Die Heiligen in Philippi waren in einem guten geistlichen Zustand, und es war Satan nicht gelungen, ihnen durch Verfolgung von aussen Schaden zuzufügen. Daher suchte er jetzt durch List, von innen her bei ihnen einzudringen, um zu verderben, indem er bei den einzelnen auf das Ich, dieses hassenswürdige, hochmütige und selbstsüchtige Ich, einzuwirken trachtete, das auch unter den Kindern Gottes so gerne einen Ehrenplatz begehrt. Auf diese Weise wollte er unter ihnen eine Bresche schlagen, ihre Einmütigkeit, ihren Frieden stören, ihre Segnung hindern und das schöne Werk Gottes in den Philippern zerstören.
Paulus erkannte diese List des Feindes und warnte sie davor. Er ermahnte sie, einerlei gesinnt zu sein, und um sie dahin zu bringen, stellte er ihnen Christus vor – die Gesinnung, die in Ihm war. «Denn diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christus Jesus war, der, da er in Gestalt Gottes war, es nicht für einen Raub achtete, Gott gleich zu sein, sondern sich selbst zu nichts machte und Knechtsgestalt annahm, indem er in Gleichheit der Menschen geworden ist, und, in seiner Gestalt wie ein Mensch erfunden, sich selbst erniedrigte, indem er gehorsam wurde bis zum Tod, ja, zum Tod am Kreuz» (Phil 2,5-8).
Der Apostel stellt hier weniger das Erlösungswerk in den Vordergrund. In diesem Stück waren die Philipper klar. Die Frage der Sünde und der Sünden war für sie am Kreuz völlig geregelt, die Liebe Gottes war in ihre Herzen ausgegossen durch den Heiligen Geist, der ihnen gegeben worden war. Er stellt ihnen vielmehr vor die Herzen, wie Christus getrieben war, sich selbst zu nichts zu machen, um den Willen seines Gottes und Vaters zu erfüllen und Ihn auf der Erde zu verherrlichen, indem Er uns errettete.
Bleiben auch wir vor dieser «Gesinnung, die in Christus Jesus war», stehen, vor den wunderbaren Tatsachen, durch die sie sich kundgibt!
Da er in Gestalt Gottes war, brauchte Er es nicht für einen Raub zu achten, Gott gleich zu sein; Er war es ja! Aber als Gott, der Sohn, hat Er sich im Gegenteil selbst zu nichts gemacht, indem Er Knechtsgestalt annahm. Tiefes und ergreifendes Geheimnis!
In der Tat, wenn wir auf die Krippe in Bethlehem zurückblicken, wer wird uns dort vorgestellt, an einem solchen Ort, in einer solchen Armut, in einer so tiefen Erniedrigung? Wer ist dieses Kind, in eine Futterkrippe gebettet, das keinen anderen Platz hatte in der Welt, als diesen, an dem keine Mutter ihr Kind zur Welt bringen möchte? – Es ist der eingeborene Sohn Gottes, der im Schoss des Vaters ist, der Gegenstand all seiner Wonne, seiner ewigen Freude.
Der Heilige Geist will unsere Blicke auf Ihn richten, der sich so zu nichts machte, und will uns mit seiner Gesinnung erfüllen. Er war Gott, «der über allem ist, gepriesen in Ewigkeit» (Röm 9,5), bestehend durch sich selbst, der Schöpfer Himmels und der Erde, der Allmächtige, – Ihn sehe ich in einer solchen Erniedrigung, offenbart in der Person dieses kleinen Kindes. Er ist gekommen, weil Gott Liebe ist: «Hierin ist die Liebe Gottes zu uns offenbart worden, dass Gott seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben möchten», und «als eine Sühnung für unsere Sünden» (1. Joh 4,9.10).
Nicht dass Er je aufgehört hätte, Gott zu sein, denn «in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig» – aber Er, der ewige Sohn, lässt die Gestalt Gottes, um die eines Knechtes anzunehmen. Und warum dies? Um den Willen Gottes, seines Vaters, zu erfüllen, um nichts anderes zu tun, als aus reiner Liebe zu gehorchen, immer und durch alles hindurch dienend, bis sein Dienst damit endete, dass Er sein Leben als Lösegeld gab für viele. Ja, welche Liebe, dass Er, der Gott war, sich zu diesem Zweck zu nichts machte!
Es gab einen Ratschluss der Liebe zwischen dem Vater und dem Sohn. Er bestand darin, elende, verlorene Sünder als Söhne zur Herrlichkeit, in das Glück seiner Gegenwart und zu einer Fülle von Freude vor seinem Angesicht zu bringen. Solche Wesen wie wir sollten aus der Tiefe des Todes herausgeführt und dem entrissen werden, der Gewalt über sie hatte. Gott wollte sie vor sich haben als seine geliebten Kinder, als seine Erben, als Miterben Christi, dem Bild seines Sohnes gleichförmig gemacht, damit Er der Erste sei unter vielen Brüdern. Und um diesen Ratschluss zu erfüllen, hat der geliebte Sohn Gottes sich zu nichts gemacht, indem Er Mensch wurde, um sich mit unseren Sünden zu beladen und unseren Platz im Tod und unter dem Gericht Gottes einzunehmen. Als Er in die Welt kommt und den Leib annimmt, den Gott Ihm bereitet hat, ist sein erstes Wort: «Siehe, ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun!» (Heb 10,7). Er ist gekommen, um ihn auf Kosten seines eigenen Lebens auszuführen, zur vollkommenen Verherrlichung des Vaters und des Sohnes, und zu unserem Heil und unserer völligen Freude während der ganzen Ewigkeit.
Lasst uns beim Sinnen über diese wunderbare Gesinnung in Christus Jesus stets vor Augen halten, dass es die Absicht des Heiligen Geistes ist, Ihn uns in diesem Schriftabschnitt als das in unserem Wandel und unserem täglichen Leben nachzuahmende Beispiel vorzustellen. Er zeigt uns, welches die Gesinnung ist, die auch in uns sein soll. Jemand hat gesagt: Hier wird der Weg vor uns gestellt, der Christus von der Herrlichkeit der Gottheit bis zur Erniedrigung des Kreuzes geführt hat. Christus hat nichts anderes getan, als herabzusteigen –, genau das Gegenteil von dem, was Adam gemacht hat. Statt den Platz der Abhängigkeit und des Gehorsams zu bewahren, der ihm gegeben war, hat sich Adam erhoben, wollte Gott gleich sein, und wurde ungehorsam bis zum Tod. «Wer aber sich selbst erhöhen wird, wird erniedrigt werden» (Mt 23,12). Adam wurde erniedrigt, aus dem Garten Eden vertrieben, fiel unter die Macht des Todes und unter die Knechtschaft Satans, weil er sich selbst erhoben hatte. Christus hat im Gegensatz zu ihm sich selbst zu nichts gemacht, indem Er Knechtsgestalt annahm, indem Er in Gleichheit der Menschen geworden ist; und dann, in seiner Gestalt wie ein Mensch erfunden, stieg Er noch weiter hinab, indem Er sich selbst erniedrigte und gehorsam wurde bis zum Tod, ja, zum Tod am Kreuz.
Diese Denk- und Handlungsweise sei auch in uns! In der Tat, welche Gesinnung war es doch, die Ihn trieb, durch die Menschwerdung sich selbst zu nichts zu machen, um auf diesem Schauplatz der Sünde und des Verfalls, wo Gott durch den Menschen verunehrt worden ist, Gott zu verherrlichen, koste es was es wolle! Er wusste, wohin Er hinabstieg, was allem Er begegnen, welche Leiden Ihm die Erfüllung des Willens seines Vaters eintragen würden. Er war sich bewusst, dass das Kreuz Ihn erwartete und der ganze Widerstand, der unversöhnliche Hass, die Verachtung, die Schmähungen der Menschen. Aber nichts hielt Ihn auf. In der Gesinnung, die in Ihm war – ohne andere Motive als die Liebe und die Freude, die Ihn bewegten – die Verherrlichung seines Vaters zu suchen, seinen ganzen Willen zu erfüllen und seinen herrlichen Ratschluss auszuführen, nahm Er Knechtsgestalt an. Er wollte dienen und – «obwohl Er Sohn war» – Gehorsam lernen durch die Dinge, die Er erdulden musste. Immer finden wir Ihn auf dem letzten Platz: Demütig, gänzlich Gott geweiht, alle Dinge – selbst den Kelch der Leiden – aus seiner Hand nehmend, mit vollkommener Unterwürfigkeit, in Langmut und Sanftmut, ganz sich selbst vergessend, immer erniedrigt, um zu dienen. Er lebte von jedem Wort, das durch den Mund Gottes ausgeht. Seine Speise war, den Willen dessen zu tun, der Ihn gesandt hatte, und sein Werk zu vollbringen. Er kannte nichts anderes. Mit einem Wort: Sein ganzes Leben, in allen seinen Einzelheiten, stieg als Wohlgeruch zu Gott empor. Welche Vollkommenheit, welche Wonne für Gott!
Für uns ist Er das vollkommene Beispiel und Vorbild der Liebe und Demut, der Selbstverleugnung, der Hingabe, des Gehorsams. Ihn so zu betrachten demütigt uns und verurteilt das in den Augen Gottes so verwerfliche Ich. Denn im Licht seines Lebens erkennen wir, wie wenig unsere Herzen durchdrungen sind von seiner Liebe und von seiner Gesinnung!
Er war der Herr und der Meister und doch überall und immer der Diener von allen, während sich seine Jünger untereinander stritten, wer wohl der Grösste sei. Er war in ihrer Mitte «wie der Dienende» und kniete hin, um ihre Füsse zu waschen, damit sie mit Ihm teilhaben könnten! Ja, so hat Er sich zu nichts gemacht, um zu dienen, und bis in den Tod hinein zu gehorchen, wie Er selbst sagt: «der Fürst der Welt kommt und hat nichts in mir; aber damit die Welt erkenne, dass ich den Vater liebe und so tue, wie mir der Vater geboten hat. – Steht auf, lasst uns von hier weggehen!» (Joh 14,30.31). Er, das heilige Opfer, ging hin, um sich selbst den Händen derer zu übergeben, die nach seinem Leben trachteten, indem Er sagte: «Wenn ihr nun mich sucht, so lasst diese gehen!» (Joh 18.8).
Er war auf diesem Weg der unsäglichen Leiden der absolut gehorsame Mensch, der Sohn, der den Vater mit einer vollkommenen Liebe und in einem absoluten Gehorsam verherrlichte, was es Ihn auch kosten mochte. Er sagte: «Jetzt ist meine Seele bestürzt, und was soll ich sagen? Vater, rette mich aus dieser Stunde! Doch darum bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche deinen Namen!» (Joh 12,27). Und in Gethsemane, in der Stunde höchster Versuchung, in der Ihn Satan anfiel, indem er seine Seele die ganze Last der Macht des Todes als Gericht Gottes über die Sünde empfinden liess, stellte Er, wie immer, alles seinem Vater vor: Er betete. Betrübt bis zum Tod, fällt Er auf sein Angesicht und sagt: «Mein Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst» (Mt 26,39). Es war seine Vollkommenheit, die Ihn bitten hiess, dass dieser Kelch, wenn es möglich wäre, an Ihm vorübergehe; denn Er konnte nicht wünschen, zur Sünde gemacht und von Gott verlassen zu werden. Doch seine Unterwürfigkeit war vollkommen, und vom Willen seines Vaters überzeugt, sagte Er nachher zu Petrus: «Den Kelch, den mir der Vater gegeben hat, soll ich den nicht trinken?» (Joh 18,11).
Der Wille des Vaters war, dass Er litt, dass Er sein Leben als Lösegeld gäbe für viele. «Es geziemte ihm, um dessentwillen alle Dinge und durch den alle Dinge sind, indem er viele Söhne zur Herrlichkeit brachte, den Urheber ihrer Errettung durch Leiden vollkommen zu machen» (Heb 2,10). Oder wie Jesaja gesagt hat: «Doch dem HERRN gefiel es, ihn zu zerschlagen, er hat ihn leiden lassen. Wenn seine Seele das Schuldopfer gestellt haben wird, so wird er Samen sehen, er wird seine Tage verlängern; und das Wohlgefallen des HERRN wird in seiner Hand gedeihen. Von der Mühsal seiner Seele wird er Frucht sehen und sich sättigen» (Jes 53,10.11).
Anbetungswürdiger Herr! Nichts vermochte Ihn, auch nur einen Augenblick, vom Weg des vollkommenen Gehorsams abzubringen oder Ihn zu veranlassen, davor zurückzuschrecken. Und was hat Ihn vorwärtsgetrieben? Die Liebe! die vollkommene Liebe, die sich zu nichts macht, sich erniedrigt und sich selbst vergisst. Seine Liebe hatte zwei Ziele: Sie verlangte danach, dass der Vater verherrlicht und sein Wille erfüllt werde. Auch wollte sie, dass Sünder wie wir, nach Gottes Gedanken zu Ihm geführt und in die Stellung Christi selbst, in seine eigene Herrlichkeit versetzt würden, als seine Miterben, in der völligen Freude vor dem Angesicht des Vaters, um immer bei Ihm zu sein.
Welche Freude für das Herz seiner Erlösten, hier die Antwort Gottes auf diese freiwillige Erniedrigung Jesu und auf seinen vollkommenen Gehorsam zu finden! «Darum hat Gott ihn auch hoch erhoben und ihm den Namen gegeben, der über jeden Namen ist, damit in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters» (Phil 2,9-11). Er lässt Ihn zu seiner Rechten in den himmlischen Örtern sitzen, hoch erhoben «über jedes Fürstentum und jede Gewalt und Kraft und Herrschaft und jeden Namen, der genannt wird, nicht allein in diesem Zeitalter, sondern auch in dem zukünftigen, und hat alles seinen Füssen unterworfen» (Eph 1,20-22). Und wie Petrus zu den Juden sagte: «Gott hat ihn sowohl zum Herrn als auch zum Christus gemacht hat, diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt» (Apg 2,36). Auferweckt durch die Herrlichkeit des Vaters, hat Gott Ihn in Gerechtigkeit zu seiner Rechten erhöht, indem Er Ihm alle Gewalt gegeben hat im Himmel und auf der Erde, gekrönt mit Ehre und Herrlichkeit.
Es ist das Vorrecht seiner glücklichen Erlösten, die Herrschaft dieses herrlichen Herrn und Heilandes anzuerkennen, sich ihr zu unterwerfen und, im Bewusstsein seiner Liebe die Knie vor Ihm zu beugen, um Ihm Ehre zu geben, als dem, dem jede Huldigung und jeder Gehorsam gebührt.
Welch ein Glück, Ihm nach Geist, Seele und Leib anzugehören, um Ihm zu dienen und in seinen Fussstapfen voranzugehen, auf diesem Weg der Erniedrigung und des Gehorsams, der in die Herrlichkeit einmündet, in die Er als unser Vorläufer eingegangen ist! So wird es uns geschenkt, von seiner vollkommenen Gnade Zeugnis zu geben und die Tugenden dessen zu verkündigen, der uns aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht berufen hat.
Gott will unsere Blicke auf Christus richten. Wir sollen Ihn in der Stellung der Erniedrigung betrachten, die Er hier auf der Erde eingenommen hat, damit wir von Ihm lernen und sein sanftes Joch auf uns nehmen.
Seinen Willen tun, Ihm wohlzugefallen suchen, Ihm anhangen, um Ihm zu folgen, – darin liegt die Freude, echtes Glück und wahre Freiheit. Ja, möge seine Gesinnung und seine Liebe uns erfüllen, durch den Heiligen Geist, der dies in unseren Herzen wirken will!