Vers 1
Der Psalm beginnt mit einem erhabenen Wort an Gott, den Herrn, als dem Wohnort seines Volkes. Mose, der Mann Gottes, schaut zurück auf die Geschlechter des Volkes Gottes. Es ist, als ob er Abraham, Isaak und Jakob als Pilger und Fremdlinge ohne einen festen Wohnsitz sähe. Er erinnert sich auch an die Jahre der Wüstenwanderung, während denen Israel ohne ein Zuhause und ohne eigenes Land war. Damals war das Volk vielen Bedrohungen und Gefahren ausgesetzt. Und durch die Zeit all dieser Generationen hindurch sieht er, dass der Herr die Wohnung und der Zufluchtsort der Seinen gewesen ist.
Der Mann Gottes stützt sich auf die gesegnete Tatsache, dass Gott die Hilfsquelle der Seinen ist. Im Licht dieser Wahrheit kann er der Schwachheit und dem Versagen des Volkes Gottes begegnen. Auf diese Tatsache gründen sich auch alle seine weiteren Äusserungen.
Verse 2-6
Nachdem der Psalmist den Grund für sein vertrauensvolles Anrufen Gottes genannt hat, zeigt er den Gegensatz zwischen dem ewigen Gott und dem sterblichen Menschen auf. Gott ist der Unveränderliche und bleibt derselbe. Das war Er schon bevor die Welt war, wie sie jetzt ist. Die Schöpfung mag vergehen, Gott aber bleibt. Er, der unsere Hilfsquelle ist, ist ewig und unveränderlich. «Von Ewigkeit zu Ewigkeit bist du Gott.»
Im Gegensatz zu Gott sieht der Psalmist die Sterblichkeit des Menschen und die Flüchtigkeit der Zeit. Gott ist unsterblich, aber der Mensch stirbt und kehrt zum Staub zurück. In den Augen Gottes gibt es keine Zeit, wie wir sie kennen. Tausend Jahre sind in seinen Augen so schnell vergangen wie der gestrige Tag oder wie eine Nachtwache.
Im Weiteren wurde eine Welt, die für immer Bestand zu haben schien, von der Sintflut hinweggerafft. Alle, die hinweggeschwemmt wurden, gleichen einem schlafenden Menschen: Sie merken gar nicht, was auf der Erde alles passiert. Trotz all ihrer beeindruckenden Vorstellung von Herrlichkeit und Macht, vergeht der Mensch wie Gras, das aufsprosst und blüht, doch nur für einen Tag. «Am Abend wird es abgemäht und verdorrt.» – Joseph war zu seiner Zeit Herrscher über das ganze Land Ägypten. Doch als Letztes lesen wir von ihm: «Man legte ihn in eine Lade in Ägypten» (1. Mo 50,26). Alle Herrlichkeit des Menschen endet im Staub des Grabes und in der Finsternis des Todes. So sieht das Bild des schwachen und gefallenen Menschen aus, denn der Mann Gottes spricht hier vom natürlichen, nicht vom geistlichen, vom ersten, nicht vom zweiten, vom irdischen, nicht vom himmlischen Menschen.
Verse 7-10
Der Glaube blickt jedoch über die sich ändernden Umstände der Zeit hinaus und sieht in allem die Regierungswege Gottes mit seinem Volk gemäss seinem Vorsatz. Daher finden wir hier das Bekenntnis der offenen und verborgenen Sünden. Gott kennt sie alle. Der Psalmist ist sich auch bewusst, dass Sünden gerechterweise das regierungsmässige Handeln Gottes nach sich ziehen. Er sagt: Wenn wir vergehen und unsere Tage schwinden, dann ist dies der rechtmässige Lohn für unsere Taten. Durch unser Selbstgericht rechtfertigen wir daher Gott in seinem Handeln mit uns. Vielleicht sind wir gesund und stark, so dass unser Lebensalter über das normale Mass von 70 Jahren hinausgeht. Doch wenn dem so ist, so bringen die Jahre und die Kraft, auf die wir stolz sind, doch nur Mühsal und Nichtigkeit.
Verse 11.12
Die Anerkennung des Zorns Gottes über die Sünde wird dem Mass unserer Gottesfurcht entsprechen. Diese Furcht ist die Folge der Erkenntnis und Einsicht dessen, was Gott in Wahrheit ist. Je mehr wir den heiligen Charakter Gottes erfassen, desto tiefer werden wir empfinden, wie Er Sünde hasst. Einer der gekreuzigten Übeltäter sagte zum anderen: «Auch du fürchtest Gott nicht?» Und indem er merkte, wer Gott ist, realisierte er auch den heiligen Zorn Gottes über die Sünde. Daher fügte er sofort hinzu: «Wir empfangen, was unsere Taten wert sind» (Lk 23,40.41). So wünscht der Mann Gottes, «dass wir ein weises Herz erlangen», denn ein solches fürchtet Gott. Der Anfang der Weisheit ist die Furcht Gottes.
Vers 13
Die Furcht Gottes und das Bekenntnis der Sünde führt zum Vertrauen in Gott. Darauf bittet der Mann Gottes den Herrn um seinen Segen. Ganz ähnlich konnte der gehängte Übeltäter mit Gottesfurcht im Herzen und einem Bekenntnis seiner Sünden auf den Lippen sich plötzlich im Vertrauen an den Herrn wenden und bitten: «Gedenke meiner, Herr.» Im gleichen Geist kann der Psalmist sagen: «Kehre wieder, HERR! – Bis wann? – Und lass es dich über deine Knechte gereuen!»
Der Glaube anerkennt, dass es Gottes Vorsatz ist, sein Volk zu segnen. Deshalb weiss er, dass es in den Regierungswegen Gottes ein Ende der Zeit der Betrübnis und der Not geben muss. Er fragt daher: «Bis wann?» Das ist die Sprache des Glaubens und der Hoffnung – des Glaubens an den Vorsatz Gottes, zu segnen, und der Hoffnung, die sich bis zur zukünftigen Segnung ausstreckt.
Verse 14.15
Der immer kühner werdende Glaube kann sagen: «Sättige uns früh mit deiner Güte.» Der Glaube schaut auf Gott, nicht auf Menschen, die versagen, oder auf sich ändernde Umstände. Von Ihm erwartet er bleibende Befriedigung. Trotzdem weiss der Glaube, dass dies einem schuldigen Sünder nur aufgrund der Gnade zuteilwerden kann. Darum sagt er: «Sättige uns früh mit deiner Güte.» Das herrliche Ende ist: «So werden wir jubeln und uns freuen in allen unseren Tagen.» Der Psalmist bittet: «Erfreue uns nach den Tagen, da du uns gebeugt hast, nach den Jahren, da wir Böses gesehen!»
Vers 16
Wenn Gott jedoch in Gnaden handelt, dann muss dies aufgrund seines eigenen Tuns geschehen. Daher das Gebet: «Lass deinen Knechten dein Tun erscheinen und deine Majestät ihren Söhnen.» Die Wirksamkeit seines Tuns beruht auf der Majestät seiner Person. Die Majestät seiner Person zu missachten, bedeutet, die Wirksamkeit seines Tuns herabzuwürdigen.
Vers 17
Im Weiteren übersteigt der durch Gottes Tun gesicherte Segen unsere Bedürfnisse bei weitem. Ebenso ist es mit der Art und Weise, wie wir aus unserer Not befreit werden. Das Ende wird sein, dass die Huld oder Lieblichkeit des Herrn auf oder über uns ist, oder wie wir es als Christen sagen können: «dem Bild seines Sohnes gleichförmig» geworden. Dann, wenn der Segen durch Gnade gesichert ist, werden wir erfahren, dass das Werk unserer Hände befestigt werden wird. Die Werke der Selbstgerechtigkeit werden vergehen, aber die Werke, die aus der Gnade heraus entstehen, werden befestigt werden. Kein Becher kalten Wassers, der um Christi willen gereicht wurde, wird vergessen sein.