttliche Ergebnis der Erlösung ist als Gott selbst. Wenn der verlorene Sohn noch Gefühle des Zweifels oder der Zurückhaltung gehabt hätte, was hätte diese Empfindungen wirkungsvoller vertreiben können als die Freude des Vaters über seine Rückkehr? Weder Zweifel noch Angst können im Licht der Gegenwart des Vaters bestehen. Wenn wir glauben, dass Gott sich über einen Sünder freut, der Buße tut, dann dürfen wir weder Misstrauen hegen noch Hemmungen haben. Gott kann nicht nur Sünder aufnehmen, sondern Er will es sogar mit Freuden tun. Deshalb wissen wir nicht nur, dass die Gnade durch Gerechtigkeit herrscht (Röm 5,21), die Bibel sagt uns auch: «Ebenso wird Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut» (Lk 15,7). Gott sei Dank für seine unaussprechliche Gabe!

Die Gnade bewirkt Heiligkeit

Zum Abschluss noch ein Wort über die Art und Weise, wie Gott die Heiligkeit durch Gnade aufrechterhält. Ist die Sünde nicht schlimm? Wird sie nun einfach toleriert? Wird die Sünde weniger abscheulich und hässlich, wenn Gott in seiner souveränen Gnade und ohne einen einzigen tadelnden Blick den bußbereiten Sünder aufnimmt? Auf keinen Fall! Wir haben bereits gesehen, wie das Kreuz jedem einzelnen Gebot Gottes gegen die Sünde Kraft und grossen Ernst verliehen hat. Durch die Schläge, die Gott dem Herrn Jesus zufügte, bewies Er, dass sein Hass gegen die Sünde nur durch seine Liebe zu den Sündern aufgewogen werden konnte. Ein gekreuzigter Christus verkündet Gottes Abscheu über die Sünde, ein auferweckter Christus verkündet den Triumph seiner Liebe zum Sünder. Der Tod des Herrn Jesus rechtfertigt das Gesetz, seine Auferstehung befreit den Gläubigen davon. Beides zusammen bildet die Grundlage jeder praktischen Heiligkeit, wie wir es aus Römer 6,2-6 erfahren: «Wir, die wir der Sünde gestorben sind, wie sollten wir noch darin leben? … So sind wir nun mit ihm begraben worden durch die Taufe auf den Tod, damit, so wie Christus aus den Toten auferweckt worden ist durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir in Neuheit des Lebens wandeln … Damit der Leib der Sünde abgetan sei, dass wir der Sünde nicht mehr dienen.»

Als der Vater den verlorenen Sohn aufnahm, tat er es auf eine Weise, die seiner selbst und der Ehre seines Hauses würdig war. Anders konnte er ihn nicht empfangen. Er konnte ihm nicht gestatten, in den Lumpen des fernen Landes zu bleiben und in den früheren Gewohnheiten weiterzumachen. Beides musste abgelegt werden. Seine Kleidung und seine Gewohnheiten sollten nun seiner neuen Stellung entsprechen. Die Gemeinschaft mit dem Vater wurde fortan zu seinem grossen Merkmal. Der Sohn wurde nicht als Diener unter einen strengen Kodex von Regeln gestellt, wie er es selbst als recht empfunden hatte. Nein, die Art und Weise seiner Aufnahme, das Prinzip des Umgangs mit dem Sohn und die Position, die ihm zugewiesen wurde, lagen in der Kompetenz des Vaters und entsprachen deshalb seinem Willen. Der Sohn sollte entweder mit einem Kuss empfangen oder gar nicht aufgenommen werden. Er sollte entweder am Tisch sitzen oder das Haus überhaupt nicht betreten. Er sollte entweder den Platz eines Sohnes einnehmen oder gar nichts bekommen. Kurz gesagt: Es war die Gnade des Vaters, die alles für den Verlorenen anordnete. Was für ein Glück für den Sohn, dass es ihm so erging!

Hätte nun der heimgekehrte Sohn im Licht dieser so ausserordentlichen Gnade leichtfertig über die Sünde denken können? Unmöglich! Er wurde durch die Gnade, die ihn aufnahm und in seine Stellung einsetzte, am wirksamsten von der Macht der Sünde befreit. Es war tatsächlich so, dass ihm gerade die Gnade die Sünde in den schrecklichsten Farben vor Augen malte. «Sollten wir sündigen, weil wir nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade sind? Das sei ferne!» (Röm 6,15). Einfach weiter sündigen – das kann und darf nicht sein! Die Gnade hat uns freigemacht – nicht nur von der Strafe für die Sünden, sondern auch von der Macht der Sünde, so dass sie nicht mehr über uns herrschen kann. Segensreiche Freiheit!

Herrliche Unterschiede von Gesetz und Gnade

  • Das Gesetz gab der Sünde Macht über den Sünder, die Gnade gibt dem Gläubigen Macht, frei von der Sünde zu leben.
  • Das Gesetz offenbarte dem Sünder seine Schwachheit, die Gnade macht den Gläubigen mit der Kraft des Herrn Jesus vertraut.
  • Das Gesetz unterwarf den Sünder dem Fluch, egal wer das Gebot übertreten hatte. Die Gnade führt den Gläubigen in den unbeschreiblichen Segen des Vaterhauses ein.
  • Das Gesetz entlockte nur den Schrei: «Ich elender Mensch! Wer wird mich retten von diesem Leib des Todes?» (Röm 7,24). Die Gnade befähigt zum freudigen Ruf: «Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt!» (1. Kor 15,57).

Das sind wichtige Unterschiede von Gesetz und Gnade. Sie führen uns zu tiefer Dankbarkeit über die Wahrheit, dass wir «nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade» sind.

Suchen wir noch einen Beweis, dass nichts anderes als die Gnade einen hingebungsvollen Dienst bewirken kann? Dann finden wir ihn in der Geisteshaltung des älteren Bruders in unserer schönen Geschichte. Er meinte, er sei immer ein sehr treuer Diener gewesen. Doch sein Herz rebellierte gegen die hohe Stellung, die seinem jüngeren Bruder zugewiesen wurde. Er verstand das Herz des Vaters nicht. Gott sucht nicht den kalten Dienst des Formalismus oder der Gesetzlichkeit, sondern den Dienst der Liebe. Es ist der Dienst eines Menschen, dem bewusst ist, wie viel ihm vergeben worden ist. Er dient mit der tiefen Zuneigung, die aus dem bewussten Empfinden der erlösenden Liebe fliesst. Das ganze praktische Christentum wird im Wort des Apostels zusammengefasst: «Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat» (1. Joh 4,19). Gebe Gott, dass wir alle mehr in die heilige Kraft dieser einfachen, aber kostbaren Wahrheit eintreten.