Die Weissagung Daniels über die 70 Jahrwochen – und speziell jene über die letzte Jahrwoche – ist äusserst wichtig, um die biblische Prophetie gut zu verstehen. Wir könnten sie als «Basics» bezeichnen, ohne die wir das, was die Bibel über die Zeit des Endes sagt, nie richtig verstehen werden.
Die 70 Jahrwochen beschreiben eine Zeit, die aus der Sicht Daniels vergehen sollte, bis der Messias sein Reich auf der Erde gründen würde. Sie beginnen mit dem Befehl, Jerusalem nach dem babylonischen Exil (wo Daniel sich befand, als Gott zu ihm sprach) wieder aufzubauen. Das war im Jahr 445 v. Chr. Sie enden an der Schwelle des Tausendjährigen Reichs, das immer noch zukünftig ist.
Der Bibeltext in Daniel 9,24-27 dazu lautet:
70 Wochen sind über dein Volk und über deine heilige Stadt bestimmt, um die Übertretung zum Abschluss zu bringen und den Sünden ein Ende zu machen und die Ungerechtigkeit zu sühnen und eine ewige Gerechtigkeit einzuführen und Gesicht und Propheten zu versiegeln und ein Allerheiligstes zu salben. So wisse denn und verstehe: Vom Ausgehen des Wortes, Jerusalem wiederherzustellen und zu bauen, bis auf den Messias, den Fürsten, sind 7 Wochen und 62 Wochen. Strassen und Gräben werden wiederhergestellt und gebaut werden, und zwar in Drangsal der Zeiten. Und nach den 62 Wochen wird der Messias weggetan werden und nichts haben. Und das Volk des kommenden Fürsten wird die Stadt und das Heiligtum zerstören, und das Ende davon wird durch die überströmende Flut sein; und bis ans Ende: Krieg, Festbeschlossenes von Verwüstungen. Und er wird einen festen Bund mit den Vielen schliessen für eine Woche; und zur Hälfte der Woche wird er Schlachtopfer und Speisopfer aufhören lassen. Und wegen der Beschirmung der Gräuel wird ein Verwüster kommen, und zwar bis Vernichtung und Festbeschlossenes über das Verwüstete ausgegossen werden.
Grundsätzliches
Wir wollen in diesem Artikel versuchen, einige grundsätzliche Punkte kurz zu erwähnen. Es gibt gute Literatur, in der weitere Einzelheiten erläutert werden:
- Es geht bei den «Wochen» Daniels um sogenannte «Jahrwochen» von jeweils sieben Jahren. Diese Zählweise war im Alten Testament nicht unüblich (vgl. z.B. 3. Mo 25,8). 70 Jahrwochen sind folglich insgesamt 490 Jahre.
- Die 70 Jahrwochen beginnen im Jahr 445 v. Chr. In diesem Jahr gab der persische König Artasasta (in der Geschichte als Artaxerxes I. Langhand bekannt) Nehemia den Auftrag, die von Nebukadnezar zerstörte Stadt Jerusalem wieder aufzubauen (Neh 2,1-8).
- Die 70 Jahrwochen enden mit dem Beginn des Friedensreichs unseres Herrn, das immer noch zukünftig ist. Das ist die Zeit, in der Gerechtigkeit auf der Erde herrschen und der Tempeldienst in Jerusalem wieder aufgenommen wird.
- Nach 69 Wochen (also nach 483 Jahren) gibt es eine Unterbrechung. Der Messias wird weggetan (oder ausgerottet) werden und nichts haben. Das bezieht sich auf die Kreuzigung des Herrn Jesus. Die Unterbrechung beginnt mit dem Tod des Messias (ca. 30 n. Chr.). Weil der König abgelehnt wurde, konnte das angekündigte Reich damals nicht in Macht und Herrlichkeit auf der Erde gegründet werden. Die Reichsgründung musste verschoben werden. Sie ist immer noch zukünftig. Das wird dadurch erhärtet, dass der Text sechs (einige Ausleger sprechen von sieben) Voraussetzungen nennt, die erfüllt sein müssen, bevor die letzte Jahrwoche beendet sein wird. Es wird für jeden aufrichtigen Leser unmittelbar klar, dass keine einzige dieser Voraussetzungen bereits erfüllt ist. Das wird erst dann so sein, wenn das Reich begonnen hat.1
- Die nach dem Kreuz des Herrn Jesus beginnende Gnadenzeit – die Zeit der Versammlung auf der Erde – ist in der biblischen Prophetie komplett ausgeblendet und wird folglich im Propheten Daniel nicht erwähnt. Vor dieser Zeit wurde zwischen «Israel» einerseits und den «Nationen» anderseits unterschieden. In der gegenwärtigen Gnadenzeit gibt es einen solchen Unterschied aus Gottes Sicht nicht (Eph 2,14). Es wird ihn erst nach der Entrückung wieder geben. Deshalb blendet die Prophetie diesen Zeitraum aus und geht direkt zum Ende über. Es ist wichtig, diesen sogenannten «Unterbruch» in Daniel 9 zu erfassen. Sonst verstehen wir die Weissagung Daniels über die 70 Jahrwochen nicht. Die ersten 69 Wochen sind also aus unserer Sicht vergangen, die letzte Woche ist noch zukünftig. Sie kann erst beginnen, wenn die Gläubigen der Gnadenzeit entrückt sind.
- 40 Jahre nachdem Christus abgelehnt und getötet worden war, kamen römische Truppen nach Jerusalem. Sie zerstörten die Stadt und den Tempel. Das geschah im Jahr 70 n. Chr. Das «Volk des kommenden Fürsten» sind die Römer. Der Befehlshaber der römischen Truppen damals war Titus. Dennoch ist Titus nicht der kommende Fürst. Wenn wir den Text genau lesen, fällt auf, dass vom «Volk des kommenden Fürsten» die Rede ist. Das Volk sind die Römer, doch der kommende Fürst selbst ist nicht Titus, sondern der europäische (römische) Herrscher in der Endzeit. 2 Es war sein Volk – das Volk dieses kommenden Despoten –, das damals im Jahr 70 die Stadt Jerusalem zerstört hat. Der Geschichtsschreiber Flavius Josephus3 macht deutlich, dass es gerade Titus war, der Jerusalem eigentlich nicht zerstören wollte. Es waren seine Soldaten, die Jerusalem – gegen seinen ausdrücklichen Befehl – dennoch in Brand steckten und damit die biblische Weissagung Daniels ungewollt erfüllten.
- Der Ausdruck «bis ans Ende» führt uns direkt in die Zeit, die noch vor uns liegt. Es ist die Zeit nach der Entrückung der Gläubigen am Ende der Gnadenzeit, die in der Weissagung Daniels ganz «übersprungen» wird.
Die letzte Jahrwoche Daniels
Die letzte Jahrwoche Daniels hat also noch nicht begonnen. Sie ist eindeutig zukünftig. Das zu erfassen, ist von zentraler Bedeutung, um die Weissagungen der Bibel richtig zu verstehen. Die letzte Jahrwoche Daniels beginnt erst, nachdem die Gläubigen am Ende der Gnadenzeit in den Himmel entrückt sind. Sie dauert sieben Jahre lang und endet damit, dass Christus sichtbar vom Himmel auf die Erde zurückkehrt, um sein Reich zu gründen.
Es wird weiterhin deutlich, dass sich diese letzte Jahrwoche Daniels in zwei Hälften von je 3½ Jahren aufteilt. Der Text in Daniel 9 spricht von der «Hälfte der Woche», d.h. es wird eine erste Phase von 3½ Jahren und eine zweite von 3½ Jahren geben. Deshalb lesen wir an anderer Stelle von «einer Zeit und Zeiten und einer halben Zeit»4 (siehe Dan 7,25; 12,7; Off 12,14) oder von 42 Monaten bzw. 1260 Tagen (Off 12,6; 13,5), was immer 3½ Jahre ergibt. Beide Hälften haben ihre besonderen Merkmale.
- Kennzeichnend für die erste Hälfte ist ein fester Bund des europäischen (römischen) Herrschers mit den Vielen. Der Ausdruck die «Vielen» beschreibt die Mehrheit des jüdischen Volkes. Sie befinden sich zu diesem Zeitpunkt unter der Regierung des Antichristen. Es handelt sich um ein politisches Bündnis zwischen Europa und Israel zum Schutz vor den Feinden Israels (besonders vor dem König des Nordens und seinen Verbündeten).
- Kennzeichnend für die zweite Hälfte ist, dass im Tempel (den es dann wieder in Jerusalem geben wird) keine Opfer mehr gebracht werden. Es wird verboten werden, Gott zu opfern. Stattdessen wird im Tempel ein Gräuelgötze aufgestellt. Beides (das Verbot, Gott zu opfern, und der okkulte Götzendienst) sind religiös motivierte Handlungen. Damit beginnt die eigentliche Drangsal für den gläubigen Überrest aus Israel, die erst der vom Himmel kommende Messias 3½ Jahre später beenden wird.
- Als Folge dieses satanischen Götzendienstes in Jerusalem wird – am Ende der letzten Jahrwoche – ein Verwüster kommen, der die Stadt belagern, einnehmen und verwüsten wird. Jesaja nennt diesen Verwüster «den Assyrer». Im Buch Daniel wird er der «König des Nordens» genannt. Es handelt sich um eine «Zuchtrute» Gottes gegen das abgefallene Volk Israel unter der Führung des Antichristen. Der Bund zwischen Israel und Europa wird nicht halten (Jes 28,18).
Die Weissagung Daniels über die 70 Jahrwochen endet an dieser Stelle scheinbar etwas abrupt. Dennoch ist die «Geschichte der Zukunft» damit keineswegs zu Ende. Andere Weissagungen der Bibel (z.B. im Propheten Jesaja oder Sacharja und besonders in der Offenbarung) zeigen uns, wie es weitergeht. Christus kommt vom Himmel auf die Erde zurück, wird alle Feinde (auch das römische Heer und den König des Nordens) besiegen und dann sein herrliches Friedensreich auf der Erde gründen.
Zusammenfassung
Die Weissagung Daniels über die 70 Jahrwochen zählt zu den Grundlagen der biblischen Prophetie. Ein richtiges Verständnis darüber ist wichtig, um andere Weissagungen verstehen zu können. 69 Jahrwochen sind aus unserer Sicht bereits Vergangenheit. Sie fanden ihren Abschluss damit, dass der Herr Jesus am Kreuz gestorben ist. Die letzte Jahrwoche ist noch zukünftig. Sie beginnt, nachdem die Gläubigen der Gnadenzeit entrückt sein werden, und teilt sich in zwei Perioden von je 3½ Jahren auf. Nach Abschluss der 70 Jahrwochen wird Christus in Herrlichkeit erscheinen. Dann beginnt sein Reich auf dieser Erde.
- 1 Die Voraussetzungen lauten:
1) Die Übertretung wird abgeschlossen.
2) Den Sünden wird ein Ende gemacht.
3) Die Ungerechtigkeit wird gesühnt.
4) Eine ewige Gerechtigkeit wird eingeführt.
5) Gesichte und Propheten werden versiegelt.
6) Ein Allerheiligstes wird gesalbt.
Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, detailliert darauf einzugehen. - 2Dieser Mann wird in der Offenbarung «das Tier aus dem Meer» (Off 13,1) genannt. Offenbarung 17,8 zeigt, dass das Römische Reich existiert hat (Vergangenheit), dass es lange Zeit nicht existiert (Gegenwart) und dass es wieder aus dem Abgrund heraufsteigt und danach ins Verderben geht (Zukunft). Die Zukunft des alten Römischen Reichs ist vermutlich das moderne und (zum Teil) vereinigte Europa.
- 3 Flavius Josephus (37-100 n. Chr.) – oder Joseph Ben Mathitjahu – war ein jüdischer Feldherr und bekannter Geschichtsschreiber. Er gilt als einer der wichtigsten Autoren der jüdischen Geschichte. Seine – bis heute erhaltenen – Hauptwerke sind die «Geschichte des jüdischen Krieges» und die «Jüdischen Altertümer».
- 4«Eine Zeit» meint ein Jahr. «Zeiten» sind zwei Jahre. Eine Zeit, Zeiten und eine halbe Zeit sind also 3½ Jahre.