Wächter, wie weit ist's in der Nacht?

Jesaja 21,11-12

«Aus Seir ruft man mir zu: Wächter, wie weit ist es in der Nacht? Wächter, wie weit in der Nacht? Der Wächter spricht: Der Morgen kommt, und auch die Nacht. Wollt ihr fragen, so fragt! Kehrt wieder, kommt her» (Jesaja 21,11.12)

Welche Gnade und Güte Gottes, dass wir das «prophetische Wort» besitzen dürfen, das – wie der Apostel Petrus sich ausdrückt – eine Lampe ist, die an einem dunklen Ort leuchtet!

In der angeführten Stelle aus Jesaja vernehmen wir, was der Wächter spricht. Seine Worte sind prophetisch. In den Tagen Jesajas gab es Weissagungen, die teilweise heute noch nicht erfüllt sind.

Die zweimal wiederholte Frage: «Wächter, wie weit ist es in der Nacht?» weist uns darauf hin, dass in doppeltem Sinn, für Israel und die Welt, eine Nacht entstanden ist. Höre, was er sagt: «Der Morgen kommt, und auch die Nacht

Dieser «Morgen» sollte beim Kommen des Messias, des Königs Israels anbrechen. Christus «war das wahrhaftige Licht, das, in die Welt kommend, jeden Menschen erleuchtet» (Joh 1,9). Und beim sichtbaren Auftreten des Messias in der Mitte Israels wurde das andere Wort Jesajas erfüllt: «Land Sebulon und Land Naphtali, gegen den See hin, jenseits des Jordan, Galiläa der Nationen: Das Volk, das in Finsternis sitzt, hat ein großes Licht gesehen, und denen, die im Land und im Schatten des Todes sitzen – Licht ist ihnen aufgegangen» (Mt 4,15.16). Ja, das Kommen des Christus auf diese Erde brachte Licht herein. Aber es machte auch die sittliche Finsternis offenbar, in der Israel und auch die Welt sich befanden. Johannes bezeugte es: «Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst» (Joh 1,5). Welch eine dichte Finsternis!

Alle, die nicht an den Sohn Gottes glauben, gehören zu der Welt und befinden sich in dieser Finsternis. Für jeden, der Christus verwirft, ist es Nacht. Schon vor neunzehnhundert Jahren war es so, als man sich nicht scheute, den Herrn Jesus zu greifen und gefangen zu nehmen. In jenem Augenblick sagte der Herr zu ihnen: «Als ich täglich bei euch im Tempel war, habt ihr die Hände nicht gegen mich ausgestreckt; aber dies ist eure Stunde und die Gewalt der Finsternis» (Lk 22,53). Die lange Nacht, die bei der Verwerfung Christi anbrach, dauert immer noch an und wird fort und fort finsterer. Die Welt wird mehr und mehr reif für das Gericht. Die Völker der Erde stehen, Gewehr bei Fuss, einander gegenüber; und wenn irgendwo ein Krieg ausbricht, weiss man nicht, ob er sich zu einem Weltenbrand ausweitet. Die Throne wanken, Ungerechtigkeit und Gottlosigkeit nehmen in erschreckender Weise zu, und alles sieht dunkel und düster aus. Wahrhaftig, die Welt ist in der Nacht.

Da stellt sich nun für jeden die Frage: «Wo stehe ich?» Denn jeder, der zur Welt gehört, ist in der Finsternis und steht unter dem Gerichtsurteil. «Dies aber ist das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen haben die Finsternis mehr geliebt als das Licht, denn ihre Werke waren böse. Denn jeder, der Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht blossgestellt werden» (Joh 3,19.20).

Aber jeder, der an Christus glaubt, ist zum Licht gekommen und steht – verbunden mit Christus, der aus den Toten auferstanden ist – auf einem neuen Boden und ist «aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht» gebracht (1. Pet 2,9). Den Gläubigen in Thessalonich konnte der Apostel Paulus schreiben: «Ihr aber, Brüder, seid nicht in Finsternis, … denn ihr alle seid Söhne des Lichts und Söhne des Tages» (1. Thes 5,4.5).

Einerseits ist es nun also Morgen und anderseits Nacht, je nachdem, ob man auf der Seite Christi oder auf der Seite der Welt steht.

Und – Christus kommt wieder! Sein Kommen in Niedrigkeit und sein Kommen in Herrlichkeit bilden eine herrliche Vorausschau, die die Propheten betrachtet haben, ohne die dazwischen liegende Zeit besonders zu erwähnen.

Ja – Christus kommt wieder! Für uns Gläubige – seine Versammlung – wird Er als «der glänzende Morgenstern» erscheinen; für Israel – sein irdisches Volk – als «die Sonne der Gerechtigkeit» (Mal 3,20). Und dann bricht der Tag an, von dem schon David in 2. Samuel 23,4 in heiligem Entzücken gesagt hat: «Und er wird sein wie das Licht des Morgens, wenn die Sonne aufgeht, ein Morgen ohne Wolken.» Dieser zukünftige, herrliche Tag wird nie mehr in die Nacht übergehen. Israel und alle, die aus den Nationen bekehrt werden, können sich an diesem Tag ohne Ende freuen. «Steh auf, leuchte; denn dein Licht ist gekommen, und die Herrlichkeit des HERRN ist über dir aufgegangen! Denn siehe, Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völkerschaften; aber über dir strahlt der HERR auf, und seine Herrlichkeit erscheint über dir. Und Nationen wandeln zu deinem Licht hin, und Könige zum Glanz deines Aufgangs … der HERR wird dir zum ewigen Licht sein. Und die Tage deines Trauerns werden ein Ende haben» (Jes 60,1-3.20).

Aber dann bricht anderseits auch die Nacht an, die vom Morgenlicht nicht vertrieben wird. Darum ruft Israels Wächter: Der Morgen kommt, und auch die Nacht! Diese Nacht wird eine ewige Nacht sein.

Arme, beklagenswerte Welt! Armer, beklagenswerter Mensch, der nicht zum Herrn Jesus kommt und durch den Glauben an Ihn ein Kind des Lichts, ein Sohn des Tages wird!

Aus Seir ruft man dem Wächter Israels zu, und dieser antwortet: «Wollt ihr fragen, so fragt!» Aber es darf nicht beim Fragen bleiben, dadurch allein kommt man nicht zum Morgen, zum Licht. Nein, der Ruf lautet: «Kehrt wieder, kommt her!» das will sagen: «Bekehrt euch und kommt zu dem alleinigen Herrn und Heiland, zu Jesus Christus!»

Der Ausspruch über Duma, d.h. das Wort Gottes an Duma (ein arabischer Volksstamm), ist ein Aufruf Gottes an die Nachkommen Esaus. Ach! sie haben sich nicht bekehrt. Sie haben vom Gebirge Seir hergerufen, und sowohl der Morgen als auch die Nacht wurde ihnen angekündigt, aber es ist ihnen nicht zum Segen gewesen. Für sie bleibt keine andere Erwartung als die Nacht, die ewige Finsternis; Edom entgeht dem Gericht nicht; für das Haus Esaus gibt es keine Hoffnung.

Die Gläubigen in Christus aber besitzen durch Gnade die lebendige und glückselige Hoffnung auf das Wiederkommen Christi. Sie dürfen mitten in all der Finsternis und dem Dunkel der Welt nach dem «glänzenden Morgenstern» ausschauen.

Der Herr möge diese Hoffnung in den Herzen all der Seinen beleben und vertiefen!