Die Versammlung des lebendigen Gottes (4)

Die Frage: Welche Gaben gibt der Herr seiner Versammlung zu ihrer Auferbauung? – haben wir das letzte Mal besprochen. Nun sollten wir aber noch auf die weiteren Fragen näher eintreten, die sich für den Einzelnen im Zusammenhang mit der Ausübung einer empfangenen Gabe ergeben. Zu ihrer Beantwortung darf uns nur das Wort Gottes als Grundlage dienen. Der Herr ist es, der die Gaben austeilt und nach seinen Anweisungen soll der entsprechende Dienst getan werden.

12. Die Zubereitung des Dieners

Gott bereitet sich seine Diener zum Empfang und zur Ausübung der Gabe zu. Diese Tatsache wird uns in der Schrift an einigen Beispielen deutlich gemacht. Gott hat einen Saulus von Tarsus «von seiner Mutter Leib an abgesondert und durch seine Gnade» zum Apostel der Nationen «berufen» (Gal 1,10). Saulus aber wusste lange Jahre nichts davon. Er lebte in einer ganz anderen Sphäre. Auferzogen in Jerusalem zu den Füssen Gamaliels und unterwiesen nach der Strenge des väterlichen Gesetzes, wurde er ein Eiferer für das Gesetz und ein Verfolger der Versammlung (Apg 22,3-4; Phil 3,5-6). Er meinte, Gott zu dienen, wenn er «sowohl Männer als Frauen band und in die Gefängnisse überlieferte».

Besass er jetzt schon die Gabe eines Apostels oder Irgendeine andere Gabe des Herrn an seine Versammlung? Keineswegs! Diese Gaben sind ja zur Auferbauung des Leibes Christi gegeben; er aber verfolgte und zerstörte die Versammlung Gottes. Es fehlte ihm dazu als

erste Voraussetzung: die Bekehrung

Einzig auf dem Weg der Buße und Bekehrung und dem Glauben an Jesus Christus gelangt der Mensch zu der Versammlung der aus der Welt «Herausgerufenen». Ein solcher nur gehört zu dem Leib des Christus und kann von Gott darin an den Platz eines besonderen Dienstes gesetzt werden (1. Kor 12,18-24). Wer nicht wiedergeboren und ein Eigentum Christi ist, besitzt weder seinen Geist, noch irgendwelche Gaben dieses Geistes (Röm 8,9).

Doch werden in der Christenheit viele als Seelsorger, als Diener Gottes und Lehrer anerkannt, die nicht einmal diese erste Voraussetzung zum Besitz einer geistlichen Gabe erfüllen. Sind es, so fragen wir, nicht gerade diese, die «den Glauben» der Christen zerstören und die Autorität des Wortes untergraben? Christus hat sie nicht zu seinen Dienern berufen. Wenn sie auch noch so glänzende natürliche Verstandes- und Rednergaben besitzen mögen und scheinbar einer guten Sache dienen, so haben sie doch durch ihre Wirksamkeit dem Zerfall der Christenheit den grössten Vorschub geleistet.

Für Saulus aber gab es eine Strasse nach Damaskus. Hier begegnete er dem auferstandenen Herrn, vor dem er in den Staub fiel und sein bisheriges Leben verurteilte. Jetzt hatte es Gott gefallen, seinen Sohn in ihm zu offenbaren (Gal 1,16) und ihm auch die wunderbare Verbindung des Herrn mit seiner Versammlung zu zeigen. Welch ein grosser Wechsel! Nun sagte der Herr von ihm: Er ist mir ein auserwähltes Gefäss, meinen Namen zu tragen sowohl vor Nationen als Könige und Söhne Israels.

Zweite Voraussetzung: die Nachfolge Jesu

Als Jesus zwölf Jünger zu seinen Knechten berufen wollte, damit sie Ihm in seinem grossen Werk dienten, ging Er zum See von Galiläa hinab. Dort rief Er Simon, Andreas, Jakobus und Johannes herzu und sagte zu ihnen: «Kommt, folgt mir nach, und ich werde euch zu Menschenfischern machen» (Mk 1,17). Diese einfachen und ungebildeten Fischer sollten Ihm, gerade so wie sie waren, nachfolgen. Er würde aus ihnen Werkzeuge machen, die Er in seinem wunderbaren Werk der Errettung von Menschen gebrauchen konnte. Ihre Zubereitung und Ausbildung zu diesem Werk sollte darin bestehen, dass sie Ihm jeden Tag nachfolgten und von Ihm lernten. Er selbst wollte sie alles Notwendige lehren.

In Markus 3,14 wird es etwas anders ausgedrückt: «Er bestellte zwölf, damit sie bei ihm seien, und damit er sie aussende zu predigen.» Der verborgene Umgang mit dem Herrn Jesus vermag den begabten und berufenen Diener Christi allein für seinen Dienst fähig zu machen. Und von hier wird er in der Kraft des in ihm wohnenden Geistes hinausgehen, um unter den Menschen ein Zeuge Christi zu sein.

Dritte Voraussetzung: Das Studium des Wortes Gottes

Junge Christen gleichen oft feurigen Pferden, die es nicht ertragen, wenn sie zu lange im Stall stehen müssen. Sie möchten wirken und gleich etwas «Grosses» tun.

Aber womit wollt ihr dienen? – Gewiss, im Haus Gottes sind vielerlei Hilfeleistungen nötig, zu denen es vor allem ein Herz voller Liebe und eine fleissige Hand braucht. Seht euch nur nach solchen Aufgaben um; sie werden euch gewiss gezeigt werden. Geht es aber um Dienste, die die Auferbauung des Leibes Christi zum Ziel haben, so kann nur der dazu gebraucht werden, der das Wort der Wahrheit kennt es zu erklären und anzuwenden weiss. Der Diener des Herrn darf zuerst sich selbst vom Wort nähren, «darin leben», «Fortschritte machen» und «weise werden zur Errettung». In dem Mass wie es ihm gedient hat, vermag er es an andere weiter zu geben.

Der erfahrene Apostel gab seinem jungen Mitarbeiter Timotheus durch den Geist Gottes den weisen Rat: «Hatte an mit dem Vorlesen … Bedenke dies sorgfältig; lebe darin, damit deine Fortschritte allen offenbar seien. Habe acht auf dich selbst und auf die Lehre; beharre in diesen Dingen, denn wenn du dies tust, so wirst du sowohl dich selbst erretten als auch die, die dich hören.» (1. Tim 4,13-16). «Bedenke was ich sage; denn der Herr wird dir Verständnis geben in allen Dingen … Befleissige dich, dich selbst Gott als bewährt darzustellen, als einen Arbeiter, der sich nicht zu schämen hat, der das Wort der Wahrheit recht teilt … Du aber bleibe in dem, was du gelernt hast und wovon du völlig überzeugt bist, da du… von Kind auf die heiligen Schriften kennst, die imstande sind, dich weise zu machen zur Errettung … Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Lehre… damit der Mensch Gottes vollkommen sei, zu jedem guten Werk völlig geschickt» (2. Tim 2,7.15; 3,14-17).

Vierte Voraussetzung: Lernen in der Schule Gottes

Betätigt man den Schalter, so erstrahlt sofort helles Licht. Zwischen dem Empfang einer Geistesgabe und ihrer vollen Entfaltung aber verstreicht oft eine lange Zeit der Übungen in der Schule des Meisters, der den Schüler einem Ziel entgegenführt, das dieser noch gar nicht kennt. Er wählt die Fächer für seinen Zögling. Da gibt es viele negative Lektionen: Der Eigenwille muss gebrochen, die hohe Meinung von der eigenen Kraft, Weisheit und Fähigkeit zerschlagen werden. Der Schüler soll im Innersten überzeugt werden, dass in ihm, das ist in seinem Fleisch, «nichts Gutes» wohnt. Er muss lernen, gegenüber dem Fleisch wachsam zu sein und sich an einen Wandel im Geist zu gewöhnen. Das sind wohl Lektionen der allgemeinen Elementarklasse, in der alle Kinder Gottes sitzen; aber wenn einer diese Dinge nicht lernt, wie könnte der Herr aus ihm ein besonderes Werkzeug machen?

Fünfte Voraussetzung: Dienst im Kleinen

Die Gläubigen der Versammlung in Thessalonich hatten sich alle bekehrt, um dem lebendigen Gott zu dienen (1. Thes 1,9). Obwohl noch nicht lang auf diesem Weg, waren sie doch alle in irgendeiner bescheidenen Weise «im Werk des Herrn» tätig. Dieses Werk lag ihnen am Herzen, und ihre Tätigkeit mochte vorerst nur in der Fürbitte für die Menschen ihrer heidnischen Umgebung, in der Fürbitte für den Dienst des Apostels und seiner Mitarbeiter, und im treuen Zeugnis gegenüber ihren Nächsten bestehen.

Wem es an solchen Beweisen der Hingebung an Gott und des Interesses für das ganze Werk des Herrn fehlt, wie sollte der zu grösseren Aufgaben berufen sein? Wer sich zu Hause wenig um das Heil der Verlorenen kümmert, wird kein Missionar, auch wenn er mit einem Kopf voll Wissen und dem Stethoskop eines Arztes zu den Antipoden fährt. Der das Schiff verlässt, wäre der gleiche unerfahrene Evangelist ohne Ausweise, wie der, der sich in der Heimat einschiffte.

Auch geistliche Gaben entfalten sich nicht sprunghaft. Wer sich aber in kleinen Diensten bewährt, den kann der Herr zu andern Aufgaben berufen, wenn es Ihm gefällt. Stephanus und Philippus gehörten zuerst zu den Männern, die voll Heiligen Geistes und Weisheit das «Geschäft» der Bedienung der Tische besorgten (Apg 6). Bald aber wurde es Stephanus gegeben, Wunder und grosse Zeichen zu tun unter dem Volk. Philippus aber entfaltete sich zum «Evangelisten» (Apg 21,8).

Die persönlichen Weisungen des Herrn

Als für Paulus der Weg der Nachfolge Jesu begann, stellte er die Frage: «Was soll ich tun, Herr?» – Der Herr aber sprach zu ihm: «Steh auf und geh nach Damaskus, und dort wird dir von allem gesagt werden, was dir zu tun verordnet ist» (Apg 22,10).

Nun hatte er eine erste persönliche Wegweisung des Herrn. In Damaskus aber empfing er, gemäss diesem ersten Wort seines Meisters, weiteres Licht über den Dienst, der ihm verordnet war. Später, in Antiochien, wurde er mit Barnabas «von dem Heiligen Geist» zu der ersten Evangelisationsreise ausgesandt (Apg 13,2.4). Und auf seinen Reisen liess ihn der Herr nicht ohne Wegleitung (Apg 16,6-12).

So gibt der Herr auch heute seinen Dienern durch den Geist immer wieder klare Wegweisung. Der eine wird einen Weg verborgenen Dienstes geführt. Ein anderer aber gelangt zu einem Damaskus, wo ihm der Herr den Charakter seines besonderen Dienstes in der Versammlung Gottes zeigt. Es mag sein, dass er neben diesem Dienst lange Jahre seine gewohnte Erwerbstätigkeit fortsetzen kann, wie ein Apostel Paulus es lange Zeit, allerdings unter grosser Aufopferung, ebenso getan hat (Apg 18,3; 20,34-35; 1. Kor 9,12.15.18; 1. Thes 2,9). Wenn ihm der Herr aber so viel Arbeit anweist, dass er gezwungen ist, seine Erwerbstätigkeit aufzugeben, so soll er es im Gehorsam und im Vertrauen zum Herrn tun. Er wird ihn nicht versäumen und nicht verlassen. Gerade durch 1. Korinther 9 werden wir belehrt, in welcher Weise Er den Lebensbedürfnissen derer, die das «Evangelium verkündigen» und «das Geistliche säen», begegnen will.

Jeder Gläubige ist ein «Knecht Jesu Christi». In seinem ganzen Dienst, ob es grössere oder kleinere Entscheidungen sind, die er zu treffen hat, sollte er nur handeln, wenn er die tiefe Überzeugung hat: Der Herr hat es mich geheissen.

Doch ist es gut, in der Ausübung unseres Dienstes auf die Einwürfe erfahrener und geistlich gesinnter Brüder zu hören und ihren Rat vor dem Herrn zu erwägen. – Ist es einem Diener wirklich um die Ehre des Herrn und um das Wohl seiner Versammlung zu tun, wie könnte er da die Bedenken seiner Brüder ungeprüft in den Wind schlagen, in der Meinung, sie hätten ihm nicht dreinzureden?

Über dem allem aber wollen wir am biblischen Grundsatz festhalten: Wer vom Herrn eine Gabe zur Auferbauung seiner Versammlung empfangen hat, ist verantwortlich, sie in der Abhängigkeit von Ihm auszuüben.

Lehren aus der Kirchengeschichte

Die Neigungen des Menschenherzens, die im Ablauf der Jahrhunderte von einem Gott wohlgefälligen Zustand der Versammlung zu den heutigen Missständen in der Christenheit geführt haben, sind auch in unseren Herzen vorhanden. Das nötigt uns, wachsam zu sein, wenn wir in keiner Weise von der Ordnung im Haus Gottes abweichen wollen, wie sie uns in seinem Wort gegeben ist.

So ist man in der Christenheit dazu gekommen, zwischen einem «weltlichen» und einem «geistlichen» Stand, zwischen «Laien» und dem «Klerus» zu unterscheiden, wo doch alle, die wiedergeboren sind und den Geist besitzen, «Geistliche» sein sollten (Gal 6,1) und sowohl zur «heiligen» wie auch zur «königlichen Priesterschaft» gehören (1. Pet 2,5.9).

Diese doppelte Gefahr bedroht auch uns. Die einen neigen dazu, den einzelnen Brüdern, die dem Herrn mit Hingebung zu dienen begehren, die ganze Arbeit zu überlassen. Es kommt ihnen vor, als gehörten sie selbst zu einer andern Klasse, eben zu den «Laien», die es sich leisten können, in geistlichen Dingen passiv, dafür aber in irdischen und weltlichen Dingen umso aktiver zu sein. Das Wort: «Ich ermahne euch nun, Brüder, durch die Erbarmungen Gottes, eure Leiber darzustellen als ein lebendiges, Gott wohlgefälliges Schlachtopfer, was euer vernünftiger Dienst ist» (Röm 12,1), gilt aber allen.

Andere wieder, denen der Herr einen öffentlichen Dienst des Wortes aufgetragen hat, haben sich vor der Tendenz des natürlichen Herzens zu hüten, dabei etwas gelten zu wollen und sich gegenüber den übrigen Brüdern eine Stellung anzumassen, die ihnen durchaus nicht zukommt. Petrus schrieb den Ältesten: «Hütet die Herde Gottes, die bei euch ist, indem ihr die Aufsicht nicht aus Zwang führt, sondern freiwillig, auch nicht um schändlichen Gewinn, sondern bereitwillig, und nicht als solche, die über ihre Besitztümer herrschen, sondern die Vorbilder der Herde sind» (1. Pet 5,2-3). Er hatte die Unterweisung seines Herrn verstanden: «Lasst euch nicht Rabbi nennen; denn einer ist euer Lehrer, ihr alle aber seid Brüder … Lasst euch auch nicht Meister nennen; denn einer ist euer Meister, der Christus. Der Grösste aber unter euch soll euer Diener sein» (Mt 23,8-12).