Wollen wir über diesen Psalm eine Überschrift setzen, dann können wir keine bessere finden, als das kurze Wort: «Heimweh».
An den Flüssen Babels sassen die in die Gefangenschaft geführten Menschen aus zwei Stämmen.
Wie war ihnen da zumute?
Die Erinnerung an Zion bewirkte Tränen, und die Musikinstrumente, die sonst zum Loben und Danken gebraucht wurden, hingen in den Weiden.
Das gefangene Volk konnte Jerusalem nie vergessen. Ihre höchste Freude war unauflöslich mit der Stadt Gottes verbunden. Sie waren nicht imstande, der Aufforderung zu entsprechen: «Singt uns eins von Zions Liedern!», die die an sie richteten, die sie gefangen hielten. Ihre Antwort war:
«Wie sollten wir ein Lied des HERRN singen auf fremder Erde?»
Wir können einen Vergleich machen zwischen dem Volk in Gefangenschaft und uns Gläubigen dieser Zeit. «Babel» heisst «Verwirrung» und ist ein Bild der heutigen Christenheit, worin wir uns befinden.
Aber das ist nur eine Seite der Wahrheit. Die andere Seite ist die, dass jeder Gläubige persönlich sich in Christus befindet, in den himmlischen Örtern, wie wir es im Epheserbrief lesen. Es ist nötig, beide Seiten im Auge zu behalten. Warum können wir trotzdem Lieder singen vom himmlischen Zion? Weil wir wohl in Babel sind, mitten in der Verwirrung, aber gleichzeitig durch Glauben auch im Himmel. Dort sehen wir unseren Herrn, mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt, als der Gegenstand unserer Anbetung. Und wenn wir Ihn sehen, jauchzt unser Herz.
Nur ein Vorgeschmack
Aber auch unsere Herzen sind nicht befriedigt. Wir möchten auch aus Babel weg, der Verwirrung entrückt werden, und erwarten den Herrn, der uns herausführen wird.
Es ist ein grosses Vorrecht, dass wir jetzt schon als Anbeter zur Ehre des Herrn Loblieder singen können. Aber es ist nur ein Vorgeschmack der himmlischen Anbetung und des neuen Liedes, das wir einst anstimmen werden.
Alles, was in Babel gefunden wird, ist oft ein Hindernis für die wahre Anbetung. Wenn der Glaube das Auge nicht auf den Herrn gerichtet hält, kann es Augenblicke geben, da auch wir die Lauten an die Weiden hängen. Wir müssen dann zu uns selbst und zueinander sagen:
- Das Haupt empor, das Herz nach oben!
denn hier auf der Erde ist es nicht:
das wahre Leben, Lieben, Loben,
ist nur bei Jesu, dort im Licht.
Heimweh nach Zion, nach Jerusalem; Heimweh nach dem Himmel, nach dem Vaterhaus, nach dem Herrn Jesus. Möchte es mehr bei uns gefunden werden! Darin ist uns das Volk in Gefangenschaft ein Vorbild. Beschämen sie uns nicht in ihrer Sehnsucht?
Nicht nur Babel, auch die Kinder Edom werden in diesem Psalm genannt. Sie hatten von Jerusalem gesagt: «Entblösst sie bis auf ihre Grundfeste!» Edom, der grosse Feind Israels, hatte sich über die Verwüstung Jerusalems gefreut, und das kränkte das Herz der Gefangenen. Darum baten sie den Herrn, Edom zu strafen. Auch über die Tochter Babel riefen sie Gericht herbei. Vom alttestamentlichen Standpunkt aus ist das normal, aber für uns Gläubige von heute gelten andere Grundsätze. Wir wissen, dass Gott Babylon, das abgefallene Namenchristentum, nach der Entrückung der Versammlung richten wird. Nach sehr kurzer Zeit wird über das verwirrte Christentum das Gericht vollzogen werden.
Gott selber hatte die Zeit der Gefangenschaft für die zwei Stämme in Babel auf 70 Jahre festgesetzt (Dan 9,2). So ist es auch gekommen, denn Gottes Verheissungen erfüllen sich.
Uns ist kein bestimmter Tag zugesagt, an dem uns der Herr zu sich nehmen wird. Aber Er hat verheissen: «Ich komme bald!» So sicher wie sich die Verheissung gegen Israel erfüllte, wird sie sich auch uns gegenüber erfüllen.
Dort, im himmlischen Zion, ist keine Verwirrung mehr. Dort sind alle ein Herz und eine Seele. Dort fehlt auch nicht einer, um zur Ehre des Lammes das neue Lied zu singen, jeder mit seiner Harfe. Möchten doch unsere Herzen mit grösserem Verlangen nach jenem Augenblick ausschauen und mit dem heiligen Heimweh erfüllt sein, um dort zu sein und Ihn zu sehen, der aufgrund seines Werkes und durch sein Eingehen als Mensch in den Himmel dort eine Stätte bereitet hat.
«Ich komme bald!» – «Amen, komm Herr Jesus!»