Die Versammlung des lebendigen Gottes (1)

Übersicht

1. Seit wann besteht die Versammlung Gottes? 
2. Wer gehört zur Versammlung Gottes? 
3. Einige Fragen zu diesem Gegenstand 
4. Der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit 
5. Hirt und Herde 
6. Der Leib des Christus 
7. Christus ist das Haupt des Leibes 
8. Das Haus Gottes 
9. Bräutigam und Braut 
10. Das Wachsen des Leibes 
11. Die Gaben des Herrn für Seinen Leib 
12. Die Zubereitung des Dieners 
13. Die örtliche Versammlung 
14. Die Zusammenkunft zum Brechen des Brotes 
15. Die Stunde der gemeinsamen Anbetung 
16. Die Zusammenkunft zum Gebet 
17. Die Zusammenkunft zur Verkündigung des Wortes Gottes
18. Zusammenkünfte zur gemeinsamen Wortbetrachtung 
19. Evangelisations-Versammlungen 
20. Welchen Platz hat die Frau in der Versammlung Gottes? 
21. Die Zucht in den örtlichen Versammlungen

Aus dem ABC des Christen

Ist es wirklich nötig, wieder einen Aufsatz über dieses Thema zu schreiben? Gibt es darüber nicht gute Bücher und Betrachtungen genug? Gewiss. Doch befinden sie sich in Vaters Bibliothek oder liegen noch, schön aufgestapelt, im Regal der Herausgeber. Nur wenige nehmen sich die Mühe, diese Schriften zu holen und zu studieren.

Es liegt uns aber am Herzen, dass sich auch die nachkommende Generation mit diesen so überaus wichtigen Wahrheiten vertraut macht. Wir beabsichtigen daher, in diesem Heft jeden Monat einige knappe Gedanken vor den vielbeschäftigten Leser zu tragen, mit dem Ziel, den geistlichen Appetit für diese Dinge zu wecken.

Christus hat die Versammlung geliebt und sich selbst für sie hingegeben (Eph 5,25). Und wir? Sollen wir uns in selbstsüchtiger Weise immer nur mit unserem eigenen Heil beschäftigen? Dass doch auch unser Herz weit würde, um das ganze Volk Gottes zu umschliessen! Was unserem Herrn teuer ist, soll auch uns wertvoll sein. Zudem trägt jeder von uns seinen Teil an der Verantwortung für das örtliche Zeugnis, wie auch für die ganze Versammlung Gottes auf der Erde.

Hie und da wird es nützlich sein, den Gedanken Gottes über unseren Gegenstand die Anschauungen der Menschen gegenüber zu stellen, die in der heutigen Christenheit Geltung haben.

Es geht hier nicht um «unsere» Versammlung

Das möchten wir von allem Anfang an betonen. Wir beschreiben hier nicht die Statuten einer christlichen Gemeinschaft, die sich mit einem schönen biblischen Namen neben oder sogar über die Glaubensbekenntnisse anderer Christen stellen will. Wo immer in unserem Aufsatz der Begriff «Versammlung» vorkommt, sollte er vom Standpunkt Gottes aus verstanden werden. Er hat immer sein ganzes Volk vor Augen.

Im Vorwort der Elberfelder Bibel wird erklärt, weshalb in dieser Übersetzung der griechische Ausdruck «Ekklesia» mit «Versammlung», statt mit «Kirche» oder «Gemeinde» wiedergegeben worden ist.

1. Seit wann besteht die «Versammlung Gottes»?

Gott hatte in seiner Menschenliebe von jeher das Verlangen, unter den Menschen zu wohnen. Aber wie konnte Er, der Heilige, dieses Verlangen unter Sündern verwirklichen?

Er heiligte sich das Volk Israel aus allen Nationen der Erde und sagte: «Ich werde meine Wohnung in eure Mitte setzen, und meine Seele wird euch nicht verabscheuen; und ich werde in eurer Mitte wandeln und werde euer Gott sein, und ihr werdet mein Volk sein» (3. Mo 26,11.12). Das geschah aber unter der Voraussetzung, dass Israel in seinen Satzungen wandelte und seine Gebote hielt und sie tat (3. Mo 26,3). Doch, wie kam es? Der Prophet musste klagen: «Eure Ungerechtigkeiten haben eine Scheidung gemacht zwischen euch und eurem Gott!» (Jes 59,2). Das Volk ging sogar so weit, seinen Messias zu kreuzigen. Schliesslich verwarf es auch das Zeugnis des Heiligen Geistes über den auferstandenen Herrn und damit Gottes Angebot der Gnade. Das hatte den Abbruch der Beziehungen Gottes zu diesem Volk zur Folge.

Aber, o Wunder der Gnade Gottes! Gerade in der dichtesten moralischen Finsternis der Welt, die sich in der Verwerfung des Sohnes Gottes kundgab, leuchtete das Licht der Liebe Gottes erst recht in den herrlichsten Strahlen auf! Jetzt, nachdem Jesus Christus das eine, vollkommene Schlachtopfer für Sünden, dargebracht hatte (Heb 10,10.12), verwirklichte Gott einen anderen Ratschluss seines Willens:

Er begann aus allen Nationen der Erde ein Volk von Menschen für sich zu sammeln, die durch den Glauben an Jesus Christus erlöst und wiedergeboren würden. In sein himmlisches Heiligtum wollte Er sie aufnehmen und ewig unter ihnen wohnen!

Das war «das Geheimnis», das von den Zeitaltern her verborgen war in Gott (Eph 3,9; Röm 16,25.26). Im ganzen Alten Testament hat Er nichts davon verraten. Wer aber die Offenbarungen des Neuen Testaments kennt, vermag in den Büchern des alten Bundes Andeutungen und Vorbilder auf dieses Geheimnis zu finden.

Ankündigung der Versammlung durch Jesus Christus

In Mt 16,18 wird «die Versammlung» zum ersten Mal genannt. Ihre Bildung stand jetzt unmittelbar bevor. Der Herr sagte zu Petrus: «Auf diesen Felsen1 will ich meine Versammlung bauen.»

Der Geburtstag der Versammlung

Am Tag der Pfingsten (Apg 2) fand dann das Ereignis statt, das für das Herz Gottes, für den Herrn und all die Seinen eine so grosse Bedeutung hat: Die Versammlung nahm ihren Anfang!

Die Gläubigen waren alle an einem Ort beieinander und wurden durch den «plötzlich» vom Himmel herabgekommenen Heiligen Geist zu einem Leib getauft (1. Kor 12,13). Sie, die bisher als einzelne Gläubige dem Herrn anhingen, bildeten nun zusammen den unauflöslichen Leib des Christus!

2. Wer gehört zur Versammlung Gottes?

Der griechische Ausdruck «ekklesia», der mit «Versammlung» übersetzt worden ist, bedeutet eigentlich «Herausgerufene». Sie ist also eine Körperschaft von Menschen, die Gott durch das Evangelium seiner Gnade aus der Welt zu sich selbst herausgerufen hat. Sie haben dieser frohen Botschaft gehorcht und den Heiland und Erlöser, von dem sie spricht, in lebendigem Glauben angenommen. In Christus Jesus sind sie nun «Geheiligte» oder «Abgesonderte» geworden (1. Kor 1,2). «Gott hat … die Nationen heimgesucht, um aus ihnen ein Volk zu nehmen für seinen Namen.» (Apg 15,14). Die Versammlung Gottes und jeder Einzelne, der zu ihr gehört, soll daher diese Absonderung von der Welt in seinem Wandel verwirklichen.

Der Herr tut zu der Versammlung hinzu

In einem weltlichen Verein beschliessen die Menschen, ob und welche Mitglieder sie aufnehmen wollen. Der «Versammlung Gottes» aber, diesem lebendigen Organismus, fügt ausschliesslich der Herr die Einzelnen hinzu (Apg 2,47). Die Versammlung selbst hat, wie wir später noch sehen werden, lediglich die Verantwortung zu prüfen, ob der, der mit der Versammlung praktische Gemeinschaft haben will, wirklich vom Herrn hinzugefügt worden ist und dem Charakter eines aus der Welt «Herausgerufenen» entspricht.

Auch heute noch wird jeder, den der Herr hinzufügt «mit dem Heiligen Geist versiegelt» (Eph 1,13). Jeder hat dadurch an der am Pfingsttag geschehenen «Taufe mit dem Heiligen Geist» teil und bildet mit allen Gläubigen den Leib Christi auf der Erde, von welchem wir noch ausführlicher sprechen werden.

Die Gläubigen werden dem Herrn hinzugetan

Anderseits ist es auch wichtig, hervorzuheben, dass die Erretteten durch die Wirksamkeit des Geistes Gottes dem Herrn, und nicht etwa einer besonderen Gruppe von Gläubigen hinzugetan werden (Apg 5,14; 11,24). Und es versteht sich von selbst, dass jeder von Ihm abhängig und Ihm unterworfen sein soll.

Gesammelt aus dem Volk der Juden und aus den Nationen

Gottes Geheimnis über «die Versammlung», die am Tag der Pfingsten praktisch ihren Anfang genommen hat, wurde der Lehre nach erst dem Apostel Paulus offenbart. Es gipfelte darin, «dass die aus den Nationen Miterben seien und Miteinverleibte und Mitteilhaber seiner Verheissung in Christus Jesus durch das Evangelium» (Eph 3,1-12).

Wir haben uns an diese Wahrheit gewöhnt. Aber das schmälert die gewaltige Bedeutung dieser Tatsache keineswegs. Lange Jahrhunderte hindurch war Israel von allen Völkern der Erde das einzige Volk, mit dem Gott einen Bund eingegangen war, mit dem Er als Gott der HERR in Beziehung stand und das Er sein Volk nannte. Nur in der Mitte dieser «Beschnittenen» hatte Er seine Wohnung aufgeschlagen. Die Aussprüche Gottes wurden Israel anvertraut (Röm 3,2). Nur zwischen dem HERRN und ihnen bestanden Bündnisse der Verheissung.

Die Nationen aber waren dem Bürgerrecht Israels entfremdet. Sie waren Fremdlinge betreffs der Bündnisse der Verheissung. Sie hatten keine Hoffnung und waren ohne Gott in der Welt (Eph 2,12).

In Christus wurde nun die Zwischenwand der Umzäunung, von der Israel bisher umgeben war, abgebrochen. Christus hat die beiden – Israel und die Nationen – in einem Leib mit Gott versöhnt. Die Gläubigen aus beiden Gruppen haben jetzt durch Ihn den Zugang durch einen Geist zu dem Vater (Eph 2,11-22). Nun ist nicht mehr: «Grieche und Jude, Beschneidung und Unbeschnittensein, Barbar, Skythe, Sklave, Freier, – sondern Christus, alles und in allen» (Kol 3,11).

Die Schlüssel des Reiches der Himmel

Der Herr sagte zu Petrus: «Ich werde dir die Schlüssel des Reiches der Himmel geben; und was irgend du auf der Erde binden wirst, wird in den Himmeln gebunden sein; und was irgend du auf der Erde lösen wirst, wird in den Himmeln gelöst sein» (Mt 16,19).

Wann hat Petrus diese Schlüssel gebraucht?

Zum ersten Mal an Pfingsten und den nachfolgenden Tagen. Da hat er dem Volk Israel durch die Predigt der Buße und des Evangeliums von Christus Jesus, dem Auferstandenen, den Eintritt in das Reich der Himmel aufgeschlossen (Apg 2). Dieses irdische «Reich der Himmel» ist aber wegen der Verwerfung des Messias durch Israel noch nicht in Erscheinung getreten, und diese Gläubigen sind der Versammlung Gottes, die eine himmlische Berufung hat, hinzugefügt worden.

Petrus sollte die Schlüssel aber auch für die Nationen gebrauchen (Apg 10). Er tat es nicht ohne weiteres, da er in den jüdischen Vorurteilen befangen war und den grossen Wechsel in den Gnadenwegen Gottes noch nicht begriffen hatte. Der Herr musste es ihm zuerst durch ein Gesicht klarmachen. Als dann Petrus dem Römer Kornelius und allen, die bei ihm waren, das Evangelium verkündigte, fiel der Heilige Geist in offenkundiger Weise auf alle, die das Wort hörten. Damit waren auch Gläubige aus den Nationen offiziell der Versammlung Gottes hinzugetan worden.

Eine Eigentümlichkeit der «Versammlung Gottes»

Wenn Menschen zu irgendeinem einmaligen Zweck in einem Lokal oder auf einem Platz zusammenströmen, so bilden sie während dieser kurzen Stunden eine Versammlung. Gehen sie aber wieder auseinander, so besteht die Versammlung nicht mehr. Mit der «Versammlung Gottes» verhält es sich ganz anders. Dieses Gebilde bleibt seit seiner Entstehung in den Tagen der Apostel bis zu seiner Aufnahme in den Himmel vor Gott ununterbrochen bestehen. Die Gläubigen mögen auf dieser Erde tausend Kilometer weit voneinander entfernt sein und keine Möglichkeit haben, sich zusammenzufinden – sie bilden dennoch die «Versammlung Gottes», innig und unzertrennlich miteinander verbunden.

3. Einige Fragen zu diesem Gegenstand

Ist die heutige Christenheit «die Versammlung Gottes»?

Diese Frage zu beantworten ist nicht schwierig. Wir sagen: nein! Denn jeder von uns weiss, dass nur ein kleiner Teil derer, die sich heute zu den Christen zählen, vom Herrn zu der «Versammlung Gottes» hinzugetan worden sind. Nur die in Christus Jesus Geheiligten gehören dazu (1. Kor 1,2). Christus ist nur denen, die Ihm gehorchen, zum Urheber ewigen Heils geworden (Heb 5,9). Gott hat nur denen, die Ihm gehorchen, den Heiligen Geist gegeben (Apg 5,32). Wenn aber jemand Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein (Röm 8,9).

Welches sind die Folgen der Verbindung von Gläubigen und Ungläubigen in der Christenheit?

Die Verbindung von den aus der Welt «Herausgerufenen» mit solchen, die nach dem Urteil Gottes noch zur Welt gehören, hat zur Folge, dass die Ersteren den Charakter ihrer himmlischen Berufung verlieren und dabei verweltlichen. Durch diese Verbindung werden auch in der Christenheit Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit, Licht und Finsternis, Reines und Unreines, Wahrheit und Lüge, der Tempel Gottes und Götzenbilder miteinander in Zusammenhang gebracht (2. Kor 6,14-16). Wie viel Unheil ist daraus entstanden!

Kann «die Versammlung Gottes» heute nicht mehr dargestellt werden?

An alle, die zu ihr gehören, ergeht die ernste Aufforderung Gottes: «Geht aus ihrer Mitte (aus der Mitte der Ungläubigen und blossen Bekenner) hinaus und sondert euch ab, spricht der Herr, und rührt Unreines nicht an, und ich werde euch aufnehmen; und ich werde euch zum Vater sein, und ihr werdet mir zu Söhnen und Töchtern sein, spricht der Herr, der Allmächtige» (2. Kor 6,17.18). Das ist der erste Schritt auf dem Weg zur praktischen Darstellung der Versammlung Gottes. (Wir werden in diesem Zusammenhang in der Schrift noch weitere Anweisungen finden.)

Woher kommt die Zersplitterung der Christenheit in so viele Kirchen, Gemeinschaften und Sekten?

Diese Zersplitterungs-Bewegung hat besonders im 19. und 20. Jahrhundert um sich gegriffen. Was der Apostel Paulus vorausgesagt hat: «Aus euch selbst werden Männer aufstehen, die verkehrte Dinge reden, um die Jünger abzuziehen hinter sich her» (Apg 20,30) – erfüllt sich immer wieder.

Aber in umgekehrter Richtung haben sich in Zeiten grösster geistlicher Finsternis auch ernst gesinnte Gläubige, unter Führung von treuen Männern, die Gott zu ihrem Segen benützt hatte, zu besonderen Kirchen und Gemeinschaften zusammengeschlossen. Denken wir nur an die Reformation und an die Erweckungen in der Aufklärungszeit. Sie dachten nicht daran, die göttlichen Tatsachen von der «Versammlung Gottes», wie sie im Neuen Testament so einfach und klar vor uns hingestellt werden, zu verwirklichen. Das Bewusstsein von diesen Dingen war eben aus der Christenheit völlig verschwunden.

Wie ist die Christenheit in den heutigen schlimmen Zustand geraten?

Wir können die Kirchengeschichte der vergangenen neunzehn Jahrhunderte vielleicht in die folgenden Sätze zusammenfassen:

Die Gläubigen haben ihre erste Liebe zum Herrn verlassen. Sie haben das Wort des Herrn nicht bewahrt, wie es von der Versammlung in Philadelphia gesagt wird. Sie haben die Bösen ertragen und das Böse geduldet, anstatt sich davon zu reinigen, wie es im Anfang doch geschah. Anstelle der göttlichen Grundsätze, die sie vernachlässigten, haben sie zahllose Menschensatzungen, Menschengebote und Irrlehren eingeführt.

  • 1Es sei hier nebenbei erwähnt, dass Petrus (griechisch: petros = Stein) niemals der Fels (griechisch: petra) sein kann, auf den der Herr seine Versammlung oder Kirche bauen wollte. Christus selbst ist dieser Fels, dieser Petra (Röm 9,33; 1. Kor 10,4). Er ist der kostbare Eckstein, von dem Petrus selber schreibt: «Zu welchem kommend, als zu einem lebendigen Stein, von Menschen zwar verworfen, bei Gott aber auserwählt, kostbar, werdet auch ihr selbst als lebendige Steine aufgebaut, ein geistliches Haus» (1. Pet 2,4-7).