Schwestern der Versammlung in Philippi

Apostelgeschichte 16,13-15; Philipper 4,2-3

Lydia

Sie war die erste auf europäischem Boden, von der uns berichtet wird, dass sie sich zum christlichen Glauben bekehrte (Apg 16,13.14). Der Apostel Paulus und seine Begleiter waren zufolge einer Vision, in der ein Mann ihnen zurief: «Komm herüber und hilf uns», von Troas, einem Hafen in Kleinasien, nach Mazedonien gekommen und Philippi war die erste Stadt, in der sie verweilten. Es ist bemerkenswert, dass sie so bald einige fanden, die Gott suchten, obwohl wir nicht annehmen, dass die kleine Gebetsversammlung am Fluss, meistens Frauen, in der Stadt sehr bekannt war. Wie treu war doch der Apostel für die Dinge seines Meisters besorgt, indem er das suchte, was zur Ehre Christi ist!

Es wird uns nicht gesagt, wie und wo Lydia, «die Gott anbetete», in jenen Tagen und in jenem Land der Götzen etwas vom wahren Gott vernommen hatte. Doch irgendwie hatte sie von Ihm gehört, und sie gehörte wohl zu derselben Klasse von Gottsuchern wie Kornelius in Apostelgeschichte 10. In beiden Fällen werden die Worte unseres Herrn bestätigt: «Jedem, der hat, wird gegeben werden» (Lk 19,26). Bis zu dem Augenblick, als ihnen das Evangelium gebracht wurde – im Fall des Kornelius durch Petrus, der Lydia durch Paulus – wussten sie wenig von dem Gott, den sie anbeteten, und konnten sich bestimmt nicht der vollen Freiheit und Sicherheit der christlichen Stellung erfreuen. Aber «er hat die dürstende Seele gesättigt» (Ps 107,9), und zu seiner Zeit und auf seine Weise bringt Er ihnen, was sie gesucht haben, selbst das, was ihnen vorher unbekannt war.

Sie war eine Geschäftsfrau, eine Händlerin von Purpur (entweder Purpurfarbe oder Purpurstoffe); sie verkaufte sie, ohne wohl zu denen zu gehören, die Purpur trugen; denn «nicht viele Mächtige, nicht viele Edle» sind berufen. Was sie von dem entfernten Thyatira über das Wasser hierhergeführt hatte, wird uns nicht gesagt. Nun lesen wir von ihr: «deren Herz der Herr auftat». Da treten uns wichtige Wahrheiten entgegen und die erste ist die, dass Bekehrung eine Herzensangelegenheit ist. Nicht der Kopf muss gewonnen, sondern das Herz muss überzeugt und überwunden werden. «Wenn du … in deinem Herzen glaubst … wirst du errettet werden» (Röm 10,9).

Logik und Vernunftgründe mögen den Verstand ansprechen, aber das Gewissen ist der Zugang zum Herzen des Menschen. Das Herz wird in der Schrift als der Sitz der Empfindungen bezeichnet und das Zentrum des menschlichen Wesens. Unser Herr sagte: «Aus dem Herzen der Menschen gehen hervor die schlechten Gedanken» (Mk 7,21). Und Davids Bußgebet in Psalm 51 lautet: «Schaffe mir, Gott, ein reines Herz.» So musste also nicht der Verstand Lydias überzeugt, sondern ihr Herz geöffnet werden, um die kostbaren Wahrheiten des Evangeliums aufzunehmen.

Ein zweiter Punkt, der hier berührt wird, ist eines der tiefen Geheimnisse der Schrift. Das Werk der Errettung beginnt bei Gott, wenn wir auch an anderen Stellen von der Verantwortung des Menschen lesen, zu «kommen» und zu «öffnen», wie z.B.: «Kommt her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen» (Mt 11,28) und: «Siehe, ich stehe an der Tür und klopfe an; wenn jemand meine Stimme hört und die Tür öffnet, zu dem werde ich hineingehen und das Abendbrot mit ihm essen» (Off 3,20). Solche Verse machen es deutlich, dass der von Gott so reich begabte Mensch verantwortlich ist, auf den Ruf Gottes zu hören und Ihm zu gehorchen. Doch ist es ebenso wahr, und jeder, der je gekommen ist und die Tür des Herzens geöffnet hat, wird zugeben, dass es die Wirksamkeit des heiligen Geistes Gottes war, der in ihm den Einzug des Segens eröffnete.

Als Lydia dann getauft wurde, setzte sie ihren Glauben sogleich in die Praxis um, in einer Weise, die vor allem einer Frau angemessen ist. Als Paulus bekehrt wurde, verkündigte er sogleich in den Synagogen Jesus; solch ein Dienst stand Lydia natürlich nicht offen. Aber sie konnte für die Diener des Herrn Sorge tragen, indem sie sie bat, ja sogar «nötigte», in ihr Haus einzukehren und zu bleiben. Daran änderte sich nichts, als diese als öffentliche Friedensstörer festgenommen und schändlich misshandelt wurden. Nach der Befreiung von Paulus und Silas aus dem Gefängnis lesen wir: «Als sie aber aus dem Gefängnis herausgegangen waren, gingen sie zu der Lydia», wo sie offensichtlich andere Christen sehen konnten, die das Evangelium vernommen und geglaubt hatten. Jetzt verlassen wir Lydia und gehen zum Philipper-Brief über, der jene Versammlung zehn Jahre später erreichte. War sie da wohl immer noch dort?

Evodia und Syntyche

Von diesen beiden Schwestern lesen wir in Philipper 4,2.3. Da vernehmen wir, dass sie sich für die Wahrheit eingesetzt hatten und Helferinnen des Apostels im Evangelium gewesen waren. Vielleicht verstanden sie es, Nachbarn und Freunde einzuladen, zur Versammlung zu kommen, um ihn zu hören. Oder vielleicht war es ihnen möglich, das Wort durch Privatbesuche weiterzugeben. Wir wissen nicht wie, es wird uns nur berichtet, dass sie mit dem Apostel «in dem Evangelium gekämpft haben».

Aber nun war ein Wechsel eingetreten; irgendeine Kleinigkeit war zwischen sie gekommen und hatte sie uneins gemacht. Wie leicht dies vorkommen kann und oft nur wegen geringfügiger Dinge, ist uns leider wohl bewusst. Vermutlich dachten beide, sie seien im Recht, und wenn ihr Zwist nicht einen ganz ungewöhnlichen Charakter hatte, so war bei beiden Schwestern eine Ermahnung am Platz. Denn wenn sie erlaubt hatten, dass böse Gefühle zwischen ihnen aufkommen konnten, so waren beide im Fehler. Daher richtete der Apostel das gütige und rührende Wort an sie: «Evodia ermahne1 ich, und Syntyche ermahne1 ich, gleich gesinnt zu sein im Herrn.» Man hat schon von ihnen gesagt: «Wenn diese beiden Frauen sich in der Gegenwart des Herrn zusammengefunden hätten, wäre es ihnen leicht gefallen, gleich gesinnt zu sein. In den Strahlen der Sonne schmelzen harte Eiszapfen zusammen.» Das ist das erste und wichtigste Heilmittel. Aber auch andere können helfen; doch ach, wie oft nehmen stattdessen andere Partei, werden so zum Hindernis und verlängern den Streit. «Ja, ich bitte auch dich, mein treuer Mitknecht – vermutlich Epaphroditus, ein bekannter Bruder in Philippi – steh ihnen bei …» Da ist ein Wort in Galater 6,1, das hier wohl am Platz ist: «Brüder, wenn auch ein Mensch von einem Fehltritt übereilt würde, so bringt ihr, die Geistlichen, einen solchen wieder zurecht im Geist der Sanftmut, wobei du auf dich selbst siehst, dass nicht auch du versucht werdest.» Welch ein nützliches, nötiges und gutes Werk, solchen Frauen wie diesen zur Wiederherstellung «beizustehen» – So leicht kann man Zwistigkeiten durch ungeistliches Verhalten verschärfen. Aber das Werk eines Hirten wäre, den Frieden wiederherzustellen. «Und wenn der Erzhirte offenbar geworden ist, so werdet ihr die unverwelkliche Krone der Herrlichkeit empfangen» (1. Pet 5,4).

Und Evodia und Syntyche – denn heute gibt es noch viele von ihnen – denkt doch daran, wie unbedeutend und gering eure Differenzen werden, wenn ihr sie in die Gegenwart eures Herrn und Meisters bringt, und hört doch auf die freundliche Ermahnung des Apostels: «Ich ermahne … gleich gesinnt zu sein im Herrn.»

  • 1 a b Das Wort im Urtext kann auch übersetzt werden mit: «inständig, flehentlich bitten».