Das Wort Gottes
Welches ist der rechte Dienst an Kindern Gottes in der heutigen Zeit?
Als Antwort auf diese Frage wird oft 1. Petrus 2,2 angeführt: «Wie neugeborene Kinder seid begierig nach der vernünftigen, unverfälschten Milch, damit ihr durch diese wachst…» Manche entnehmen dieser Stelle, dass «Milch» die rechte Speise für junge Gläubige sei. Aber das soll mit diesen Worten überhaupt nicht gesagt werden. Ohne auf diesen Vers im Einzelnen näher einzugehen, kann festgestellt werden, dass es sich hier eher um den «geistlichen Appetit» der Gläubigen handelt, an die Petrus schreibt. Hier wird einfach gesagt, dass der Gläubige das gleiche Verlangen nach dem Wort Gottes haben sollte wie der Säugling nach der Milch. Zweitens wird uns hier gezeigt, dass ebenso wie die Milch die einzige geniessbare und rechte Nahrung für das Neugeborene ist, so auch das Wort Gottes die wahre Speise für den Gläubigen darstellt. Unterstrichen wird dies noch durch den Nachsatz: «… damit ihr durch diese wachst zur Errettung». Dadurch, dass wir uns vom Wort Gottes nähren, wachsen wir hin zur Errettung, die am Ende unseres Weges vollständig sein wird, wenn Geist, Seele und Leib daran teilhaben (vgl. 1. Pet 1,5).
Dem praktischen Zustand angepasste Nahrung
Den Korinthern schreibt der Apostel Paulus: «Ich habe euch Milch zu trinken gegeben, nicht Speise; denn ihr vermochtet es noch nicht, aber ihr vermögt es auch jetzt noch nicht, denn ihr seid noch fleischlich. Denn da Neid und Streit unter euch ist, seid ihr nicht fleischlich und wandelt nach Menschenweise?» (1. Kor 3,2-3). Auch in diesem Abschnitt ist wieder von der Milch die Rede. Aber es ist ganz deutlich, dass der Apostel Paulus diesen Gläubigen Milch zu trinken gab, weil sie sich in einem schlechten Zustand befanden. Er hätte ihnen «Speise» zu essen gegeben, aber das war nicht möglich, weil sie fleischlich waren. In Kapitel 2 schreibt Paulus von der Weisheit Gottes und den Voraussetzungen, die zu ihrem Verständnis erforderlich sind. Leider erfüllten die Korinther diese Bedingungen nicht, obwohl sie Kinder Gottes waren.
Der Apostel nennt sie in Kapitel 3,1 «Fleischerne» (siehe Fussnote Elberfelder-Übersetzung). Dieses Wort kommt auch in Römer 7,14 vor und kennzeichnet dort jemand, der zwar wiedergeboren, aber noch nicht befreit ist und deshalb in dem schrecklichen Kampf steht, der in dem Ruf gipfelt: «Ich elender Mensch! Wer wird mich retten von diesem Leib des Todes?» Die Korinther waren zwar nicht mehr in diesem Kampf. Doch, obwohl sie den Heiligen Geist empfangen hatten, musste der Apostel schreiben: «Und ich, Brüder, konnte nicht zu euch reden als zu Geistlichen, sondern als zu Fleischlichen, als zu Unmündigen in Christus» (1. Kor 3,1). Er sagt nicht, dass sie «fleischern» waren, sondern dass er ihnen so schreiben musste, als ob sie noch nicht über die Erfahrungen von Römer 7 hinausgekommen wären. Wenn sie auch den Heiligen Geist empfangen hatten, so waren sie doch nicht geistlich; das Fleisch herrschte noch in ihnen, und daher waren sie in ihrem Verständnis noch nicht weitergekommen.
Aber in Vers 3 nennt er sie «fleischlich». Das bedeutet, dass sie Kinder Gottes geworden waren, den Heiligen Geist empfangen hatten, und zu jenem Zeitpunkt auch geistlich waren, aber dann dem alten Menschen in ihrem praktischen Leben doch wieder einen Platz einräumten. Sie verwirklichten nicht die Beschneidung, wie sie in Philipper 3,3 beschrieben wird: «Wir sind die Beschneidung, die wir durch den Geist Gottes dienen und uns Christi Jesu rühmen und nicht auf Fleisch vertrauen». Fleischliche Christen vertrauen leider noch auf das Fleisch, wenn sie auch Kinder Gottes geworden sind. Sie verhalten sich wie die Korinther, die nicht durch den Geist Gottes dienten, sondern sich vielmehr der Gaben rühmten, die sie empfangen hatten. So konnte der Apostel ihnen nicht von der Weisheit schreiben, von der er vorher sprach.
Mit «Milch» meint Paulus hier also die einfache Speise, die ihrem schlechten geistlichen Zustand angepasst war und sein musste. Glücklicherweise befinden sich aber nicht alle Gläubigen in einem Zustand wie die Korinther. Somit ist diese «Milch» nicht die für alle Gläubigen passende Nahrung, da sie eigentlich nur für einen so beklagenswerten Zustand, wie er hier beschrieben wird, geeignet ist.
Wir können hieraus weiter lernen, dass ein Dienst, der für eine Versammlung geeignet ist, für eine andere völlig unpassend sein kann. Wer das nicht erkennt, dem mag man wohl die Frage stellen, ob sein geistliches Unterscheidungsvermögen genügend in Übung gewesen ist, und ob er sich wirklich der Leitung des Geistes unterworfen hat. Der Massstab, den Gottes Wort und damit Gott selbst an den Dienst am Wort legt, ist nach 1. Petrus 4,11 der: «Wenn jemand redet, so rede er als Aussprüche Gottes». Das heisst, dass das, was der Sprechende sagt, nicht nur in Übereinstimmung mit dem Wort Gottes sein muss; das ist eine selbstverständliche Voraussetzung. Gott kann sich selbst nicht widersprechen. Aber der, der die Gedanken des Wortes auf einen speziellen Fall oder eine oder mehrere Personen anwendet, kann sich irren, indem er die Schrift unpassend anwendet. Was, wenn jemand Trost benötigt, aber eine Ermahnung bekommt? Ein anderer wird vielleicht belehrt, obwohl eine Zurechtweisung oder Ermahnung angebracht wäre. Welcher Diener Gottes kann beurteilen, was die Seelen, zu denen er spricht, gerade brauchen? Er selbst weiss es nicht. Aber Gott weiss es, deshalb muss der Diener in Gemeinschaft mit Ihm sein, so dass er gleichsam aus seiner Gegenwart heraus sprechen kann, was Gott in diesem Augenblick, in diesen Umständen und zu diesen Personen sagen will.
Nahrung für geistlich Unterentwickelte
Eine weitere Schriftstelle in diesem Zusammenhang ist Hebräer 5,11-6,1. Dort schreibt der inspirierte Apostel über das Priestertum Christi und die vorbildliche Gestalt des Melchisedek. Dann fährt er fort: «Über diesen haben wir viel zu sagen, und es ist mit Worten schwer auszulegen, weil ihr im Hören träge geworden seid. Denn obwohl ihr der Zeit nach Lehrer sein müsstet, habt ihr wieder nötig, dass man euch lehre, welches die Elemente des Anfangs der Aussprüche Gottes sind; und ihr seid solche geworden, die Milch nötig haben und nicht feste Speise. Denn jeder, der noch Milch geniesst, ist unerfahren im Wort der Gerechtigkeit, denn er ist ein Unmündiger; die feste Speise aber ist für Erwachsene, die infolge der Gewöhnung geübte Sinne haben zur Unterscheidung des Guten sowohl als auch des Bösen Deshalb, das Wort von dem Anfang des Christus verlassend, lasst uns fortfahren zum vollen Wuchs …»
Der Apostel beklagt hier die Unfähigkeit der Gläubigen, die Wahrheit, die er ihnen mitzuteilen hatte, aufzunehmen. Obwohl sie schon so lange Christen waren, dass sie der Zeit nach Lehrer hätten sein können, waren sie solche geworden, die «Milch» benötigten. Praktisch waren sie geistliche «Zwerge», weil sie im Wachstum zurückgeblieben oder sogar – gefallen waren. Vielleicht wollten sie auch gar nicht wachsen; auch das gibt es leider unter Christen! Aber kann sich ein geistlich gesinnter Christ mit einem solchen Zustand zufriedengeben? Soll ein Lehrer eine solche Tatsache einfach hinnehmen und «Milch» verabreichen, als wenn dies das Normale wäre?
Die in den obigen Versen ausgesprochene Warnung ist doch ernst und gilt sicherlich für manche Kinder Gottes unserer Tage. Es gibt Tausende von Christen, die über das Evangelium1 nicht hinauskommen. Es wäre bestimmt traurig bestellt, wenn Kinder Gottes kein Interesse mehr für das Evangelium hätten. Aber das bedeutet doch nicht, dass wir uns von nichts anderem nähren und mit nichts anderem beschäftigen als mit dem Evangelium! Was wir als Nahrung brauchen, ist Christus in jeder Hinsicht. Wenn wir das aus dem Auge verlieren, stehen wir in der Gefahr des «Nullwachstums» wie die Hebräer.
Speise für Jungbekehrte
Nun könnte gesagt werden: «Aber es gibt doch so viele Jungbekehrte, die noch nichts anderes als «Milch» vertragen können! Auch sind nicht alle Geschwister so aufnahmefähig, dass sie die oft schwierigen Gedanken des Wortes Gottes verstehen können. Deshalb muss der Dienst so sein, dass auch der schwächste Gläubige alles verstehen kann!»
Das Neue Testament liefert uns hierfür ein wunderbares Beispiel. Die Briefe an die Thessalonicher wurden schon bald nach der Entstehung der dortigen Versammlung geschrieben, wahrscheinlich innerhalb eines Jahres nach der Zeit, da sie sich zu Gott bekehrt hatten. Ausserdem war der Apostel vermutlich nur etwa drei Wochen dort gewesen (Apg 17,2), als er diese junge Versammlung verlassen musste. Aber im ersten Brief an die Thessalonicher wird uns die Wiederkunft des Herrn zur Entrückung von allen Seiten geschildert, und zwar im Unterschied zu seinem Kommen auf die Erde mit den Seinen (vgl. 1. Thes 1,9.10; 2,19; 3,13; 4,13-17; 5,23 mit 5,1-4). Ausserdem enthält der erste Brief wichtige Belehrungen für die Auferbauung der Gläubigen in der Praxis.
Im zweiten Brief geht der Apostel noch weiter und belehrt sie über die verschiedenen Gesichtspunkte in Verbindung mit dem zweiten Kommen des Herrn, der Erscheinung oder Offenbarung hier auf der Erde. Wir lesen vom Antichristen, dem Menschen der Sünde, von der Reihenfolge der Ereignisse in Verbindung damit, usw.
Diese Dinge können wir doch nicht als einfache Speise bezeichnen! Aber in Gottes inspiriertem Wort dienten sie der Belehrung dieser jungen Christen. Sie waren auch nötig, damit sie ihre Stellung als Kinder Gottes besser verstanden.
Ein weiteres Beispiel finden wir im ersten Brief des Johannes. Er teilt im zweiten Kapitel die Gesamtheit der Kinder Gottes (1. Joh 2,12.28) in Väter (Verse 13 und 14), Jünglinge (Verse 13 und 14) und Kinder (eig. «Säuglinge») ein (Verse 13 und 18). Zu den letzteren sagt er in Vers 18: «Kinder, es ist die letzte Stunde, und wie ihr gehört habt, dass der Antichrist kommt, so sind auch jetzt viele Antichristen geworden». Er stellt ihnen die Kennzeichen des Antichristen vor, aber auch die Sicherheit, die sie selbst besassen durch die Salbung von dem Heiligen und das Wort, das sie gehört hatten. Sollte diese bemerkenswerte Übereinstimmung mit der Lehre des Paulus im zweiten Thessalonicher-Brief «zufällig» sein?
Gottes Wort selbst zeigt uns also deutlich, dass auch die Kinder im Glauben mit der Wahrheit des Wortes Gottes genährt werden müssen. Gerade sie brauchen die Befestigung gegen die Gefahren, das Hinweisen auf Christus – was Er für Gott, für die Gläubigen und in sich selbst ist, – damit sie wachsen können.
Lasst uns ernstlich prüfen, ob die jungen Gläubigen wirklich die richtige geistliche Nahrung erhalten, die sie für ihr Wachstum benötigen. Ist es in erster Linie die Person des Herrn, die wir ihnen vorstellen, oder sind es Fragen äusserlicher Art und Ordnung, die sicher behandelt und betrachtet werden müssen, die Ihm aber nicht den ersten Platz rauben dürfen? Wie manche Jungbekehrte mögen dadurch abgestossen und von der Welt angezogen worden sein, dass wir nicht in der Lage waren, ihnen die rechte Speise zu geben? Wie nötig ist es daher, dass die, welche die Vergebung ihrer Sünden empfangen haben, ein Interesse an der Heiligen Schrift, dem Wort Gottes, bekommen. Die Wahrheit, wie sie in dem Jesus ist, ist der einzige Weg zu geistlichem Wachstum.
- 1Anmerkung der Redaktion: Damit ist hier die Botschaft gemeint, die an die Ungläubigen gerichtet wird. Das Evangelium umfasst aber auch alle weiteren Ergebnisse des Erlösungswerkes des Herrn (vgl. Römer 1,15).