Epaphras

Kolosser 4,12

Die Art und Weise wie wir im Wort Gottes auf den Namen Epaphras aufmerksam gemacht werden, rührt an unsere Herzen. Es wird ja nicht viel von ihm gesagt, – aber das Wenige ist sehr schön. Seine Werke, wenigstens soweit der inspirierte Schreiber sie verzeichnet hat, scheinen weder hervorragend noch auffällig gewesen zu sein. Sie waren nicht dazu angetan, die Blicke der Menschen auf sich zu ziehen und Lob zu ernten. Aber dennoch waren sie von unschätzbarem Wert. Es waren Arbeiten hinter verschlossener Tür, Arbeiten im Heiligtum, ohne die alles Übrige unfruchtbar und wertlos bleiben muss. Es wird uns nicht gesagt, dass Epaphras ein begabter Prediger, ein fleissiger Schreiber oder ein unermüdlicher Besucher der Versammlungen hin und her gewesen sei, vielleicht war er das eine oder das andere oder gar alles, der Heilige Geist hat uns nichts darüber mitgeteilt. Der Geist beschreibt ihn als einen Mann des Gebets, und zwar des ernsten, inbrünstigen und ringenden Gebets, nicht so sehr für sich selbst, vielmehr für andere. Betrachten wir aufmerksam das Zeugnis, das ihm ausgestellt wird in den Worten: «Es grüsst euch Epaphras, der von euch ist, ein Knecht Christi Jesu, der allezeit für euch ringt in den Gebeten, damit ihr vollkommen und völlig überzeugt in allem Willen Gottes steht. Denn ich gebe ihm Zeugnis, dass er viel Mühe hat um euch und die in Laodizea und die in Hierapolis.»

Das war Epaphras! Dass er doch in unseren Tagen viele Nachahmer fände! Wir sind dankbar für Evangelisten und Lehrer, für schreibende und umherreisende Brüder, aber was wir so dringend benötigen, sind Männer des Gebets und des verborgenen Umgangs mit Gott, Männer wie Epaphras. – Ein gebetsloser Christ ist ein kraftloser Christ. Gebetslose Evangelisten, Prediger und Schreiber werden nicht viel Gutes stiften, gebetslose Hirten wenig Nahrung für die Herde haben. Männer des Gebets, Männer gleich Epaphras, deren Zimmerwände Zeugen von ihren ringenden Kämpfen sind, waren stets gesegnete Diener und sind die rechten Männer für unsere Zeit.

Ein solches Arbeiten im stillen Zimmer hat viele Vorteile. Es belästigt niemand und wird in der Zurückgezogenheit getan, in der heiligen, sich alles unterwerfenden Einsamkeit der göttlichen Gegenwart, wo die Blicke der Menschen nicht hineindringen. Die Kolosser würden wenig von der eifrigen Liebesarbeit des Epaphras gewusst haben, wenn der Heilige Geist sie nicht erwähnt hätte. Möglicherweise haben einige von ihnen gedacht, er kümmere sich nicht genügend um sie. Denn damals wird es wohl auch schon Personen gegeben haben, die, wie heute, die liebende Fürsorge und das Mitgefühl eines Mannes an der Zahl seiner Besuche oder Briefe messen. Aber diese sind keine sicheren Kennzeichen. Man müsste jemand auf den Knien sehen können, um einen richtigen Massstab für seine Sorge und sein Mitgefühl zu haben. Blosse Reiselust kann mich nach Amerika oder Australien führen, um die Brüder zu besuchen, oder Schreiblust mich anleiten, Briefe nach allen Orten der Welt zu senden. Aber nur die Liebe zu den Seelen, die Liebe zu Christus, bringt mich dahin, in ausharrendem Gebet für das Volk Gottes zu kämpfen, wie Epaphras es tat, damit sie «vollkommen und völlig überzeugt in allem Willen Gottes» stehen möchten.

Im Weiteren erfordert der wertvolle Dienst im Kämmerlein keine besondere Gabe, keine hervorragenden Fähigkeiten. Jeder Christ kann sich damit beschäftigen. Er mag nicht lehren noch schreiben, noch reisen können; aber er kann beten. Man hört oft von einer Gabe des Gebets reden und versteht darunter die Fähigkeit, eine Reihe von bekannten Wahrheiten aufzuzählen, die das Gedächtnis festgehalten hat, als ob man Gott einen Vortrag halten müsse. Ach! Ein solches Reden vor Gott ist alles andere als ein Gebet. Epaphras betete nicht auf diese Weise. Einen wirklichen Geist des Gebets haben wir nötig, ein Beten, das in der Kraft des Heiligen Geistes in die gegenwärtige Not der Gemeinde Gottes hier auf der Erde eintritt und sie im Glauben und in ernster, beharrlicher Fürbitte vor den Thron der Gnade bringt. Ein solches Arbeiten kann zu allen Zeiten und in allen Umständen geschehen. Morgen und Mittag, Abend und Mitternacht sind passend für diesen Dienst. Zu jeder Zeit kann das Herz mit Gebet und Flehen zum Gnadenthron hineilen. Die Gegenwart unseres Vaters ist uns immer zugänglich und sein Ohr uns immer geöffnet. Wann oder womit wir auch kommen mögen, Er ist immer bereit zu hören und immer bereit zu antworten. Und Er ist ein Freund des zudringlichen Gebets. Es gibt keine Sprache, die Er mehr liebt als diese: «Ich lasse dich nicht los, es sei denn, du segnest mich!» Der Herr selbst hat gesagt: «Bittet – sucht – klopft an!» Er ermunterte einst seine Jünger, «allezeit zu beten und nicht zu ermatten», und immer wieder durften sie hören: «Alles, was irgend ihr im Gebet glaubend erbittet, werdet ihr empfangen»; oder: «Was irgend ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, das wird er euch geben»; oder: «Bittet, und ihr werdet empfangen, damit eure Freude völlig sei.» Und Jakobus schreibt: «Wenn jemand von euch Weisheit mangelt, so erbitte er sie von Gott, der allen willig gibt und nichts vorwirft, und sie wird ihm gegeben werden.» Diese Worte haben eine allgemeine Anwendung. Sie sind auf alle Gläubigen auszudehnen. Das schwächste Kind Gottes kann beten, kann wachen, kann eine Antwort empfangen und dafür danken.

Ferner ist nichts so vorzüglich geeignet, unser Interesse für das Volk Gottes zu vertiefen, wie die Gewohnheit des beständigen Gebets für sein Wohl. Epaphras war in hohem Mass mit Teilnahme erfüllt für die Christen in Kolossä, Laodizea und Hierapolis. Die Teilnahme trieb ihn an zu beten, und seine Gebete weckten und vermehrten wiederum seine Teilnahme. Je mehr wir an jemandes Wohl und Wehe teilnehmen, desto mehr werden wir für ihn beten; und je mehr wir für ihn beten, desto mehr wächst unsere Teilnahme für ihn. Wenn wir eifrig und anhaltend für das Volk Gottes im Gebet stehen, werden wir uns nicht nur über sein Wachstum und seine Wohlfahrt freuen, sondern auch um immer mehr Gnade für dasselbe flehen. Genauso ist es im Blick auf die Unbekehrten um uns her. Wenn wir wirklich in Liebe an sie denken und für sie auf Gott warten, werden wir ihre Bekehrung mit fleissiger Sorge suchen, und wenn die Erhörung kommt, sie mit tiefer Dankbarkeit begrüssen. Wie sollte uns das alles anreizen, Epaphras nachzuahmen, dem der Heilige Geist in Verbindung mit seinen Gebeten für das Volk Gottes den ehrenvollen Titel beigelegt hat: «ein treuer Diener des Christus für euch» (Kol 1,7).

Der höchste Beweggrund endlich, den Geist ernsten Gebets zu erstreben, liegt in der Tatsache, dass man in Übereinstimmung ist mit dem Geist Christi selbst. Dieser Beweggrund ist in der Tat der erhabenste. Christus ist allezeit für seine Erlösten tätig, damit sie, wie der Apostel sagt, «vollkommen und völlig überzeugt in allem Willen Gottes stehen» möchten; und wer nun in dieser Hinsicht im Gebet beharrt, hat das grosse Vorrecht, darin Gemeinschaft mit unserem grossen Mittler, Sachwalter und Hohenpriester zu haben. Wie wunderbar, dass es armen, schwachen Geschöpfen auf der Erde erlaubt ist, betreffs der gleichen Sache zu beten, die die Gedanken und das Interesse des Herrn der Herrlichkeit so völlig in Anspruch nimmt! Welch ein mächtiges und zugleich inniges Band bestand zwischen dem Herzen Christi und dem Herzen des Epaphras, wenn dieser für seine Brüder in Kolossä im Gebet rang!

Geliebte Brüder, lasst uns über Epaphras sinnen und sein Beispiel nachahmen, indem auch wir für unsere Mitgläubigen im Gebet beschäftigt sind! Wir leben in einer Zeit, in der wir Männer nötig haben, die bereit sind, im Verborgenen für das Werk Gottes auf ihren Knien zu arbeiten und, wenn es so sein sollte, selbst die edlen Fesseln des Evangeliums zu tragen. Ein solcher Mann war Epaphras. Die erste Kunde, die wir von ihm empfangen, zeigt uns ihn als einen Mann des Gebets, und die letzte als einen Mitgefangenen des grossen Apostels der Nationen (Phlm 23).

Wir dürfen überzeugt sein, dass der Herr gern einen Geist ernsten Gebets und anhaltender Fürbitte unter uns wachrufen will. Möchten wir Ihm nur als Werkzeuge zur Verfügung stehen, die Er im Geist eines Epaphras in seinem Dienst gebrauchen kann.