Dreimal kommt im Buch Ruth das Wort «Gnade» vor. Immer geht es um Boas, in dessen Augen Ruth Gnade fand.
«Ruth, die Moabiterin, sprach zu Noomi: Lass mich doch aufs Feld gehen und unter den Ähren lesen hinter dem her, in dessen Augen ich Gnade finden werde» (Rt 2,2).
Ruth sagte nicht nur: «Lass mich doch aufs Feld gehen und unter den Ähren lesen», sondern fügte hinzu: «hinter dem her, in dessen Augen ich Gnade finden werde.» Sie suchte nicht nur Ähren, sondern eine Person, die ihr Gnade erweisen würde und hinter der her sie Ähren lesen konnte. Dieses Verlangen wurde gestillt, denn wer sucht, der wird finden (Mt 7,7). Das gilt heute noch für jeden, der aufrichtig den Herrn und seine Gnade sucht.
Die zwei Jünger von Johannes dem Täufer, die dem Herrn nachfolgten, wurden von Ihm gefragt: «Was sucht ihr?» Sie antworteten: «Lehrer, wo hältst du dich auf?» (Joh 1,38). Sie suchten nicht etwas, sie verlangten nach Ihm. Bei Maria von Magdala war es so offensichtlich, dass sie nicht etwas, sondern eine Person suchte, da sie sowohl von den Engeln als auch vom Herrn direkt gefragt wurde: «Wen suchst du?» Für sie galt Psalm 73,25: «Wen habe ich im Himmel? Und neben dir habe ich an nichts Lust auf der Erde.»
Noah war der erste Mensch, von dem wir lesen, dass er in den Augen des HERRN Gnade fand. War er grundsätzlich anders als die anderen Menschen, über die das Gericht kam, weil alles Gebilde der Gedanken ihrer Herzen den ganzen Tag nur böse war (1. Mo 6,5)? Nein, denn Gott sagte auch nach der Flut: «Das Sinnen des menschlichen Herzens ist böse von seiner Jugend an» (1. Mo 8,21). Noahs Herz war ebenso verdorben wie jedes andere menschliche Herz. Aber er suchte Gott und wollte mit Ihm leben. Darauf antwortete der Herr mit Gnade.
Ruth wünschte hinter dem her aufzulesen, in dessen Augen sie Gnade finden würde, nicht nur auf dem Feld dieses Menschen, sondern hinter ihm her.
Und was taten jene zwei Jünger, die dem Herrn mit der Frage geantwortet hatten: «Lehrer, wo hältst du dich auf?» Sie gingen hinter Ihm her. Einer von ihnen war Johannes. Am Ende des von ihm geschriebenen Evangeliums finden wir ihn wieder. Was tat er? Er folgte dem Herrn Jesus immer noch nach, im Gegensatz zu anderen, die weggegangen waren (Joh 21,20; 6,66).
Was suchen wir, ja, wen suchen wir?
«Da fiel sie auf ihr Angesicht und beugte sich zur Erde nieder und sprach zu ihm: Warum habe ich Gnade gefunden in deinen Augen, dass du mich beachtest, da ich doch eine Ausländerin bin?» (Rt 2,10).
Boas, der reiche Gutsherr, hatte Ruth beachtet, hatte sie «meine Tochter» genannt und ihr ans Herz gelegt, auf kein anderes Feld zu gehen, sondern hinter seinen Schnittern her aufzulesen. Diesen hatte er geboten, die Ährenleserin in Ruhe zu lassen. Zudem hatte er an ihren Durst gedacht. Sie durfte zu den bereitgestellten Gefässen gehen und von dem trinken, was ausgeschenkt wurde. Ruth hatte nach einer Person verlangt, in deren Augen sie Gnade finden würde. Als aber Boas ihr diese Gnade in so reichem Mass zuwandte, fiel sie auf ihr Angesicht und bekannte ihre Unwürdigkeit.
Wie Ruth fiel auch Mephiboseth bei der ersten Begegnung mit König David auf sein Angesicht, zuerst jedoch aus Furcht. Als er aber die gütigen Worte Davids hörte, beugte er sich angesichts dieser überwältigenden Gnade vor David nieder und brachte ebenfalls seine Unwürdigkeit zum Ausdruck (2. Sam 9,6-8).
Von den zehn Aussätzigen, die der Herr Jesus in seiner Gnade geheilt hatte, kam nur einer, ein Samariter, zurück, um sich beim Herrn zu bedanken. «Er fiel aufs Angesicht zu seinen Füssen und dankte ihm.» Er hatte ein grösseres Bewusstsein von der Grösse der empfangenen Gnade als die stolzen Juden (Lk 17,12-19).
Sind wir, die wir wegen unseren Sünden eigentlich den Zorn Gottes verdient haben, der Gnade bewusst, durch die wir errettet worden sind? Danken wir unserem Gott und Vater und unserem Herrn Jesus Christus täglich dafür? Einmal werden wir vor Gottes Thron niederfallen und anbeten (Off 4,10; 5,8.14). Wollen wir es nicht jetzt schon mehr tun?
«Sie sprach: Möge ich Gnade finden in deinen Augen, mein Herr! Denn du hast mich getröstet und hast zum Herzen deiner Magd geredet, und doch bin ich nicht wie eine deiner Mägde» (Rt 2,13).
Ruth hatte den gesucht, in dessen Augen sie Gnade finden würde. Sie hatte ihn gefunden und seine Gnade erfahren. Sein Trost hatte ihr Herz erreicht und das Verlangen nach weiterer Gnade geweckt. Die schon empfangene Gnade hatte sie nicht hochmütig gemacht. Sie war sich immer noch bewusst, dass sie sich nicht mit den Mägden von Boas vergleichen konnte.
Als wir mit unseren Sünden zum Heiland kamen und sie Ihm bekannten, haben wir seine Gnade in ihrer errettenden Wirkung erfahren (Eph 2,5.8). Seit jenem Moment stehen wir in dieser Gnade (Röm 5,2). In Johannes 1,16 heisst es: «Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, und zwar Gnade um Gnade.» Ist das auch unsere Erfahrung, oder gehören wir zu solchen, die an der Gnade Mangel leiden, obwohl bei Ihm die Fülle ist (Heb 12,15)? Welch ein Verlust wäre das für uns!
Beim Kommen des Herrn zur Entrückung wird auch unser Körper erlöst. Dann werden wir die Sohnschaft, zu der wir zuvor bestimmt worden sind, ganz und ungehindert geniessen. Unser Lobpreis der Herrlichkeit seiner Gnade wird vollkommen sein (Röm 8,23; Eph 1,5.6).