«Kommt ihr selbst her an einen öden Ort für euch allein und ruht ein wenig aus» (Mk 6,31).
«Er ging hin auf den Berg, um zu beten» (Mk 6,46).
Die gegenwärtige Zeit ist eine Zeit der Belastung, der Anspannung, der beständigen Eile und Unruhe. Es wird immer schwieriger, ruhige Augenblicke zum Gebet und zur Andacht zu finden. Die Ablenkung und Zerstreuung, die sich uns heute bietet, wollen unseren Geist und unser Herz gefangen nehmen.
Dieser äussere Druck macht es mehr denn je nötig, den abgeschiedenen Ort aufzusuchen, wo wir Gemeinschaft mit Gott haben und innerlich erfrischt werden. In einer Welt, die voll von Angeboten ist, auf die unsere menschliche Natur anspricht, sehnen wir uns nach einem solchen Ort.
Das vollkommene Beispiel
Der Herr Jesus hat uns auf seinem Weg der Abhängigkeit von Gott und seines hingebungsvollen Dienstes in der Welt, in die Er gekommen ist, um Sünder zu suchen und zu erretten, auch in dieser Hinsicht ein vollkommenes Beispiel gegeben. Er war ständig im Dienst für Gott und begegnete unzähligen Bedürfnissen der Menschen. Dabei hatte sein Herz kein anderes Verlangen, als den Willen Gottes zu tun. Keine selbstsüchtigen Interessen erfüllten Ihn. Er suchte keine persönliche Zerstreuung, wie wir es so oft tun. Es war seine Speise, den Willen seines Vaters zu tun, der Ihn gesandt hatte, und sein Werk zu vollbringen (Joh 4,34). Aber bei all seinen Aktivitäten suchte Er immer wieder den Ort auf, wo Er mit Gott allein sein konnte.
Das Markus-Evangelium beschreibt uns besonders seinen Dienst als Knecht Gottes auf der Erde. Er ist gekommen, um uns in geduldiger Liebe zu dienen. Dabei war Er doch der Sohn Gottes, dessen persönliche Herrlichkeit in der Einführung dieses Evangeliums erwähnt wird: «Anfang des Evangeliums Jesu Christi, des Sohnes Gottes.»
Schon im ersten Kapitel wird uns gezeigt, wie Er lange vor Tagesanbruch hinausging, um einen einsamen Ort zum Gebet zu finden (Mk 1,35). Von welch moralischer Schönheit sind doch diese Stunden des Gebets nach einem Tag, der mit seinem vollkommenem Dienst ausgefüllt war. Wie hatte Er am Vortag zum Segen für die Menschen und zur Verherrlichung des Vaters gewirkt, der Ihn mit den Worten eingeführt hatte: «Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden» (Mk 1,11). Das Wohlgefallen des Vaters fand in Ihm seine vollkommene Befriedigung.
Jesus musste nie etwas bekennen, aber wie gern nahm Er im Gebet die Stellung der Abhängigkeit von seinem Gott ein. Er betete im Blick auf alles, was vor Ihm lag. Was für kostbare Augenblicke waren es für Ihn an diesem einsamen Ort! «Auf dem Weg wird er trinken aus dem Bach, darum wird er das Haupt erheben» (Ps 110,7). Wir wissen nicht, wie lange diese Zeit der Erfrischung in der Gemeinschaft mit dem Vater gedauert hat. Wir lesen nur, dass Er frühmorgens aufstand, «als es noch sehr dunkel war», um diese Zeit des Gebets zu haben. Mit dem Tagesanbruch wurde sein Dienst von neuem in Anspruch genommen, und Er war von Herzen bereit dazu.
Die Jünger eilten Ihm nach und fanden Ihn. Da sagte Er zu ihnen: «Lasst uns woandershin gehen in die nächsten Ortschaften, damit ich auch dort predige; denn dazu bin ich ausgegangen» (Mk 1,38). Wie reich ist seine Gnade! Da war keine Begrenzung für den Dienst, den Er ausübte. Kein Bedürfnis war zu gross, dass Er ihm nicht entsprochen hätte. Er nahm mit Freuden seinen Dienst wieder auf, nachdem Er in der Einsamkeit diese kostbaren Augenblicke der Gemeinschaft mit seinem Vater verbracht hatte.
Im weiteren Verlauf des Markus-Evangeliums wird uns diese moralische Herrlichkeit mit seinen eigenen uns vertrauten Worten vorgestellt: «Der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele» (Mk 10,45). Wer hätte Anspruch erheben können, bedient zu werden, wenn nicht gerade der Sohn des Menschen? Er war doch der Erstgeborene aller Schöpfung und stand höher als die Könige der Erde! Aber Er kam nicht, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und zu geben. In Liebe gürtete Er sich zum Dienst und gab sein Leben als Lösegeld. Sein Dienst, sein offenes Ohr, seine unveränderliche Liebe sind nun unaufhörlich für die da, die Er zu den Seinen gemacht hat.
Der liebevolle Aufruf
«Kommt ihr selbst her an einen öden Ort für euch allein», sagte Er zu den Jüngern an einem Tag, da es mehr Mühe und Enttäuschung gab, als wir uns vorstellen können (Mk 6,31): Johannes der Täufer war enthauptet worden. Das war ein Zeichen dafür, dass das Volk auch Christus verwerfen würde. Zudem gab es Schwierigkeiten im Dienst. Sie fanden nicht einmal Zeit, um zu essen. «Eins» jedoch war nötig. Zu diesem rief Er seine Jünger auf. «Kommt!», sagte Er. Dort, auf dem Weg zum öden Ort, waren sie um den Herrn versammelt, der allein den Bedürfnissen ihrer Herzen begegnen konnte. Er war auch bereit, auf die Bedürfnisse der Volksmenge einzugehen, die den vertrauten Umgang mit Ihm nicht kannten, zu dem Er die Seinen führen wollte.
Fünftausend wurden nach seiner Freigebigkeit gesättigt. Aber wie viel kostbarer war die Stellung der Zwölf, obwohl sie so träge waren, die Gnade seines Herzens zu verstehen, in der Er sie zu sich selbst berief! «Sie waren durch die Brote nicht verständig geworden, sondern ihr Herz war verhärtet» (Mk 6,52).
Er verliess sie noch einmal, um auf dem Berg einen einsamen Ort zum Gebet zu suchen. Sie aber gingen einer neuen Prüfung entgegen, in der Er wiederum seine liebevolle Fürsorge für sie offenbarte. Diese Prüfung war von Ihm angeordnet. Er nötigte sie, in das Schiff zu steigen (Mk 6,45), wohl wissend, dass der Wind ihnen entgegen sein würde. Sie aber «verstanden» es nicht. Geht es uns nicht auch so, wenn wir wie die Jünger auf die Schwierigkeiten des Weges schauen?
Lasst uns das Vorrecht des Gebetes hoch einschätzen! Der Herr ruft uns auf – wie einst die Jünger -, die Bürden unserer Herzen bei Ihm abzulegen. Wir können allein den einsamen Ort aufsuchen, um dem Ohr des Vaters das anzuvertrauen, was wir Ihm nur da sagen können. Es ist uns auch möglich, mit den Gläubigen zum Herrn hin versammelt zu sein, um Ihm dort unsere gemeinsamen Bedürfnisse und Schwierigkeiten zu sagen. Immer wird Er uns in seiner Liebe zu sich ziehen, damit sich unsere Herzen mit Ihm beschäftigen. Er will sie mit dem Frieden und der Freude erfüllen, die Er hier auf der Erde genossen hat.
Er war ein Fremder in einer feindlichen Welt und wurde sogar von seinen Jüngern oft falsch verstanden. Dennoch fand Er ständig seine Freude im Bewusstsein der Liebe und des Wohlgefallens seines Vaters. Seine Seele weilte immer an diesem verborgenen Ort. «Ich habe die Gebote meines Vaters gehalten und bleibe in seiner Liebe» (Joh 15,10). Das war sein Bekenntnis am Ende seines wunderbaren Weges. Nun gibt Er uns seinen Frieden und möchte, dass wir in seiner Liebe bleiben. «Dies habe ich zu euch geredet, damit meine Freude in euch sei und eure Freude völlig werde» (Joh 15,11).
Lasst uns den einsamen Ort nicht vernachlässigen, wo wir im Verborgenen zu unserem Vater beten können. Lasst uns auch das Zusammenkommen nicht versäumen, selbst wenn dies Anstrengung und Opfer an Zeit erfordert. Denken wir daran, wie der Herr frühmorgens aufstand und wie Er die Seinen um sich versammelte, um ihnen zu zeigen, wo sie die wahre Ruhe finden konnten! So will Er auch uns zu sich rufen, damit wir als Fremde in einer Welt, die Ihn verworfen hat, seine Gnade kennen lernen. Sie allein kann uns in der Gemeinschaft mit dem Vater, mit dem Sohn und miteinander erhalten.