«Ein verschlossener Garten ist meine Schwester, meine Braut, ein verschlossener Born, eine versiegelte Quelle. Was dir entsprosst, ist ein Lustgarten von Granatbäumen samt edlen Früchten, Zyperblumen samt Narden; Narde und Safran, Würzrohr und Zimt, samt allerlei Weihrauchgehölz, Myrrhe und Aloe samt allen vortrefflichsten Gewürzen; eine Gartenquelle, ein Brunnen lebendigen Wassers, und Bäche, die vom Libanon fliessen» (Hohelied 4,12-15).
Obwohl das Hohelied in erster Linie von Christus und seiner zukünftigen irdischen Braut, d.h. dem treuen jüdischen Überrest am Ende der Zeit spricht, dürfen wir die Bildersprache dieses Buches auch auf die Versammlung, die himmlische Braut des Herrn Jesus, und auf den einzelnen Gläubigen anwenden. Wie der verschlossene Garten allein seinem Besitzer gehört, so möchte der Herr uns, die Gläubigen, ganz für sich haben, zu seiner eigenen Freude und damit wir für Ihn Frucht brächten.
Es war von Anfang an der Vorsatz Gottes, in dieser Welt einen Garten zu seiner Freude zu haben. In Übereinstimmung mit diesem Wunsch pflanzte Gott der HERR einen Garten in Eden. Darin wuchsen Bäume, die lieblich anzusehen und gut zur Speise waren. Ein Strom bewässerte den Garten und floss von da aus in die Welt, die den Garten umgab. Doch die Sünde schlich sich in den Garten und verdarb ihn, so dass er nachher Dornen und Disteln hervorbrachte.
Im Lauf der Zeit pflanzte Gott wieder einen Garten. Er erwählte Israel aus der Mitte der Völker und verglich es mit einem Weinberg auf einem fruchtbaren Hügel. Er sonderte es von den Nationen ab, zäunte seinen Weinberg ein, säuberte ihn von Steinen, bepflanzte ihn mit Edelreben und erwartete Frucht von ihm. Wieder verdarb die Sünde diesen Garten, so dass er nur wilde Trauben brachte. Der Garten wurde zugrunde gerichtet und zu einem Ort, an dem Dornen und Disteln aufschossen (Jes 5,1-7).
Weiter hat der Herr auch heute seinen Garten auf der Erde, denn der Apostel sagt von der Versammlung: «Ihr seid Gottes Ackerfeld.» In diesem Garten mag der eine pflanzen und ein anderer begiessen, aber es ist Gott, der das Wachstum schenkt (1. Kor 3,6-9). Leider wurde auch dieser Garten verdorben; denn «während die Menschen schliefen», kam der Feind und «säte Unkraut mitten unter den Weizen». Und das Resultat? Man erkennt unter dem ruinierten und zersplitterten Volk Gottes nur noch schwache Anzeichen des Gartens des Herrn.
Aber wenn wir uns vom Volk Gottes wegwenden und uns dem Wort Gottes zukehren, entdecken wir im Hohenlied eine vollkommene Beschreibung des Gartens, der den Vorstellungen des Herrn entspricht. Und wenn wir im Bereich dieses schönen Gartens verweilen, stellen wir nicht nur fest, was dem Herrn gefällt; wir merken auch, wie wenig wir dem Wunsch seines Herzens entsprechen.
Zuerst lesen wir, dass der Garten des Herrn ein verschlossener Garten ist. Das redet von Absonderung, Bewahrung und Heiligung. In den Augen Gottes ist diese Welt ein unfruchtbarer Ort, wo der Herr Jesus gestorben ist. Aber in dieser Wüste gibt es solche, die der Herr die Seinen nennt. Und wenn wir auf den Wunsch des Herrn für die Seinen hören, wie er in seinem Gebet in Johannes 17 zum Ausdruck kommt, dann beginnen wir die tiefe geistliche Bedeutung des «verschlossenen Gartens» zu begreifen. Wenn ein Garten abgeschlossen ist, bedingt dies eine Absonderung von der ihn umgebenden Wüste. In ähnlicher Weise hören wir den Herrn zum Vater beten, dass die Seinen nicht von der Welt seien, wie Er nicht von der Welt war. Weiter bezweckt der verschlossene Garten die Bewahrung zarter Pflanzen. Einen entsprechenden Gedanken drückt der Herr in seinem Gebet aus, wenn Er sagt: «Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt wegnehmest, sondern dass du sie bewahrst vor dem Bösen.» Schliesslich bedeutet ein verschlossener Garten ein abgesondertes Plätzchen, an dem der Eigentümer sich freuen kann. Und so lesen wir vom Wunsch des Herrn, dass sein Volk ein geheiligtes sei.
Es ist das Begehren des Herzens unseres Herrn, eine Gesellschaft von Menschen in dieser Welt zu haben, die abgesondert von ihr lebt, vor dem Bösen in der Welt bewahrt bleibt und zu seiner eigenen Freude beiseite gestellt ist. Sie sollen für Ihn «einen verschlossenen Garten» bilden.
Der Garten des Königs ist nicht nur ein verschlossener, sondern auch ein bewässerter Garten. Während seines Niedergangs wurde das Volk Israel mit «einem Garten, der kein Wasser hat», verglichen. Wenn der Prophet aber vom zukünftigen Tag der Wiederherstellung Israels redet, sagt er zum Volk: «Du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie ein Wasserquell, dessen Gewässer nicht trügen» (Jes 1,30; 58,11). So hat der Garten des Königs «einen verschlossenen Born, eine versiegelte Quelle». Er ist für seinen Wasserbedarf nicht von der ihn umgebenden Wüste abhängig. Die Quelle befindet sich innerhalb des Gartens. Ebenso ist es mit dem Volk Gottes. Die Gläubigen besitzen eine geheimnisvolle Hilfsquelle, den Heiligen Geist, «den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht noch ihn kennt». Er ist tatsächlich die Quelle. Aber lasst uns nicht vergessen, dass dieser Born verschlossen sein muss. Es ist möglich, den Geist zu betrüben, so dass er schweigt. Aber wie ausgedörrt werden dann unsere Seelen und wie unfruchtbar wird das Volk Gottes, wenn der Heilige Geist ausgelöscht wird. Wir haben nötig, die Tür gegenüber den Einmischungen des Fleisches sorgfältig geschlossen zu halten. Wie leicht kann es sonst geschehen, dass die Philister die Brunnen aufs Neue verstopfen, wie in den Tagen Abrahams und Isaaks (1. Mo 26,18).
Weiter ist die Rede von «einer versiegelten Quelle». Der Heilige Geist ist nicht nur eine unversiegbare Quelle, die in uns wohnt und allen unseren Bedürfnissen während unserer Pilgerreise begegnet, Er ist im Gläubigen auch eine Quelle, die ins ewige Leben quillt (Joh 4,14). Die Quelle gehört allein dem König – sie ist «versiegelt». So ist der Heilige Geist einerseits mit uns und unseren Bedürfnissen beschäftigt und anderseits mit Christus, indem Er sich bemüht, unsere Herzen für Ihn zu gewinnen.
Der Garten des Königs ist ferner ein fruchtbarer Garten. Die Pflanzen dieses Gartens bilden ein Paradies von Granatbäumen mit edlen Früchten und allerlei Weihrauchgehölz nebst allen vortrefflichsten Gewürzen. Die einzelnen Pflanzen mögen bezüglich Grösse und Schönheit, sowie Duft und Fruchtbarkeit verschieden sein; aber alle dienen zur Freude des Königs. Ebenso ist es im Garten des Herrn. Keine zwei Gläubige gleichen sich. Jeder ist ein Original für sich; aber alle sind da, um den Herrn zu erfreuen.
Schliesslich soll der Garten des Königs nicht nur zu seiner Wonne sein, sondern zu einer Quelle des Segens für weitere Bereiche werden. Er gleicht «einem Brunnen lebendigen Wassers, und Bächen, die vom Libanon fliessen». Genauso ist es mit dem Garten des Herrn. Wenn er verschlossen ist und von einem verschlossenen Born und einer versiegelten Quelle bewässert wird, wenn er kostbare Frucht für den Herrn hervorbringt, dann wird er in der Tat zu einer Quelle des Segens für die ihn umgebende Welt. Ein solcher Garten wird zu einem Kanal für die lebendigen Wasser, damit sie zu sterbenden Menschen ausfliessen.
Wie gut für unsere Seelen, sich eine Weile im Garten des Königs aufzuhalten und zu versuchen, die geistliche Bedeutung der verschiedenen Teile kennenzulernen, die Bedeutung
- der Mauern, durch die er abgeschlossen wird,
- der Quelle, wodurch er erfrischt wird,
- der Früchte und Gewürze, die darin wachsen, und
- der Bäche, die auf das weiter weg liegende unfruchtbare Land fliessen.
Wir haben jede Lektion des Gartens nötig; denn unser Dienst ist oft so armselig und einseitig. Wir sind geneigt, viel Mühe und Zeit für einen Teil des Gartens aufzuwenden und dabei einen anderen Teil zu vernachlässigen. In der Geschichte des Gartens des Herrn ist es oft vorgekommen, dass einige mit dem Einzäunen und Graben so beschäftigt waren, dass sie dabei die Blumen und Früchte vernachlässigt haben. Solche haben ihre Anstrengungen fast vollständig auf die Erhaltung der Absonderung von der Welt und den Ausschluss des Bösen vom Garten des Herrn beschränkt. Sie haben wenig Zeit für die Pflege der Seelen gehabt. Das Resultat war, dass sie wohl einen abgesonderten Garten sicherstellten. Doch darin gab es wenig Frucht für den Herrn und kaum Segen für die Welt um ihn herum.
Andere wieder haben vergessen, die Quelle verschlossen zu halten. Sie erlaubten dem Fleisch, ungehindert im Garten des Herrn zu wirken. Dadurch wurde der Heilige Geist betrübt und gehindert. Auf diese Weise hörte der Garten auf, seine wohltuende Frucht für den Herrn zu bringen.
Wieder andere sind so angezogen worden von den Blumen und Früchten, dass sie die Zäune und Gräben übersehen haben. Die Folge war, dass die umgebende Mauer baufällig wurde und das Böse durch die Risse einzudringen vermochte. Der Garten des Herrn erstickte unter dem Unkraut und brachte keine Frucht mehr.
Schliesslich gibt es solche, die von den Bächen, die zur Welt um sie her ausströmen, ganz in Beschlag genommen wurden, so dass sie die Pflanzen, die innerhalb des Gartens wuchsen, nicht mehr beachteten. Auch dadurch hörte der Garten auf, Frucht für den Herrn zu bringen.
Lasst uns nicht vergessen, dass der Garten nicht uns, sondern dem Herrn gehört, wie der König im Hohenlied sagen kann: «mein Garten» (Hld 4,16). Er ist für den Herrn verschlossen. Die Quelle dient zur Bewässerung seines Gartens. Die kostbaren Früchte sollen Ihn erfreuen. Und wenn die Bäche lebendigen Wassers aus dem Garten fliessen, ist dies nur, um weitere Pflanzen für den Garten zu ziehen. Wenn wir dies alles im Sinn behalten, wie sehr werden wir dann auf der Hut sein, nichts zu vernachlässigen, was den Garten des Herrn unfruchtbar machen könnte.