«Alles vermag ich in dem, der mich kräftigt» (Phil 4,13).
Paulus war in seinem persönlichen Glauben sehr vertrauensvoll und mutig. Er ist darin für alle seine Mitgläubigen jeden Alters, in allen möglichen Umständen, ein Vorbild. Welche Stürme der Prüfung auch über ihn hereinbrachen, welche Fluten der Ungerechtigkeit und der Gottlosigkeit ihn auch umspülen mochten, er hielt allem tapfer stand und war in der Gewissheit des Sieges immer gelassen.
«In allem bin ich unterwiesen», bezeugt er, nicht im Selbstruhm, sondern im Herrn, als der erfahrene und in der Zucht Gottes geschulte Veteran des Glaubens. Er sagt damit: Ich vermag der Kraft eines anhaltenden Sturmes zu widerstehen, wie auch jedem mächtigen Windstoss. Ich bin fähig, am bösen Tag Widerstand zu leisten und, nachdem alles ausgerichtet ist, vor neuen Angriffen nicht zu verzagen, sondern weiterhin festzustehen. Ich bin stark, das alles zu tun, weil Christus mich dazu befähigt, Er, der gesagt hat: «Ausser mir könnt ihr nichts tun.»
Der starke Mann des Glaubens
Nach aussen hin, «dem Mann von der Strasse», schien diese kühne Behauptung nur eine leere Prahlerei. Wo war denn die Kraft des Paulus? Der grosse Apostel der Nationen wurde ja als hilfloser Gefangener in der Metropole des herrschenden Reiches festgehalten! Gewiss, aber seine Kraft bestand nicht nur darin zu handeln, sondern auch zu ertragen. Er war fähig gemacht, nicht nur alle Länder und Menschenklassen zu evangelisieren, sondern um Christi willen alle Entbehrungen, alle Verfolgungen, den Verlust aller Dinge, sogar des Lebens, zu erdulden. Das war Kraft, doch nicht nach der Einschätzung der Welt, die Taten bewundert, aber Leiden und stilles Dulden verachtet.
Hier in Rom wurde Christi Prediger, Lehrer und Apostel durch die Eisengitter der kaiserlichen Regierung an seinen mannigfachen Tätigkeiten gehindert. War auch sein Geist gefangen? War seine Seele zusammengestaucht? Nein, in allen diesen Dingen war er mehr als Überwinder, jedoch nicht in der Unerschrockenheit seiner eigenen Natur, sondern in dem, dem alle Macht gegeben ist, im Himmel und auf der Erde, in dem, der die Kraftlosen kräftigt. Durch Glauben an Christus wird man stark, um allen Widerstand, alle Trübsale und Leiden zu überwinden. Aus der Schwachheit selbst heraus werden die Gläubigen «für alles» gekräftigt.
Alles und jedes Ding
Eine Zwischenfrage: War die energiespendende, befähigende Kraft des Christus speziell für Paulus, und ist sie völlig ausserhalb unserer eigenen Erfahrung? Wenn wir so denken, verkennen wir die Tragweite der Worte des Paulus oder passen wir sie unserer eigenen begrenzten Auffassung an. Wir sind geneigt zu denken, dass mit diesem «alles» besonders die grossen Ereignisse des Lebens gemeint seien, in denen wir vielleicht Hilfe von oben empfangen, aber dass wir in kleineren Angelegenheiten uns selbst überlassen seien.
Weshalb sollten wir die Worte der Schrift in einer solchen Weise begrenzen und arm machen? Gilt jenes «alles», von dem Paulus spricht, nur für das Gefängnis, nicht auch für die Küche, für die Schule, für die Fabrik, für das Büro? Zum Beispiel nehmen einige an, dass sie wohl Kraft empfangen würden, um wie Hiob an einem einzigen Tag Familie, Besitz und Gesundheit ohne Widerrede zu verlieren, aber das Ausziehen eines schmerzenden Zahnes durch die Zange des Zahnarztes müssten sie halt so gut wie möglich selber ertragen, durch irgendeine Kraft, die sie selber besässen.
Aber wir glauben, dass dieses «alles» jede Einzelheit umfasst, die Gott für unser tägliches Leben bestimmt, so unbedeutend sie auch scheinen mag, im Vergleich mit den grossen Erlebnissen, die einmalig sind. «Alles» umfasst auch «jedes Ding».
Unser tägliches Brot
Als der Apostel diesen Satz niederschrieb, dachte er nicht an den Dienst des Herrn, zu dem er besonders berufen und ausgerüstet war, sondern an etwas viel Alltäglicheres. Er dachte an das «tägliche Brot», das der Herr ihm jetzt durch die Philipper, an die er schrieb, gegeben hatte. Sie hatten ihm durch die Hand des Epaphroditus einen reichen Beitrag für seine zeitlichen Bedürfnisse gesandt; er war dankbar für ihre Freigebigkeit und sagte ihnen dies in seinem Brief.
Selbst solche hervorragenden Männer in der Versammlung wie er müssen essen und trinken; auch brauchen sie Kleider und einen besonderen Mantel für das kalte Wetter. Und Paulus, in der Armut seines Lebens im Gefängnis, benötigte die Kraft Christi, um bezüglich dieser Dinge nicht für den morgigen Tag zu sorgen. Er hatte bewiesen, dass der Herr ihn fähig machen konnte, sich mit dem zu begnügen, was er hatte, so wie er zahllose arme Brüder in Christus gestärkt hatte, die Entbehrungen eines Obdachs ohne Nahrung und dürftiger Kleidung geduldig zu ertragen.
«Ich weiss sowohl erniedrigt zu sein (Not zu leiden), als ich weiss Überfluss zu haben (etwas übrig zu haben): in jedem und in allem bin ich unterwiesen, sowohl satt zu sein als zu hungern, sowohl Überfluss zu haben als Mangel zu leiden.» Dann folgen sogleich die Worte seiner grossen Erfahrung: «Alles vermag ich in dem, der mich kräftigt.»
Es gibt wohl kaum eine beständigere Erfahrung im christlichen Leben (in der selbstverständlich alle Menschen stehen), als die des Essens und Trinkens. Und es war die Kraft Christi, die sich in der Stillung dieser Bedürfnisse offenbarte, die das Herz des Apostels bewog, sein Vertrauen zu erweitern, bis es «alle Dinge» umschloss.
Unsere Verbindung mit der Quelle der Kraft
Lasst uns also weit werden in unseren Gedanken und diese Stelle in ihrer vollen Bedeutung zu erfassen suchen. Für jede Einzelheit unserer Erfahrung in der Wüste brauchen wir bestimmt die Kraft eines anderen. Ohne die Kraft, die Er darreicht, gibt es nur Versagen, Schwierigkeiten und vielleicht Verunehrung. Denke nur über die begangenen Fehler und dein Fallen nach. Fehlte es dir nicht an Kraft, als Krisen kamen? Du hattest keine Energie, keine Nerven, keine Widerstandskraft; du bist unterlegen.
Und warum warst du nicht ein Überwinder? Dein Auge war vom Herrn abgewendet, und nur in Ihm kannst du ja Kraft besitzen. Du schautest auf dich selbst und auf deine Umstände, und es fehlte dir die Kraft, die von Christus kommt. Der Blick auf Ihn ist wie ein Verbindungskabel, das mit der Kraftquelle des Allmächtigen verbindet. Schaust du dorthin, wirst du die Freude des Sieges statt der Beschämung der Niederlage kosten.
Wenn dir ein Dienst für den Herrn gegeben ist und du zu Erwachsenen oder zu Kindern von Ihm zu reden hast, betest du vielleicht sehr eindringlich um die Hilfe und Leitung, die du brauchst. Du bist dir der Bedeutung deiner Aufgabe bewusst, und es wird dir geholfen. Aber in den kleinen Dingen zuhause oder im Geschäft fühlst du dich nicht so unfähig. Sie scheinen dir unbedeutend, und du bist an sie gewöhnt. Du vergisst, dass wenn du dich fähig und unabhängig fühlst, du als Jünger Christi am schwächsten und töricht bist. Unerwartete Zwischenfälle, und du bist überwältigt und geschlagen! Die Worte einer Magd … und dann ein Schwur, eine Lüge!
Aber wir müssen nicht solch beschämende Erfahrungen machen. Wenn wir durch Gebet und durch das Wort Gottes mit Christus in Gemeinschaft sind, stehen uns in Ihm die unermesslichen Hilfsquellen an Weisheit und Kraft zur Verfügung. Wir werden dann mehr als Überwinder sein durch den, der uns geliebt hat. Und auch wir können dann sagen: «Alles vermag ich in dem, der mich kräftigt!»