Der Prophet Daniel (1)

Daniel 1

Einleitung

Jesaja weissagte im Reich Juda, vor und während der Regierung des gottesfürchtigen Königs Hiskia. Unter dem Einfluss dieses Regenten schienen die Dinge äusserlich besser zu werden. Aber der Prophet musste den verborgenen Zerfall aufdecken, der sich unter der Oberfläche ausbreitete. In unserer Bibel folgt auf sein Buch das des Propheten Jeremia, den Gott erweckte, um in den letzten traurigen Tagen der Geschichte Judas für Ihn zu zeugen. Damals standen die Dinge hoffnungslos schlimm und ohne Aussicht auf Wiederherstellung, und durch den König Nebukadnezar kam das Unglück über das Volk.

Früher bewohnten sieben Nationen das Land Kanaan. Aber sie verübten so schreckliche Sünden, dass Gott das Volk Israel unter Josua gegen sie sandte, mit dem Befehl, alle gänzlich auszurotten. Und jetzt hatte der Herr durch Jeremia ähnliches über Juda zu sagen: «Entsetzliches und Schauderhaftes ist im Land geschehen: Die Propheten weissagen falsch, und die Priester herrschen unter ihrer Leitung, und mein Volk liebt es so. Was aber werdet ihr tun am Ende von all dem?» (Jer 5,30.31). Was Gott «am Ende von dem» durch den König von Babylon tat, hatte Jeremia zu seinem tiefen Schmerz mit anzusehen und zu erfahren. Wir bekommen eine Ahnung von der Tiefe seines Kummers, wenn wir die Klagelieder lesen, die ein separates Buch bilden.

Dann folgt das Buch des Propheten Hesekiel. Er gehörte zu denen, die unter König Jojakin in die Gefangenschaft geführt wurden. Dies geschah einige Jahre vor dem endgültigen Fall Zedekias und der Stadt Jerusalem, den Jeremia miterlebte. Im fremden Land hatte Hesekiel Gesichte. Er sah, wie die Herrlichkeit, der Ausdruck der Gegenwart Gottes, den Tempel und die Stadt verliess; und wenn Gott sich entfernt hatte, war alles verloren.

Und doch sagte jeder dieser drei Propheten ein zukünftiges Eingreifen Gottes voraus, das von einer ganz neuen Art und Weise sein würde. Jesaja redete von vollkommen neuen Dingen, sogar von einem neuen Himmel und einer neuen Erde. Dies wird zustande kommen durch das zweimalige Kommen des Messias: zuerst als der unterwürfige Knecht, um für die Sünden zu leiden und zu sterben, und dann als der mächtige Arm des HERRN, um das in Kraft zu erlösen, was Er schon mit seinem Blut erkauft hat.

Jeremia schliesst mit seinen Prophezeiungen an, indem er sagt, dass diese neuen Dinge nicht auf der Grundlage des alten Bundes des Gesetzes, sondern auf der des neuen Bundes der Gnade errichtet würden. Wenn wir die Verse 31-34 seines 31. Kapitels lesen, stellen wir fest, wie oft der Ausdruck «Ich werde» vorkommt, im Gegensatz zu «wir wollen», in 2. Mose 19,8. In diesem neuen Bund wird Gott nach seinen eigenen Gedanken und Absichten in Gnade handeln, gestützt auf das Werk Christi, wie Jesaja es enthüllt.

Hesekiel vervollständigt den prophetischen Überblick, den uns diese drei grossen Propheten geben. In seinem 36. Kapitel kündigt er uns die Wiedergeburt an, die ein Überrest aus Israel erleben wird, bevor sie in die Segnungen des tausendjährigen Reiches eingehen werden. Im nächsten Kapitel spricht er von der geistlichen Wiederbelebung des Volkes und einer neuen Lebensordnung, in die sie gebracht werden.

Das führt uns zu Daniel, den Gott beim Beginn der «Zeiten der Nationen» unter Nebukadnezar erweckte (Lk 21,24). Er war von Gott befähigt, uns einen prophetischen Überblick über den Lauf dieser Zeiten zu geben, in denen der Messias weggetan werden wird. Deshalb wird Drangsal das Teil des Volkes sein, aber mit der Hoffnung auf Befreiung am Ende.

Daniels Prophezeiung teilt sich deutlich in zwei Teile, wenn man vom Einführungskapitel absieht. Darin wird uns die mutige Haltung Daniels und seiner drei Freunde gegen den Einfluss des Götzendienstes geschildert, und wie Gott sich zu ihnen bekannte. Von dem Punkt an, da die Chaldäer zu dem König auf aramäisch sprachen (2,4) bis zum Ende von Kapitel 7 wird diese Sprache der Nationen benützt. Erst Kapitel 8 kehrt wieder zu der hebräischen Sprache zurück. Somit werden die geschichtlichen Einzelheiten und die Prophetie, die sich auf die Herrschaft der Nationen beziehen, in der Sprache der Nationen geschrieben. In den letzten fünf Kapiteln werden Daniel Dinge offenbart, die in der Hauptsache sein Volk betreffen, obwohl sich gewisse Einzelheiten auch auf die Nationen beziehen.

Kapitel 1

Dreimal zog Nebukadnezar mit seinen Heeren gegen Jerusalem. Dabei stürzte er die Könige Jojakim, Jojakin und Zedekia. Bei der ersten Begebenheit wurden Daniel und seine drei Freunde mit einer ganzen Anzahl Jugendlicher von königlicher oder fürstlicher Abstammung in die Gefangenschaft geführt. Man betrachtete sie als geistig besonders hochstehend. Der scharfsinnige Babylonierkönig wollte seine Position mit den begabtesten Männern der besiegten Nationen stärken. Er fasste sie zu einem Heer von Magiern zusammen, – Männer, die mit dämonischen Mächten verkehrten und ihm Ratschläge gaben aufgrund ihres okkulten Treibens.

Daniel und seinen Freunden stand also eine Ausbildung bevor, die ihnen Kenntnis und Einsicht vermitteln sollte. Dieses Wissen stand aber zweifellos in Verbindung mit «Zauberei», so genannt in Apostelgeschichte 19,19, wie sie auch zu jener späteren Zeit in Ephesus betrieben wurden. Wenn der grosse babylonische Herrscher die Anzahl der Männer erhöhen konnte, die ihm übernatürliche Weisheit und Beratung zu geben vermochten, wuchs auch seine Macht.

Von jetzt an wurde ihnen die Nahrung nach spezieller Verordnung vorgeschrieben: ein Tagtägliches von der Tafelkost des Königs. Das bedeutete: vom Besten des Landes, das aber zweifellos in Verbindung mit götzendienerischen Riten stand. Und weiter wurden ihnen durch den Obersten der Kämmerer die ursprünglichen Namen abgenommen. Sie waren unter einen neuen Besitzer gekommen und dies wurde hervorgehoben durch neue Namen heidnischen Ursprungs und abgöttischer Bedeutung. Das war die Stellung, in die sich Daniel und seine Gefährten versetzt sahen.

Beim Lesen des 8. Verses werden wir unwillkürlich durch die Worte getroffen: «Und Daniel nahm sich in seinem Herzen vor, sich nicht … zu verunreinigen». Welch eine bedeutungsvolle Aussage! Hätte er es sich nicht vorgenommen, gäbe es kein Buch Daniel in unserer Bibel. Haben wir bemerkt, dass der Geist Gottes in seinem Bericht den heidnischen Namen nicht anerkennt und dafür seinen ursprünglichen verwendet? Daniel bedeutet: «Richter ist Gott». Dieser Mann lebte offensichtlich im Licht seines Namens, denn wir lesen nicht, dass er es sich in seinem Kopf, dem Sitz seiner Intelligenz, vornahm, sondern im Herzen, dem Sitz seiner Liebe zu Gott, vor dem er lebte. Ein solcher Vorsatz hat Bestand und wird sich nicht verändern.

Im Weiteren stellen wir fest, dass es die Verunreinigung war, die er entschieden vermeiden wollte. Vom materiellen Standpunkt aus gesehen, war die Nahrung sicher rein. Es war die geistliche Verunreinigung, an die er dachte. Babylon war von jeher die Brutstätte des Götzendienstes. In Vers 8 werden seine drei Freunde nicht genannt. Aber in Kapitel 3,18 zeigen sie genau die gleiche Einstellung und den gleichen Vorsatz wie er.

Lasst uns die Lektion, die uns hier begegnet, ernsthaft zu Herzen nehmen. Das Geheimnis der ungewöhnlichen Kraft Daniels lag in der vorsätzlichen Absonderung von der bösen Welt, die ihn umgab. Er kannte ihre Macht der Verunreinigung und lehnte sie entschieden ab. Etwa fünf Jahrhunderte später enthüllte sich ihr wahrer Charakter vollkommen und endgültig im Kreuz Christi. Der Herr Jesus selbst sagte damals: «Jetzt ist das Gericht dieser Welt» (Joh 12,31). Wir leben jetzt im Licht dieser Tatsache. Wir wissen, dass sie durch Satan regiert wird, denn er wird «der Gott dieser Welt» genannt (2. Kor 4,4). Wie nötig ist es daher für uns, mit ganzem Herzensentschluss uns von der Welt abzusondern, mehr noch als für Daniel.

Trotz seiner grossen Entschiedenheit war ein Geist der Weisheit und Demut in ihm, in dem er seinen Entschluss bekannt gab. Gott handelte zu seinen Gunsten, indem Er ihm das Wohlwollen des Obersten der Kämmerer sowie des Aufsehers zuwandte. Doch nahm er sich deswegen nichts heraus, um überheblich zu reden. Vielmehr brachte er seinen Wunsch vor und unterbreitete das Gesuch, dass er und seine Freunde zum Test während zehn Tagen Gemüse und Wasser bekommen sollten. Erst nachher, aufgrund der Resultate, sollte endgültig über die Sache beschlossen werden. Gott war mit ihnen und als Ergebnis wurden sie von der Verunreinigung befreit, die sie sonst betroffen hätte.

Lasst uns aus dieser Begebenheit eine Lektion lernen. Absonderung von aller Verunreinigung ist immer der Weg Gottes für die Seinen, aber viel hängt davon ab, in welchem Geist sie ausgelebt wird. Wird sie in einem strengen und überheblichen Geist verwirklicht, anstatt in einem Geist der Sanftmut und Unterordnung, dann wird das Zeugnis gegenüber andern wirkungslos. Wenn wir sie in einem Geist praktizieren, der da sagt: «Bleib dort, wo du stehst; komm nicht in meine Nähe; denn ich bin heiliger als du» – dieser Geist kennzeichnete die Pharisäer zur Zeit des Herrn Jesus – dann werden wir das Böse fördern, von dem wir bekennen uns abzusondern. Daniel und seine Freunde wünschten, sich abzusondern und führten es auch im richtigen Geist aus.

Deshalb war Gott mit ihnen in einer ganz ungewöhnlichen Weise. Nicht nur zeigte sich ihr Aussehen besser und völliger an Fleisch als das aller Jünglinge, sondern sie waren auch in Kenntnis und Einsicht in aller Schrift und Weisheit allen überlegen, die von der Tafelkost des Königs assen. Und zudem wurde Daniel übernatürliches Verständnis zuteil, für alle Gesichte und Träume, durch die Gott in jenen Tagen öfters seine Absichten kundtat.

Die Prüfung vor Nebukadnezar brachte alles klar zu Tage. Die Schriftgelehrten und Beschwörer waren Männer, die mit finsteren Mächten verkehrten, um so zu übernatürlichem Wissen zu kommen. Aber im Vergleich mit den vier Männern, die von Gott belehrt waren, erwiesen sich diese ihnen zehnmal überlegen. Das erstaunt uns eigentlich nicht. Wir finden das Gleiche noch deutlicher ausgedrückt in 1. Korinther 2, wo wir lesen, dass die Fürsten dieses Zeitlaufs nichts wissen von der Weisheit Gottes, sonst «würden sie wohl den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt haben». Der einfachste Gläubige hingegen beurteilt oder unterscheidet alles, weil er den Heiligen Geist besitzt und von Ihm geleitet wird.

Bevor wir das erste Kapitel verlassen, ist vielleicht noch zu erwähnen, dass die Frage über Speisen, die durch götzendienerische Handlungen verunreinigt waren, auch die Gläubigen in Korinth beschäftigte. Paulus belehrte sie darüber in 1. Korinther 8 und 10,25-31. Fleisch, das auf dem Markt verkauft wurde, oder das sie als Gast vorgesetzt bekamen, sollten sie essen, ohne Fragen zu stellen. Sobald sie aber sicher wussten, dass es Götzenopferfleisch war, sollten sie nichts davon geniessen. Ein Christ sollte sich von jeder Verbindung mit Götzendienst freihalten, genauso wie es Daniel und seine Freunde taten.