Im Wort Gottes finden sich Biographien, die so anziehend sind, dass man sie nicht lesen kann, ohne einen grossen Segen daraus zu ziehen. So zum Beispiel die Beschreibung des vorbildlichen Lebens des Apostels Paulus, die Geschichte eines Joseph, eines Jonathan oder auch eines Daniel und seiner drei Freunde.
Die Tafelkost des Königs
Betrachten wir die Umstände ein wenig näher, in die Gott Daniel, Hananja, Misael und Asarja am Hof Nebukadnezars in Babylon versetzt hat. Sie gehörten zur ersten Gruppe der Weggeführten und waren von königlicher Abstammung oder von den Vornehmen (Dan 1,3). Sie waren also nicht die Erstbesten, und der König von Babylon, weit entfernt davon, diese Gefangenen aus Juda mit Verachtung zu behandeln, ist für sie von Fürsorge erfüllt und ordnet an, dass man sie während dreier Jahre die Schriften und die Sprache der Chaldäer lehre, um fähig zu sein, im Palast des Königs zu stehen (Dan 1,4.5). Dies entspricht einer Hochschulbildung, wie man heute sagt. Sie hätten sich von einer solchen Gunst geschmeichelt fühlen können, besonders weil ein so stolzer und blutgieriger Herrscher sie ihnen erwies, der einige Jahre später die Augen des Königs Zedekia blenden liess, nachdem er zuvor dessen Söhne vor seinen Augen geschlachtet hatte (Jer 52,10.11).
Werden sie sich aus diesem Grund allem unterwerfen, was dieser herrschsüchtige Monarch fordern wird, der nicht nur den Verlauf ihrer Studien vorschrieb, sondern sogar ihre Speise verordnete? Werden sie den Gott Israels und die Vorschriften des Gesetzes Moses vergessen, weil sie so weit weg von Jerusalem und ihre Umstände so schwierig sind?
Fern davon! Sie handeln im Geist des Psalmisten, der gesagt hat: «Wenn ich dich vergesse, Jerusalem, so vergesse mich meine Rechte!» (Ps 137,5). Nebukadnezar will ihnen die Tafelkost des Königs und den Wein, den er trinkt aufzwingen, aber die vier jungen Leute wissen, dass diese Kost zuerst den Götzen dargebracht wurde und sie nach dem Gesetz unrein sein kann (3. Mose 11). Sie nehmen sich daher in ihrem Herzen vor, sich nicht mit solcher Kost zu verunreinigen.
Nach dieser getroffenen Entscheidung bringt Daniel, ihr Wortführer, seine Bitte dem Obersten der Hofbeamten vor, eine respektable Bitte, mit Takt, aber auch mit Entschiedenheit vorgelegt: er erbittet vom Obersten der Hofbeamten, dass er sich nicht verunreinigen müsse (Vers 8). Entspricht dies nicht dem, wozu der Apostel Petrus in seinem ersten Brief ermahnt: «Seid jederzeit bereit zur Verantwortung gegen jeden, der Rechenschaft von euch fordert über die Hoffnung, die in euch ist, aber mit Sanftmut und Furcht» (1. Pet 3,15).
Welche Lektion für uns! Wie fühlen wir uns klein vor dem Glauben dieser Männer Gottes von ehedem!
Diese jungen Männer hätten sagen können: Wir sind hier allein, fern von unserer Familie, von unserem Land, fern vom Tempel in Jerusalem. Gott hat uns verlassen, hat unser Volk in die Hand Nebukadnezars gegeben. Wir sind arme Gefangene, aus ihrer Heimat verbannt. Und übrigens, man sieht uns ja nicht, keiner wird es wissen. Warum es so genau nehmen? Zudem wäre es für den König eine schreckliche Beleidigung, die uns gewährte Gunst nicht anzunehmen. Nicht nur riskieren wir, seinen Zorn auf uns zu laden, sondern wir würden gegenüber den anderen Jünglingen, die uns überholen könnten, benachteiligt.
Reden wir offen: Hätten wir in solchen Umständen nicht so überlegt? Wie oft hört man in unseren Tagen sagen – und vielleicht besonders unter jungen Gläubigen –: die Welt hat sich innert hundert Jahren dermassen verändert, dass es nicht mehr möglich ist, sich strikte an die Unterweisungen der Brüder vom 19. Jahrhundert zu halten. Man muss mit der Zeit leben, man muss sich den neuen Umständen anpassen. Wir sind Christen des 21. Jahrhunderts. Müssen wir für die Anforderungen unseres Studiums, unseres Berufes, unserer Handelsgeschäfte nicht einige Konzessionen machen und uns so verhalten, wie die uns umgebenden Leute?
Ach, das heisst, sich auf einen gefährlichen Boden begeben! So wird der Teufel unser Gewissen bald abstumpfen und uns immer weiter vom Herrn abziehen.
Seht im Gegensatz dazu, wie Gott Daniel und seine Freunde gesegnet hat, sowohl in ihrer körperlichen Gesundheit, wie auch in ihrem Verstand. Aber das Geheimnis ihres Verhaltens liegt darin, dass sie aus Gottesfurcht und Treue Ihm gegenüber sich nicht fürchten aufzufallen, sich von ihrer Umgebung zu unterscheiden.
Verstehen auch wir dies zu tun, oder gehören wir zu denen, die von Konzession zu Konzession schreiten, aus Furcht, bespöttelt und belächelt zu werden? Denken wir doch an die Wichtigkeit einer deutlichen Stellungnahme eines klaren und entschiedenen Zeugnisses vor dieser Welt, von Anbeginn unseres christlichen Lebens an. Nehmen wir uns doch diese jungen Männer als Vorbilder der Entschiedenheit; ihre Umstände waren zweifellos viel schwieriger als die Unseren. Sich in seinem Herzen vornehmen, sich nicht zu verunreinigen, und nicht Angst haben, sich von der Welt zu unterscheiden – das sind zwei umwälzende Grundsätze im christlichen Leben; Gott ehrt einen solchen Glauben allezeit.
Das goldene Standbild
Daniel und seine drei Freunde haben gut angefangen: zu Beginn ihres Lebens der Isolierung in Babylon hat Gott ihren Glauben einem Test unterzogen, den sie siegreich überstanden haben. Was man an den Verwaltern sucht, ist, dass einer treu befunden werde (1. Kor 4,2). Daher erlaubte Gott, dass sie in der Landschaft Babel in hohe Ämter eingesetzt wurden.
Aber Er wird ihren Glauben einer noch viel schwierigeren Prüfung unterziehen (Daniel 3) als am Anfang ihrer Gefangenschaft. Nebukadnezar hat soeben in der Ebene Dura eine riesenhafte Statue aus Gold von etwa dreissig Meter Höhe aufrichten lassen, vor der alle hohen Würdenträger niederfallen sollten. Das 2. Kapitel erzählt vom Traum des Königs und seiner Deutung durch Daniel, aber es scheint, dass diese so aussergewöhnliche göttliche Mitteilung keinen bleibenden Eindruck auf Nebukadnezar gemacht hat, denn hier fordert der, der auf sein Angesicht fiel und Daniel anbetete (Dan 2,46), dass seine Untertanen niederfallen und die goldene Statue anbeten sollten, die er seine Götter nennt (Dan 3,14). Ohne Zweifel sucht er die verschiedenen Völker seines Reiches zu festigen, indem er dieses Fest der Einweihung organisierte, an dem sie gezwungen werden sollten, alle die gleiche Statue anzubeten, denselben Götzen. Indem er einen solchen Götzendienst auferlegt, schleudert er eine Herausforderung gegen den Gott, von dem er zu Daniel gesagt hat: «In Wahrheit, euer Gott ist der Gott der Götter und der Herr der Könige» (Dan 2,47), gegen den, der ihm offenbart hat: «du bist das Haupt von Gold» (Dan 2,38).
Welch ein Gewissensproblem für Sadrach, Mesach und Abednego! Werden auch sie sich vor diesem Götzen niederwerfen, auch nur während der wenigen Augenblicke der Dauer dieser Zeremonie, wobei sie wissen, dass der eigentliche Grund des Zorns des HERRN über Juda und der Wegführung nach Babylon gerade die Götzendienerei des Volkes ist? Was tun angesichts der durch den Herold mit Macht ausgerufenen Drohung: «Wer nicht niederfällt und anbetet, der soll sofort in den brennenden Feuerofen geworfen werden» (Dan 3,6)? Diese ganze Zeremonie der Einweihung ist von Meisterhand inszeniert: In dieser grenzenlosen Ebene fiel der Blick auf die kolossale Statue, strahlend im Glanz der orientalischen Sonne, während das Ohr durch den Reichtum an verschiedenen Musikinstrumenten beeindruckt wird: das Horn, die Pfeife, die Zither, die Sambuke, die Laute, die Sackpfeife und alle Art von Musik. Nebenbei gesagt: auch in den heutigen religiösen Zeremonien sucht der natürliche Mensch auf die Sinne einzuwirken.
Auf das gegebene Zeichen hin fällt diese ganze Menge knechtischer Höflinge einmütig nieder, und nur drei junge Männer aus Juda haben den Mut, stehen zu bleiben, trotzend dem Zorn des Götzen (d.h. des Königs) und öffentlich ihre Verbindung mit dem Gott Israels bezeugend. Sie wissen, dass Nebukadnezar mächtig ist, sehr mächtig sogar, aber auch, dass ihr Gott allmächtig ist. Sie wissen, dass dieser König tötet wen er will (Dan 5,19), aber sie sind überzeugt, dass ihr Gott sie aus seiner Hand erretten kann. Sie urteilen, dass es nicht recht wäre, mehr auf einen Menschen, als auf Gott zu hören (Apg 4,19).
Hätten wir den Mut, so aufzufallen wie sie? Ich fürchte nein, was mich betrifft.
Aber werden diese jungen Männer nicht wanken, wenn sie aufgerufen werden, vor Nebukadnezar zu erscheinen? Als der Monarch sie noch einmal auffordert, wie um ihnen noch eine letzte Chance der Rettung zu geben: Seid ihr bereit, niederzufallen und das Bild anzubeten? (Vers 15), antworten sie: «Nebukadnezar, wir halten es nicht für nötig, dir ein Wort darauf zu erwidern. Ob unser Gott, dem wir dienen, uns aus dem brennenden Feuerofen zu erretten vermag», ist keine Frage, «und er wird uns aus deiner Hand, o König, erretten» (Verse 16 und 17).
Diese Helden des Glaubens glauben etwas, das sie noch nie gesehen haben, nämlich, dass ein Mensch durch das Feuer gehen kann, ohne Folgen zu erleiden. Sie sprechen diese Worte des Vertrauens in einer ruhigen Gewissheit aus. Dann aber erstrahlt ihr Glaube in einem besonderen Glanz: «Oder ob nicht, es sei dir kund, o König, dass wir deinen Göttern nicht dienen und das goldene Bild, das du aufgerichtet hast, nicht anbeten werden» (Vers 18).
Dieser Ausdruck: «oder ob nicht» ist von grosser Schönheit. Es ist, wie wenn sie sagen wollten: Selbst wenn Gott nicht auf unser Gebet antworten sollte, wenn Er uns nicht befreit und uns zu verlassen scheint, werden wir Ihm treu bleiben und werden den Namen des Heiligen und Gerechten nicht verleugnen. Auch das ist eine Lektion für uns, die wir schnell bereit sind zu murren, vielleicht sogar uns aufzulehnen, wenn der Herr uns nicht eine Rettung gewährt, eine Befreiung in den Prüfungen! Diese drei Jünglinge nehmen in Unterwürfigkeit an, was Gott für sie entscheiden wird. So haben sich auch viele Gläubige unterworfen und ihre Seele beschwichtigt (Ps 131,2), obwohl sie im betreffenden Augenblick die Wege Gottes mit ihnen nicht verstanden haben.
Wie viele Rätsel bietet uns das Schweigen Gottes angesichts der Treue der Seinen! Denken wir an Joseph. Welche Gedanken mögen in seinem Herzen aufgestiegen sein, nachdem ihn Potiphar ins Gefängnis geworfen hatte. Wie, belohnt mich Gott auf diese Weise dafür, dass ich Tag für Tag den Verführungen dieser lasterhaften Frau widerstanden habe? Hätte ich der Versuchung nachgegeben, wäre ich nicht in diesem Kerker, wo Gott mich vergessen hat! Und was mochte Hiob inmitten seiner Prüfungen gedacht haben, Johannes der Täufer in der Dunkelheit seines Gefängnisses, Nabot, seines Weinbergs beraubt und dann gesteinigt, Jeremia, von seinem Volk verachtet? Vor zahlreichen Problemen des Lebens, bei denen es sich darum handelt, eine Wahl zu treffen, sind wir da fest entschlossen, selbst wenn Gott nicht direkt eingreift, Ihm treu zu bleiben, koste es was es wolle?
Die drei Freunde haben es verwirklicht, und Gott hat ihnen wunderbar geholfen. Ein Mann «gleich einem Sohn der Götter» ging mit ihnen im Feuer umher, und sie erlitten keinerlei Schaden; einzig ihre Fesseln waren vom Feuer versengt worden. Nur in der Prüfung konnten sie eine solche Nähe zu Gott erfahren. Dieses 3. Kapitel zeigt uns also, was die Gläubigen in einer Prüfungszeit tun sollen, was der Feind zu tun vermag, um ihnen zu schaden, und was Gott tut, um sie zu befreien.
Die drei Freunde Daniels werden im übrigen Teil dieses Buches nicht mehr erwähnt; wir dürfen hoffen, dass sie ihr Leben des Zeugnisses und der Treue in Babylon fortgesetzt haben. Aber bezüglich Daniels selbst sind wir sicher, dass dieser edle Gefangene, der mindestens siebzig Jahre seines Lebens in Babylon, fern von Jerusalem zugebracht hat, am Ende seines Lebens ebenso gottesfürchtig und treu war wie am Anfang. Wenn er im Augenblick seiner Wegführung zwanzig Jahre alt war, so musste er etwa neunzig Jahre zählen, als ihn Darius in die Löwengrube warf. Und in jenem Augenblick mussten selbst seine erbittertsten Feinde sagen: «Wir werden gegen diesen Daniel keinen Anklagegrund finden, es sei denn, dass wir einen im Gesetz seines Gottes gegen ihn finden» (Dan 6,6). Welch prächtiges Zeugnis vonseiten der Welt!
Übrigens berichtet das Wort von keiner Verfehlung in seinem Leben, und dreimal wird er Vielgeliebter genannt (Dan 9,23; 10,11.19). Trotz seiner Funktionen als Vorsteher, die ihn stark in Anspruch nahmen (Dan 6,3), fand er Zeit, dreimal am Tag in seinem Haus zu beten, wobei seine Fenster gegen Jerusalem geöffnet waren, und dies trotz dem Verbot des Königs Darius. Er las aufmerksam den Propheten Jeremia (Dan 9,2), was ihn dazu führte, Gott sein Bußgebet vorzubringen: auf das Bekenntnis (Dan 9,4-15) folgt darin die Fürbitte (Verse 16-19). Daniel, der über jeden Tadel erhabene Mann, sagt zweimal: wir haben gesündigt, wir haben gottlos gehandelt (Verse 5 und 15), weil er sich mit seinem schuldigen Volk völlig eins machte, und weil die Empfindung der Schwere der Sünde und der Verunehrung Gottes bei ihm ebenso lebendig geblieben war wie in seiner Jugend.
Lasst uns den Ausgang des Wandels dieses bedeutenden Mannes Gottes betrachten und seinen Glauben nachahmen, sein Festhalten an Gott, an seinem Wort, an seinem Volk. Und vor allem: schrecken wir nicht davor zurück, in dieser Welt aufzufallen, aber bestimmt nicht in einem Geist der Gegensätzlichkeit zum Bestehenden oder des Widerspruchs, der heute so modern ist, sondern aus Treue zum Herrn und aus Unterwürfigkeit zu seinem Wort.