«Ich bin innerlich bewegt über die Volksmenge» (Mk 8,2)
Welch ein Vorbild ist der Herr Jesus für uns, auch in seinem Mitleid! Die Welt, die Er retten wollte, glich einem Bethesda (siehe Joh 5,1-9). Überall hörte Er den Notschrei menschlichen Leidens. Er war nicht taub dafür. Im Gegenteil, es war sein Wohlgefallen, Mitleid zu zeigen, Leiden zu lindern, zu trösten, zu retten. Der schwächste Hilferuf liess Ihn stillstehen.
War es ein Aussätziger, der sein Leben lang ausgeschlossen war von jedem freundlichen Blick und teilnehmenden Wort? Der Herr hatte Worte und Taten der Liebe für diesen aus der menschlichen Gesellschaft Verstossenen: «Innerlich bewegt streckte er seine Hand aus, rührte ihn an und spricht zu ihm: Ich will; werde gereinigt» (Mk 1,41).
Waren es blinde Bettler auf dem Weg nach Jericho, die im Dunkeln herumtappten und um Hilfe schrien? Auch an ihnen ging Er nicht vorbei: «Jesus blieb stehen … und innerlich bewegt, rührte Er ihre Augen an» (Mt 20,32-34).
War es der wortlose Jammer, der aus den tränenden Augen einer Witwe beim Tor von Nain sprach, die ihren Trost und ihre Stütze zum Grab bringen musste? «Als der Herr sie sah, wurde er innerlich bewegt über sie» (Lk 7,13).
Wenn Er Menschen, die nichts zu essen hatten, bei sich sah, so war Ihm dies nicht gleichgültig. Vielmehr sagte Er: «Ich bin innerlich bewegt über die Volksmenge, denn schon drei Tage weilen sie bei mir und haben nichts zu essen» (Mk 8,2; vgl. auch Mt 14,14).
Für alle Umstände des Lebens: Krankheit, Tod und Lebensnöte, hatte Er ein Auge und ein mitfühlendes Herz.
So war es, als Er auf der Erde war. Aber auch jetzt ist Er unser Hoherpriester, der Mitleid zu haben vermag mit unseren Schwachheiten, da Er in allem versucht worden ist in gleicher Weise wie wir, ausgenommen die Sünde (Heb 4,15).
Unser Herr sagte verschiedene Male, dass wir berufen seien, Ihm nachzufolgen, sein Vorbild nachzuahmen und in seinen Fussstapfen zu wandeln.
Finden seine Worte des Mitleids und der Liebe in unseren Herzen ein Echo? Hoffentlich nicht nur in der Weise, dass unsere Gefühle in Bewegung kommen und unsere Augen sich mit Tränen füllen. Nein, es soll ein ernstes Verlangen daraus werden, etwas zu tun, um die Leiden unserer Mitmenschen zu lindern. Dieses Verlangen muss sich in Taten äussern.
Es gibt so unsäglich viel Not um uns her, die auf unser Mitleid Anspruch macht:
- die geistliche und materielle Not von Millionen von Menschen in fernen Ländern;
- Menschen in unserer nächsten Umgebung, die zu den «Vergessenen» gehören;
- kranke oder alte Brüder und Schwestern, die so leicht vergessen werden und daher während manchen Stunden einsam sind;
- eine Witwe, die den Gatten vermisst und eine doppelt schwere Aufgabe hat, besonders wenn sie noch Kinder auferziehen muss;
- ein Haus, in das der Tod eingetreten ist und worin trauernde Angehörige Mitgefühl und Trost benötigen.
Gibt es in unserer nächsten Umgebung keine Gelegenheit, wo wir in Mitleid helfen und trösten könnten? Wenn wir unseren irdischen Besitz als eine Gabe Gottes betrachten, als ein Talent, womit wir handeln sollen, und nicht als etwas, das wir habsüchtig bewahren oder vergeuden dürfen, dann wird er geheiligt und erfüllt er den eigentlichen Zweck. Irdische Güter sind uns von Gott anvertraute Pfänder, die wir gebrauchen können, um anderen zu helfen. Ist unser Herz dafür geöffnet und die Liebe wirksam, wird es nicht an Wegen und Mitteln fehlen.