Unerschütterliche Dinge

Hebräer 13,1-6

Der erste Vers ist sehr kurz, aber sehr wichtig. Das Wort bleiben ist im Grund dasselbe wie in Kapitel 12,27. Wenn der Tag der Erschütterung kommt, werden nur die Dinge bestehen bleiben, die nicht erschüttert werden können. Und dazu gehört die Bruderliebe. Sie bleibt unerschüttert in Ewigkeit. Sollte sie dann nicht einen bleibenden Platz unter den Gläubigen heute einnehmen?

In Kapitel 2 des Hebräerbriefes wird von den Gläubigen als von «vielen Söhnen» gesprochen, die Er «zur Herrlichkeit brachte». Christus wird dort als «Urheber ihrer Errettung» gesehen, der sich «nicht schämt, sie Brüder zu nennen». Deshalb sind die gläubigen Christen offensichtlich Brüder. Und die Liebe, die als Frucht der neuen Natur, die ihnen von Gott eingepflanzt wurde, untereinander besteht, sollte gepflegt werden. Indem wir die Bruderliebe fördern, sind wir nicht wie Kinder, die am Meer eine Sandburg bauen, die bei der nächsten Flut wieder weggeschwemmt wird. Wir sind dann solche, die für die Ewigkeit bauen.

Die Verse 2 und 3 deuten zwei Richtungen an, in die sich die Bruderliebe äussern soll. Zuerst in der Gastfreundschaft, indem wir Liebe gegenüber Fremden üben. Die Welt ist gewöhnlich bereit, solche aufzunehmen, die sie als wichtig und einflussreich betrachtet. Auf diese Weise ehrt sie berühmte Gäste. Wir werden ermahnt, uns über die rein weltlichen Beweggründe zu erheben und unbekannte Brüder einfach deshalb aufzunehmen, weil sie Brüder sind. So äussert sich wahre Bruderliebe. Aber wie oft offenbart sie sich bei uns in dieser Weise? Zweitens zeigt sich die Bruderliebe im Gedenken an die Brüder, die in Not sind, besonders derer, die in Gefangenschaft schmachten.

Das Wort «gedenkt» bedeutet, sich in aktiver Weise darauf besinnen, nicht einfach, sich etwas in Erinnerung rufen, sondern in tätigem Mitgefühl an sie denken. Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit (1. Kor 12,26). Was wir hier finden, deckt sich mit dieser Tatsache. Wahre Bruderliebe wird uns dahin führen, aller derer zu gedenken, die so leiden, und ihnen mitfühlend beizustehen und zu helfen, soweit es uns möglich ist.

In Vers 4 geht es um die natürliche Liebe. Gerade sie ist in der Welt in trauriger Weise missbraucht, verfälscht und verdorben worden. Christen sollen sie als eine geheiligte Sache, die ihren Ursprung in Gott findet, unangetastet bewahren. In Vers 5 steht eine andere Liebe vor uns, die Liebe zum Geld. Die Lebensweise des Christen sollte sich dadurch auszeichnen, dass sie völlig frei von Geldliebe ist, da diese Art Liebe überhaupt nicht von Gott kommt. Erst als der Mensch zu einem gefallenen Geschöpf wurde, verlor er alle Liebe zu Gott und setzte in seinem Herzen irdische Ziele auf den Thron, insbesondere das Geld, wodurch es ihm möglich wurde, diese Ziele zu verfolgen.

Für uns lautet das Worts «Begnügt euch mit dem, was vorhanden ist», oder «mit euren gegenwärtigen Umständen». Wie herzerforschend ist doch auch dieses Wort. Die Welt ist voll Habsucht, wie seit jeher, oder noch schlimmer. In allen diesen Gedanken, die auf materiellen Gewinn ausgerichtet sind, hat Gott keinen Platz. Und aus der Habsucht entspringen alle Streitigkeiten. Überall gibt es Neid, Eifersucht, Groll und Zank. Oh, lasst uns so leben, dass wir einen eindeutigen Gegensatz zu allen diesen Äusserungen darstellen. Möge es allen um uns her klar werden, dass wir von einer andern Liebe als der Geldliebe getrieben werden.

«Aber», so mag jemand einwenden, «im Konkurrenzkampf unserer Tage müssen wir alle unsere Energien darauf ausrichten, Geld zu verdienen. Andernfalls werden wir die Dinge, die wir jetzt besitzen, nicht lang behalten können, sondern in Armut absinken.» Man spürt die Antwort auf einen solchen Gedanken direkt aus diesem Vers heraus. Wir haben die bestimmte Verheissung seiner nie versagenden Gegenwart und Unterstützung. Deshalb können wir in allen unseren Bedürfnissen kühn auf den Herrn zählen und brauchen uns vor Menschen nicht zu fürchten.

Die Verse 5 und 6 enthalten zwei sehr wichtige Punkte. Der erste betrifft die Art und Weise, in der die alttestamentliche Schriftstelle zitiert wird. Es war Josua, zu dem der HERR sagte: «Ich werde dich nicht versäumen und dich nicht verlassen» (Jos 1,5). Nun können wir richtigerweise einwenden: «Aber ich bin kein Josua. Er war ein sehr bedeutender Mann des Glaubens, und ich bin ein ganz unscheinbarer und sehr oft schwacher Gläubiger. Wäre es nicht ziemlich voreilig und unverschämt von mir, wenn ich so unverfroren annähme, dass diese Verheissung, die ihm gemacht wurde, auch mir gelte?» Es ist überaus herrlich, in diesen Versen zu entdecken, dass eine solche Anwendung dieser alten Verheissung keine kühne Anmassung, sondern Kühnheit des Glaubens ist. Es ist eine bekannte Tatsache, dass Gott gegenüber seinem Volk das bleibt, was Er ist, und zwar zu allen Zeiten und in allen Umständen. Bei Ihm gibt es keine Veränderung und keines Wechsels Schatten. Er will gegenüber seinem Volk in dieser Zeitperiode nicht weniger sein, als was Er in der vergangenen Haushaltung war. Wir dürfen uns ganz auf Ihn stützen.

Natürlich bleibt Er sich selbst immer treu, auch solchen gegenüber, die Ihm nicht ganz vertrauen. Ihr mangelhafter Glaube wird Ihn nie dazu bewegen, nur halbwegs treu zu sein. Nein! Aber ihr mangelhafter Glaube wird ihren Blick für seine Treue verdunkeln, und möglicherweise werden sie sogar meinen, Er sei nicht vollkommen treu. Viele kommen leider nie so weit, dass sie sich seiner Treue wirklich bewusst sind und sich darin freuen –, bis sie sie einmal in der Herrlichkeit entdecken werden.

Der zweite wichtige Punkt betrifft nicht so sehr die Anwendung dieser alttestamentlichen Stelle, sondern vielmehr die Folgerung, die sich darauf gründet. In groben Zügen lautet die Schlussfolgerung etwa so: «Er hat gesagt …, so dass wir kühn sagen können …» Wenn Gott redet, dürfen wir seine Worte mit vollem Vertrauen annehmen. Und mehr als das, wir dürfen mit aller Kühnheit das geltend machen, was Er verheisst. Ja, wir dürfen sogar noch einen Schritt weitergehen. Wenn Er Dinge von sich erklärt, die sein Volk betreffen, dann dürfen wir, da wir zu seinem Volk gehören, darauf bestehen, dass diese Dinge auf uns selbst anwendbar sind. Wir mögen sie mit vollem Vertrauen für uns nehmen und auf uns persönlich anwenden, so wie wir hier lesen: «Der Herr ist mein Helfer, und ich will mich nicht fürchten.» Möchten wir es uns beim Lesen der Bibel zu einer glücklichen Gewohnheit machen, die Worte Gottes auf uns selbst anzuwenden.

Mit welch einer Einfachheit reden diese sechs Verse zu uns Gläubigen, eine Einfachheit, die in unserer zivilisierten Welt weitgehend verlorengegangen ist. Welch ein eindrückliches Zeugnis wären wir, wenn wir uns auszeichneten

  • durch diese Bruderliebe, die sich in Gastfreundschaft und praktischem Mitgefühl äussert,
  • durch das Bewahren einer natürlichen Liebe in unbefleckter Ehe,
  • durch eine heilige Zufriedenheit und Genügsamkeit, als Frucht der erlebten Gegenwart Gottes, die im Gegensatz zu der Habsucht und Unzufriedenheit in der Welt steht.