Viermal wird im ersten Brief an die Thessalonicher festgestellt, dass etwas «nicht nötig» war.
1. Thessalonicher 1,8
Der Apostel war drei Wochen lang in Thessalonich gewesen, um dort das Evangelium zu verkündigen. Einige von den Juden und eine grosse Menge Griechen hatten es angenommen. Sogleich aber erwachte die Feindschaft, weshalb die Brüder von Thessalonich Paulus und Silas in der Nacht nach Beröa brachten (Apg 17,1-10).
Der Apostel hatte also nur für ganz kurze Zeit in Thessalonich bleiben können. Es war keine Gelegenheit gewesen, diese Neubekehrten eingehend in die Wahrheit Gottes einzuführen. Nun war er in Sorge, wie die noch so jungen Gläubigen auf die heftigen Verfolgungen reagieren würden, die über sie hereingebrochen waren. Als ihm auch das Wirken in Beröa unmöglich gemacht wurde, reiste er nach Athen. Doch liess er seine beiden Mitarbeiter Silas und Timotheus in Beröa zurück, welcher Ort nicht weit von Thessalonich entfernt war. Später vernahm er von diesen Mitarbeitern, dass jene Verfolgungen anhielten. Daher sandte er Timotheus wieder nach Thessalonich zurück, um die dortigen Brüder «zu befestigen und zu trösten hinsichtlich eures Glaubens, damit niemand wankend werde in diesen Drangsalen» (1. Thes 3,1-5).
Er liess ihnen nicht sagen, dass sie versuchen sollten, die Verfolgung aufzuhalten. Auch riet er ihnen nicht, die weltliche Obrigkeit um Hilfe anzurufen. Überall im Neuen Testament wird den Gläubigen gesagt, dass sie die Verfolgungen um des Glaubens willen ertragen sollten. Es stand ihnen also nicht an, sich an den «grünen Tisch» zu setzen, um darüber zu verhandeln. Der Herr würde auf seine Weise und zu seiner Zeit eingreifen. Welch eine Unehre wäre es für den Herrn gewesen, wenn die Gläubigen von Thessalonich vom Glauben abgewichen wären, um wieder Ruhe zu haben!
Als Timotheus zum Apostel zurückkehrte, hatte er ihm aber von den Gläubigen in Thessalonich gute Nachrichten überbringen können (1. Thes 3,6-8). Daraufhin schrieb der Apostel seinen ersten Brief an die Thessalonicher.
Er bezeugt darin, dass durch sie das Wort des Herrn nicht allein in Mazedonien und Achaja, sondern auch an jedem Ort ausgebreitet worden sei. Es war nicht nötig zu sagen, dass er in Thessalonich das Evangelium verkündigt habe. Die Menschen wussten von den Thessalonichern selbst, wie der Apostel von ihnen aufgenommen worden war, und dass sie seither nicht mehr den Götzenbildern dienten.
Der Wandel dieser neubekehrten Gläubigen, der zur Verherrlichung Gottes gereichte, wurde für alle Gläubigen in Mazedonien und Achaja zum Vorbild. Und die weltliche Bevölkerung «an jedem Ort» sprach mit Verwunderung von der ungewöhnlichen Erscheinung, dass diese Menschen alles aufgaben, was für das menschliche Herz anziehend ist, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen, wie sie sagten. Man hörte sie oft und gern von einem gewissen Jesus reden, der als der menschgewordene Sohn Gottes am Kreuz gestorben und wieder aus den Toten auferstanden sei. Er werde aus dem Himmel zurückkehren und die Gläubigen vom kommenden Zorn erretten. – So ungefähr hatten die Weltmenschen von ihnen gesprochen. Sie begriffen das alles nicht, aber das Zeugnis der Gläubigen in Thessalonich in Wort und Tat machte grossen Eindruck auf sie. Es war ihr Tagesgespräch, denn das alles war ja so merkwürdig.
Der Apostel nahm auf dieses Zeugnis Bezug und äusserte sich anerkennend über das eine Lebensziel, das diese Neubekehrten nun verfolgten. Sie wussten jetzt, dass Gott ihr Vater war und dass der Sohn Gottes aus dem Himmel zurückkommen werde, um sie vor den kommenden Gerichten zu erretten. Aber das alles war für die Welt nicht wahrnehmbar. Dass sie aber auch in den äusseren Dingen dieses Lebens Gott dienten, sich von den Götzen abkehrten und die Sünde verabscheuten, das konnte die Welt deutlich sehen.
Es wird in unseren Tagen viel darüber gesprochen, dass man die Kräfte, die in der Christenheit vorhanden seien, aktiv machen müsse, um das Evangelium zu verbreiten. In Übereinstimmung mit dem Geist unserer Zeit werden zu diesem Zweck allerlei Aktionen organisiert, jede grösser und anziehender als die andere. Man hat dafür den Begriff «Laien-Apostolat» eingeführt. An sich ist der Gedanke, dass jeder Gläubige danach trachten soll, andere mit dem Evangelium zu erreichen, durchaus nach der Schrift. Doch redet das Neue Testament nie von «Laien». Und es wäre gut, bei diesen neubekehrten Gläubigen zu Thessalonich in die Lehre zu gehen. Die Weltmenschen jener Gegenden waren nicht von der «gewaltigen» Predigt oder von der guten Organisation usw. beeindruckt, sondern von der deutlich sichtbaren Tatsache, dass diese früheren Götzendiener jetzt mit einer solch völligen Hingabe dem lebendigen Gott dienten, in allem völlig umgekehrt waren und sich nun ganz anders offenbarten als kurz zuvor. Sie waren erstaunt über ihre Bereitschaft, von ihren eigenen Mitbürgern Mühe und Verfolgung auf sich zu nehmen, Viel Erkenntnis hatten diese Neubekehrten gewiss nicht gehabt, und wir glauben auch nicht, dass sie sehr viel geredet haben. Aber ihr Herz war ganz erfüllt von der Person des Herrn Jesus Christus, nach dem sie täglich ausschauten. Durch ihre völlige Umkehr war jeder von ihnen ein Prediger der Tat geworden.
1. Thessalonicher 4,9
Betraf das erste «nicht nötig» ihr Zeugnis nach «aussen», gegenüber der Welt, so bezieht sich das zweite auf die Bruderliebe, also auf etwas, das «drinnen» gefunden werden soll. Es war nicht nötig, dass ihnen der Apostel über die Bruderliebe schrieb, denn sie selbst waren von Gott gelehrt, einander zu lieben. Sie hatten schon Beweise der Liebe gegeben, nicht nur unter sich, sondern auch gegenüber den Geschwistern an anderen Orten. Aber in der Bruderliebe zuzunehmen ist jederzeit noch möglich und wünschenswert. Es gab noch niemand, der sich zu Recht hätte beklagen können, von den Brüdern zu viel Liebe empfangen zu haben. Der Bruder ist sogar schuldig, für die Brüder das Leben darzulegen (1. Joh 3,16). Und hierin haben wir jederzeit ein vollkommenes Vorbild vor den Augen: Unser Herr Jesus gab sein eigenes Leben für uns dahin, und zwar, als wir noch Sünder und Feinde waren.
Es liegt nicht in der Art der alten menschlichen Natur, andere Menschen zu lieben (Tit 3,3), aber die Bruderliebe ist eines der ersten Kennzeichen vom Besitz neuen Lebens aus Gott. Soll von «drinnen» nach «draussen» ein gutes Zeugnis ausgehen, dann muss Bruderliebe vorhanden sein. Die meisten Gläubigen werden nicht dazu berufen, ihr Leben für die Brüder darzulegen. Doch haben wir alle der Bruderliebe nachzustreben, deren höchster Massstab das Beispiel des Herrn Jesus ist: «Wie ich euch geliebt habe.» Daran sollten Aussenstehende erkennen, dass die Gläubigen Jünger, Nachfolger des Herrn Jesus sind (Joh 13,34-35).
1. Thessalonicher 4,12
Das dritte «nicht nötig» betraf das praktische Leben der Gläubigen von Thessalonich. Da die geistlichen Dinge sie so intensiv in Anspruch nahmen, bestand die Gefahr, dass sie ihre gewöhnliche tägliche Arbeit vernachlässigten. Aber das konnte dem Herrn nicht wohlgefällig sein, das war unnüchtern und ungesund. Die Gläubigen müssen sich vor Schwärmerei hüten. Der Apostel hatte ihnen ein gutes Beispiel gegeben. Nacht und Tag hatte er gearbeitet, um niemandem von ihnen zur Last zu fallen, obwohl er ein Recht hatte, vom Evangelium zu leben (1. Thes 2,6.9). Es waren einige in Thessalonich, die nicht arbeiteten und sich in fremde Dinge einmischten, mit denen sie nichts zu tun hatten (2. Thes 3,10-12).
Die Gläubigen in Thessalonich wurden ermahnt, still zu sein, ihre eigenen Geschäfte zu tun und mit ihren eigenen Händen zu arbeiten, damit sie ehrbar wandelten vor denen, die «draussen» waren, also gegenüber der Welt, und niemand nötig hatten, oder, wie es auch gelesen werden kann: «nichts nötig» hatten.
Dieses Stillsein ist für uns etwas Schwieriges. Der Gläubige muss es lernen. Das Blut kocht so leicht, wenn wir etwas hören oder lesen von Ungerechtigkeiten und Gewalttaten. Wie ist es möglich, still zu sein, wenn unser Gutestun mit Undank und mit Bösem vergolten wird? Wenn unsere Ratschläge nicht befolgt werden? Wenn wir beleidigt werden? Anderseits ist es auch schwierig, sich mit dem zu begnügen, was vorhanden ist, wo wir doch immer nach Veränderung suchen, nach Höherem und Besserem streben. So wollen wir uns denn beeifern, still zu sein, wie der Apostel sagt.
Es ist ein grosser Unterschied zwischen «Stillsein» und «Stillsitzen». Das erste ist gut, das zweite nicht. Denn die Gläubigen sollen gegenüber den Dingen dieses Lebens nicht gleichgültig sein. Doch inmitten der Unruhe und der Ungerechtigkeit dieser Welt gibt es für unsere so leicht beunruhigten Herzen einen Frieden Gottes, der allen Verstand übersteigt. Lasst uns in unserem Beruf ruhig vorangehen und arbeiten, damit wir von anderen nichts nötig haben. Das ist gut und wohlgefällig vor Gott und ein gutes Zeugnis vor der Welt.
1. Thessalonicher 5,1
Das vierte «nicht nötig» steht mit der Zukunft in Zusammenhang. Was die Zeiten und Zeitpunkte betraf, war es nicht nötig, den Gläubigen in Thessalonich zu schreiben. Denn sie selbst wussten genau, dass der Tag des Herrn kommen wird wie ein Dieb in der Nacht. Wir können uns fragen, wie diese neubekehrten Gläubigen vom Tag des Herrn Kenntnis erhielten. Zum grossen Teil waren sie ja aus den Nationen, und diese hatten wenig oder keine Kenntnis vom Alten Testament, worin so viel über den Tag des Herrn geredet wird. Wir dürfen aber nicht übersehen, dass in Thessalonich auch einige Juden bekehrt worden waren. Gewiss haben diese mit ihren Brüdern aus den Nationen auch über den Tag des Herrn gesprochen. Auch Paulus selbst mochte es getan haben, sofern er in der kurzen Zeit dazu Gelegenheit hatte (2. Thes 2,5.15).
Dass es nicht nötig war, den Gläubigen in Thessalonich über Zeiten und Zeitpunkte zu schreiben, stand in Verbindung mit der Tatsache, dass das Kommen des Tages des Herrn nicht die Erwartung der Gläubigen der Versammlung ist. Sie erwarten allezeit das Kommen des Herrn Jesus, der sie, zusammen mit den schon entschlafenen Gläubigen in den Himmel aufnehmen wird. Dieses Kommen geht dem Tag des Herrn voraus. Sein Kommen bezieht sich auf die Gläubigen und bedeutet Errettung; es steht nicht in Verbindung mit dieser Erde. Die Erscheinung des Herrn aber hat Bezug auf diese Welt und bedeutet Gericht; sie steht im Zusammenhang mit Ereignissen auf dieser Erde.
Wie sollte der Bräutigam für seine Braut, für die Versammlung, je wie ein Dieb in der Nacht kommen? Wenn es mit den Gläubigen gut steht, erwarten sie Ihn täglich. Die Christenheit jedoch hat kein Herz für das Kommen des Herrn für seine Versammlung, sie denkt höchstens an seine Erscheinung zum Gericht. Vielleicht war dies zuerst auch bei den Gläubigen in Thessalonich der Fall. Sie mochten in den Verfolgungen, die sie durchmachten, schon Anzeichen dafür gesehen haben, dass der Tag des Herrn angebrochen sei. Doch bei ihnen war dies zu entschuldigen, da sie im Blick auf das Kommen des Herrn noch sehr unwissend waren. In diesem Brief machte sie der Apostel mit diesem Geheimnis vertraut. Aber die Christenheit kann sich nicht auf Unwissenheit berufen; im Neuen Testament wird das Kommen des Herrn deutlich gelehrt. Zum Glück sind die Augen vieler für das Kommen des Herrn Jesus für die Seinen aufgegangen.
So begegneten wir denn in diesem Brief viermal einem «nicht nötig». Alle diese Ausdrücke beziehen sich auf das ganze christliche Leben.
- Es war nicht nötig, dass dem Zeugnis der Gläubigen in Thessalonich noch etwas hinzugefügt wurde; die mächtige Veränderung der Thessalonicher sprach für sich selbst.
- Es war nicht nötig, ihnen über die Bruderliebe zu schreiben, als einem Kennzeichen des neuen Lebens. Sie übten die Liebe praktisch aus.
- Was ihr irdisches Leben betraf, sollten sie still und ruhig ihre Arbeit tun, damit sie von anderen nichts nötig hatten.
- Und bezüglich der Zukunftserwartung war es nicht nötig, dass ihnen über Zeiten und Zeitpunkte des Tages des Herrn geschrieben wurde, da dies nicht ihre Erwartung war.
Es ist gut, wenn auch wir aus diesem vierfachen «nicht nötig» unsere Schlüsse ziehen.