Dieser ganze, in der Gefangenschaft geschriebene, kurze Brief, ist ein kostbarer Schatz für unseren christlichen Wandel.
Im ersten Kapitel wird uns Christus als unser Alles vorgestellt. «Das Leben ist für mich Christus», sagt der Apostel. Er will damit sagen: Christus macht mein Leben aus.
Im zweiten Kapitel wird Christus als Vorbild vor uns hingestellt. Da werden auch Menschen wie unsereiner erwähnt, die uns als Beispiele gegeben sind: Timotheus und Epaphroditus, und auch der Apostel zieht ungewollt unsere Aufmerksamkeit auf seine Person, als auf einen Menschen mit wirklich christlichem Charakter und hingebungsvollem christlichem Wandel. Er stellt sich in diesem Brief nicht als Apostel, sondern als Knecht Jesu Christi, als Christ unter Christen vor. Aber er hatte, wie auch wir, in Christus das vollkommene Vorbild. Christus hat durch das, was Er litt, Gehorsam gelernt, und auch wir sind zu diesem Gehorsam berufen.
Im dritten Kapitel werden unsere Blicke auf die Zukunft gelenkt: Christus ist das Ziel, das herrliche Endziel, und wir strecken uns aus nach Ihm.
Das vierte Kapitel schliesslich spricht von Christus als der Kraft unseres Lebens, und der Apostel ruft mitten aus dem Überfluss wie auch aus dem erlittenen Mangel heraus: «Alles vermag ich in dem, der mich kräftigt.»
Es scheint mir aber, dass wir in diesen vier Kapiteln nicht nur in einer besonderen Weise auf Christus hin gerichtet werden, um Ihn von verschiedenen Seiten in seiner Vortrefflichkeit zu betrachten, sondern diese vier Kapitel sprechen auch zu uns von Gemeinschaft, und in jedem von ihnen wird diese Gemeinschaft von einem anderen Standpunkt aus ins Auge gefasst.
Im ersten Kapitel stellt er mit Dankbarkeit fest, dass die Philipper Teilnahme an dem Evangelium bewiesen, oder wie auch übersetzt werden kann, «Gemeinschaft mit dem Evangelium» hatten, und zwar von dem ersten Tag an, da sie mit der Evangeliumsarbeit in Berührung kamen.
Im zweiten Kapitel wird darauf hingewiesen, dass die Gemeinschaft des Geistes das Teil aller Gläubigen ist, die Ihn durch die Gnade Gottes besitzen.
Im dritten Kapitel wird der grosse Wunsch des Apostels, seinen Herrn und Heiland besser zu kennen, vor das Herz gestellt. Dieser Wunsch trieb ihn dazu, nach der Gemeinschaft seiner Leiden zu trachten, um so, wie Er in den Tod ging, auch zur Auferstehung aus den Toten zu gelangen.
Und im vierten Kapitel lobt der Apostel die Philipper, weil sie an seinen Drangsalen teilgenommen, also Gemeinschaft mit seinen Drangsalen bewiesen hatten. Sind wir daher nicht berechtigt, diesen Brief den «Brief der Gemeinschaft» zu nennen?
Gemeinschaft bedeutet: in enger Beziehung stehen zueinander, etwas Gemeinsames haben, sich wegen eines gemeinsamen Gegenstandes zusammenschliessen. So ist auch die Gemeinschaft der Heiligen; sie haben gemeinsame Dinge, und sie üben diese Gemeinschaft aus. Wir lesen auch, dass wir in die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn gebracht worden sind. Am Tisch des Herrn bringen wir zum Ausdruck, dass wir der Gemeinschaft des Blutes des Christus teilhaftig sind. Wir haben auch Gemeinschaft des Glaubens. So wünscht Paulus in seinem Brief an Philemon, dass diese Gemeinschaft sich in der Anerkennung alles Guten auswirke, das in uns ist gegen Jesus Christus.
Die ersten Christen verharrten nicht nur in der Lehre der Apostel, im Brechen des Brotes und in den Gebeten, sondern auch in der Gemeinschaft der Apostel. Durch die Aufnahme dessen, was die Apostel verkündigt hatten, traten sie in Gemeinschaft zueinander. Der Heilige Geist fügt alle Gläubigen zu einem Leib zusammen und versammelt sie dann um die herrliche Person des Herrn. Diese Gemeinschaft zeigt sich besonders beim Brechen des Brotes, denn das Brot stellt den aus vielen Gliedern gebildeten einen Leib sichtbar dar. Aber auch im gemeinsamen Gebet wird der Gemeinschaft Ausdruck gegeben, denn alle sind von einem Gegenstand, von einem Wunsch erfüllt, weil alle aufgrund ihrer Einheit in Christus an den Trübsalen und dem Wohlergehen eines jeden Anteil nehmen. Sie weinen miteinander und freuen sich miteinander.
Welch ein wunderbarer Wechsel hat sich doch in uns vollzogen! Früher hatten wir Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis; Gemeinschaft mit den bösen Werken der Menschen. Aber nun sind wir in Gemeinschaft mit Gott. Glückselig sind wir, wenn wir jetzt durch die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn in dem Licht wandeln, wie Er in dem Licht ist und so auch Gemeinschaft untereinander haben können!
Lasst uns nun im Philipperbrief die vier Stellen betrachten, wo wir das Wort Gemeinschaft finden.
Gemeinschaft mit dem Evangelium
Die Philipper hatten das Evangelium nicht nur angenommen, sie wandelten auch in Übereinstimmung mit ihm und hatten ein Herz dafür. Deshalb konnte Paulus für sie das Gebet allezeit mit Freuden tun. Die Gläubigen in Philippi waren arm und in mancherlei Trübsalen und Drangsalen. Das hielt sie aber nicht davon ab, sich etwas abzusparen für den Apostel. Aus ihrer tiefen Armut und ihren Schwierigkeiten heraus bewiesen sie ihre Zuneigung zu dem Apostel und waren mit ihm Mitteilnehmer der Gnade im Dienst des Evangeliums (2. Kor 8,1 und Phil 1,28-30).
Es waren vielleicht einige wenige in Philippi, die anders gesinnt waren; im vierten Kapitel werden zwei Schwestern ermahnt, einerlei gesinnt zu sein im Herrn; aber im Geist seiner Zuneigung lobt er doch die ganze Versammlung für ihre Liebe. Er sagt von allen Heiligen in Christus Jesus, die in Philippi sind, dass er für sie alle das Gebet mit Freuden tue; in Betreff ihrer aller denkt er Gutes; in seinen Fesseln waren sie alle seine Mitteilnehmer der Gnade in der Verantwortung und Bestätigung des Evangeliums; nach ihnen allen sehnte er sich mit dem Herzen Jesu Christi.
So finden wir also das Wort «alle» fünfmal in Verbindung mit der «Gemeinschaft mit dem Evangelium». Gibt es nicht einen Dienst, mit dem alle Gemeinschaft haben können, den Dienst der Liebe? Und geht diese Liebe nicht hinaus zu jenen, die Jesus noch nicht kennen? Warum sollten nicht alle, die eins sind in Christus Jesus, sich bemühen, die gute Botschaft des Heils in einem weiteren Kreis bekannt zu machen? Nicht jeder kann hinausgehen und es selber tun, aber je mehr unser Einssein anerkannt wird, desto mehr wird die Gemeinschaft in dem Werk ausgeübt. Dann werden wir die Arbeiter nicht allein lassen, sondern sie durch Gebet und Gaben unterstützen. Weder Sorgen noch Armut brauchen uns davon abzuhalten. In allen Umständen können wir Mitarbeiter im Evangelium sein, dürfen Gemeinschaft mit ihm haben, indem wir es vor Gott bringen und auf die eine oder andere Weise denen, die sich dem Evangelium hingeben, zum Trost und zur Hilfe sind. Wie viel grösser wird der Segen sein, wenn mit Freuden Gebete getan werden in der Gemeinschaft mit dem Evangelium!
Gemeinschaft des Geistes
Die Philipper hatten durch Gottes Gnade in Christus Trost gefunden, Trost der Liebe und Gemeinschaft des Geistes. Aber sie hatten dies einander auch gezeigt. Durch die Zuneigung des einen gegenüber dem andern hatten sie deutlich bewiesen, dass sie einen Herrn hatten, dass die Liebe Gottes ihr Teil war und auch die Gemeinschaft des Heiligen Geistes! Aber während seiner Abwesenheit war ein Same der Uneinigkeit und des Parteigeistes ausgesät worden, so dass die Freude des Apostels, die gross gewesen war, einen Dämpfer erhalten hatte. Der Heilige Geist will, dass alle Gläubigen eines Sinnes sind. Es genügt nicht, dass alle zu einem Leib getauft sind und unter allen dasselbe Band der Gemeinschaft besteht, nein, sie müssen auch in der Praxis eines Sinnes sein. Es ist nicht so sehr eine grundsätzliche Frage, es handelt sich vielmehr darum, ob jeder Gläubige im praktischen Leben mit den Tugenden geschmückt sei, von denen der Apostel spricht:
- Trost in Christus
- Trost der Liebe
- Gemeinschaft des Geistes
Die ganze Dreieinigkeit: Christus, Gott und der Heilige Geist sind im Herzen der Gläubigen wirksam zum Guten. Daher wünscht der Apostel den Korinthern in seinem unvergleichlich schönen Segen am Ende des zweiten Briefes nicht nur die Gnade des Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes, sondern auch die Gemeinschaft des Heiligen Geistes.
Gemeinschaft der Leiden Christi
Paulus will nicht nur Christus gewinnen und in Ihm erfunden werden. Er will Ihn auch völlig erkennen. Der Anblick der Herrlichkeit des Herrn auf der Strasse nach Damaskus hatte einen solchen Eindruck auf ihn gemacht, dass er nun denselben Weg einzuschlagen wünschte, den Christus gegangen war, um Ihn so in allen Dingen zu erkennen. Wenn er dabei seinem Tod gleichgestaltet wurde, so gab ihm das die Möglichkeit, die Kraft der Auferstehung des Herrn zu erkennen. Er kannte den Auferstandenen wohl, aber er streckte sich aus nach der Auferstehung aus den Toten, um Ihn auch auf diesem Pfad zu erkennen. Wie herrlich wäre es, wenn uns Christus so kostbar würde, dass wir wünschten, Ihm in allen Dingen gleichgestaltet zu werden!
Gemeinschaft in der Drangsal
Die Philipper hatten den Apostel nie vergessen. Sie waren ihm in allem nachgefolgt und fühlten die Notwendigkeit, ihm, den sie liebten und der sich so völlig den Interessen des Herrn hingab, einen Beweis ihrer christlichen Liebe zu geben. Ihm, der ihnen mit geistlichen Gaben gedient hatte, wollten sie nun mit materiellen Gaben dienen. Wie hatte dies das Herz des Apostels erfreut! Es war ihm nicht um ihre Gaben zu tun; nein, sondern er suchte die Frucht ihrer Liebe zu Gott, die überströmend sein sollte für ihre Rechnung. Wir sollten in unseren Tagen mit den Arbeitern des Herrn in ihrer Drangsal, ihrem Werk und in ihren täglichen Bedürfnissen mehr Gemeinschaft pflegen. Es ist für Gott ein duftender Wohlgeruch, ein angenehmes Opfer, wenn die Gläubigen das Werk des Herrn am Herzen haben, sich darin freuen und Gemeinschaft damit bekunden. «Ihr habt recht getan», sagt der Apostel, «dass ihr an meiner Drangsal teilgenommen habt.» Wir können Anteil nehmen an der Freude, wenn das Wort verkündigt wird und Sünder errettet werden. Aber wir sind auch berufen, an all den Sorgen und Schwierigkeiten teilzunehmen, die damit verbunden sind. Und auch ganz allgemein sollten wir Gläubige denen, die in Leiden sind, Teilnahme beweisen. Die Hebräer hatten das getan (Heb 10,34) und wurden ermuntert, weiterhin an die Gefangenen als Mitgefangene zu denken. Paulus schreibt den Korinthern, dass, wie sie der Leiden teilhaftig waren, sie auch an dem Trost Anteil haben würden.
Das Leben der Gemeinschaft der Kinder Gottes ist ein so herrliches Leben! Aber weil wir es selber so wenig verwirklichen, wird es auch so wenig gesehen. Es ist daher gut, wenn wir einander auf den Brief der Gemeinschaft aufmerksam machen und Gott bitten, dass Er uns durch das Betrachten dieses Briefes nicht nur zu einem hingebungsvollen Wandel führen möge, sondern auch zu einer glückseligen Gemeinschaft mit den Arbeitern des Herrn und zu einer herzlichen brüderlichen Gemeinschaft untereinander.