Das ist die Antwort des HERRN auf das Bekenntnis des Überrests bezüglich ihres früheren Unglaubens und ihres nachherigen Glaubens an den Messias. Der letzte Teil des achten Verses macht es deutlich, dass Er es ist, der in den Versen 7-9 redet.
«Er wurde misshandelt, aber er beugte sich und tat seinen Mund nicht auf, wie ein Lamm, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Schaf, das stumm ist vor seinen Scherern; und er tat seinen Mund nicht auf. – Er ist weggenommen worden aus der Angst und aus dem Gericht. Und wer wird sein Geschlecht aussprechen? Denn er wurde abgeschnitten aus dem Land der Lebendigen: Wegen der Übertretung meines Volkes hat ihn Strafe getroffen. Und man hat sein Grab bei Gottlosen bestimmt; aber bei einem Reichen ist er gewesen in seinem Tod, weil er kein Unrecht begangen hat und kein Trug in seinem Mund gewesen ist.»
Wie kostbar ist es, den wahrhaftigen Gott in dieser Weise sein Wohlgefallen an dem verworfenen Messias und an seinem Werk des Sünden-Tragens aussprechen zu hören, das Er für die vollbracht hat, die Ihn einst verachteten, aber nun Gottes Wonne teilen an seinem sanftmütigen Erdulden der Schmach. Welch ein Anblick für die himmlischen Heerscharen, die beim Wunder seiner Geburt von einer Frau das Zeichen eines Kindes vor sich sahen, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend! Damals lobten sie Gott und sagten: «Herrlichkeit Gott in der Höhe und Friede auf der Erde, an den Menschen ein Wohlgefallen!» (Lk 2,14). Nun ist es der HERR, der den vollkommensten Beweis betrachtet, den sein eingeborener Sohn von der Liebe des Heilands und von seiner eigenen gegeben hat, nicht nur, um die wahre Natur Gottes zu entfalten, da wo sie unbekannt war, sondern um sein Volk von seinen Sünden zu erretten, dessen Geschichte eine Folge göttlicher Gunstbezeugungen war, auf die das Volk mit zunehmendem Abweichen von Ihm und mit Widerspenstigkeit antwortete.
Als sein Gesetz und seine Verordnungen mehr und mehr missachtet wurden, als seine Priester durch ihre Verdorbenheit die dargebrachten Opfer zum Gräuel machten, als die Könige zu Führern im Götzendienst und zu den damit verbundenen erniedrigenden Lastern wurden – sandte Er Propheten, nicht nur, um Israel zu tadeln, sondern um es zurückzugewinnen. Aber sie nahmen seine Knechte, schlugen den einen, töteten den anderen und steinigten einen dritten. Da sandte Er noch mehr Knechte, aber statt zu bereuen, verharrten sie im Bösen. Zuletzt aber sandte Er seinen Sohn zu ihnen, indem Er sagte: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen! Da sprachen sie zueinander: Dieser ist der Erbe; kommt, lasst uns Ihn töten und sein Erbe in Besitz nehmen. Hätte es noch eine treffendere Skizze geben können, als diese, die der Herr von jenem Geschlecht entwarf? Die Führer merkten, dass diese auf sie passte, erfüllten sie aber gleichwohl durch das Kreuz.
Der Herr des Weinbergs brachte jene bösen Weingärtner um und verpachtete den Weinberg an andere, die die gute Botschaft hörten (Mt 21). Aber diese sind nicht «an der Güte geblieben» und sind nicht im Glauben verharrt, sondern massten sich an zu denken, Gott habe Israel verworfen, um der Christenheit einen bleibenden und unwiderruflichen Besitz der Erde und ihrer Nationen zu geben. In völliger Missachtung dieser ernsten Warnung wird der gegenwärtige Zeitlauf mit dem Abfall und dem Menschen der Sünde enden. Dann wird der Tag des Herrn über dem bußfertigen Israel aufgehen, das dann glaubt und errettet wird, während die Gerichte die Ungläubigen aus Juden und Nationen wegraffen. Die himmlischen Heiligen werden dann leuchten wie die Sonne in dem Reich ihres Vaters (Mt 13,43).
Hier wurde der Prophet inspiriert, um die Erneuerung der Beziehungen des HERRN mit den frommen Juden vorzustellen. Schon in Jesaja 52,13-15, wurde der erstaunliche Wechsel des Einen gezeigt, dessen Aussehen entstellt war, mehr als irgendeines Mannes, und dessen Gestalt mehr als der Menschenkinder: Er gelangt zu einer Herrlichkeit, die Könige verwundern wird, wenn sie vor ihren Augen aufgerichtet ist. Das führt in Jesaja 53,1-6 zum Bekenntnis des einstigen Unglaubens des Volkes und ihrer späteren Gewissheit, dass seine Leiden zu ihrer Sühnung nötig waren. Und der HERR schliesst an, um hervorzuheben, wie der sanftmütige Dulder den Willen Gottes tat, was Ihn dies in einer Welt der Feindschaft gegen Gott auch immer kostete.
Wie angemessen und eindrücklich ist die Lektion für den Überrest, der im Begriff steht, eine starke Nation zu werden! Der Messias, der Herr aller, wurde «misshandelt», aber statt sich aufzubäumen, «beugte er sich». «Er tat seinen Mund nicht auf», obwohl Er die Absicht der religiösen Führer kannte, nach seinem Leben zu trachten. «Wie ein Lamm, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Schaf, das stumm ist vor seinen Scherern; und er tat seinen Mund nicht auf. – Er ist weggenommen worden aus der Angst und aus dem Gericht. Und wer wird sein Geschlecht aussprechen?» Welcher Art das Gericht auch immer war, so war doch alles ungerecht, und die Ihn verurteilten, verurteilten sich selbst aufs äusserste. Denn Er, der vollkommene Liebe war, «wurde abgeschnitten aus dem Land der Lebendigen».
Wo war denn der HERR? Er war da in einem Licht, das den Menschen fremd war: Gott hatte sich ein Lamm ausersehen zum Brandopfer, aber auch zum Sündopfer. «Wegen der Übertretung meines Volkes hat Ihn Strafe getroffen.» Das geht durch die ganze Schrift hindurch, vom ersten Buch Mose bis zur Offenbarung; aber in keinem Schriftabschnitt wird dies klarer ausgedrückt als hier in Jesaja. Wie konnten es denn die Juden unterlassen, darauf zu hören? Wegen des Unglaubens, der den natürlichen Menschen verblendet. Ungerichtete Sünde macht einen Erretter hassenswürdig. Ein Gott des Gesetzes ist noch annehmbar; der Gott souveräner Gnade hingegen ist für den selbstzufriedenen Menschen, der auf sich selbst vertraut, aber Gott misstraut und die Notwendigkeit oder den Wert des Opfers Christi leugnet, unerträglich.
Viele Ausleger nehmen an, dass der orientalische Stil in den Psalmen in manchem übertreibe und daher zu nüchternen Tatsachen zurückgeführt werden müsse. Das trifft aber bestimmt nicht zu auf Christus und sein Kreuz. Die Wirklichkeit übertrifft in Bezug auf seine Gnade und sein Ertragen der Leiden die hier geäusserten Worte, wie das Neue Testament zeigt. Sie drang tiefer hinein und erhob sich weit über jede gegebene Voraussage.
Aber da ist noch eine andere Seite, die nicht übersehen werden darf. Das Kreuz Christi offenbart seine moralische Herrlichkeit, wie nichts anderes dies zu tun vermochte. Wo waren die jüdische Gerechtigkeit und die priesterliche Gnade, wo das römische Gesetz und die griechische Weisheit in dieser feierlichen Stunde? Verschwor sich nicht alles, was vom Menschen und von der Welt war, gegen den einzigen gerechten Knecht des HERRN, der voller Gnade und Wahrheit war? Und was kann von den Jüngern, seinen Aposteln und von Petrus gesagt werden? Wo findet sich da ein Atom des Ruhmes ausser in dem, der am Kreuz zum Fluch gemacht und sogar von Gott verlassen werden musste, damit nicht wir es je sein müssten. Wie hat Ihn dies aber ganz und gar verzehrt, als Er es bis zum äussersten verwirklichte! Wahrlich, es war die Stunde, die durch alle Ewigkeit hindurch allein steht, und der Herr Jesus sagte von ihr: «Jetzt ist der Sohn des Menschen verherrlicht, und Gott ist verherrlicht in ihm. Wenn Gott verherrlicht ist in ihm, wird auch Gott ihn verherrlichen in sich selbst, und sogleich wird er ihn verherrlichen» (Joh 13,31.32), das heisst, bevor die vorausgesagte Herrlichkeit des Reiches offenbart wird.
Doch nachdem Er so gelitten hat, ist es rührend zu sehen, wie Gott selbst für den toten Leib seines Sohnes besorgt war. So wird hier gesagt: «Und man hat sein Grab bei Gottlosen bestimmt» – das natürliche Ende eines gekreuzigten Übeltäters – «aber bei einem Reichen ist er gewesen in seinem Tod» – der nicht vorgesehene Ausgang unter seiner Führung –, «weil er kein Unrecht begangen hat und kein Trug in seinem Mund gewesen ist». Die Tatsache, dass es eine neue Gruft war, in die noch nie ein Leichnam gelegt wurde, gab auch Gelegenheit, die Wahrheit seiner Auferstehung umso klarer und offensichtlicher zu machen.