Alle Tage und alle Morgen

Psalm 23,6; Psalm 27,4; Psalm 73,13-14; Jesaja 46,3-4; Klagelieder 3,22-23

Wir wissen wenig vom begonnenen neuen Jahr. Die Umstände und Ereignisse, die uns erwarten, sind vor uns verborgen.

Wer ohne Gott lebt, tritt in den neuen Zeitabschnitt ein als ein Mensch, der im Dunkeln tappt. Er hat nichts, worauf er sich stützen kann. Was ihn vor Verzagtheit schützt, ist nur die optimistische Voraussetzung, das Leben werde morgen ebenso freundlich sein, wie es gestern und heute war. Aber diese Annahme entbehrt jeder Grundlage. Sie ist trügerisch und hindert ihn daran, seine Zuversicht auf Gott zu setzen und bei Ihm Heil und Leben und Hilfe zu suchen.

Anders der Gläubige! Er trägt das Licht des Wortes Gottes bei sich und wandelt auf dem Pfad, der mit wunderbaren und sicheren Verheissungen Gottes belegt ist.

Wenn wir diese Verheissungen für unser Leben und unseren Weg hier auf der Erde überblicken, so fällt uns auf, dass viele von ihnen für «alle Tage» oder für «alle Morgen» oder für «heute» gegeben sind. Gott setzt nie voraus, dass wir schon heute die Last von morgen oder von einer Woche, oder gar von einem ganzen Jahr auf unsere schwachen Schultern nehmen. Er weiss nur zu gut, dass wir unter einer solchen Bürde den vor uns liegenden Wettlauf des Glaubens nicht mit Ausharren zu laufen vermöchten. Wir würden ermatten. Unser Herr ruft uns zu: «Seid nun nicht besorgt für den morgigen Tag, denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen. Jeder Tag hat an seinem Übel genug» (Mt 6,34).

Befolgen wir dieses Gebot des Herrn, und blicken wir heute zu Ihm empor, so sehen wir uns von allen Seiten von seinen Verheissungen umgeben, die für alle Tage, also für heute gelten. Unser Glaube darf sie heute ergreifen und erfahren.

Alle Tage Güte und Huld

Wer zur Herde des guten Hirten gehört, dem legt der Heilige Geist die Gewissheit ins Herz: «Güte und Huld werden mir folgen alle Tage meines Lebens» (Ps 23,6).

Wir machen leicht den Fehler, dass wir meinen, seine Güte und Huld, seine unvergleichliche Liebe würden uns nur solange folgen, als wir uns als liebenswürdig erweisen. O nein! Die Geschichte seiner Liebe begann, als wir noch verloren waren. Für Sünder, für Feinde Gottes hat Er sein Leben dargelegt. Und wenn wir Ihn jetzt, als die Seinen, noch so oft aus Mangel an Wachsamkeit betrüben, und Er sehen muss, wie sich unsere Herzen von Ihm weg der Welt zuwenden, so schmerzt Ihn dies tief. Aber seine Liebe kehrt sich nicht von uns ab. Wir bleiben Gegenstände seiner unveränderlichen Güte und Huld; sie werden uns folgen alle Tage, auch heute, auch in den jetzigen Augenblicken!

Welch selige Freude strömt in unser Herz hinein, wenn wir dieses Zeugnis des Wortes im Glauben erfassen!

Jeden Morgen Züchtigung

Einen weiteren Fehler begehen wir, wenn wir meinen, nur dann seien wir Gegenstände der Liebe Gottes, wenn Er uns durch freundliche Umstände führt. Wir klagen vielleicht mit Asaph: «Gewiss, vergebens habe ich mein Herz gereinigt und meine Hände in Unschuld gewaschen, da ich ja geplagt wurde den ganzen Tag und jeden Morgen meine Züchtigung da war» (Ps 73,13.14).

Ach, mein törichtes Herz, hast du wirklich noch nicht gemerkt, dass die Züchtigungen Beweise seiner Liebe sind? (Heb 12,6).

Es mag mich Mühe kosten, die christlichen Lebensziele und Grundsätze inmitten von Weltkindern zu verwirklichen, die nichts nach Gott fragen und dennoch in äusserer Wohlfahrt dahinleben. Aber die Züchtigungen des Vaters kommen mir, wenn es nötig ist, darin jeden Morgen zu Hilfe, entsprechend seiner göttlichen Weisheit und Einsicht. Ihr Wert besteht allerdings nicht in klingender Münze; sie helfen mir nicht, in der Welt die Ehrenleiter emporzuklimmen. Aber sie sind alles andere als «vergebens». Ihre Resultate sind kostbarer als Gold und Ansehen. Sie treiben mich an, sein Angesicht zu suchen und in die «Heiligtümer Gottes» hineinzugehen (Vers 17). Da sehe ich alles mit seinen Augen. Da schaue ich auch das schreckliche Ende jener, die nach «der Welt und was in der Welt ist» streben. Da werde ich wieder froh und dankbar, dass Gott mich bei der rechten Hand ergriffen hat, dass Er mich durch seinen Rat leiten will und schliesslich «nach der Herrlichkeit» aufnehmen wird. Da werden alle meine Zuneigungen wieder auf Gott und auf die Person Jesu Christi gelenkt, so dass ich mit voller, froher Überzeugung sagen kann: «Wen habe ich im Himmel? Und neben dir habe ich an nichts Lust auf der Erde» (Verse 23-25). Welch ein Gewinn!

Er trägt uns alle Tage

Für viele Kinder Gottes währen die Zeiten der Trübsal, der Leiden, der Trauer, ja sogar der Drangsal schon viele Monate oder gar Jahre. Und noch immer kann ihr Auge am Horizont keinen Streifen blauen Himmels entdecken. Die körperlichen Leiden, die Gebrechen und Schwächen des Alters, die einsame Trauer um den geliebten, heimgegangenen Lebensgefährten, der anhaltende harte Druck der Feinde des Christentums, dem viele Gläubige ausgesetzt sind, scheinen nie ein Ende zu nehmen.

Auch für solche Herzen hat das Wort Gottes heilenden Balsam, starken Trost und überströmende Erquickung in der Verheissung: Gott selbst trägt dich. Das Wort in Jesaja 46,3.4 gilt auch dir: Er hat dich von jeher «aufgeladen» und «getragen».

Nicht nur bis gestern. O nein, Er sagt: «Bis in euer Greisenalter bin ich derselbe, und bis zu eurem grauen Haar werde ich euch tragen; ich habe es getan, und ich werde heben, und ich werde tragen und erretten.» Menschen mögen dich vernachlässigen und vergessen. Er aber trägt dich «alle Tage» (Jes 63,9), mit allen deinen Bedürfnissen, Mängeln, Schwachheiten und Umständen. Er hat die Haare deines Hauptes alle gezählt (Mt 10,30). Er hat dich erforscht und erkannt; Er kennt dein Sitzen und dein Aufstehen; Er versteht deine Gedanken von fern. Er sichtet dein Wandeln und dein Liegen und ist vertraut mit allen deinen Wegen (Ps 139,1-3). Zeugt dies nicht von seiner tiefen göttlichen Liebe zu dir, von seinem nie erlahmenden Interesse an deiner Person? Und bedenke, seine ganze göttliche Weisheit und Allmacht steht Ihm zur Verfügung, um dir zu helfen, und Ihm ist kein Ding unmöglich (Jer 32,17.27; Lk 1,37 usw.). Alles, was seine heilige, unendliche Liebe für dich tun will, kann Er ausführen; für Ihn gibt es keine Schwierigkeiten und Hindernisse.

Ja, «Gottes Erbarmungen sind nicht zu Ende; sie sind alle Morgen neu, deine Treue ist gross» (Klgl 3,22.23).

Ganz ähnlich redet das Wort von unserem Herrn Jesus. Er ist der gute Hirte, der das verlorene und gefundene Schaf mit Freuden auf seine Schulter legt und es nach Hause trägt (Lk 15,5.6). Er liebt die Seinen, die in der Welt sind, bis ans Ende ihres Pilgerlaufes hier auf der Erde (Joh 13,1). Er «ist derselbe, gestern und heute und in Ewigkeit» (Heb 13,8).

Alle Tage bei Ihm wohnen

Im Rückblick auf die vergangenen Zeiten haben wir wohl Ursache, uns zu fragen: Weshalb erwiesen sich alle diese kostbaren Verheissungen, hinter denen doch die göttliche Wirklichkeit steht, in meinem Leben oft als so unwirksam?

Nicht deshalb, weil ich es zu wenig erbitte und danach trachte, «zu wohnen im Haus des HERRN alle Tage meines Lebens, um anzuschauen die Lieblichkeit des HERRN und nach ihm zu forschen in seinem Tempel»? (Ps 27,4). Nicht deshalb, weil meine Seele noch zu wenig gelernt hat, jeden Tag, vom Morgen bis zum Abend in schlichtem Glauben in Gott zu ruhen und nur auf Ihn zu vertrauen? (Ps 62,2.6). Ich vertraute zu oft auf mich selbst, auf Menschen, auf Dinge! Mein Herz wird zu oft vom Sichtbaren abgelenkt, das uns, wie die Luft, von allen Seiten umgibt.

«Der Gerechte wird aus Glauben leben», das soll das Kennzeichen derer sein, denen der Herr zugerufen hat: «Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters» (Mt 28,20).

Wir brauchen keineswegs damit zu rechnen, dass wir alle 365 Tage dieses Jahres noch auf dieser Erde zubringen werden. Plötzlich wird «der Morgen ohne Wolken» anbrechen, an dem wir für immer in das Vaterhaus versetzt werden. Dort werden wir für immer bei unserem Herrn sein. Dort gibt es keine Tage, keine Nächte, keinen Winterfrost, keine Trübsale und Tränen mehr, sondern nur noch eine Ewigkeit vollkommener Glückseligkeit.