Der Prophet Daniel (7)

Daniel 7

Kapitel 7

In Kapitel 5 hatten wir den Bericht über das letzte Jahr, eigentlich über die letzten Stunden des Königtums Belsazars. Am Anfang des 7. Kapitels werden wir in das erste Jahr seiner Regierung zurückversetzt. Zu jener Zeit war Daniel gänzlich in Vergessenheit geraten, wie Kapitel 5 es uns bezeugt. Er hatte den Anschluss an weltliche Berühmtheit verloren, aber durch einen Traum stand er immer noch in Verbindung mit dem Himmel. Früher beruhte sein Ruhm im Wesentlichen auf von Gott geschenkter Deutung von Träumen. In Kapitel 2 wurde ihm das Geheimnis durch ein Nachtgesicht offenbart. Jetzt, während der Zeit seiner Zurückgezogenheit von weltlichen Angelegenheiten, wird ihm durch einen Traum eine prophetische Offenbarung gegeben. «Dann schrieb er den Traum auf», zu unserem Nutzen, da diese Aufzeichnung in die inspirierten Schriften mit eingeschlossen wurde.

Vers 2 ist sehr aufschlussreich. Was er sah, wurde hervorgerufen durch das Losbrechen der «vier Winde des Himmels … auf das grosse Meer». Das Meer ist bildlich gebraucht, um die Masse der Menschheit anzuzeigen. So stellen die «vielen Wasser» in Offenbarung 17,1 und 15 «Völker, Völkerscharen, Nationen und Sprachen» vor. «Winde» reden oft von der Macht Satans, da er der «Fürst der Gewalt der Luft» ist (Eph 2,2). Was Daniel im Gesicht sah, war ein Bild des Wirkens der Mächte der Finsternis in der Masse der Menschheit. Das Resultat dieser Tätigkeit waren, wie wir noch sehen werden, die vier Weltreiche, die die Zeiten der Nationen ausfüllen sollten, Israel ist die einzige Nation, die durch Gott zu einer Vorrangstellung erhoben wurde. Aber nachdem dieses Volk beiseitegesetzt ist, entstehen als Folge der Bemühungen satanischer Mächte, und nicht durch die Wirksamkeit der Kraft Gottes, vier Weltmächte.

Die in Erscheinung tretenden Mächte sind durch Tiere dargestellt. Es ist beachtenswert, dass dieses Bild im Buch der Offenbarung wieder auftaucht. Dort wird das in den letzten Tagen wiedererstehende römische Weltreich mit einem Tier verglichen, das aus dem Meer aufsteigt (Off 13,1). Dass die vier Reiche durch Tiere dargestellt werden, ist keineswegs schmeichelhaft für sie. Aber Gott macht keine Komplimente, sondern stellt die Dinge vorbildlich genauso dar, wie sie nach ihrem inneren Charakter sind. Die Geschichte, soweit sie bis heute über die Bühne gegangen ist, bestätigt die Genauigkeit der verwendeten Bilder durchaus.

Die vier Tiere erscheinen der Reihe nach und sind in den Versen 4-7 beschrieben. Das erste entspricht dem babylonischen Reich mit der Kraft eines Löwen und der Schnelligkeit eines Adlers. Der zweite Teil von Vers 4 scheint sich auf das erzieherische Handeln Gottes mit Nebukadnezar zu beziehen. Dies hatte sich beinahe erfüllt, als Daniel das Gesicht hatte. Das zweite, beschrieben in Vers 5, war das medo-persische Reich, das das babylonische stürzte, schon bald nachdem Daniel den Traum hatte. Es gleicht einem Bären, was beachtenswert ist. Babylon glich einem Löwen und einem Adler, wie wir es auch in Jeremia 4,7 und 49,19-22 finden. Der Bär hat von Natur aus nicht die Kraft des Löwen, sein Kennzeichen ist die Raubgier, wie es auch in unserem Vers angedeutet ist. Die Geschichte lehrt uns, dass die eine Seite, die der Meder, zuerst aufkam, denn Darius war ein Meder. Aber bald wurden die Perser unter Kores (Cyrus) vorherrschend. Den Juden gegenüber war dieser König günstig gesinnt, wie es uns die Anfangsverse des Buches Esra zeigen. Im Übrigen war aber seine Macht keineswegs tolerant. Die Worte: «Stehe auf, friss viel Fleisch!» wurden während seiner Zeit tatsächlich erfüllt.

In Vers 6 ist das dritte Weltreich vorgebildet. Es ist das griechische, gegründet durch Alexander den Grossen. Der Leopard ist ein grausames Tier, ausgezeichnet durch seine grosse Gewandtheit. Der Gedanke der Schnelligkeit und Flinkheit wird noch durch die «vier Flügel eines Vogels» auf seinem Rücken unterstrichen. Das ist ein passendes Bild für die Schnelligkeit, mit der Alexander seine Eroberungen machte und das persische Weltreich niederwarf. Das Tier hatte zudem vier Köpfe. Es ist ein Hinweis auf die Folgen des frühen Todes Alexanders – die Aufteilung seines Reiches in vier einzelne Königreiche unter vier seiner führenden Generäle.

Aber noch ein viertes Weltreich, nämlich das römische, war im Begriff aufzusteigen. Seine Beschreibung finden wir in Vers 7. Dieses würde so aussergewöhnlich sein, dass es durch kein bekanntes Tier, wie Löwe, Bär oder Leopard, dargestellt werden konnte. «Es war verschieden von allen Tieren, die vor ihm gewesen sind» – «schrecklich und furchtbar und sehr stark». Es würde «grosse eiserne Zähne» haben und nicht nur unterwerfen, sondern das Unterworfene auch verschlingen und in Stücke zerbrechen. Wie genau trifft diese Beschreibung auf das römische Weltreich zu! Die Geschichte beweist es.

Wir haben hier wieder die vier Weltreiche vor uns, die uns schon in Nebukadnezars Traum, in Kapitel 2, gezeigt wurden. Nur sehen wir sie hier unter einem anderen Gesichtspunkt. Dort wurde auf die Wertverminderung in der Qualität ihrer Regierungsform hingewiesen, angefangen beim Gold bis zu der unzuverlässigen Verbindung zwischen Eisen und Ton. Hier offenbart sich ihr wahrer innerer Charakter und ihre Gesinnung. Alle vier werden durch Tiere abgebildet, ausgestattet mit grosser Stärke, die sich aber als zerstörende Kraft entfaltet. Welch eine schreckliche Enthüllung über die mächtigen Reiche der Menschen, die die Zeiten der Nationen ausfüllen sollen, zeigt sich uns hier, wo uns der wahre Charakter, wie Gott ihn sieht, vorgestellt wird. Lasst uns ernsthaft über diese Dinge nachdenken, damit wir lernen, die weltpolitischen Dinge in dem Licht zu betrachten, das uns hier gegeben wird.

Das vierte Tier hatte zehn Hörner, entsprechend den zehn Zehen der Füsse des Bildes von Kapitel 2. Die Verse 8 und 9 unseres Kapitels zeigen, dass diese «Hörner» einflussreiche Männer und Könige vorbilden, die in den letzten Tagen des vierten Tieres aufstehen werden. Drei davon werden durch «ein anderes, kleines Horn» gestürzt. Dieses zeichnet sich durch einen durchdringenden Verstand und grosse Macht in überheblicher Rede aus. Hier begegnen wir zum ersten Mal diesem bösen Menschen, in dem Satans Macht verkörpert wird, wie wir es weiter unten in unserem Kapitel sehen werden.

Während Daniel den ungewöhnlichen Anblick bestaunte, wurden «Throne aufgestellt und ein Alter an Tagen setzte sich». Der Prophet sah also, dass die Stunde des Gerichts gekommen war. Wie majestätisch ist die Sprache dieser Verse! Man wird beim Lesen unwillkürlich an die Art und Weise erinnert, wie der Herr Jesus in Offenbarung 1 dem Johannes erschien. Wir denken dabei auch an das Wort aus Johannes 5,22: «Denn der Vater richtet auch niemand, sondern das ganze Gericht hat er dem Sohn gegeben». Den Pharisäern und anderen erklärte Johannes der Täufer: «Er wird euch mit Heiligem Geist und mit Feuer taufen … die Spreu aber wird er verbrennen mit unauslöschlichem Feuer» (Mt 3,11.12). Und Feuer kennzeichnet auch die Szene hier (Vers 9-11).

Der Alte an Tagen stellt uns Gott als den vor, der von Ewigkeit war. Wir müssen daran denken, dass die Personen der Gottheit damals nicht klar unterschieden waren, wie sie es jetzt sind, seit dem Kommen Christi. In Gegenwart des allmächtigen Gottes wird das römische Reich in seinem letzten und schlimmsten Stadium durch Gericht zerstört. Es steht dann unter der Herrschaft des «kleinen Horns», das dem ersten Tier in Offenbarung 13 entspricht. Bis zu dieser Zeit werden die übrigen drei Tiere weiterleben dürfen, obwohl ihnen die Herrschaft weggenommen wurde (Vers 12).

Dieser Traum lässt sich klar in drei Abschnitte unterteilen. Der erste enthält das Gesicht der vier Tiere. Der zweite zeigt das Gesicht des eingesetzten Gerichts und die Zerstörung des vierten Tieres mit seinem kleinen Horn in der Gegenwart des allmächtigen Gottes. Der dritte Teil umfasst das Gesicht über die Erscheinung, die Herrlichkeit und die ewige Herrschaft des «Menschen-Sohnes». Der Hinweis auf den Herrn Jesus ist hier nicht so ausgeprägt wie in Psalm 8,4. In jenem Vers bedeutet im Hebräischen das Wort «Mensch» bei der ersten Erwähnung «sterblicher Mensch», bei der zweiten dagegen «Adam». Jesus war kein sterblicher Mensch, aber Er war wirklich der «Sohn Adams», wie es uns das Lukas-Evangelium zeigt. Hier in Vers 13 dagegen meint der aramäische Ausdruck «eines Menschen Sohn» einen sterblichen Menschen. Daniel schaute in dem Gesicht den einen, der wie eines Menschen Sohn aussah. Es war der, der «in Gleichheit der Menschen geworden ist, und in seiner Gestalt wie ein Mensch erfunden» wurde (Phil 2,7.8) Durch das Licht des Neuen Testaments sind wir bevorzugt zu wissen, wer dieser eine tatsächlich ist.

Von Vers 15 bis zum Schluss des Kapitels finden wir die Erklärung des Gesichts, wie sie Daniel gegeben wurde. Vieles davon haben wir schon erwähnt. Aber es gibt darin noch Einzelheiten, die im Traum nicht vorgestellt wurden. In den Versen 18 und 25 lesen wir zum Beispiel den Ausdruck «die Heiligen der höchsten Örter». Wenn das vierte Tier, zusammen mit dem kleinen Horn, seinem kaiserlichen Haupt, zerstört sein wird, werden diese das Reich empfangen und ewig besitzen. Doch einige von ihnen werden vernichtet. Vers 21 sagt, dass das Horn «Krieg gegen die Heiligen führte und sie besiegte».

Wir haben hier eine kurze Anspielung auf Dinge, die uns in Offenbarung 13,7 und 14,9-13 klarer offenbart werden. Wir bitten unsere Leser, diese Verse nachzuschlagen und besonders Vers 13 mit Kapitel 20,4 zu vergleichen. Es scheint klar zu sein, dass das Horn, das dem ersten Tier von Offenbarung 13 entspricht, viele dieser Gottesfürchtigen, die seine Anbetung und die Annahme seines Malzeichens verweigern, verfolgen und töten wird. Aber solche werden in einem besonderen Mass gesegnet, wenn sie ruhen von ihren Mühen. Sie werden auferstehen vor Beginn der Regierung Christi, um Anteil an einem himmlischen Teil zu haben. Ihnen wird mit allen andern «der höchsten Örter» Herrschaft gegeben. Sie erfreuen sich also eines himmlischen Teils im Gegensatz zu einem Platz des Segens während den Tausend Jahren auf dieser Erde.

Obwohl gegen sie Krieg geführt wird, werden nicht alle Heiligen, die in Vers 21 unseres Kapitels erwähnt werden, getötet. Die Übrigbleibenden werden selbstverständlich in die irdischen Segnungen des Reiches eingehen. So haben wir in unserem Kapitel «die Heiligen», die entrinnen und auf der Erde gesegnet werden; «die Heiligen der höchsten Örter», deren Teil im Himmel ist; und in Vers 27 «das Volk der Heiligen der höchsten Örter», dem das Reich und die Herrschaft und die Grösse der Königreiche unter dem ganzen Himmel gegeben wird. Dieses Volk wird das wahre Israel sein, gereinigt und wiedergeboren (Hes 36) und so zu geistlichem Leben erweckt (Hes 37).

Dieses Gesicht wurde Daniel kurz vor dem Fall des ersten Weltreiches gegeben. Und da er ohne das Licht war, das uns durch das Neue Testament geschenkt ist, können wir verstehen, was für eine beängstigende Wirkung das Ganze auf ihn hatte. Das, was ihn ängstigte, darf uns ermutigen. Die tierähnlichen Reiche der Menschen werden im Gericht verschwinden. Dafür wird alle Herrschaft dem Sohn des Menschen übertragen. Er wird dabei himmlische und irdische Heilige bevollmächtigen, sie mit Ihm auszuüben.