Die Versammlung des lebendigen Gottes (3)

10. Das Wachsen des Leibes (Eph 4,11-16)

Das winzige, zweiblättrige Gräslein, das dem Samenkorn entschlüpft, entwickelt sich zu einer grossen Pflanze mit Blüte und Frucht. Der Säugling, der so hilflos daliegt, wird mit den Jahren zu einem Mann. Auch die Versammlung, der Leib des Christus ist ein lebendiger Organismus und soll nach den Gedanken des Herrn «wachsen.»

Er fügt ihm immer mehr Erlöste als Glieder hinzu. Der Leib soll aber auch innerlich zunehmen. Er soll «hingelangen», «heranwachsen» und «auferbaut» werden.

Wenn wir das Kind mit dem Mann vergleichen, so können wir mühelos feststellen, dass das Wachstum des Körpers nur möglich ist, wenn alle einzelnen Körperteile daran teilhaben: Die kleinen Hände und Füsse sind grösser geworden, die Gliedmassen länger, Brust und Schultern breiter – jedes einzelne Organ entspricht nun der Statur des Erwachsenen. Bliebe nur eines in der Entwicklung zurück, würde es Wachstum und Leben des übrigen Leibes ernsthaft hindern.

So ähnlich verhält es sich auch in dem Leib des Christus. Sein Wachstum vollzieht sich dadurch, dass alle einzelnen Glieder, «wir alle» an der Entwicklung vom kleinen Kind zum erwachsenen Mann teilhaben.

Das Mass des vollen Wuchses

Wann ist denn das Wachstum des Leibes des Christus und des einzelnen Gläubigen abgeschlossen? Dann, wenn wir hingelangt sind «zu der Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen Mann, zu dem Mass des vollen Wuchses der Fülle des Christus» (Eph 4,13). Wenn wir in allem herangewachsen sind «zu Ihm hin, der das Haupt ist, der Christus.»

In den ersten Kapiteln des Epheserbriefes wird uns deutlich gesagt, dass jeder durch die Gnade Gottes Errettete mit Christus lebendig gemacht und auferweckt worden sei und nun in Ihm in den himmlischen Örtern mitsitzen dürfe, als einer, der dort mit jeder geistlichen Segnung beschenkt worden ist. Das ist die wunderbare Stellung und das herrliche Teil eines jeden Erlösten. In dieser Beziehung ist von einem Wachstum keine Rede.

Das 4. Kapitel aber betrachtet diese Segnungen von der praktischen Seite aus. Je besser der Gläubige die ihm in Christus geschenkten Dinge erkennt, die Fülle des Christus im Glauben erfasst und verwirklicht, wird er auch praktisch in allem zu Ihm hin wachsen. Dies geschieht allerdings nur unter der Voraussetzung, dass er, was den früheren Lebenswandel betrifft, den alten Menschen abgelegt hat (Eph 4,22).

Der Leib des Christus als Ganzes wird hier auf der Erde das ihm vom Haupt gesteckte Ziel – das Mass des vollen Wuchses der Fülle des Christus – nie erreichen. Lasst uns aber mit allen, die zu seinem Leib gehören, diesem hohen, gesegneten Ziele nachjagen und zustreben! Denn, dass die Gläubigen von «Kindern» zu «Vätern» heranreifen (1. Joh 2,12-17), ist ja ihr normales Wachstum.

Wie geschieht die Auferbauung des Leibes?

Damit der menschliche Körper wachsen kann, muss ihm Speise und Trank zugeführt werden. Sogleich treten gewisse Organe in Tätigkeit, die die empfangene Nahrung zerkleinern, in ihre Bestandteile auflösen und die geeigneten Stoffe den vielen Gliedern zur Erneuerung und zum Aufbau ihrer Zellen zuleiten. Aufbau und Wachstum des menschlichen Körpers beruhen also nach den wunderbaren Gedanken unseres grossen Schöpfer-Gottes auf der täglichen Nahrung und dem Zusammenspiel aller Organe.

Die Auferbauung des Leibes Christi geht in ähnlicher Weise vor sich. Nur ist die dazu erforderliche Speise nicht ein Produkt aus der Küche menschlicher Weisheit, auch keine Mischung von Wahrheit und Philosophie. Eine solche «Nahrung» führt von Christus weg zu Hunger und Zerfall, wie es uns die Geschichte der Kirche eindrücklich beweist. Das Wort Gottes allein dient der Auferbauung des Leibes Christi, und jeder wirkungsvolle Dienst besteht in der Darreichung dieses Wortes.

Diese göttliche Nahrung soll durch das Zusammenwirken der verschiedenen Teile des Leibes den einzelnen Gliedern in einer Weise zugeführt werden, dass sie aufgenommen werden und Wachstum bewirken kann. «Lasst uns in allem heranwachsen zu ihm hin, der das Haupt ist, der Christus, aus dem der ganze Leib, wohl zusammengefügt und verbunden durch jedes Gelenk der Darreichung, nach der Wirksamkeit in dem Mass jedes einzelnen Teiles, für sich das Wachstum des Leibes bewirkt zu seiner Selbstauferbauung in Liebe» (Eph 4,15.16).

Da sollte sich doch jeder von uns fragen: Übe ich meine Funktion als Gelenk der Darreichung innerhalb des Leibes Christi aus? In der Familie? Unter meinen Freunden? Wo irgend sich eine Gelegenheit zeigt? Dass doch durch uns alle der Geruch der Erkenntnis Christi auch unter den Gläubigen offenbar würde! (2. Kor 2,14).

11. Die Gaben des Herrn für seinen Leib

Der soeben besprochene, allgemeine Dienst der einzelnen Glieder würde aber nicht genügen. «Zur Vollendung der Heiligen, für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes des Christus» gibt der verherrlichte Herr ausserdem seiner ganzen Versammlung – nicht etwa nur einer bestimmten Kirche oder Gruppe von Gläubigen – besondere Gaben. Sie allein ermöglichen den eigentlichen Dienst des Wortes. Wer vom Herrn und Haupt des Leibes eine solche Gabe empfangen hat, ist ermächtigt und zugleich vor Ihm verantwortlich, treu damit zu dienen.

Diese Gaben sind nicht zu verwechseln mit natürlichen Fähigkeiten, die ein Mensch schon vor seiner Bekehrung besitzen mag. Im Gleichnis von Matthäus 25,14-30 empfing der Knecht die Talente «nach seiner eigenen Fähigkeit». Wir können daraus schliessen, dass der Herr bei der Verleihung von geistlichen Gaben, die vorhandenen natürlichen Fähigkeiten berücksichtigen wird. Aber eine natürliche Begabung allein macht noch keinen Menschen zu einem Diener des Wortes, der vom «Haupt des Leibes» anerkannt ist. Der Herr ist der eigentliche Geber der geistlichen Gaben, aber sie werden durch den Heiligen Geist ausgeteilt (1. Kor 12,11) und können nur unter der Leitung dieses Geistes der Wahrheit und der Liebe nutzbringend ausgeübt werden. Die Gabe ist eine geistliche Kraft, die sich in der Darreichung des Wortes erweist, so dass dieses in den Seelen Segen bewirken kann.

Lasst uns diese Gaben, die durch den Dienst des Wortes der Auferbauung des Leibes dienen, kurz überblicken. Sie werden in Epheser 4,11 der Reihe nach aufgezählt: «Und er hat die einen gegeben als Apostel und andere als Propheten und andere als Evangelisten und andere als Hirten und Lehrer.»

Apostel und Propheten

Petrus, Johannes und Paulus waren sowohl Apostel als auch Propheten des Neuen Testaments (Eph 2,20), und ihre apostolischen Schriften sind zugleich auch prophetische Schriften (Röm 16,26).

Das Apostelamt hatte vor allem mit der Regierung innerhalb der Versammlung zu tun und gab ihrem Dienst und ihrem Handeln Autorität. Als Propheten aber offenbarten sie die Gedanken und den Willen Gottes betreffend das grosse Geheimnis der Versammlung wie auch über die zukünftigen Dinge. Propheten waren zum Beispiel auch Markus und Lukas, die, vom Heiligen Geist inspiriert, Gedanken Gottes mitteilten, ohne mit dem Apostelamt betraut zu sein. Nach Apostelgeschichte 1,21-26 musste der Apostel ein Zeuge des Dienstes und der Auferstehung des Herrn Jesus sein (1. Kor 9,1; 15,5-8). Schon aus diesem Grund kann es keine Nachfolger der Apostel geben, wie heute verschiedene Gruppen in der Christenheit behaupten. Auch sonst finden wir im Wort Gottes keinerlei Anhaltspunkte, dass der Herr eine Nachfolge in der Apostelschaft vorgesehen habe.

Die Apostel und Propheten hatten ihre Aufgabe damals zu erfüllen. Durch sie hat der Herr die Grundlage gelegt und den Bau der Versammlung begonnen. Durch sie hat Er die junge Versammlung genährt und gepflegt und ihr «die Lehre der Apostel» gegeben (Apg 2,42).

Durch die Apostel hat Er auch das Wort Gottes vollendet (Kol 1,25), und wir besitzen nun die vollständige «Lehre der Apostel» im Kanon der Heiligen Schrift Wir unterstehen jetzt also der Autorität des abgeschlossenen Wortes Gottes, die an die Stelle der Autorität der Apostel getreten ist.

Evangelisten

Der Evangelist predigt das Evangelium von der Erlösung, von der Gnade eines vollkommenen Heils in Christus. Dadurch befreit er die Seelen von der Macht Satans und führt sie zu Gott; denn der Heilige Geist begleitet das Wort mit seiner Wirksamkeit, so dass es mit Kraft auf Herz und Gewissen der Hörer eindringt.

Die Tätigkeit des Evangelisten ist nicht an einen bestimmten Ort gebunden. Sein Arbeitsfeld ist die Welt (Mk 16,15) und liegt weniger innerhalb der Versammlung Gottes. Doch werden ja die Erretteten dem Leib Christi hinzugefügt. Und wenn der Evangelist diese Tatsache ausser Acht lässt und sich nicht darum kümmert, ob die kleinen Kinder im Glauben auch wirklich auf den gemeinsamen Weg der Kinder Gottes treten, nach den Belehrungen des Wortes, so entspricht sein Dienst in einem wichtigen Punkt nicht den Gedanken Gottes.

Jeder Gläubige ist «ein Brief Christi», und soll als solcher «gekannt und gelesen werden von allen Menschen» (2. Kor 3,2.3). Jeder wird ermahnt, «vor allen Dingen Flehen, Gebete, Fürbitten, Danksagungen zu tun für alle Menschen», damit sie «errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen» (1. Tim 2,1-4). Jeder sollte von Liebe zu den Seelen erfüllt und bereit sein, die Menschen, denen er begegnet, auf Christus hinzuweisen. Das persönliche Zeugnis und die Bemühungen des Einzelnen – z.B. im Verteilen von Evangeliumsschriften – sind von grösster Wichtigkeit zur Ausbreitung der Frohbotschaft von Jesus Christus auf dieser Erde. Die Ewigkeit wird es zeigen …

Wenn der Herr seiner Versammlung Evangelisten gibt – Männer mit einer besonderen geistlichen Gabe zur wirksamen Verkündigung des Wortes Gottes in dieser Welt – so will Er so den Einzelnen dadurch keineswegs seiner persönlichen Verantwortung entbinden.

Hirten und Lehrer

Sind die Seelen durch das Werk des Heiligen Geistes zu der Versammlung Gottes geführt worden, treten sie in den Genuss anderer Dienste. Sie werden jetzt gepflegt, genährt und belehrt, damit sie nicht Unmündige bleiben, die hin und hergeworfen und umhergetrieben werden von jedem Wind der Lehre, die da kommt durch die Betrügerei der Menschen (Eph 4,14). Wie wir gesehen haben, sollen auch sie – «wir alle» – durch ständiges Wachstum «das Mass des vollen Wuchses der Fülle des Christus» erreichen.

Besonders die Dienste der Hirten und Lehrer sind uns darin eine grosse Hilfe.

Die Gabe des «Lehrers» werden wir bei einem Bruder wahrnehmen können, der in besonderer Weise in das Wort Gottes einzudringen vermag und die darin enthaltenen Lehren, wie auch die Zusammenhänge seiner einzelnen Teile deutlich erfasst. Er ist in der Kraft des Geistes auch imstande, diese Lehren und Gedanken Gottes andern in Klarheit mitzuteilen und das Licht der Erkenntnis des Wortes zu verbreiten. Nebenbei gesagt: Wir können noch heute aus den Lehrgaben heimgegangener Brüder grossen Nutzen ziehen durch das Lesen der Bücher und Schriften, die sie uns hinterlassen haben.

Der «Hirte» hat mehr oder weniger ebenfalls die Gabe, zu lehren. Er besitzt darüber hinaus aber auch die Gnade, die Bedürfnisse und den Zustand der einzelnen Gläubigen zu erkennen, denen er dient, und ihnen mit Takt und Weisheit zu begegnen. Er geht auch den Verirrten nach und sucht sie zu der Herde und auf den rechten Pfad zurückzubringen.

Evangelisten, Hirten und Lehrer sind also Diener, die der Herr zur Sammlung und Auferbauung der Gläubigen benützt, Kanäle, durch die der Segen in der Kraft des Heiligen Geistes vom Haupt zu den Gliedern fliesst. Der Herr wird dafür sorgen, dass diese Gaben bis zu seinem Kommen in seiner Versammlung vorhanden sind, da sie ja bis zu jenem Augenblick «heranwachsen» soll.

Göttliche oder menschliche Ordnung

Es mag sein, dass die hier geäusserten Gedanken manchem Leser ganz ungewohnt sind. Seit Jahrhunderten besteht doch in der Christenheit eine ganz andere Ordnung des sogenannten «Gottesdienstes». Nach dieser menschlichen Ordnung ist es vielmehr so, dass ein junger Mann sich selber für den Beruf eines «Seelsorgers» entscheidet. Entsprechend seiner Zugehörigkeit zu einer besonderen Kirche oder Gemeinschaft besucht er theologische Fakultäten oder Prediger-Seminare. Nach bestandenen Examina wird er von seinen Vorgesetzten «ordiniert». In «seiner Kirche» oder «seiner Gemeinde» ist er der von Menschen gewählte und eingesetzte Pfarrer oder Pastor oder Prediger. Die Last des ganzen Dienstes des Wortes und der Seelsorge liegt nun auf ihm, auch wenn ihm vom Herrn vielleicht gar keine geistliche Gabe gegeben worden ist. Meistens darf auch ohne seine Zustimmung in «seiner Gemeinde» niemand am Dienst des Wortes teilnehmen, ein «Laie» schon gar nicht, auch wenn er vom Herrn selbst die Gabe eines Evangelisten, eines Hirten oder eines Lehrers empfangen hätte.

Ob die göttliche oder die menschliche Ordnung gelten soll, darf für einen Gläubigen keine Frage sein. Wie sollten wir an einem menschlichen System des Dienstes festhalten, durch das die Aufrechthaltung der göttlichen Ordnung, die wir in der Heiligen Schrift deutlich aufgezeichnet finden, umgestossen und verunmöglicht wird!