Ausschauen und Warten

Micha 7,7

«Ich aber will ausschauen nach dem HERRN, will harren auf den Gott meines Heils» (Micha 7,7).

Wie viele Gläubige des Alten Bundes haben voll Verlangen nach dem Herrn ausgeschaut! Schon bei Adam und Eva war es so. Sie klammerten sich fest an die Verheissung Gottes, dass einst ein Erlöser geboren werden sollte. Nach dem Tod Abels wussten sie, dass der Messias nicht von Kain abstammen würde. Aber als dann Seth geboren war, belebte sich die Hoffnung auf sein Kommen wieder. Sie sahen allezeit nach Ihm aus, aber sie mussten noch warten.

So ging es durch den ganzen alten Zeitabschnitt hindurch. Eine gläubige jüdische Frau hatte stets die Hoffnung, dass der Messias aus ihr geboren werden würde. Das war eine Folge des Ausschauens und des Verlangens, das im Grund ihres Herzens lebte.

Wir sind leicht geneigt zu denken, dass sich dieses Verlangen im Lauf der Jahrhunderte abgeschwächt habe. Ein Ge­schlecht nach dem anderen ging vorüber. Wird der HERR noch an seine Verheissung denken? Gewiss, er schob sie nicht hinaus. Wohl dauerte es noch viele Jahrhunderte, bevor der Messias geboren wurde, und doch verharrten die Gläubigen im Ausschauen nach Ihm. Ja, wir können sogar sagen, dass die Gewissheit über sein Kommen mit fort­schrei­ten­der Zeit stets grösser wurde.

Jesaja durfte niederschreiben: «Ein Kind ist uns geboren», obwohl es noch mehr als sechs Jahrhunderte bis zu seiner Geburt dauern sollte. Ferner sagte er: «Ein Sohn ist uns gegeben», obgleich die Fülle der Zeit noch in ferner Zukunft lag. Er sah also die Verheissung durch Glauben schon als erfüllt an. Auch später im Alten Testament lesen wir vom Ausschauen und Erwarten. Vielleicht wurde die Anzahl der Gläubigen, die nach seinem Kommen Ausschau hielten, etwas kleiner. Das Alte Testament endigt denn auch mit den ernsten Worten: «Damit ich nicht komme und das Land mit dem Bann schlage.» Das war der Zustand der Juden im Land, ungefähr vierhundert Jahre vor dem Kommen Christi auf diese Erde. Und als Er dann herabkam, musste Er sagen: «Jetzt ist das Gericht dieser Welt.» Was sehen wir denn von diesem Gericht? Für die Menschen wurde es noch hinausgeschoben, um der Gnade Platz zu machen.

Auch in den dunkeln Tagen, in die dann sein erstes Kommen fiel, gab es Menschen, die auf den Gott ihres Heils warteten. Denken wir nur an Simeon. Er war ein gerechter und gottesfürchtiger Mann. Er schaute so intensiv nach dem Kommen des Messias aus, dass er einen göttlichen Ausspruch empfing, wonach er den Tod nicht sehen sollte, ehe er den Christus des Herrn gesehen habe. Als er Ihn dann sehen durfte, war er vollkommen befriedigt und sagte: «Nun, Herr, entlässt du deinen Knecht, nach deinem Wort, in Frieden, denn meine Augen haben dein Heil gesehen» (Lk 2,29.30).

Es waren zu jener Zeit noch andere, die mit solch grossem Verlangen nach dem Kommen Christi ausschauten. Eine von diesen war Anna. Sie war aus dem Stamm Aser. Wie kam diese Frau aus jenem Stamm unter die zwei Stämme? War sie ein Nachkomme derer, die dem Aufruf des Königs Hiskia Folge geleistet hatten, um in Jerusalem das Passahfest zu feiern (2. Chr 30,11)? Sie hatte sich am Glauben der Väter festgeklammert und gehörte zu den wenigen jener Tage, die dies taten. Weil es nur so wenige waren, war es ihr möglich, allen, die in Jerusalem auf Erlösung warteten, die frohe Kunde von der Geburt des Messias zu erzählen. Sie wich nicht vom Tempel. Sie wollte diesen Dienst treu ausüben. Sie kannte offenbar alle, die es vernehmen mussten, und Gott gab der 84jährigen Witwe die Kraft, allen nachzugehen, auch denen, die sie nicht im Tempel sah. Sie brannte darauf, die frohe Kunde allen mitzuteilen, in deren Herzen dieselbe Hoffnung lebte.

Auch uns ist noch ein Kommen angesagt. Der Herr wird zum zweiten Mal denen erscheinen, die Ihn zur Errettung erwarten (Heb 9,28).

Erwarten wir Ihn? Schauen wir mit Verlangen nach seinem Kommen aus, oder sind bei uns noch Dinge vorhanden, die bewirken, dass wir sein Kommen lieber noch hinausschieben möchten? Der Herr zögert die Verheissung nicht hinaus (2. Pet 3,9). Aber wir, zögern wir durch unseren Wandel, durch unser schwaches Zeugnis, durch unser Nachlassen im Gebet nicht oft die Wiederkunft des Herrn hinaus? Möchte doch unser Wandel, unser Zeugnis, unser Gebet so sein, dass bald das letzte Glied zu seiner Gemeinde hinzugefügt wird. Dann wird sie vollzählig sein und dann wird seinem Kommen nichts mehr im Weg stehen. Lasst uns anhalten im Ausschauen und Warten, so wie Simeon es getan hat. Unsere Hoffnung ist es ja, zu den Lebenden zu gehören, die übrig bleiben, um zusammen mit denen, die uns vorangegangen sind, dem Herrn entgegengerückt zu werden in die Luft, um dann allezeit bei Ihm zu sein.