Wenn wir an einen Thron denken, stellen wir uns den Sitz eines Königs oder sonst eines Herrschers vor, der grosse Macht besitzt. Ein Thron ist für hochgestellte Personen und nicht für gewöhnliche Menschen aus dem Volk bestimmt. Ein Thron steht im hellerleuchteten Thronsaal des Palasts, und kein Unberufener darf herzunahen.
Ein Thron ist ein Kunstwerk von Menschenhand. So muss zum Beispiel der elfenbeinerne, mit Gold überzogene Thron des Königs Salomo ausserordentlich prachtvoll gewesen sein (1. Kön 10,18). Menschen sind es also, die einen solchen Thron aufrichten.
Aber so kostbar und schön ein Thron an und für sich auch sein mag, so bekommt er seine Bedeutung doch erst von der Person, die darauf sitzt oder darauf sitzen darf. Ein leerer und unbenützter Thron hat keine Wichtigkeit und keinen Zweck. Ist er aber besetzt, so gehen Herrschaft und Recht, Majestät und Glanz davon aus. Wer sich ihm nähern darf, muss es unter sorgfältiger Beachtung des vorgeschriebenen Zeremoniells tun und kommt sich dabei so gering und klein vor.
Heutzutage gibt es auf der Erde nicht mehr viele Throne. Mögen sie auch noch so unerschütterlich scheinen, so sind sie doch nur aus irdischem Material angefertigt und nur allzu vergänglich. Auch vom Thron Salomos ist seit 26 Jahrhunderten nichts mehr übriggeblieben. Und so vergänglich die Throne sind, so vergänglich ist auch die Herrlichkeit und die Macht derer, die darauf sitzen. Die Geschichte lehrt uns, dass die meisten der Könige und Herrscher nur kurze Zeit regiert haben. Entweder wurden sie von den Thronen gestossen oder die Throne kamen mit dem Königreich ins Wanken.
Wie ganz anders sind die himmlischen Throne beschaffen, von denen die Bibel spricht: «Der HERR hat in den Himmeln festgestellt seinen Thron» (Ps 103,19). In Gesichten haben Jesaja und Johannes diesen Thron Gottes gesehen und seine prachtvolle Herrlichkeit beschrieben (Jes 6,1; Off 4,2-5). Es ist der Sohn Gottes, der darauf sitzt. «Dein Thron, o Gott, ist von Ewigkeit zu Ewigkeit, und das Zepter der Aufrichtigkeit ist das Zepter deines Reiches» (Heb 1,8 und Ps 45,6). «Und ich sah einen grossen weissen Thron und den, der darauf sass» (Off 20,11). Und noch viele andere solcher Stellen könnten wir in der Schrift finden.
Aber zu den schönsten Schriftstellen zählen jenen, in denen vom «Gnadenstuhl» und vom «Thron der Gnade» gesprochen wird. «Christus Jesus …, den Gott dargestellt hat als ein Sühnmittel (unrev. Elberfelder: Gnadenstuhl) durch den Glauben an sein Blut» (Römer 3,25). «Lasst uns nun mit Freimütigkeit hinzutreten zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu rechtzeitiger Hilfe» (Heb 4,16).
«Gnadenstuhl», wie hat doch dieses Wort einen so tiefen Sinn! Es ist der Sitz der Gnade, ein erhabener Stuhl, auf dem in vollem Glanz und in Herrlichkeit Gnade ruht. Von dort her übt sie ihre Herrschaft aus. Dort ist der Platz, wo Gnade geschaut und gefunden wird. Dort kann man an die Gnade appellieren, und dort wird sie geschenkt. Dort ist die Quelle, woraus Gnade entspringt und in immer breiterem und tieferem Strom ununterbrochen herabfliesst (Hes 47,1-12). Dieser Gnadenthron ist kein Menschenwerk, Gott hat ihn aufgerichtet, der «Gott aller Gnade» (1. Pet 5,10). Er steht auch nicht auf der Erde in irgendeinem Palast oder in einem mit Händen gemachten Heiligtum, sondern im Himmel selbst (Heb 9,12.24). Dieser Thron ist unvergänglich und wankt in Ewigkeit nicht. Der Thron der Gnade steht sicher und fest. Er ist jedem zugänglich, wie unwürdig er in sich selber auch sein mag, und jeder darf sich ihm ohne Zeremoniell nähern, wenn auch mit tiefer Ehrfurcht.
Auf solchem Thron also hat die Gnade ihren Sitz in Ewigkeit. Keine Macht kann sie von diesem Platz wegstossen. Alles, was von diesem Thron ausgeht, ist Herrlichkeit und hat Ewigkeitswert, wird immer reicher und voller und tiefer für den, der dort seine Zuflucht gefunden hat. Denn dieser Gnadenstuhl ist Christus Jesus, wie Römer 3,25 es uns sagt. Er ist das Wort «voller Gnade und Wahrheit», und «aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, und zwar Gnade um Gnade» (Joh 1,14 und 16).
Der Sühndeckel auf der Bundeslade im Allerheiligsten war ein Vorbild dieses Gnadenstuhles. In Hebräer 9,5 und Römer 3,25 wird für «Sühndeckel» wie auch für Gnadenstuhl dasselbe griechische Wort gebraucht. Aufgrund von vergossenem Blut wurde einst vom Sühndeckel herab dem sündigen Volke Gnade erwiesen; heute empfängt der Glaubende vom Gnadenthron des wahrhaftigen, himmlischen Heiligtums her nicht nur die unendlich grosse Gabe der ewigen Erlösung, sondern auch Barmherzigkeit und Gnade zu rechtzeitiger Hilfe für seinen Pfad durch diese Welt, weil Christus sein Blut für uns gegeben hat und ein für alle Mal ins Heiligtum eingegangen ist (Heb 9,12). Welch grosses Vorrecht besitzen wir doch!
Das Kreuz wurde einerseits von Menschenhänden auf den Hügel Golgatha gestellt, anderseits aber doch von Gott aufgerichtet. Da wurde göttliche Gerechtigkeit ausgeübt und das Urteil über die Sünde an dem vollstreckt, der voller Gnade war, damit den Menschen, die in Wahrheit an Ihn glauben, in Gerechtigkeit überströmende Gnade zuteilwerden könne.
Wenn wir in diesem Bewusstsein vor Gott stehen, beugen sich unsere Herzen in tiefer Ehrfurcht. Wir fühlen uns klein, oh, so klein, aber zugleich so glücklich! Und wir bringen Ihm, der für uns alles vollkommen in Ordnung gebracht hat, in tiefer Dankbarkeit unsere Huldigung dar.
«Und rings um den Thron waren vierundzwanzig Throne, und auf den Thronen sassen vierundzwanzig Älteste, bekleidet mit weissen Kleidern, und auf ihren Häuptern goldene Kronen.» «Und ich sah Throne, und sie sassen darauf» (Off 4,4; 20,4). Welche Wunder der Gnade: Unser Herr Jesus wünscht den Thron nicht für sich allein. Er wird die Seinen, die Gegenstände seiner Gnade, auch auf Throne setzen. Das werden auch Gnadenthrone sein, aber nur deshalb, weil solche darauf sitzen werden, die diesen Platz aus lauter Gnade empfangen haben. Ihm sei Lob und Anbetung dafür!