Ohne Zweifel kann ein Gläubiger seinen Weg in der Welt auch so gehen, dass er kaum an etwas anderes als an sein materielles Wohlergehen denkt und sich, wenn eine Entscheidung zu treffen ist, wenig fragt, ob der Weg, den er einschlagen will, gottgemäss ist, und den Ermahnungen, die ihm gegeben werden mögen, keinerlei Beachtung schenkt. Gott mag den Dingen für eine Zeit den Lauf lassen, hin und wieder sogar bis zum Ende der Bahn … Wer so dahingelebt hat, konnte vielleicht viele Güter anhäufen und äusserlich ein leichtes Dasein haben. Er hat aber trotzdem sein Leben verloren, ein Leben, das uns Gott gegeben hat, um Ihn hier auf der Erde dadurch zu verherrlichen, dass wir Zeugen, Diener und Anbeter sind. Meist aber tritt in solchen Fällen Gott dazwischen, indem Er einen Gläubigen, der die Interessen und die Ehre des Herrn so wenig vor Augen hat, zu seinem grossen geistlichen Segen zum Stillstehen bringt. Die Prüfungen, die Gott auferlegt, sind manchmal sehr schmerzlich, doch lohnt es sich, sie zu durchschreiten, wenn sie die Frucht hervorbringen, um derentwillen Gott sie zulässt.
Aber ich richte mich jetzt vor allem an Gläubige, die dem Herrn treu sein und auf einem Weg wandeln möchten, auf dem sie seine Zustimmung und seinen Segen haben. Ist dieser Wunsch im Herzen, gilt es in allen Umständen des praktischen Lebens damit in Übereinstimmung zu bleiben. Da begegnen wir oft ernsten Schwierigkeiten. Wer von uns hätte sie noch nie erfahren?
Wir wollen hier nicht näher auf den ganz besonderen Fall eintreten, wo wir zu zögern scheinen, aber doch schon eine Entscheidung getroffen haben, auf die wir keinesfalls zurückkommen wollen. Wir sind dabei entschlossen, dem eigenen Willen zu folgen, was uns im Grund voll bewusst ist, aber wir wollen versuchen, unsere Wahl in den Augen unserer Umgebung zu rechtfertigen, ja vielleicht sogar in unseren eigenen Augen. Wir finden dann manche Gründe, die beweisen sollen, dass wir die rechte Richtung eingeschlagen haben, während wir uns doch schon auf einen Weg des Eigenwillens festgelegt haben.
Nicht damit möchten wir uns jetzt beschäftigen, sondern vor allem den Fall eines Gläubigen betrachten, der wirklich wünscht, nichts als den Willen Gottes zu tun, aber nicht klar erkennt, welche Richtung einzuschlagen ist. Da ist es zweifellos angezeigt, den zu bitten, der allein uns zuvor erleuchten und nachher leiten kann. Solche Gebete bleiben oft lange Zeit ohne Antwort, und der, der in der Ungewissheit bleibt, ist darüber beunruhigt. Antwortet Gott nicht sogleich, so zweifellos deshalb, weil wir etwas zu lernen haben, zum Beispiel diese wichtige Lektion: Beim Zurückblicken müssen wir erkennen, dass wir nicht nahe genug beim Herrn gelebt haben. Hätten wir seine Gegenwart besser verwirklicht, seine Gemeinschaft besser genossen, hätten wir seine Gedanken betreffs unserer Umstände erkannt, und der Weg wäre klar vor uns gelegen. Wäre unser «Auge einfältig» gewesen, das heisst, hätte uns nur ein Gegenstand, Christus, beschäftigt, so wäre unser «ganzer Leib licht» gewesen, wir hätten gesehen, was getan und was nicht getan werden sollte. Dieses sich von Ihm Distanzieren erkennen und als Verfehlung vor Ihm bekennen, wird uns dazu führen, die Nähe dessen wiederzufinden, der sehen möchte, dass wir nahe bei Ihm, von Ihm und für Ihn leben. Welch wertvolles Ergebnis, hervorgebracht durch eine Zeit des Wartens und der Übung! Ist dies nicht eine wirkliche geistliche Bereicherung, die die Seele nicht hätte schmecken können, wenn die Antwort auf unsere Gebete so unverzüglich gekommen wäre, wie wir es sehnlich gewünscht hatten? Allgemein möchten wir, dass der Herr uns gleich sofort sagt: da ist der Weg oder dort, und wir vergessen, dass wenn Er uns führen will, Er uns auch belehren und bilden und uns nahe bei seinem Herzen haben will. «Ich will dich unterweisen und dich den Weg lehren, den du wandeln sollst; mein Auge auf dich richtend, will ich dir raten» (Ps 32,8). Um die Bewegungen seiner Augen zu sehen, muss man Ihm nahe sein, und um deren Bedeutung zu erkennen, ist eine innige Gemeinschaft mit Ihm nötig.
Möge diese Zeit des Wartens, der Verlegenheit, der Angst vielleicht, auch eine Zeit des Gebets, der geheimen Übungen mit dem Herrn sein. Dann ist sie nützlich und das Ausharren wird dann ein vollkommenes Werk haben (vgl. Jak 1,4). Der uns am Ende wohltun will, wird uns den Weg lehren, auf dem Er uns wandeln sehen will. Wir können dann ohne Furcht, Ihm vertrauend und von Ihm abhängig vorangehen.
Wie oft geschieht es doch, dass es uns an Geduld fehlt! Wir haben das Warten, die Ungewissheit nicht gern, wir lassen uns leicht beeinflussen von dem, was unseren natürlichen Herzen gefällt, und wir entscheiden uns dann, ein wenig hastig, für einen Weg, der uns der Pfad des Herrn zu sein scheint, ohne dass wir im Grund die tiefe Überzeugung haben, dass es wirklich so ist. Es scheint uns, dass das verfolgte Ziel gottgemäss sei, aber täuschen wir uns nicht? – Wenn dann in einem solchen Fall Schwierigkeiten auftreten, können wir uns mit gutem Recht fragen, ob wir nicht vom rechten Weg abgekommen sind und ob sie Gott nicht zulässt, um uns aufzuhalten, solange es noch Zeit ist. Im Gebet, im Suchen der Gegenwart des Herrn und der Gemeinschaft mit seinen Gedanken können wir erleuchtet werden. Diese Übung sollte umso ernster und tiefer sein, wenn wir uns in etwas eingelassen haben, bevor die Dinge genügend reif waren. Gott wird zu zeigen wissen, ob die Schwierigkeiten von Ihm gesandt sind, damit wir zurücktreten, oder aber um unseren Glauben zu prüfen und uns unterwegs zu lehren, was besser vor dem Weggehen hätte gelernt werden sollen.
Es können aber auch Hindernisse auf einen Weg gelegt werden, auf den wir mit dem völligen Vertrauen getreten sind, dass es der Weg des Herrn und dass der verfolgte Zweck nach seinen Gedanken sei. Kinder Gottes mit zartem Gewissen werden in solchen Fällen gewöhnlich dazu geführt, sich zu sagen: Wir haben zu wenig gebetet, um den Weg zu erkennen, wir haben gehandelt, ohne uns vor der Neigung unserer eigenen Herzen in Acht zu nehmen, und nun hält der Herr uns auf! Doch dürfen wir nicht vergessen, dass wir durch eine Welt ziehen, wo wir die Anläufe eines Widersachers erfahren müssen, der entschlossen ist, uns am Erreichen des Ziels zu hindern. Er ist gegen die Gläubigen nie so aktiv wie dann, wenn er sie in einem guten Zustand und auf einem guten Weg vorangehen sieht. Er weiss die Hindernisse zu vermehren, um zu versuchen, in unseren Seelen Entmutigung und Rückzug hervorzurufen, oder auch um uns auf einen Irrweg abzudrängen. Eine vorübergehende Schwäche in der geistlichen Erkenntnis kann uns etwas als göttliche Weisung erscheinen lassen, was doch nichts anderes ist als die Arbeit des Feindes, der uns hindern will, den richtigen Weg fortzusetzen. Wenn Gott erlaubt, dass solche Hindernisse auf unseren Weg gesetzt werden, so ist es, um unseren Glauben zu erproben und zu festigen. Der unerschütterliche Glaube rechnet mit Gott und mit Gott allein, wenn er den rechten Weg erkannt hat, lässt er sich nicht durch Hindernisse entmutigen, er findet darin im Gegenteil neue Gelegenheiten, die Macht und die Hilfe Gottes zu erfahren, auf den er sein Vertrauen gesetzt hat. Er geht ohne Furcht voran, mit der aktiven Energie, die zum Ziel zieht, indem er sich auf den stützt, der grösser ist als alles. Auf einem solchen Weg ist Zweifeln und Fürchten und sich durch Schwierigkeiten aufhalten lassen Mangel an Vertrauen in Gott, Mangel an Glauben. Wenn das in Aussicht genommene Ziel und die angewandten Mittel nach Gott sind, wer wird dann versuchen, das Werk zu stören und die Diener zu entmutigen, wenn nicht der Widersacher? Lasst uns dies nicht vergessen, und blicken wir auf den, der immer der Erwartung des Glaubens entspricht.
Ist es nicht auch eine List des Feindes, dass er, wenn wir uns für den richtigen Weg entschieden haben, zu uns kommt, um uns zu sagen: Du musst still bleiben und auf den Herrn warten, dass Er handelt? Still bleiben und warten ist richtig, solange wir den einzuschlagenden Weg noch nicht erkannt haben. Sobald wir ihn aber erkennen, sobald wir über das zu erreichende Ziel im Klaren sind, wäre es nichts anderes als sträfliche Trägheit, untätig zu bleiben. Gewiss, Gott ist nicht auf Werkzeuge angewiesen, um das Ziel zu erreichen, das Er sich vorgenommen hat, aber Er will in seiner Gnade sich solcher Instrumente bedienen, wie wir sind, um sein Werk hinauszuführen. «Alle Dinge dienen dir» (Ps 119,91)
Möchte uns doch eine heilige Energie beleben und möge uns Gott selbst Weisheit und die nötigen Kräfte geben, um die Schwierigkeiten zu überwinden, die der Feind auf unsere Wege legt, weil er sich immer dem widersetzt, was Gott für die Seinen und durch die Seinen wirken will!