Einem armen Menschen, blind von Geburt, hatte Jesus die Augen gesalbt und ihn zum Teich Siloam gesandt, um sich dort zu waschen. Er geht, er wäscht sich, er sieht.
Sobald ihm das Augenlicht wiedergegeben ist, geraten die Nachbarn in Aufregung. Sie reden von ihm als von dem, der gesessen und gebettelt hatte. Denn jetzt sitzt und bettelt er nicht mehr. Einige sagen: «Nein, sondern er ist ihm ähnlich.» So gross war die Veränderung durch die Heilung seiner Augen, dass man ihn kaum wieder erkannte. Er jedoch, mehr als jeder andere sich dieser Veränderung bewusst, sagt: «Ich bin es.»
Nun aber will man wissen, wie alles gekommen sei. Aus diesem oder jenem Grund hat sie dies in Unruhe versetzt und sie fühlen sich nicht ruhig.
Man befragt ihn, und er bezeugt in einfacher und ehrlicher Weise das, was er weiss: «Ein Mensch, genannt Jesus, bereitete einen Brei und salbte meine Augen damit und sprach zu mir: Geh hin nach Siloam und wasche dich. Als ich nun hinging und mich wusch, wurde ich sehend.»
Die Unruhe wird grösser. Der Fall wird vor die Pharisäer gebracht. Diese befragen den einst Blinden, und er hat darauf nur die eine Antwort: «Er legte mir Brei auf die Augen, und ich wusch mich, und ich sehe.» Das waren Tatsachen, das war die Wahrheit, was konnte er da noch hinzufügen?
Wie eigentümlich: die Wahrheit, die reine Wahrheit, die alle hätte erfreuen sollen, wird zur Ursache all dieser Unruhe. Und so wie einst, so ist es auch heute, und so wird es bis zum Ende sein. Die Pharisäer sind geteilter Ansicht, die Juden ungläubig, und alle gehen zu den Eltern des Blindgeborenen. Der Unglaube und die Selbstgerechtigkeit haben keine Ruhe, bis sie bewiesen haben, dass die Wahrheit nicht die Wahrheit ist.
Ohne Zögern bezeugen die Eltern von ihrem Sohn:
«Wir wissen, dass dieser unser Sohn ist und dass er blind geboren wurde.» Aber sie wollen nicht weiter gehen, um sich in den Augen der Juden nicht blosszustellen: «Fragt ihn! Er ist mündig, er wird über sich selbst reden.» Sie tun, als ob sie nicht wüssten, wie und durch wen ihr Sohn von der Finsternis zum Licht gekommen ist: Sie fürchteten die Juden; «denn die Juden waren schon übereingekommen, dass, wenn jemand ihn als Christus bekennen würde, er aus der Synagoge ausgeschlossen werden sollte.»
Ohne jeden Zweifel hatten sie zuerst die Freude ihres Sohnes geteilt, denn eine solche Freude ist ansteckend, in einem gewissen Sinne wenigstens. Aber ihr Interesse ging nicht tief genug, und wenn jetzt das mit dem Namen des Wohltäters an ihrem Sohn verbundene Ärgernis auf allen Seiten Entrüstung hervorruft, steht ihr Platz in der Synagoge auf dem Spiel. Das können sie nicht ertragen, sie weichen zurück, sie schämen sich seiner.
Bei ihrem Sohn ist es nicht so. Der Platz in der Synagoge hatte ihm das Augenlicht nicht geben können, die Pharisäer hatten ihn nicht nach Siloam gesandt und, obwohl Jude, konnte er bisher nichts anderes tun, als «sitzen und betteln». Jetzt aber war er befreit, und Jesus war es, der ihn befreit hatte. Wird er Ihn vor denen verleugnen, die mit frommen Worten kommen und sagen: «Gib Gott die Ehre!», und dadurch ihre Lästerung tarnen wollen? Nein wirklich; er ist in dem Licht; Jesus hat ihn dahin versetzt, und er will treu sein gegenüber dem, was er empfangen hat, obgleich er sich damit eins machte mit dem, den zu verwerfen sie übereingekommen waren. Komme, was kommen mag, er muss der Wahrheit Zeugnis geben: «Ob er ein Sünder ist, weiss ich nicht; eins weiss ich, dass ich blind war und jetzt sehe», und: «Von Ewigkeit her ist nicht gehört worden, dass jemand die Augen eines Blindgeborenen aufgetan hat.» Der Bettler ist jetzt zum Prediger geworden.
Oh, welche Segnung und welche sittliche Grösse entstehen, wenn man aufrichtig ist und treu gegenüber dem, was man empfangen hat!
Doch sehen wir jetzt, was ihn dies kostet: Sie schmähen ihn und betrachten ihn als einen Ketzer, weil er von Mose zu dem übergegangen ist, der der Herr von Mose ist. Da sie ihm nicht antworten können, wollen sie nichts mehr hören, und schliesslich werfen sie ihn hinaus. Damit haben sie alles getan, was sie tun konnten.
Leser, weisst du, was das alles bedeutet? Bist du zum Licht geführt worden? Ich meine, nicht nur zum Licht bezüglich deines Heils, sondern über irgendwelchen Punkt der Wahrheit – die Versammlung, der Heilige Geist, die Wiederkunft Christi, über irgendeinen Teil des offenbarten Willens Gottes? Warst du getreu gegenüber jedem Lichtstrahl, der in deine Seele gefallen ist? In diesem Fall kann ich annehmen, dass du weisst, wovon ich rede. Du weisst was es heisst, Vater, Mutter, eine religiöse Stellung oder religiöse Beziehungen verlassen zu haben. Du weisst was es heisst, allein zu sein in der Welt. Einmal in deinem Leben bist du, ohne es gewollt oder gesucht zu haben, wirklich allein gewesen. Du hast dabei eine Segnung gefunden, die deine Seele wertschätzte. Aber die Segnung verhindert die Einsamkeit nicht. Sie kommt deinen geistlichen Bedürfnissen entgegen, aber sie befriedigt das Herz noch nicht. Du brauchst etwas, das deinem eigentlichen Zustand entspricht, aber dein Herz hat einen Anziehungspunkt nötig, eine Person.
Jesus begegnet diesem gesegneten Menschen, den die Treue in die Einsamkeit geführt hat, und Er will ihn aus dieser Vereinsamung herausbringen. «Glaubst du an den Sohn Gottes?», fragt Er ihn. Dieser Mann ist bereit, einen weiteren Schritt zu tun, wie jeder, der treu ist gegenüber dem empfangenen Licht, und er antwortet: «Und wer ist es, Herr, damit ich an ihn glaube?» Und Jesus spricht zu ihm: «Du hast ihn ja gesehen, und der mit dir redet, der ist es.»
Das genügt. Der, der ihm das Augenlicht gegeben hat, ist jetzt der Mittelpunkt des Universums geworden, das sich vor seinen Augen auftut. Was sind fortan für ihn Vater, Mutter, Synagoge und alles andere? Was er gefunden hat, lässt ihn alles, was er verloren hat, für nichts achten. Er hat den gefunden, der genug ist, um sein Herz für Zeit und Ewigkeit zu erfüllen. Er wirft sich vor Ihm nieder und betet Ihn an. Von jetzt an wird Jesus für ihn der Hauptgegenstand seines Lebens sein; Ihm dienen, sich um seine Interessen kümmern, wird seine ständige Beschäftigung sein. Tag für Tag seine Anerkennung geniessen, in Erwartung des bald kommenden Augenblicks, wo man diese Anerkennung aus seinem Mund hört, ist besser als Leben. Er hat den gefunden, von dem jede Segnung kommt, den Herrn selbst.
Er ist nicht von einer Synagoge in eine andere gegangen, wo scheinbar mehr Gottesfurcht war oder wo die Lehre richtiger festgehalten wurde; er hat nicht seine Ideen geändert oder eine bessere Religion gefunden; nein, er hat alles aufgegeben, was er besass, und hat alles gefunden, was er jetzt und für ewig nötig hatte – den Sohn Gottes, Christus selbst, Ihn allein.
Meinst du, niemand sei bei Jesus gewesen, als Er ihm begegnete? Hätte das etwas ausgemacht? War Christus selbst nicht genug? Sind es neben Ihm noch viele Leute nötig? Nein! Meinem Herzen gefällt es zu wiederholen, dass Er und Er allein in allen Umständen dem Herzen genügt.
Was wäre geschehen, wenn der Blindgeborene ausser dem Sohn Gottes zehntausend Personen gefunden hätte, die ihm nachgefolgt wären? Er hätte sich ihnen zweifellos zugesellt, sich aber, statt an diese Zehntausend, an Christus selbst angeschlossen.
Nimm ferner an, nach diesem seien Ihm weitere zehntausend Personen nachgefolgt. Er wäre für sie gewiss froh gewesen und für die Verherrlichung, die dies für den Herrn bedeutet hätte, den er liebte, aber auch mehrere Zehntausende konnten dem nichts hinzufügen, was seine Seele in Christus genoss.
Angenommen, in der Versammlung würden sich Schwierigkeiten offenbaren; mehrere hätten Anstoss genommen und sich zurückgezogen. Was ergäbe sich daraus für ihn? Zu wem könnte er gehen? Es gibt keinen anderen, wie Ihn! Aber wenn nicht Jesus dein Herz erfüllt, wenn du nicht «allein mit Jesus» gewesen bist, so kannst du überzeugt sein, dass du in der Stunde des Sturmes nicht wirst standhalten können.
Bist du zu denen gekommen, die sich zu Ihm hin versammeln, statt direkt zu Ihm zu gehen, dann hast du noch etwas zu lernen, etwas aufzugeben. Du hast dann für dein Herz noch keinen Mittelpunkt gefunden und irrst noch umher. Du kannst überzeugt sein, dass Satan bestimmt jeden auf die Probe stellen wird, der dem Namen Christi anhängt.
Ist dies aber das Teil dessen, der in Christus sein alles gefunden hat, so wird ihn dies schon hier auf der Erde inniger mit Ihm verbinden. Und was wird einst droben geschehen? Dort, wo nichts die Herrlichkeit seines Angesichts verhüllen wird, werden wir sehen, wie sehr Er würdig ist, dass wir auf der Erde aus Treue gegen Ihn alles verloren hatten.