Bin ich es oder ist es der Herr?

4. Mose 11,11-15

«Mose sprach zu dem HERRN: Warum hast du an deinem Knecht übel getan, und warum habe ich nicht Gnade gefunden in deinen Augen, dass du die Last dieses ganzen Volkes auf mich legst? Bin ich mit diesem ganzen Volk schwanger gegangen, oder habe ich es geboren, dass du zu mir sprichst: Trag es in deinem Gewandbausch, wie der Wärter den Säugling trägt, in das Land, das du ihren Vätern zugeschworen hast? … Ich allein vermag dieses ganze Volk nicht zu tragen, denn es ist mir zu schwer. Und wenn du so mit mir tust, so bring mich doch um, wenn ich Gnade gefunden habe in deinen Augen, damit ich mein Unglück nicht ansehe» (4. Mo 11,11-15).

Hier finden wir, wie der Geist Moses sich vom Gewicht der Verantwortung, die auf ihm lastete, niederdrücken liess. Mit den obigen Worten drückte er die Qual seines Herzens aus.

In all diesem sehen wir, wie sich Mose offensichtlich von einem Ehrenposten zurückzog. Wenn es Gott gefiel, ihn zum einzigen Werkzeug zu machen, um das Volk zu führen, so wurden ihm dadurch umso mehr Würde und Vorrechte übertragen. Natürlich war die Verantwortung enorm gross. Doch der Glaube würde anerkennen, dass Gott genug Hilfe zur Verfügung stellen konnte.

Hier jedoch verlor Mose den Mut, obwohl er ein gesegneter Knecht war, und er sprach: «Ich allein vermag nicht dieses ganze Volk zu tragen, denn es ist mir zu schwer.» Aber es wurde ja gar nicht von ihm verlangt, es allein zu tragen, denn Gott war mit ihm. Für Gott war Israel nicht zu schwer. Er war es, der das Volk trug. Mose war nur das Werkzeug. Er hätte geradeso gut von seinem Stab sagen können, dass dieser das Volk trage. Denn was war Mose anderes als ein blosses Werkzeug in der Hand Gottes, genauso wie es der Stab in der seinen war?

Genau in diesem Punkt versagen die Diener Gottes oft, und dieses Versagen ist umso schwerwiegender, als es den Anschein von Demut trägt. Es sieht so aus, als ob man sich selbst nicht trauen würde, als ob man zutiefst niedrig gesinnt sei, wenn man vor massiver Verantwortung zurückschreckt. Doch das Einzige, wonach ich fragen muss, ist, ob Gott mir die Verantwortung auferlegt hat. Wenn dem so ist, wird Er ganz gewiss mit mir sein und mich darin unterstützen, und wenn Er mit mir ist, kann ich alles, was irgend auf mich zukommt, ertragen. Mit Ihm bedeutet das Gewicht eines Berges nichts, ohne Ihn ist schon das Gewicht einer Feder erdrückend.

Es ist etwas völlig anderes, wenn sich ein Mann im Stolz seines Geistes in den Vordergrund drängt und eine Last auf seine Schultern nimmt, die Gott niemals für ihn bestimmt hat. Natürlich hat Er ihm in einem solchen Fall auch nicht die Fähigkeiten gegeben, diese zu tragen. So können wir ganz sicher erwarten, dass er unter ihrem Gewicht zusammenbricht. Aber wenn Gott ihm die Last auferlegt, wird Er ihn stärken und ihn dazu befähigen, sie zu tragen.

Es ist niemals die Frucht der Demut, wenn sich jemand von einem Posten, zu dem Gott ihn berufen hat, zurückzieht. Im Gegenteil, wahre Demut wird sich darin zeigen, dass man in einfältiger Abhängigkeit von Gott an seinem Platz ausharrt. Wenn wir aufgrund unserer Unfähigkeit von einem Dienst zurückschrecken, ist dies ein sicherer Beweis dafür, dass wir mit uns selbst beschäftigt sind. Gott beruft uns nicht wegen unseres eigenen Könnens in einen Dienst, sondern weil Er uns mit allem dazu Nötigen ausrüsten kann. Daher muss ich keinen Platz des Dienstes oder des Zeugnisses wegen der grossen Verantwortung, die damit verbunden ist, aufgeben, – es sei denn, dass ich mich mit mir selbst beschäftige oder von offenem Misstrauen Ihm gegenüber erfüllt bin.

Alle Kraft gehört Gott, und es ist so ziemlich dasselbe, ob diese Kraft durch ein Werkzeug oder durch 70 handelt, sie bleibt gleich gross. Aber wenn ein Werkzeug die Würde zurückweist, bedeutet es für dieses einen grossen Verlust. Gott wird keinen Menschen zwingen, an einem Ehrenplatz zu bleiben, wenn dieser Ihm nicht zutraut, dass Er ihn dort aufrechterhält und unterstützt. Der Weg steht immer offen, dass einer von seiner Würde herabsteigt und dahin absinkt, wohin der Unglaube ihn bestimmt bringen wird.

So war es mit Mose. Er beklagte sich über die Last, und die Last wurde umgehend von ihm weggenommen. Doch mit der Last wurde auch die hohe Ehre, sie tragen zu dürfen, von ihm genommen. «Der Herr sprach zu Mose: Versammle mir siebzig Männer aus den Ältesten Israels, von denen du weisst, dass sie die Ältesten des Volkes und seine Vorsteher sind, und führe sie zu dem Zelt der Zusammenkunft, dass sie sich dort mit dir hinstellen. Und ich werde herniederkommen und dort mit dir reden, und ich werde von dem Geist nehmen, der auf dir ist, und auf sie legen, dass sie mit dir an der Last des Volkes tragen, und du sie nicht allein tragest» (4. Mo 11,16.17).

Es wurde hier keine neue Kraft eingeführt. Es war derselbe Geist, ob in einer Person oder auf 70 verteilt. Es waren nicht mehr sittliche Werte oder Tugenden im Fleisch von 70 Männern als im Fleisch eines Mannes. «Der Geist ist es, der lebendig macht, das Fleisch nützt nichts» (Joh 6,63). Was die Kraft angeht, wurde durch diese Verlagerung der Verantwortung nichts gewonnen, doch, was die Würde betrifft, verlor Mose sehr viel.

Im nachfolgenden Teil von Kapitel 11 finden wir, wie Mose Worte des Unglaubens äusserte, die den Herrn zu einem scharfen Tadel veranlassten: «Ist die Hand des Herrn zu kurz? Jetzt sollst du sehen, ob mein Wort dir eintrifft oder nicht» (V. 23). Beim Vergleich der Verse 11-15 mit den Versen 21.22 wird man eine bezeichnende und ernste Verbindung zwischen ihnen erkennen. Der Mann, der aufgrund seiner Schwachheit vor der Verantwortung zurückschreckt, steht in grosser Gefahr, die Fülle und Allgenügsamkeit der Hilfsquellen Gottes infrage zu stellen.

Diese ganze Begebenheit lehrt jeden Diener des Herrn, der vielleicht versucht ist, sich in seiner Arbeit allein oder überlastet zu fühlen, eine wertvolle Lektion. Er möge sich daran erinnern, dass dort, wo der Heilige Geist wirkt, ein Werkzeug ebenso gut und wirksam ist, wie 70, und dass dort, wo Er nicht wirkt, 70 Werkzeuge nicht wertvoller sind als eines. Es hängt alles von der Energie des Heiligen Geistes ab. Mit Ihm kann ein Mann alles tun, alles ertragen, alles aufrechterhalten. Ohne Ihn können 70 Männer nichts tun. Der einsame Diener denke daran, dass er, wenn die Gegenwart und die Kraft des Heiligen Geistes mit ihm sind, sich weder über seine Last beklagen noch nach einer Aufteilung der Arbeit verlangen muss. So wird er getröstet und sein sinkender Mut wiederbelebt.

Wenn Gott einen Mann ehrt, indem Er ihm ein grosses Werk aufträgt, soll dieser sich daran freuen und nicht murren, denn, wenn er murrt, kann er seine Ehre umgehend verlieren. Gott kommt nie in Verlegenheit, weil Er etwa keine geeigneten Werkzeuge hätte. Er hätte selbst aus den Steinen Kinder für Abraham erwecken können, und aus den Steinen kann Er auch die nötigen Werkzeuge erwecken, um sein herrliches Werk weiterzuführen.

Wie wertvoll ist ein Herz, das Ihm dienen möchte! Ein geduldiges, demütiges, selbstloses, uneigennütziges, hingebungsvolles Herz! Ein Herz, das bereit ist, Ihm entweder mit anderen zusammen oder auch allein zu dienen, ein Herz, das so mit Liebe zu Christus erfüllt ist, dass es seine Freude darin findet, Ihm zu dienen, ganz gleich, wie der Dienst auch ist. Das ist sicher die besondere Notwendigkeit unserer Tage. Möge der Heilige Geist in unseren Herzen ein tieferes Gefühl für die alles übersteigende Kostbarkeit des Namens Jesu wachrufen und uns dazu befähigen, eine vollere, klarere, eindeutigere Antwort auf die unveränderliche Liebe seines Herzens hervorzubringen!