Die Gottseligkeit und die Genügsamkeit!
Die eine fehlt uns oft so sehr wie die andere. Das kommt daher, dass wir uns vom Geist dieses Zeitlaufs beeinflussen lassen, der in starkem Mass durch Gottlosigkeit und Unzufriedenheit gekennzeichnet ist. Wie so oft ist unser Eigenwille in Tätigkeit, um dieses zu tun und jenen Weg zu wählen, weil wir die glückseligen Beziehungen der Seele mit Gott, in Furcht und Vertrauen, zu wenig pflegen. Dies ist aber unentbehrlich, wenn wir seine Liebe und seine Gnade wirklich geniessen wollen, eine Gnade, die uns unterweist, «die Gottlosigkeit und die weltlichen Begierden» zu verleugnen, um «besonnen und gerecht und gottselig zu leben in dem jetzigen Zeitlauf» (Tit 2,12).
Werfen wir doch einen Blick zurück auf das, was das Christentum so vieler treuer Gläubigen ausmachte! Gewiss, auch sie waren schwach. Aber ihr Herz hing dem Herrn an. Sie waren viel auf den Knien. Sie nährten sich vom Wort; es war «Leuchte ihrem Fuss» und «Licht für ihren Pfad» (Ps 119,105).
Müssen wir da in unseren Reihen nicht mit Beugung ein Nachlassen der Gottseligkeit feststellen? Sowohl in unseren Häusern als auch in unserem persönlichen Leben ist sie im Schwinden begriffen. Daraus erklärt sich zum grossen Teil die Schwächung des geistlichen Zustandes in den Versammlungen und das Vorhandensein so vieler Dinge, die uns schmerzen und worüber wir seufzen.
Wir brauchen uns daher nicht zu wundern, dass wir so wenig wahrhaft glücklichen Gläubigen begegnen, die mit ihrem Los zufrieden sind, die gelernt haben, «sich mit dem zu begnügen, was vorhanden ist» und die mit Christus, dem vollkommenen Knecht sagen können: «Die Mess-Schnüre sind mir gefallen in lieblichen Örtern» (Ps 16,6).
Die beiden Dinge sind eben eng miteinander verbunden: Nur in einem Leben der Gottseligkeit wird die Genügsamkeit des Geistes gedeihen, die uns allezeit charakterisieren sollte. Auffallend ist, dass gerade die Christen, deren äussere Umstände in hohem Mass beschwerlich sind, zu den glücklichsten gehören, denen man begegnen kann. Auf ihrem schwierigen Weg haben sie – wie einst Paulus – ein wenig gelernt, «worin sie sind, sich zu begnügen» (Phil 4,11) Das zeigt uns deutlich, dass das Geheimnis der Zufriedenheit nicht in den Umständen zu suchen ist, sondern im Zustand unserer Herzen und unserer Seelen. Murren und Unzufriedenheit zeugen von einem inneren Zustand, aus dem man herauskommen muss durch geeignete Mittel, die die Seele zur Furcht Gottes, zum Vertrauen in Ihn und in die innige Gemeinschaft mit dem Herrn leiten oder zurückführen.
In der Schrift ist die Geschichte Israels in Ägypten, in der Wüste und in Kanaan aufgezeichnet. Sie illustriert drei verschiedene Zustände des Gläubigen hier auf der Erde:
Einige kämpfen immer noch in Ägypten, das heisst: in der Welt. Dort können sie nicht wirklich glücklich sein, auch wenn sie materielles Gedeihen haben.
Andere kennen nichts anderes als die Wüste, den Ort, wo das Volk so oft gemurrt hat. Nur am Anfang und am Ende der Wüstenreise sang es ein Lied (2. Mo 15 und 4. Mose 21). Hat es je an dem HERRN gefehlt? Es mangelte doch weder an Manna noch an Wasser aus dem Felsen und die Kleider zerfielen während dieser vierzig Jahre nicht an ihnen (5. Mo 8,3.4; Neh 9,20.21). Aber bei all dieser Güte, die Tag für Tag neu war, zeichnete sich dieses Volk weder durch «Zufriedenheit» noch durch «Gottseligkeit» aus: es murrte und war ein hartnäckiges Volk; in Amos 5,25.26 wird uns gesagt, bis wohin seine Gottlosigkeit es führte. Nehemia 9 und Psalm 106 fassen seine traurige Geschichte zusammen. Aber redet diese Geschichte nicht auch zu unserem Gewissen und zu unseren Herzen?
Unzufriedenheit kann gewisse Folgen nach sich ziehen, die wir wohl beachten sollten.
Der mit seinen gegenwärtigen Verhältnissen unzufriedene Gläubige ist oft versucht, den Umständen Gewalt anzutun. Er sucht sie nach seinen Wünschen zu ändern, anstatt sie so anzunehmen, wie Gott nach seiner Weisheit sie lenkt. Das natürliche Herz ist nicht zufrieden. Es trachtet dauernd nach etwas «Besserem» und jagt ständig nach den Zielen seiner Wünsche. Kaum hat es ein Ziel erreicht, begehrt es schon wieder nach anderen Dingen. Mehr denn je charakterisiert die Unzufriedenheit die Menschen dieser Welt. Sie wird übrigens durch mancherlei Organisationen genährt, deren Existenzzweck im Grund der ist, immer wieder neue Vorteile für ihre Anhänger zu erlangen. Diese Interessengruppen würden zu bestehen aufhören, wenn jene eines Tages nichts mehr zu wünschen hätten. Daher suchen sie deren Unzufriedenheit aufrecht zu halten.
Nebenbei gesagt ist dies einer der Gründe, weshalb sich der treue Gläubige von solchen Organisationen fernhält, soweit es von ihm abhängt.
Es kann auch vorkommen, und das ist zweifellos noch schwerwiegender, dass jemand nicht seine eigenen Umstände, sondern die von gläubigen Verwandten oder Freunden zu ändern sucht. Er veranlasst sie, die Stelle, den Wohnort, die Lebensbedingungen zu wechseln. Er tut dies, um sie näher bei sich zu haben, oder aus irgendeinem anderen Grund. Wie viel besser wäre es, wenn er sie ermunterte, da «die Gottseligkeit mit Genügsamkeit» zu verwirklichen, wo der Herr sie hingestellt hat, und in dem zu bleiben, was Er ihnen geben wollte. Wie ernst ist es, einen Gläubigen aus irgendwelchem Grund zu veranlassen, einen anderen als den für ihn vorgezeichneten Weg des Herrn einzuschlagen, besonders dann, wenn es offenbar ist, dass sich dieser darauf befindet. Für ein christliches Heim kann dies sehr schwere Folgen haben, und der geistliche Zustand derer, die vor Gott allein die Verantwortung für das Leben ihrer eigenen Familie haben, wird dadurch geschädigt. Liegt darin nicht ein gewisser Mangel an Unterwürfigkeit unter den göttlichen Willen, ein Mangel an «Genügsamkeit», die uns veranlassen würde, mit Freude und Dankbarkeit die Umstände des Weges anzunehmen, so wie Gott sie für uns und für unsere Lieben angeordnet hat? Er will uns ja gerade in diesen Umständen glücklich erhalten!
Welch kostbares Teil, wenn ich gelernt habe, «worin ich bin, mich zu begnügen»! Das war das Teil des Paulus, und gerade er musste ja durch so schwierige und schmerzliche Umstände gehen, mit denen wir die unseren wohl nie vergleichen können. Als er den Brief an die Philipper schrieb, war er in grösster Trübsal. Aber er betete nicht um Änderung seiner Umstände. Er nahm sie in glücklicher Unterwürfigkeit unter den göttlichen Willen an und war dabei ein Zeugnis dafür, dass «die Gottseligkeit mit Genügsamkeit ein grosser Gewinn» ist.
Möchten auch wir dies verwirklichen, mag uns die Wüste noch so öde scheinen! Lasst uns nie vergessen, dass die «Genügsamkeit» in der «Gottseligkeit» ist und nicht in den Umständen, dass die Unzufriedenheit ihre Quelle nicht in den Umständen, sondern im Zustand unseres Herzens hat. Wir dürfen durch den Glauben ja jetzt schon unser Teil in Christus in den himmlischen Örtern geniessen. Das in Kanaan eingezogene Israel hatte mit Ägypten und mit der Wüste abgeschlossen. Es konnte nun in dem Land wohnen, «das von Milch und Honig floss». Diese dritte Etappe in der Geschichte des Volkes ist ein Bild vom Zustand eines Gläubigen, der, obwohl noch in der Wüste, vom himmlischen Kanaan lebt und von dem, was unser ewiges Teil sein wird. Um eine solche geistliche Verfassung zu kennen, müssen wir die Ermahnung des Apostels an sein «echtes Kind im Glauben» beachten: «Übe dich aber zur Gottseligkeit …». In der Tat, es braucht Fleiss und erfordert unermüdliche Übung, um der Gottseligkeit nachzustreben, deren «Geheimnis» die Erkenntnis Gottes ist, offenbart in Christus Jesus (1. Tim 3,16). Doch ist es die Mühe wert, denn «die Gottseligkeit … ist zu allen Dingen nützlich, da sie die Verheissung des Lebens hat, des jetzigen und des zukünftigen» (1. Tim 4,7.8).
Sollten unsere Herzen mit einer solchen Person, mit einer solchen Verheissung nicht zufrieden sein? Was braucht es da noch mehr?