Nach einer langen und ermüdenden Reise nähert sich der Apostel endlich Rom (Apg 28,13-15). Einige Zeit vorher hatte er den Gläubigen dieser Stadt geschrieben und seinen sehnlichen Wunsch zum Ausdruck gebracht, sie zu sehen. Er hatte in seinen Gebeten zu Gott gefleht, ob er nun endlich einmal durch den Willen Gottes so glücklich sein möchte, mit Freuden zu ihnen zu kommen und sich mit ihnen zu erquicken (Röm 1,10; 15,32).
Die Römer kamen ihm entgegen, die einen bis Appii-Forum, etwa 80 Kilometer von Rom entfernt, die andern bis Tres-Tabernä, etwa 50 Kilometer vor der Stadt gelegen.
Das war die Antwort des Herrn auf seine Gebete. Als er sie sah, wie er es sich erbeten hatte, wurde er durch ihre Liebe erfrischt, eine unendlich kostbare Sache. «Als Paulus sie sah», so lesen wir, «dankte er Gott und fasste Mut.»
Als er den Römerbrief schrieb, war er zweifellos weit davon entfernt zu denken, dass er als Gefangener die Bekanntschaft der Stadt Rom machen würde. Er hatte gefleht, dass es ihm gegeben werde, zu ihnen zu kommen (Röm 1,10) und hatte ihnen gesagt, auch dafür zu beten, damit es mit Freuden geschehe (Röm 15,32). Und es ist schön zu sehen, dass, obwohl der Geist Gottes seiner Reise und seiner Ankunft unter ihnen einen Charakter der Not gab, Paulus dies gleichwohl als eine volle Erfüllung seiner Wünsche betrachtete. «Er dankte Gott», indem er dies als Antwort auf seine Bitte erkannte.
Alle Wege der Gnade, die er erwartet hatte, hatten sich vollkommen erfüllt. Er hatte gebetet: dass es ihm erstens geschenkt würde, nach Rom zu kommen, um so mit den Gläubigen erquickt zu werden, und schliesslich, um unter ihnen und unter den Nationen einige Frucht zu haben. Das waren seine Wünsche gewesen (Röm 1,10-13), und jeder dieser Wünsche war erfüllt (Apg 28,15-24). Er sieht die Brüder, fasst Mut und gewinnt durch seine Predigt Frucht unter ihnen, wie auch unter den Nationen.
Ich möchte noch eine kurze Bemerkung bezüglich der Anwesenheit des Paulus in Rom beifügen.
Man sagt, dass die Trübsal zur Neigung führt, egoistisch zu werden. Während wir in der Prüfung sind, werden wir unter dem Druck der eigenen Nöte gegenüber anderen leicht gleichgültig.
Der Herr Jesus hat das Gegenteil getan; nicht nur während seines Lebens der Leiden hat Er immer den anderen gedient, auch an dem Kreuz selbst hat Er sich der Trübsal anderer erinnert. Er sagte zu Johannes: «Siehe, deine Mutter!»
So war es auch mit seinem treuen Diener, dem Apostel der Nationen. Er bezeugte den Ältesten in Milet, dass Fesseln und Bedrängnisse ihn erwarten. Er hatte nur Schwierigkeiten vor sich, aber er beschäftigte sich nur mit den andern, nicht mit sich selbst. In Rom finden wir ihn in der gleichen Gesinnung. Er bleibt zwei Jahre dort, mit Ketten gebunden, durch einen Soldaten bewacht, aber er denkt an die andern. Er legte den Juden die Wahrheit aus, und nahm alle jene auf, die zu ihm kamen. Voll Fürsorge für alle Versammlungen schrieb er Briefe an die Epheser, an die Kolosser, an die Philipper und an Philemon. Endlich, bei seinem zweiten Erscheinen vor Nero, als er «schon als Trankopfer gesprengt» wurde, schrieb er seinen zweiten Brief an Timotheus, mit einer noch grösseren Fürsorge als vorher.
Welch schöne Frucht des göttlichen Wirkens in ihm! Die Trübsal kann durch die Not, die sie uns bringt, unser natürliches Herz für die Prüfungen der anderen gleichgültig machen. Aber der Heilige Geist formt den Charakter und macht uns zu Teilhabern der göttlichen Natur. Wie gross ist die Tragweite des letzten Briefes von Paulus, dem 2. Brief an Timotheus. Er ist eine dringende Ermahnung an sein geliebtes Kind im Glauben, für die anderen zu wirken, zu dienen und zu wachen, trotz aller Schwierigkeiten!