Zwei Gefängnisszenen

Apostelgeschichte 12,1-17; Apostelgeschichte 16,19-34

Petrus

Der gottlose König Herodes hatte den Apostel Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert getötet. Drauf liess er auch Petrus, den Führer unter den Aposteln in Jerusalem, festnehmen, in der Absicht, ihn gleicherweise umzubringen, Er wartete nur den Abschluss des Passahfestes ab, um diesen Mord an dem unschuldigen Zeugen des Herrn Jesus auszuführen. Sechzehn Soldaten bewachten ihn; an zweien war er mit Ketten gebunden, so dass keinerlei Hoffnung auf Entrinnen bestand. Nun war die letzte Nacht, die nach den bösen Absichten des Feindes Petrus noch auf der Erde verbleiben sollte, hereingebrochen. Was tut er jetzt? Er schläft.

Das zeugt von einem unerschütterlichen Glauben an Gott und von vollem Vertrauen. Er überlässt den Ausgang seiner Gefangenschaft dem, der ihn berufen und ihm wiederholt den Auftrag zum Zeugnis für seinen grossen Namen gegeben hatte. In Jerusalem durfte er den Juden und in Cäsarea, im Haus des Kornelius, den Nationen das Reich der Himmel aufschliessen. Er war sich völlig bewusst, dass Gott die Macht besass, ihn zu befreien; doch war es ihm auch bekannt, dass Jakobus bereits hingerichtet worden war und dass er es mit demselben Feind, den gleichen bösen Werkzeugen Satans, zu tun hatte, die entschlossen waren, auch ihn, den mächtigen Zeugen seines Herrn und Meisters, aus dem Weg zu räumen. Er hatte keine Kenntnis darüber, ob der Herr seine göttliche Macht einsetzen und ihn aus der Lebensgefahr befreien würde. Dennoch schlief er in der Gewissheit der Liebe seines Herrn ruhig ein.

Wie wenig wissen wir oft, was wahrer Glaube an Gott bedeutet! Ein solcher Glaube besteht nicht in der Erwartung eines Ausgangs nach unseren Wünschen. Er hofft nicht darauf, dass Gott unsere Probleme und Umstände nach unserer Erwartung regeln werde. Ebenso wenig ist er eine Mischung von Niedergeschlagenheit und Fröhlichkeit. Wahrer Glaube ist jenes Vertrauen auf Gott, dass alles, was uns begegnet, seien es angenehme oder unangenehme Umstände, von Gott kommt und zum Guten dient.

So sieht Petrus in Glauben und Vertrauen dem kommenden Morgen entgegen, überlässt sich selbst dem grossen Gott und Vater in Christus Jesus und schläft ruhig ein. Er zeigt uns Geduld und Ausharren in Stunden der Not und des Leidens. Er war ja selbst ein Zeuge der Leiden des Christus gewesen (1. Pet 5,1) und hatte auf dem Berg der Verklärung auch etwas von «den Herrlichkeiten danach» gesehen (2. Pet 1,17.18). Daraus konnte er lernen, dass der Weg des Herrn durch Leiden zur Herrlichkeit führte. Deshalb finden wir in seinen Briefen die gleichen Belehrungen an die Gläubigen. Ausharren in Leiden wird in Freude ausschlagen, sobald die zukünftige Welt eingeführt wird.

Ein Engel rührt Petrus an. Dieser wacht vom Schlaf auf; die Ketten fallen von ihm ab; die Tür öffnet sich, und der Engel führt ihn aus dem Gefängnis heraus.

Wie sorgfältig bemüht sich der Herr um seinen Knecht, damit er in seinen Leiden für Ihn auch nicht den geringsten Verlust erdulde: Der Engel denkt an seine Sandalen und an sein Oberkleid! Petrus ist wie im Traum. Er sieht sich um und stellt fest, dass er wirklich frei ist, ausserhalb der Gefängnismauern.

Sogleich lenkt er seine Schritte zum Haus der Mutter des Johannes Markus. Dort sind einige der Heiligen versammelt, um für Petrus zu beten. Während er schlief, beteten sie für ihren geliebten Bruder. Gott hatte auf diese Gebete in zweifacher Weise geantwortet: Zunächst gab er in das Herz des Apostels Frieden und Ruhe, so dass er selbst in der Nacht vor der beabsichtigten Hinrichtung zu schlafen vermochte. Dann aber folgte auch die endgültige Erhörung der zum Thron der Gnade emporgestiegenen Gebete durch eine völlige Befreiung aus dem Gefängnis. Der betende Kreis der Gläubigen wurde für kurze Augenblicke zu einem Zufluchtsort für den bedrängten Apostel.

Auch wir haben in dieser Welt keinen leichten Weg zu erwarten. Doch dürfen wir allezeit wissen, dass die Macht Gottes ausreicht, die schwersten Prüfungen des Glaubens in Sieg und Freude zu verwandeln. Wie oft schon mag sich mancher in Not und Sorge auf seinem Bett hin- und her gewälzt haben. Doch hat er in solchen Trübsalsstunden gewiss lernen dürfen, dass die liebende Hand seines Vaters das Schwere gesandt hat, um ihm kostbare Belehrung zuteilwerden zu lassen, damit er die Grösse seiner Liebe und Gnade erkennen und Ihm für seine Güte danken lerne. Wenn Gott dieses bei uns erreichen kann, werden auch die dunkelsten Stunden mit Licht von oben erleuchtet und wir hören auf zu klagen und zu seufzen. Dann können wir etwas von der zukünftigen Ruhe beim Herrn im Kreis aller Erlösten empfinden und haben Trost in Schwierigkeiten, Leid und Schmerz. Möchten wir, gleich den Gläubigen zu Jerusalem, in wahrer Liebe und Verbundenheit Fürbitte füreinander einlegen, und möchte so jedes unserer Häuser eine Zufluchtsstätte für Schwergeprüfte und Trauernde sein!

Paulus

In Apostelgeschichte 16 finden wir Paulus, einen anderen Apostel im Gefängnis, genauso unschuldig gebunden wie Petrus. Er und Silas brachten das Evangelium nach Europa, aber Satan war bemüht, dies zu verhindern. Er wiegelte das Volk auf, und Paulus und sein Begleiter wurden gefangen genommen. Man riss ihnen die Kleider ab und versetzte ihnen mit Ruten so viele Schläge, bis sie aus zahlreichen Striemen bluteten. Dann warf sie ein grausamer Kerkermeister ins innerste Gefängnis und befestigte ihre Füsse in den Stock – eine weitere Folterung!

Aber Paulus und Silas schlafen nicht. Der Herr hat für sie etwas Grösseres vorgesehen: Sie beten und lobsingen. «die Gefangenen aber hörten ihnen zu» (Vers 25). Nicht nur vernehmen sie ungewollt Worte des Gebets und des Lobgesanges, sie hören auch aufmerksam auf das, was sie noch niemals in ihrem Leben vernommen hatten.

Hier sehen wir Paulus und seinen Gefährten mit der Herrlichkeit beschäftigt; jetzt schon und selbst in solchen Umständen sind sie von ihr erfüllt. Paulus hat sie zum ersten Mal auf dem Weg nach Damaskus gesehen, als ihn ein Licht umstrahlte, das den Glanz der Sonne übertraf, und er den verherrlichten Christus selbst erblickte. Das gleiche Licht umstrahlt sie jetzt um Mitternacht. Weder Drohungen noch Schläge und Folterungen vermögen dieses Licht auszulöschen, das ihr Herz über Dinge erleuchtet, die die Welt weder geben noch nehmen kann. Vor ihrer Seele stehen die himmlischen Örter, wo Christus ist, mit allen geistlichen Segnungen, die sie jetzt schon geniessen dürfen. Das ist es, was ihr Herz mit einer unaussprechlichen Glückseligkeit und Freude erfüllt, die selbst durch die Leiden der Jetztzeit und alle körperlichen Schmerzen nicht gedämpft werden können.

In dem uns durch Gottes gütiges Walten hinterlassenen schriftlichen Dienst der Apostel Petrus und Paulus tritt der Unterschied, der auch in ihrem Verhalten inmitten der Leiden zum Ausdruck kam, deutlich hervor. Petrus ist in seinen Briefen mit den Leiden der Jetztzeit und der zukünftigen Herrlichkeit beschäftigt. Paulus dagegen ist von der gegenwärtigen Herrlichkeit erfüllt, deren Erfahrung er besonders im Philipperbrief deutlich zum Ausdruck bringt. So konnte er sagen: «Das Leben ist für mich Christus und das Sterben Gewinn» (Phil 1,21). Er, der im Innern des Gefängnisses ihrer Stadt gebetet und Gott lobgesungen hatte, schrieb ihnen aus dem Gefängnis in Rom: «Freut euch im Herrn allezeit! Wiederum will ich sagen: Freut euch» (Phil 4,4).

Gott sendet ein Erdbeben, das die Grundfesten des Gefängnisses erschüttert. Der Kerkermeister fällt vor seinen Gefangenen nieder und ruft aus: «Ihr Herren, was muss ich tun, um errettet zu werden?» Er vernimmt die herrliche Antwort: «Glaube an den Herrn Jesus, und du wirst errettet werden, du und dein Haus.»

Welch herrliche Frucht für Gott und Menschen kam aus dem Gefängnis hervor, wo der Apostel der Nationen von der Person des verherrlichten Christus erfüllt war!

Möge der treue Herr uns schenken, gleich Petrus, in Prüfungen und Leiden stets die zukünftige Herrlichkeit, die den Leiden folgen wird, vor unseren Blicken zu haben! Aber lasst uns auch, gleich Paulus, den Herrn Jesus selbst anschauen, der jetzt schon, in allem Erdenleid, unsere Herzen mit seiner kostbaren, verherrlichten Person erfüllen will! Dann werden unsere Umstände, seien sie noch so trübe, Lob, Preis und Dank für Ihn bewirken. So werden sie auch zu einem klaren Zeugnis ausschlagen und kostbare Frucht für die Gegenwart und für die Ewigkeit hervorbringen.