Offenbar-werden und Belohnung

2. Korinther 5,10-11

Die Aussage im 10. Vers: «Wir müssen alle offenbar werden» bezieht sich hier auf alle Menschen, die Erlösten eingeschlossen. Und weil diese Stelle auch die Erlösten betrifft, spricht sie nicht von Verdammnis über die, die vor diesem Richterstuhl offenbar werden. In Matthäus 25,31-46 hingegen, wo wir den Richterstuhl des Christus zum Gericht der Lebendigen finden, wird ein Urteil der ewigen Verdammnis über die gefällt, die der Herr zu seiner Linken stellt. Und in Offenbarung 20,11-15, wo wir den Richterstuhl des Christus zum Gericht der Toten haben, wird die ewige Verdammnis über alle ausgesprochen, die dort erscheinen. Denn es sind nur solche, die zwar einen Auferstehungsleib empfangen haben, aber nackt, ohne Christus sind.

Zwei grosse Gedanken sind in unserem 10. Vers enthalten: jener des Offenbar-werdens und jener der Belohnung. Das Offenbar-werden bezieht sich auf das ganze Leben, von der Geburt bis zum Ende. Die Belohnung besteht im Empfangen nach den Dingen, die während der ganzen Lebensdauer im Leib getan wurden. Aber da wird die Auferstehung vorausgesetzt, weil jeder im Auferstehungsleib empfangen wird, was er im sterblichen Leib getan hat. Das ist der Grundgedanke dieser Stelle.

Wenn also im 10. Vers auch die Erlösten gemeint sind, wie kann man sich da im Blick auf sie das Offenbar-werden und die Belohnung erklären?

Wir haben gesagt, dass sich das Offenbar-werden auf den ganzen Lauf des Lebens im Leib bezieht. Es ist nötig, dass wir die Wege Gottes mit uns und die Wirksamkeit seiner Gnade gegen uns kennen, die schon vor unserer Bekehrung begann. Wir sollen wissen, wie Er uns zuvor erkannt und in seiner Barmherzigkeit ergriffen hat. Anderseits ist es notwendig, dass wir unsere ganze Bosheit, unser Rebellieren gegen Gott und seine Ursachen, wie auch die Falschheit unserer natürlichen Herzen einsehen. Jemand hat gesagt, dass wir nie die Heimtücke unseres Fleisches, noch auch die Ausdehnung der Gnade Gottes erkennen könnten vor jenem Augenblick. Diese völlige Offenbarung ist nötig, damit wir vom Anblick dieses Bildes mit einer Haltung ewiger Dankbarkeit dem gegenüber weggehen, der solche Wesen, wie wir sie dann erkannt haben, gerettet und zum guten Ende geführt haben wird.

Denken wir daran, dass wir mit den Augen eines verherrlichten Leibes diesen Rückblick auf unser Leben werfen werden. Wir sind dann unserem Erretter gleichförmig und fähig, ohne Furcht das gerechte Urteil anzuerkennen, das über das Böse ausgesprochen wird, das aber der Erlöser in seiner Gnade am Kreuz auf sich genommen hat.

Es gibt zahlreiche Seelen, die erst am Ende ihres Lebens auf den Heiland blicken und im Frieden sterben, ohne dass bei den meisten von ihnen ernste Gewissensübungen im Blick auf ihr ganzes Leben vorausgegangen sind. Da können über achtzigjährige Leute den Heiland annehmen wie kleine Kinder, ohne grosse Gewissensnot über das Vergangene. Solche werden dann bei der Offenbarung ihres ganzen Lebens erkennen, wovon sie errettet worden sind, und das wird sie zu einer ewigen Danksagung treiben. Man kann sagen, dass den Erlösten im Himmel etwas fehlen würde, wenn es dieses Offenbar-werden vor dem Richterstuhl des Christus nicht gäbe.

Was die Frage der Belohnung für die Erlösten betrifft, so hat sie keine Beziehung zur Schuld, die das Gericht Gottes hervorrufen musste. Dieses hat unser Erretter durch die Gnade Gottes an unserer Stelle am Kreuz erduldet. Wie schon gesagt, können wir das gerechte Gericht Gottes, das über das Böse ausgeübt worden ist, ohne Furcht anerkennen. Aber welchen Dank gegen unseren anbetungswürdigen Erlöser wird dies bei uns auslösen.

Für die Erlösten, die in dieser Welt zwischen ihrer Bekehrung und ihrem Ende eine Laufbahn erfüllen, gibt es eine Überwachung seitens des Herrn, bezüglich ihrer Verantwortung, ihres praktischen Wandels, ihres Dienstes und Zeugnisses. In dieser Hinsicht wird uns das Offenbar-werden vor dem Richterstuhl des Christus die Ursachen des Verlustes zeigen, den wir erlitten haben werden, weil wir die Hilfsquellen zu wenig in Anspruch nahmen, die uns durch den Geist und das Wort zur Verfügung standen, um die Neigungen unserer Natur in Schach zu halten und um den Herrn mehr zu verherrlichen. Von diesem Gesichtspunkt aus sollte der Gedanke an den Richterstuhl des Christus jeden Tag auf unser Gewissen einen tiefen Eindruck machen. Wenn wir auch jeden ängstlichen Gedanken von einem Verdammungsurteil ausklammern dürfen, so ist es für die Seele doch gut, den Gedanken lebendig zu erhalten, dass am Richterstuhl gerichtet wird und dass dieser Stuhl den Gedanken an den Richter und an ein Gericht einschliesst. Zu viele Christen reduzieren den Richterstuhl des Christus für sich auf den kurzen Satz: «Für das Böse hat Christus gelitten, das Gute aber wird Er belohnen.» Während wir diese Welt durchschreiten, soll der Gedanke an den Richterstuhl des Christus auf unsere Seelen für unseren Wandel einen tiefen Eindruck ausüben. Wenn dem so ist, so wird es keinerlei Furcht bewirken, wenn wir an den Augenblick denken, wo wir uns vor diesem Richterstuhl befinden, ganz im Gegenteil.

Ohne Zweifel wird das Entgelt für die Erlösten in der Belohnung bestehen, die Gott für alles Gute geben wird, das Seine Gnade in uns und durch uns bewirkt haben wird. Aber der Gedanke an eine Belohnung ist nicht ein Beweggrund, um gut zu wandeln, ist aber eine kostbare Ermunterung. Dieser Gedanke ermutigte Paulus in seinem Dienst durch alle Prüfungen hindurch, denen er begegnete. Und er ermunterte auch die armen Sklaven, mit den Worten: «ihr wisst, dass, was irgend ein jeder Gutes tut, er dies vom Herrn empfangen wird, er sei Sklave oder Freier» (Eph 6,8).

2. Korinther 5,11 zeigt, dass der Apostel für sich selbst keinerlei Furcht empfand beim Gedanken an den Richterstuhl des Christus. Er war schon vor Gott offenbar geworden. Bezüglich dessen, was sein Gewissen fähig war zu überprüfen, war zwischen ihm und Gott alles im Klaren. Aus 1. Korinther 4,3.4 geht jedoch hervor, dass er sein Gewissen nicht als den Massstab Gottes gegenüber dem Bösen betrachtete. Er unterstellte sich dem Urteil des Herrn. Er weiss nicht, ob der Herr noch etwas über das hinaus weiss, was sein Gewissen zu prüfen imstande ist.

Aber der Apostel, für sich selbst völlig ruhig, dachte an die unerlösten Menschen, die blindlings der ewigen Verdammnis entgegengehen, die der Richter über sie aussprechen wird. Er suchte sie von der tödlichen Gefahr zu überzeugen, der sie entgegenliefen.

Die Tatsache, vor Gott offenbart zu werden, erfüllte den Apostel jedoch auch mit der Hoffnung, im Gewissen der Korinther offenbar geworden zu sein. Es ist unmöglich, vor Gott offenbart zu sein und es nicht früher oder später im Gewissen unserer Geschwister zu werden, trotz allem, was der Feind erwecken kann, um das Gegenteil glaubhaft zu machen.