Von all den Schmähungen, die in der Stunde seiner unaussprechlichen Erniedrigung in das Herz unseres geliebten Herrn geschleudert wurden, hatte wohl keine einen bittereren Stachel, als die in Matthäus 27,43 aufgezeichneten Worte: «Er vertraute auf Gott, der rette ihn jetzt, wenn er ihn begehrt; denn er sagte: Ich bin Gottes Sohn.»
Die Bitterkeit ihres Stachels lag in der Wahrheit dieses Hohnes und in seiner scheinbaren Berechtigung. Denn keiner hatte je in dieser Weise auf Gott vertraut wie dieser Dulder. Sein ganzes Leben war ein solches des unerschütterlichen Vertrauens auf Gott, so dass von keinem anderen so wahrheitsgemäss und ausschliesslich gesagt werden konnte: «Er vertraute auf Gott.»
Doch die Spötter vor dem Kreuz meinten eine Unwahrheit, als sie die Wahrheit aussprachen; denn mit ihrem Hohn schmähten sie Ihn, ein wirklicher Betrüger zu sein, da Gottes Wort und die menschliche Erfahrung bezeugten, dass Gott dem nie Hilfe versagte, der wirklich auf Ihn vertraute.
So kam die blinde Unwissenheit des Menschenherzens, das richtig überlegte, zu einem falschen Schluss; und so berechtigt ihnen der Hohn erscheinen mochte, so war die Folgerung, die sie mit ihrem voreingenommenen, fanatischen, oberflächlichen Geist daraus zogen, völlig falsch. Sie waren ganz unwissend über den wahren Gott und Jesus Christus, seinen Gesandten.
Durch den günstigen Zeitpunkt des Spottes wurde eine weitere Bitterkeit hinzugefügt. «Der rette ihn jetzt.» Jetzt – mit angenagelten Händen und Füssen, als die Jünger flohen, als die Menge gaffte, die Obersten höhnten, die Soldaten sich über Ihn lustig machten, die Räuber Ihn schmähten – jetzt war doch der Moment gekommen, in dem dem völligen Vertrauen, wenn es bestand, unbedingt entsprochen werden musste. So urteilten sie, während Er in Sanftmut und Stillschweigen den auf Ihn gehäuften Spott erduldete.
Denn erstens war Er dort, um für das Böse, das die Sünde Gott angetan hatte, Sühnung zu tun – um die Sündenschuld für viele zu tilgen – um sein Leben als Lösegeld zu geben für viele und ihre Sünden als Stellvertreter vor Gott zu tragen – um sich selbst hinzugeben für alle, um Gottes Liebe gegenüber der Welt zu offenbaren – um als der Gerechte für uns Ungerechte zu sterben – um uns zu Gott zu bringen und den ganzen göttlichen Ratschluss zu erfüllen, zu welchem Zweck Er das Lamm geworden war, zuvor erkannt vor Grundlegung der Welt und offenbart am Ende der Zeiten. Sodann war Er aber auch dort, um ein Leben ununterbrochenen Gehorsams und vollkommenen Vertrauens durch einen Tod in völliger Hingabe zu krönen.
Der Augenblick der Rechtfertigung seines Vertrauens war noch nicht da; es oblag Ihm, treu zu sein bis zum Tod. Tiefe Wasser mussten jetzt durchschritten werden. Der geduldige, makellose Dulder sollte jetzt in die Tiefen unaussprechlicher Verlassenheit und Angst eintreten. Und sein ungebrochenes Vertrauen in den Einen, der Ihn gesandt hatte, sollte schliesslich in diesen Worten erhabensten Vertrauens seinen Ausdruck finden: «Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist!»
Doch lasst uns noch weiter den Hohn betrachten, der durch die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten in das empfindsame Herz unseres Herrn geschleudert wurde: «Der rette ihn jetzt, wenn er ihn begehrt.» Wenn er ihn begehrt! – mit diesen Worten in seinen Ohren hing der einsame Dulder stillschweigend da, ohne dass Ihm jetzt vom Himmel eine Antwort gegeben worden wäre. Dafür aber hörte Er aus den weiteren Worten seiner Feinde die Stimme Satans heraus: «Denn er sagte: Ich bin Gottes Sohn.» Das ist wie ein Echo der Versuchung in der Wüste – «Wenn du Gottes Sohn bist«. Und so tritt ja auch die Versuchung an das Volk Gottes aller Jahrhunderte immer wieder heran: «wenn» – «warum» –? Wenn du ein Kind Gottes bist, warum durfte dann solches über dich kommen? Wenn du Ihm vertraust, warum lässt Er dich dann in diesem Zustand oder in solchen Umständen?
Der Herr Jesus hat uns ein Beispiel hinterlassen, damit wir seinen Fussstapfen nachfolgen. Gott hatte einen Sohn ohne Sünde, aber keinen ohne Leiden. Die Lektion, die unsere Herzen aus dem allem lernen können, ist die, allezeit auf Ihn zu vertrauen, trotz des Feindes, trotz alles Missverstehens, trotz des eigenen Herzens. Beim Gang durch diese Welt wird uns Satan immerfort einflüstern, unabhängig zu handeln, als ob der Mensch sich selbst genügte, unbesonnen zu handeln, vielleicht aufgrund einer verdrehten Schriftstelle, vorsichtig zu handeln, um so das Kreuz mit seiner Schmach zu umgehen. Der Herr Jesus ist allen diesen Einflüsterungen begegnet und hat, ungeachtet allen Anscheins, aller herzbrechenden Schmach, alles Verlassenseins, auf Gott vertraut und unerschütterlich seinen Lauf vollendet. Damit hat Er uns ein Beispiel gegeben, damit wir, Ihn nachahmend, in unserem Geist nicht ermüden, sondern mit Ausharren laufen den vor uns liegenden Wettlauf, hinschauend auf Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens.
Denn das Kreuz mit seiner Schande war nicht das Ende seines Lebens wunderbaren Vertrauens und der Hingabe. Die herrliche Auferstehung am dritten Tage begann auf die Fragen des Spottes auf Golgatha zu antworten. Denn Er wurde auferweckt durch die Herrlichkeit des Vaters und hat sich als Sohn Gottes in Kraft erwiesen durch Totenauferstehung. Seine glückselige Auffahrt dahin, wo Er vorher war, beantwortete die höhnende Frage: «Wenn er ihn begehrt.» Denn «der hinabgestiegen ist, ist derselbe, der auch hinaufgestiegen ist über alle Himmel, damit er alles erfüllte» (Eph 4,10). Seine Krönung mit Ehre und Herrlichkeit, sein Sitzen zur Rechten der Macht, bis seine Feinde gelegt sind als Schemel seiner Füsse, seine Rückkehr in Macht und grosser Herrlichkeit mit seinen Heiligen und den heiligen Engeln, sein Reich und die ewige Herrlichkeit – alles vereinigt sich, um eine Antwort zu geben auf das vertrauende, hingebende Herz, das einst durch Hohn gebrochen wurde.
«Geliebte, jetzt sind wir Kinder Gottes», und lasst uns, während wir auf die Offenbarung der Söhne Gottes warten, noch eingehender die göttliche Vollkommenheit unseres anbetungswürdigen Herrn betrachten, damit wir, die Lenden unserer Gesinnung umgürtet, nüchtern seien und völlig auf die Gnade hoffen, die uns gebracht wird bei der Offenbarung Jesu Christi. Denn wenn auch wir durch die Gnade Gottes mit Ihm auf seinem Thron sitzen, wird das Leben des Vertrauens auf Gott, das wir auf der Erde geführt haben, ewig gerechtfertigt sein.