Wozu der Dorn im Fleisch?

2. Korinther 12,7

Der Gläubige weiss: Ich bin in Christus, Christus ist in mir. Aber nun stellt sich die Frage, ob mein Fleisch so im Tod gehalten wird, dass ich praktisch auf der Höhe einer solchen Stellung bin. Das Fleisch ändert sich nie; wir haben darüber zu wachen und uns ständig vor ihm zu hüten.

Der Apostel Paulus wurde in das Paradies entrückt, wie wir in 2. Korinther 12 lesen. Du meinst vielleicht, nachher sei kein Atom des Fleisches mehr in ihm gewesen. Doch nein: Er hatte einen «Engel Satans» nötig, damit er sich nicht überhob; er brauchte einen Dorn im Fleisch, der ihn in der Demut hielt. Der Herr hatte seinen Knecht an Wunderbarem teilnehmen lassen, das ihn in Gefahr brachte. Was konnte ihn nun davor schützen? Etwas, das Paulus tief demütigte. Der Herr nahm ihm die empfangene Offenbarung nicht weg, aber Er liess ihm auch den Dorn: Er beugte ihn in den Staub und machte ihn gerade in der Sache «verächtlich», mit der seine ganze Seele verknüpft war – in seinem Dienst.

Bei Hiob lag der Fall ähnlich. Gott konnte von ihm zu Satan sagen: «Hast du acht gehabt auf meinen Knecht Hiob? Denn seinesgleichen ist kein Mann auf der Erde …» (Hi 1,8). Er hatte ihn mit jeder Segnung umgeben, und Hiob konnte sagen: «Wenn das Auge mich sah, so legte es Zeugnis von mir ab» (Hiob 29,11). Es zeigte sich bei ihm eine gewisse Selbstgefälligkeit, und Gott wollte ihn davon befreien. Was Hiob sagte, mochte zutreffen, und Gott selbst gab ihm ja Zeugnis, dass seinesgleichen kein Mann war auf der Erde: «vollkommen und rechtschaffen, gottesfürchtig und das Böse meidend». Aber weil er begann, sich deshalb etwas einzubilden, überliess ihn der Herr dem Satan, damit er gedemütigt würde. Nun sagte Hiob nicht mehr: «Wenn das Auge mich sah, so legte es Zeugnis von mir ab», sondern: «Nun hat mein Auge dich gesehen, darum verabscheue ich mich und bereue in Staub und Asche» (Hi 42,5.6).

Das ist es, was auch wir nötig haben. Einerseits dürfen wir uns in keiner Weise das Bewusstsein abschwächen lassen, was wir «in Christus» sind. Anderseits aber haben wir nötig, uns selbst gründlich kennenzulernen und uns bewusst zu werden, dass Gott diesen Schatz in ein irdenes Gefäss gelegt hat. Das Fleisch in mir ist ein Hindernis dafür, meine hohe Stellung «in Christus» zu verwirklichen. Darum muss ich sein Wesen erkennen. Ich muss lernen, dass es keinerlei Recht hat, seine Stimme zu erheben oder einen Willen zu haben und muss dazu gebracht werden, es als gekreuzigt zu betrachten. So werde ich den unergründlichen Reichtum des Christus immer besser erfassen. Zuerst erkenne ich im Glauben den Platz, den Gott mir aus lauter Gnade in Ihm gibt; dann aber führt mich Gott auf seinen Wegen durch mancherlei Übungen der Seele. So lerne ich die Abhängigkeit und meine völlige Schwachheit kennen. Aber ich habe, wie Paulus, Christus in mir, und ich liebe es, schwach zu sein, damit seine Kraft in mir wohne. Das Geheimnis der Kraft liegt für mich im Bewusstsein, dass ich gar nichts vermag, dass aber die Kraft des Christus in meiner Schwachheit vollbracht wird.

Wir sind hier gelassen, damit das Leben Christi auf der Erde, von der Er abwesend ist, in unserem sterblichen Fleisch offenbar werde. Ist dies unser einziger Wunsch? Suchen wir das eine, Christus in der Herrlichkeit zu besitzen? Wenn Gott seinen Sohn gegeben hat, um unsere Seelen für sich zu haben, sollten diese dann nicht Jesus Christus in einer solchen Weise geniessen, dass wir unser Leben für Ihn hingeben, der für uns gestorben ist? «Er ist für alle gestorben, damit die, die leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferweckt worden ist» (2. Kor 5,15). Ist es der sehnliche und ernste Wunsch unserer Herzen, deutliche Briefe Christi zu sein, gekannt und gelesen von allen Menschen? Wenn wir Ihm angehören, so haben wir das eine zu suchen: Christus zu offenbaren, Christus zu dienen und Menschen zu sein, die ihren Herrn als Sohn Gottes vom Himmel erwarten. Gott hat seinen Sohn für uns gegeben, nicht damit wir dem Fleisch leben, sondern mit ganzem und aufrichtigem Herzen Ihm zu eigen sind.

Möchte das glückliche Bewusstsein uns erfüllen, dass Christus ein volles Anrecht besitzt an uns, die Er erkauft hat, damit wir hier auf der Erde treu zu Ihm stehen, bis Er kommt und uns in seine Herrlichkeit einführt.