Jeder aber prüfe sich selbst, und so esse er von dem Brot und trinke von dem Kelch (1. Korinther 11,28).
Was will uns der Herr mit dieser Anweisung sagen? Bedeutet sie, dass wir uns selbst prüfen müssen, um zu wissen, ob wir würdig sind, am Mahl des Herrn teilzunehmen oder nicht? Wenn dies der Sinn wäre, wer könnte dann von sich behaupten: Ich bin würdig?
Wie für alle Belehrungen des Wortes Gottes ist es auch hier wichtig, die Aussage nicht für sich allein zu nehmen, sondern sie im Zusammenhang zu betrachten.
Einsicht und Buße
Als Gläubige sollen wir uns im täglichen Leben immer wieder prüfen, damit wir unsere Vergehungen erkennen. Öfter unterlassen wir jedoch gerade diesen Punkt und beurteilen unser Verhalten nicht im Licht des Wortes Gottes. Die Bibel zeigt uns – wie ein Spiegel – was wir sind (Jak 1,23.24). Doch wir neigen dazu, unser Fehlverhalten durchgehen zu lassen, anstatt zur Einsicht zu kommen, dass es vor Gott wirkliche Sünden sind.
David hingegen bat: «Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne meine Gedanken! Und sieh, ob ein Weg der Mühsal bei mir ist, und leite mich auf ewigem Weg!» (Ps 139,23.24). Paulus konnte sagen: «Ich bin mir selbst nichts bewusst, aber dadurch bin ich nicht gerechtfertigt. Der mich aber beurteilt, ist der Herr» (1. Kor 4,4). Es geht nicht darum, dass wir den ganzen Tag lang darüber grübeln, ob wir etwas verkehrt gemacht haben. Viel besser ist es, täglich einen Augenblick stillzustehen, um im Licht Gottes festzustellen, wo wir gerade stehen. Das hilft uns, in unserer Lebensführung das zu erkennen, was nicht zur Ehre Gottes ist, was nicht die Liebe zum Herrn, zu den Gläubigen und zu den Mitmenschen zum Ausdruck bringt.
«Wenn jemand gesündigt hat – wir haben einen Sachwalter bei dem Vater, Jesus Christus, den Gerechten» (1. Joh 2,1). Der Herr Jesus setzt sich immer zu unseren Gunsten ein. Er möchte uns die Sünden, die wir begangen haben, bewusst machen. Seine Gegenwart beim Vater auf der Grundlage der vollbrachten Sühnung am Kreuz von Golgatha ermöglicht es Gott, «den zu rechtfertigen, der des Glaubens an Jesus ist» (Röm 3,26). «Ich aber habe für dich gebetet» (Lk 22,32), sagte der Herr Jesus einst zu Petrus, noch bevor dieser Jünger Ihn verleugnet hatte. Kaum hatte er die Tat begangen, da blickte Jesus ihn an mit dem Resultat, dass Petrus hinausging und bitterlich weinte. Nach der Auferstehung begegnete Er ihm allein und hatte ein Gespräch unter vier Augen. So erkannte Petrus seinen Fall, aber auch die Gnade, die seine vollständige Wiederherstellung möglich machte.
Wenn uns bewusst wird, dass wir eine Sünde begangen haben, müssen wir unsere Gedanken über diese Sache zwingend ändern. Bis dahin haben wir vielleicht gedacht, es sei alles nicht so schlimm. Möglicherweise haben wir sogar versucht, uns zu rechtfertigen, indem wir behauptet haben, es sei richtig gewesen, zornig zu werden oder sich an jenen Ort zu begeben. Wenn wir uns jedoch im Licht des Wortes Gottes prüfen, haben wir plötzlich ein ganz anderes Empfinden für die begangene Tat. Das ist Buße! Zuvor haben wir vielleicht das Unrecht entschuldigt oder es sogar nach unserer falschen Einschätzung als gute Tat eingestuft. Im göttlichen Licht erkennen wir jedoch, was es wirklich ist: eine Sünde vor Gott!
Bekenntnis und Reinigung
Was ist zu tun, wenn uns bewusst wird, dass wir eine Sünde begangen haben? 4. Mose 19 enthält eine wichtige praktische Belehrung zu diesem Thema. Wer im Volk Israel mit dem Tod – dem Lohn der Sünde (Röm 6,23) – in Berührung kam, wurde verunreinigt. Wenn er auch nur die Gebeine eines auf dem Feld Gestorbenen berührte, war er unrein und musste zweimal gereinigt werden: am dritten Tag und am siebten Tag. So werden auch wir durch Sünden beschmutzt und müssen gereinigt werden. Wie geschieht das?
Das lebendige Wort Gottes spricht unser Gewissen an und erinnert uns an den Opfertod des Herrn Jesus – dargestellt im Opfer der roten jungen Kuh. Dadurch erkennen wir, dass der Heiland auch für diese Sünde, die wir begangen haben, leiden und sterben musste. Das führt zur Reinigung. Es bleibt immer wahr: «Das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde» (1. Joh 1,7). Doch die praktische Reinigung erfordert das Bekenntnis des begangenen Unrechts: «Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit» (1. Joh 1,9). Ein vages und allgemeines Bekenntnis genügt nicht, indem wir zum Beispiel nur zugeben, dass wir einen schlechten Charakter haben. Es geht darum, dieses oder jenes Unrecht, das wir getan haben, namentlich zu nennen und zu bekennen.
Vor wem muss dieses Bekenntnis abgelegt werden? 1. Johannes 1,9 bezieht sich auf Gott, auch wenn es nicht ausdrücklich erwähnt wird. Wir verstehen gut, dass wir unsere Sünden immer und zuerst Gott bekennen müssen. Das hatte schon David erkannt. So betete er: «Gegen dich, gegen dich allein habe ich gesündigt, und ich habe getan, was böse ist in deinen Augen» (Ps 51,6). Wenn wir uns Menschen gegenüber schuldig gemacht haben, sollen wir auch ihnen das begangene Unrecht bekennen und so weit wie möglich den entstandenen Schaden wiedergutmachen (3. Mo 5,16.23.24).
In Jakobus 5,16 lesen wir von einem gegenseitigen Bekenntnis begangener Sünden: «Bekennt nun einander die Sünden», damit wir füreinander beten können. Der Abschnitt bezieht sich vor allem auf den Fall einer Krankheit. Doch der Anwendungsbereich ist breiter. Was für eine Hilfe kann doch das gegenseitige Bekenntnis unserer Sünden sein – z.B. zwischen zwei Freunden oder Weggefährten, wo gegenseitiges Vertrauen vorhanden ist und Verschwiegenheit gewährleistet wird! Solch ein treuer Freund ist übrigens auch in der Lage, seinem Mitgläubigen zu helfen, eine begangene Sünde einzusehen (3. Mo 4,22.23,27.28).
Sünden meiden und die Ursache suchen
«Wer seine Übertretungen verbirgt, wird kein Gelingen haben; wer sie aber bekennt und lässt, wird Barmherzigkeit erlangen» (Spr 28,13). Was für ein Widerspruch wäre es, wenn wir immer wieder in die gleiche Sünde fallen und sie bekennen würden, ohne beim Herrn die Kraft zu suchen, um ein erneutes Straucheln zu vermeiden. «Jetzt aber legt auch ihr das alles ab: Zorn, Wut, Bosheit, Lästerung, schändliches Reden aus eurem Mund» (Kol 3,8). «Wenn ihr nach dem Fleisch lebt, so werdet ihr sterben; wenn ihr aber durch den Geist die Handlungen des Leibes tötet, so werdet ihr leben» (Röm 8,13). Unsere Buße und unser Bekenntnis sollen durch ein entsprechendes Verhalten unter Beweis gestellt werden, indem wir mit der Hilfe des Herrn weitere Fehltritte zu vermeiden suchen.
Doch es geht noch weiter. Der tiefere Sinn von 1. Korinther 11,28 bringt uns zum eigentlichen Selbstgericht. Gemäss dem Wort Gottes genügt es nicht, demütig seine Sünden einzugestehen und sich dabei auf den Wert des Opfers Jesu Christi zu stützen, das allein Sünden wegtun kann. Es ist auch nötig, dass wir vor Gott die Ursache dafür suchen. Was ist der eigentliche Grund, wenn ich z.B. gewohnheitsmässig schlecht über andere rede oder mich oft über sie ärgere? Ist es nicht der geheime Wunsch, sie vor den anderen herabzusetzen? Finde ich mich selbst so wichtig, dass ich schlecht über andere rede? Oder liegt der Grund darin, dass ich dem Herrn Jesus in meinem Leben und in meinem Herzen nicht den Platz einräume, der Ihm gebührt? All das ist gemeint, wenn es heisst: «Jeder prüfe sich selbst.»
Am Mahl des Herrn teilnehmen
Der Herr Jesus will nicht, dass wir sein Mahl leichtfertig einnehmen. Es ist wichtig, die eigenen Sünden einzusehen, über sie Buße zu tun und sie zu bekennen. Wir sollen auch – so weit möglich – den entstandenen Schaden wiedergutmachen und vor Gott über die Ursache des Fehltritts nachdenken. Vor allem gilt es, sich an das Opfer des Herrn Jesus zu erinnern, das auch diese Sünde vor dem heiligen Gott ausgetilgt hat. Dazu braucht es Zeit und die notwendige Herzens- und Gewissensübung.
Was wird die Folge davon sein? Bestimmt nicht, dass ich mich für würdig halte, am Mahl des Herrn teilzunehmen! Vielmehr geziemt es sich, im tiefen Bewusstsein seiner Gnade und der Vollgültigkeit seines vollkommenen Opfers dem sehnlichen Wunsch des Herrn Jesus nachzukommen und beim Brotbrechen an seinen Tod am Kreuz zu denken. Darum sagt der Apostel: «So esse er …» Das Wort «so» schliesst mit ein, dass wir uns selbst geprüft und gerichtet haben und dass wir von der Gnade durchdrungen sind. Sie allein macht es uns möglich, am Mahl des Herrn teilzunehmen. Wir tun es mit dankbarem und anbetendem Herzen, ohne «ein Gewissen von Sünden» zu haben, weil der Erlöser alles gutgemacht hat.
Der Herr kann uns eine klare Sicht vom göttlichen Wert seines Leibes und seines Blutes geben. Er hat sich selbst für uns hingegeben. Das Gericht Gottes hat Ihn getroffen, damit es für uns jetzt keine Verdammnis mehr gibt (Röm 8,1). Der Weg ins himmlische Heiligtum ist immer offen. Lasst uns dem Wunsch des Herrn Jesus entsprechen und an seinem Mahl teilnehmen. Lasst es uns Sonntag für Sonntag im tiefen Bewusstsein seiner Liebe und Gnade tun, nachdem wir Selbstgericht geübt haben!