Offenbart uns das Wort etwas von dem, was schon vor Grundlegung der Welt bestanden hat?
Es sagt uns: «Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde. Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis war über der Tiefe» (1. Mo 1,1.2). «Die Welten sind durch Gottes Wort bereitet worden» (Heb 11,3). Da wurde die Welt gegründet, in der wir leben. Aber vor dieser Grundlegung gab es die vergangene Ewigkeit, ein unergründliches Geheimnis für den Menschen, in das er mit seinem Verstand, seinen Überlegungen und seiner Wissenschaft vergeblich einzudringen sucht. Mose sagt in seinem Gebet: «Ehe geboren waren die Berge und du die Erde und den Erdkreis erschaffen hattest – ja, von Ewigkeit zu Ewigkeit bist du Gott» (Ps 90,2).
Der Mensch weiss also nichts von der vergangenen Ewigkeit; das Wort Gottes jedoch gibt dem Glauben wunderbare Offenbarungen über das, was vor Grundlegung der Welt vor sich ging. Es sagt uns, was im Herzen Gottes war, was seine Liebe für den Menschen zubereiten und ausführen wollte. Zuallererst redet es vom Sohn seiner Liebe, der zur Seite des Vaters war als sein Werkmeister, in der Herrlichkeit, die Er bei Ihm hatte, ehe die Welt war (Joh 17,5). Es lehrt uns, dass uns Gott vor Grundlegung der Welt in Christus auserwählt hat, damit wir Gegenstände seiner Liebe seien, dass Er uns zuvor bestimmt hat zur Sohnschaft für sich selbst (Eph 1,4-5). Wir existierten also damals schon in seinen Gedanken und in seinem Herzen und waren zuvor bestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu sein (Römer 8,29). In seiner Weisheit und seinem Wissen um das Vergangene, Gegenwärtige und Zukünftige, hat Er, von Ewigkeit zu Ewigkeit, alles angeordnet, in vollkommener Übereinstimmung mit seinem geliebten Sohn, um sich zu verherrlichen und in Ihm und durch Ihn alle seine Ratschlüsse der Liebe zu verwirklichen. In der Fülle der Zeit bot sich dann dieser eingeborene Sohn Gott als Opfer dar und sagte: «Siehe, ich komme, um deinen Willen zu tun.»
Sinnen wir doch über alle Stellen des Wortes nach, die von dem reden, was vor Grundlegung der Welt war! Sie alle machen kund, dass der Vater und der Sohn in ihrer Liebe zu uns eins sind, in einer Liebe, die von weiten Fernen, von den Tiefen der vergangenen Ewigkeit her besteht.
Aber warum hat uns Gott vor unserer Geburt, vor Grundlegung der Welt auserwählt? Warum hat Er uns geliebt, zuvor bestimmt, berufen, gerechtfertigt, geheiligt und verherrlicht? Gewiss nicht aufgrund seiner Erkenntnis dessen, was unser Leben, unser Verhalten sein würde! Er wusste, dass die Sünde in uns sein und was unsere böse Natur hervorbringen würde; Er wusste, wie schlecht wir seiner Liebe entsprechen würden. – Wir selbst, wenn wir in unseren Herzen unser ganzes Dasein mit seiner Untreue überblicken, können wir dann ohne Beschämung und ohne tief gedemütigt zu werden, daran denken? Nein, es ist die Gnade Gottes in ihrem unergründlichen Reichtum, die sich mit uns beschäftigt hat. Das alles war «nicht aus uns» (Eph 2,8). Er hat uns mit einer ewigen Liebe geliebt, die von fern her besteht.
Die Auserwählung ist einer der Gegenstände, an dem sich der ungläubige Mensch am meisten stösst; für den Glauben aber ist sie eine überaus kostbare Wahrheit. Sie gibt uns die feste Gewissheit, dass alles von Gott ist, dass seine Liebe die Quelle und der Beweggrund aller Auserwählung ist und dass nichts sie auszulöschen vermag.
Gott wollte mit seinem Sohn heilige und untadelige Menschen vor seiner unbeugsamen Gerechtigkeit und vollkommenen Heiligkeit haben, so wie seine Herrlichkeit es erforderte. Als Er uns auserwählte und zuvor bestimmte, hatte Er in seinen Ratschlüssen schon das einzigartige Mittel bestimmt, durch das dies alles verwirklicht werden konnte. Aber um welchen Preis! Sein Sohn, der erhabene Ausdruck seiner Liebe, sollte hingegeben, geopfert werden, um all die höchsten Forderungen der herrlichen göttlichen Vollkommenheit zu befriedigen. Er, der Vielgeliebte, verliess die Herrlichkeit des Himmels, um in dieser Welt das Lamm ohne Fehl und Flecken, «zuvor erkannt vor Grundlegung der Welt» (1. Pet 1,20) zu sein und geschlachtet zu werden. Als vom Menschen aus alles verloren und von seiner Seite kein Ausweg mehr war, sagte Er: «Siehe, ich komme»; und bei seinem Kommen liess Gott durch seinen Vorläufer ausrufen: «Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt!»