Auf dem Weg zum Ölberg

Markus 14,27-31

Es ist später Abend in Jerusalem, als eine Gruppe Männer aus der Stadt hinausgeht. Es ist der Herr Jesus, der zum letzten Mal vor seinem Tod mit seinen Jüngern zum Ölberg geht. Kurz vorher sind sie zusammen im Obersaal gewesen und haben ein Loblied gesungen. Jetzt, auf dem Weg, bereitet der Herr die Jünger noch einmal auf das vor, was Ihm begegnen – und was das für sie selbst bedeuten würde. Zwei Aspekte werden in diesen Versen deutlich: Zum einen richtet sich der Herr mit Warnungen an die Jünger. Zum anderen erkennen wir in seinen Worten etwas von den Leiden der Vorempfindung, die unser Heiland auf dem Weg zum Kreuz erduldet hat.1

Ihr werdet alle Anstoss nehmen

Mit diesem Satz leitete der Herr seine Warnungen an die Jünger ein. Das, was Ihm in Kürze begegnen sollte, würde ihnen zu einem Anstoss werden und sie zum Straucheln bringen. Seine Worte entsprachen überhaupt nicht ihrer Erwartung. Sie meinten, der Herr würde als der verheissene Messias seine Regierung in Macht und Herrlichkeit antreten. Doch gerade sein Leiden und Sterben war an vielen Stellen im Alten Testament durch die Propheten vorhergesagt worden. So begründete der Herr seine Worte mit Sacharja 13,7: «Ich werde den Hirten schlagen, und die Schafe werden zerstreut werden.» Schon vorher hatte Er die Jünger wiederholt auf seine bevorstehenden Leiden hingewiesen (Kap. 8,31; 9,31; 10,32-34). Doch all das hatte ihre Herzen nicht wirklich erreicht. Dass ihr Meister von den Menschen so schmählich behandelt und zum Tod verurteilt werden würde, konnten sie nicht verstehen. Auch nicht, dass Er sich nicht selbst helfen und dass Gott dies alles zulassen würde, ja, dass Dieser selbst sogar den «Hirten» schlagen würde. Daran nahmen sie Anstoss und ärgerten sich.

Ich werde den Hirten schlagen

Was muss es für den Herrn gewesen sein, diese Worte zu sagen! Er, der «alles wusste, was über ihn kommen würde» (Joh 18,4), wusste genau, dass Er dieser «Hirte» war, den Gott schlagen würde. Und doch hat Er sich nicht entzogen, jener Hirte zu sein (Jer 17,16). Einen kleinen Eindruck von seiner Not im Blick auf das, was vor Ihm stand, bekommen wir in den nachfolgenden Versen (Mk 14,32 ff.). Dort sehen wir Ihn in Gethsemane, wo Er angesichts dessen, was auf Golgatha über Ihn kommen würde, «sehr bestürzt und beängstigt» wurde (V. 33). Um den Schafen, für die Er als der gute Hirte gesorgt und die Er bei ihrem Namen gerufen hatte, Leben geben zu können, musste Er nun für sie sterben. An ihrer Stelle musste Er von dem heiligen Gott gerichtet werden.

Die Schafe werden zerstreut werden

Die Gefangennahme und der Tod des Herrn brachten für die Jünger eine grosse Veränderung mit sich. Der Hass und die Feindschaft, die den Herrn vonseiten der Obersten und der Volksmenge trafen, wirkten sich auch auf sie aus und führten dazu, dass sie als Schafe «zerstreut wurden». So lesen wir in Vers 50, dass «alle ihn verliessen und flohen».

Bei diesen Worten geht es nicht um die segensreichen Auswirkungen des Erlösungswerks als solches. Diese bewirken gerade das Gegenteil. Der Herr starb, «damit er auch die zerstreuten Kinder Gottes in eins versammelte» (Joh 11,51.52) und um die Schafe aus dem Volk Israel und die aus den Nationen zu «einer Herde» zu vereinen (Joh 10,16). Hier jedoch sprach der Herr zu den Jüngern von den unmittelbaren Auswirkungen seines Todes auf sie, so wie es von Sacharja bereits vorhergesagt worden war.

Ich werde euch vorausgehen nach Galiläa

Wenn die Jünger sich an Ihm stossen und Ihn verlassen würden – der Herr würde sie nicht für immer verlassen. Er blickte über das Kreuz hinaus und tröstete sie damit, dass Er ihnen nach seiner Auferweckung nach Galiläa vorausgehen würde. In dieser verachteten Gegend, wo sein Dienst seinen Anfang genommen hatte und woher die meisten seiner Jünger stammten, würden sie Ihn wiedersehen. Das wird im letzten Versteil von Sacharja 13,7 angedeutet: «Ich werde meine Hand den Kleinen (oder Geringen) zuwenden.» Wie liebevoll war der Herr hier trotz seiner eigenen Not um seine Jünger bemüht!

Petrus überschätzte sich selbst

Petrus antwortete auf die Worte des Herrn. Dabei ging er aber überhaupt nicht darauf ein, was Er über seine Leiden gesagt hatte. Stattdessen sprach er von sich und seiner Treue zum Herrn. Hier beginnt der Bericht über die Verleugnung seines Meisters. Wenn die Bibel an manchen Stellen über die Fehler und das Versagen von sonst treuen Männern berichtet, dann geschieht es, damit wir lernen, wer Gott ist und wer wir sind. Beides findet sich auch beim Versagen von Petrus.

Wie sehr hatte sich der Herr um Petrus gekümmert:

  1. vor seinem Fall,
  2. bei seinem Fall und
  3. nach seinem Fall.
  4. Bevor Petrus den Herrn verleugnete, warnte Er ihn, wie unsere Verse zeigen. In Lukas 22,32 sagte Er zu seinem Jünger: «Ich aber habe für dich gebetet, damit dein Glaube nicht aufhöre.»
  5. Unmittelbar nachdem Petrus den Herrn zum dritten Mal verleugnet hatte, «wandte der Herr sich um und blickte Petrus an» (Lk 22,61) – ein Blick, der Petrus in Herz und Gewissen traf.
  6. Nach seiner Auferweckung erschien der Herr zuerst Petrus ganz allein (vgl. Lk 24,34; 1. Kor 15,5), bevor Er ihn in Johannes 21 öffentlich wiederherstellte.

Wer wir sind, erkennen wir, wenn wir das Verhalten von Petrus näher ansehen. Dabei fallen drei Punkte auf, die uns manches zu sagen haben:

1) Petrus widersprach dem Herrn

Jesus Christus hatte gesagt, dass alle Jünger an Ihm Anstoss nehmen würden. Petrus meinte jedoch: «Ich nicht.» Er glaubte den Worten des Herrn nicht und widersprach Ihm. Schon vorher hatte Petrus sich ähnlich verhalten. Als der Herr bei einer Gelegenheit von seinem Leiden und Sterben gesprochen hatte, hatte Petrus Ihn zur Seite genommen, Ihn getadelt und gesagt: «Dies wird dir nicht widerfahren!» (Mt 16,22).

Vielleicht widersprechen wir dem Herrn nicht so offen wie Petrus, aber «widersprechen» wir Ihm nicht manchmal in unserem praktischen Verhalten? Im Neuen Testament finden sich viele klare Hinweise für unser praktisches Christenleben. Befolgen oder ignorieren wir sie?

2) Petrus verglich sich selbstgerecht mit den anderen und schätzte sich falsch ein

Petrus verglich sich mit den anderen Jüngern und hielt sich für den Besten von ihnen: «Wenn auch alle Anstoss nehmen werden, ich aber nicht» (V. 29). In ungesundem Selbstbewusstsein überschätzte er sich masslos.

Geht es uns nicht auch manchmal so, dass wir besser von uns sprechen oder denken, als wir in Wirklichkeit sind? Und wie schnell vergleichen wir uns mit anderen und schneiden dabei ganz gut ab! Das Beispiel von Petrus sollte uns vorsichtiger machen in dem, was wir von uns denken und sagen.

Petrus hatte ein Herz voller Liebe für den Herrn Jesus und wollte Ihm folgen. Aber er vertraute dabei auf seine eigene Kraft und hatte noch nicht erkannt, wie trügerisch das eigene Herz und wie schwach das Fleisch ist. Petrus musste – wie wir alle – lernen: Wenn wir den Wunsch haben, dem Herrn treu nachzufolgen, dürfen wir uns nicht auf unsere eigene Kraft stützen. Wir müssen uns vielmehr unserer eigenen Schwachheit und unseres Unvermögens bewusst sein und die Kraft beim Herrn suchen.

Petrus fehlte die Selbsterkenntnis und er vertraute auf seine eigene Kraft. Eine richtige Einschätzung unseres eigenen Zustands ist jedoch äusserst wichtig, denn Selbsterkenntnis beseitigt Selbstvertrauen.

3) Petrus nahm die Warnungen des Herrn nicht an

Der Herr liess die selbstbewussten Worte von Petrus nicht unbeantwortet stehen. In Vers 27 hatte Er eine allgemeine Warnung an alle Jünger ausgesprochen. In Vers 30 gab Er Petrus nun eine ganz persönliche und konkrete Warnung: «Wahrlich, ich sage dir, dass du heute, in dieser Nacht, ehe der Hahn zweimal kräht, mich dreimal verleugnen wirst.» Allein die Tatsache, dass der Herr sein Versagen vorhersagte und zeitlich auf die dritte Nachtwache, den «Hahnenschrei» (Mk 13,35), eingrenzte, hätte Petrus vorsichtig machen müssen. Doch selbst auf diese präzise Warnung hörte Petrus nicht. Stattdessen beteuerte er in seinem fleischlichen Eifer umso mehr: «Wenn ich mit dir sterben müsste, werde ich dich nicht verleugnen.» Auch die anderen Jünger waren nicht besser, sondern sprachen ebenso. Sie taten es nur nicht so lautstark wie Petrus.

Der Blick auf den Herrn und die Erinnerung an seine Liebe und Fürsorge für uns motiviert uns, Ihm mit mehr Treue und Hingabe zu folgen. Das Beispiel von Petrus zeigt, dass wir dies nicht im Vertrauen auf die eigene Kraft schaffen. Um auf dem Weg hinter dem Heiland her bewahrt zu bleiben, müssen wir in Demut vor Ihm unseren Weg gehen, nicht auf uns selbst vertrauen, sondern uns ganz auf Ihn stützen. Denn ohne Ihn können wir nichts tun (Joh 15,5)!

  • 1Nach Markus und Matthäus hat der Herr diese Worte auf dem Weg nach Gethsemane gesprochen. Nach Johannes 13,36-38 könnte Er dies noch auf dem Obersaal getan haben.