Wir rufen «Abba, Vater!»

Römer 8,15

Besteht nicht bei vielen Erlösten ein Mangel an wirklicher Erkenntnis des Vaters und ihrer Sohnesbeziehung zu Ihm?

Fehlt es nicht bei den meisten von uns an Kindeszuneigung und Kindesgemeinschaft mit dem Namen, der Gnade und der Liebe unseres himmlischen Vaters?

Ohne Zweifel. Und die Folge davon ist die, dass viele den Segen verlieren, der mit dieser heiligen Beziehung verknüpft ist. Sie sind nicht imstande, dieses wunderbare Wort des Herrn Jesus zu verstehen: «Der Vater selbst hat euch lieb» (Joh 16,27).

Unser geliebter Herr suchte – man darf es wohl sagen – die Gedanken und Herzen der armen Jünger vor allem zur Erkenntnis des Vaters zu führen, mehr als zu irgendetwas anderem.

Gewiss, Er redete auch von seiner eigenen Liebe: «Wie der Vater mich geliebt hat, habe auch ich euch geliebt» (Joh 15,9). Er zeigte sich ihnen als der, der ihnen im geistlichen Sinn die Füsse waschen würde (Joh 13,1-17). Er sprach von den himmlischen Wohnungen, von seinem Wiederkommen zu ihnen und von anderen kostbaren Wahrheiten, die in seinem liebenden Herzen aufstiegen.

Doch scheint es mir, dass Er auf nichts anderes so beharrlich hinwies, wie auf die Notwendigkeit, die für die Seinen besteht, die Liebe und Fürsorge des Vaters zu erkennen. Er ist gekommen, den Vater zu offenbaren, und Er sagte von sich selbst: «Wer mich gesehen, hat den Vater gesehen» (Joh 14,9). In den Tagen seiner Abhängigkeit, als Mensch auf, der Erde, rief Er aus: «Abba, Vater!» Und nun legt der Heilige Geist dasselbe Wort auch in den Mund der Söhne: «Einen Geist der Sohnschaft habt ihr empfangen, in dem wir rufen: «Abba, Vater!» (Röm 8,15). – «Weil ihr aber Söhne seid, so hat Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, der da ruft: Abba, Vater!» (Gal 4,6).

Viele Gläubige haben noch keinen festen und gut gegründeten Frieden mit Gott, weil sie sich selbst noch nicht als völlig und unrettbar verloren erkannt und verurteilt haben. Sie haben sich noch nicht auf Christus selbst geworfen, um so vor Gott bewusst zu werden, dass sie «Gottes Gerechtigkeit in ihm» geworden sind (2. Kor 5,21). Sie haben kein vollkommenes Gewissen in der Gegenwart Gottes und geniessen daher auch keinen unerschütterlichen Frieden, der auf das wirksame Werk und die herrliche Person Christi gegründet ist (vgl. Heb 9,14-16; 10,1-18).

Andere Christen – ach! – betrüben den Heiligen Geist, der gekommen ist, um im Kind Gottes zu wohnen und aus seinem Leib einen Tempel Gottes zu machen (1. Kor 6,19). Sie betrüben Ihn durch einen nachlässigen Wandel, indem sie der Sünde und dem selbstsüchtigen und eigenwilligen Ich Raum lassen. Wie können solche Christen den Frieden haben? Ein Geist, der als der Heilige Geist betrübt ist, kann nicht eine Quelle des Friedens, der Freude und der Gemeinschaft mit dem Vater sein. Solche Christen – das ist ganz natürlich – haben mehr das Bedürfnis, auf einen Heiland zu blicken, um die Gewissheit der Erlösung zu finden oder wieder zu erlangen. Sie werden sich nicht darüber freuen, dass sie durch Ihn «den Zugang durch einen Geist zu dem Vater» haben (Eph 2,18). Sie können nicht erfassen, was das Wort in sich schliesst: «Unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus» (1. Joh 1,3).

Aber der geliebte Apostel kann bezeugen: «Seht, welch eine Liebe uns der Vater gegeben hat, dass wir Kinder Gottes heissen sollen!» (1. Joh 3,1). Das Herz des Vaters voller Liebe ist der Ursprung, die lebendige Quelle aller Segnung und aller Barmherzigkeit für uns. Alles fliesst aus Ihm, aus seiner eigenen Gnade und Güte, die «ewig währt» (Psalm 136). Er hat «seinen eigenen Sohn nicht verschont», den «eingeborenen Sohn, der im Schoss des Vaters ist» (Röm 8,32; Joh 1,18). Er hat Ihn aus freiem Willen hingegeben. Und der Sohn hat im Blick auf die Seinen sagen können: «Heiliger Vater! bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast» (Joh 17,11).

Die Schrift enthält zahlreiche Zeugnisse an die Adresse der Kinder Gottes bezüglich der Liebe des Vaters und über das, was unseren Wandel formen und die Zuneigungen unserer Seelen zu Ihm ziehen soll. In den Evangelien Matthäus und Lukas hören wir die Stimme des Herrn zu den Seinen sagen: «Euer Vater weiss, was ihr nötig habt, ehe ihr ihn bittet» (Mt 6,8). – «An euch aber sind selbst die Haare des Hauptes alle gezählt» (Mt 10,30). –«Es hat eurem Vater wohlgefallen, euch das Reich zu geben» (Lk 12,32). – «Ihr nun sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist» (Mt 5,48). Und wie kostbar ist auch dieses Wort: «Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird euer Vater, der in den Himmeln ist, denen Gutes geben, die ihn bitten!» (Mt 7,11). Darum: «Bittet, und es wird euch gegeben werden; sucht, und ihr werdet finden» (Mt 7,7).

Hast du, lieber Bruder, dieses Vertrauen in die Liebe deines Vaters, von der unser Herr hier redet, dieses Bewusstsein deiner Beziehung zu Ihm und des Rechtes, das du hast, zu Ihm zu sagen: «Abba, Vater»? Wenn du dir dieses Bandes bewusst bist, dass das Herz des Menschen viel stärker bindet als jedes andere Band, dann wirst du ohne Furcht vor Gott hintreten, um Ihn anzubeten und um deine Anliegen mit Danksagung vor Ihm kundwerden zu lassen. Dann hast du eine volle Freimütigkeit, um Ihm alles zu sagen (vgl. Heb 4,14-16; 10,19-22).

In welch wunderbare Stellung sind wir doch gebracht! Welche Zuversicht, zu wissen, dass das Herz des Vaters uns überallhin folgt! Sein Blick ist immer auf uns gerichtet. Sein Ohr ist offen für jedes unserer Anliegen, für jeden unserer Seufzer. Weil Er der Allmächtige ist, werden durch seine Macht «alle Dinge zum Guten mitwirken, denen, die nach Vorsatz berufen sind» (Röm 8,26-28).

Auch im Evangelium Johannes, worin der Herr Jesus nicht als Messias, sondern in seiner ganzen göttlichen Herrlichkeit als Sohn Gottes und Sohn des Vaters beschrieben wird, werden uns so kostbare Offenbarungen über den Vater gegeben! «Die wahrhaftigen Anbeter werden den Vater in Geist und Wahrheit anbeten; denn auch der Vater sucht solche als seine Anbeter» (Joh 4,23). – «Ich habe euch auserwählt und dazu bestimmt, damit ihr hingeht und Frucht bringt, und eure Frucht bleibe, damit, um was irgend ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, er euch gebe» (Joh 15,16). – «Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen» (Joh 14,23). – Welche gewinnende Gnade ist doch in diesen Worten, wie auch in dem herrlichen Ausspruch: «Ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen sei und ich in ihnen» (Joh 17,26).

Da haben wir wohl Anlass, uns zu fragen: Verstehe ich diese Dinge? Geniesse ich die Liebe Gottes, meines Vaters, die den Charakter jener Liebe hat, womit der Vater seinen Sohn liebt? Glückselig ist der zu nennen, der diese Liebe in gewissem Mass kennen gelernt hat und der in der Kraft eines nicht betrübten Geistes, des Geistes der Sohnschaft wandelt, in dem wir rufen: «Abba, Vater!»

Die Lektüre der Heiligen Schriften, die uns den Vater in allen Reichtümern seiner Gnade und seiner Herrlichkeit zeigen, ist für unsere Seelen von ganz besonderer Kostbarkeit und besonderem Segen.

Da ist zum Beispiel das Zeugnis in Epheser 1,3: «Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christus.» Dieses herrliche Zeugnis ist zweifellos mit der Erklärung des Herrn selbst verbunden, die Er nach seiner Auferstehung den Jüngern gegeben hat: «Geh aber hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater und meinem Gott und eurem Gott» (Joh 20,17). Unser Herr Jesus lehrt uns dadurch, dass wir mit Ihm in der Stellung und Beziehung verbunden sind, in die Er nach vollbrachter Erlösung als Mensch beim Vater eingetreten ist. Diese grosse und kostbare Wahrheit durchdringt den ganzen Epheserbrief. Als Gott hat Er uns «auserwählt in Ihm vor Grundlegung der Welt». Als Vater aber hat Er uns «zuvor bestimmt zur Sohnschaft durch Jesus Christus für sich selbst» (Eph 1,4.5). Wunderbare Enthüllung der Gnade und der Liebe! Er wollte Kinder haben für sich selbst, Söhne, die bei Ihm seien! Das Gebet im ersten Kapitel ist gerichtet an den «Gott unseres Herrn Jesus Christus, den Vater der Herrlichkeit» (Eph 1,17). Im dritten Kapitel hingegen lesen wir: «Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater unseres Herrn Jesus Christus» (Eph 3,14). Im ersten Kapitel geht es um die Macht, hier aber um Gemeinschaft.

Johannes sagt uns in seinem ersten Brief, dass unsere Gemeinschaft mit dem Vater ist und mit seinem Sohn Jesus Christus. Das Blut Jesu Christi hat uns von aller Sünde gereinigt, und wir können daher «in dem Licht wandeln, wie er in dem Licht ist» (1. Joh 1,3.7). In Kapitel 3,1, der schon angeführten Stelle, versucht dieser Apostel die Liebe nicht zu erklären oder zu definieren, sondern will unsere Aufmerksamkeit auf die «Liebe, die uns der Vater gegeben hat» lenken, aufgrund der wir «Kinder» heissen dürfen. Diese kostbare Kindesbeziehung hat ihren Ursprung in seinem Herzen, das uns liebt. Selbst durch unsere Verfehlungen kann sie nicht unterbrochen werden, denn: «Wenn jemand gesündigt hat – wir haben einen Sachwalter bei dem Vater, Jesus Christus, den Gerechten» (1. Joh 2,1). So schrecklich die Sünde ist, so ist im Blick darauf doch Vorsorge getroffen, denn «die Gnade herrscht durch Gerechtigkeit», und Christus verwendet sich für uns (Röm 5,21).

Die verschiedenen Stellen aus der Schrift wurden angeführt, um zu zeigen, was der Heilige Geist uns über den Vater und über die himmlische, herrliche Segnung offenbart, die uns als Söhnen gehört.

Und jetzt möchte ich hinzufügen: Lasst uns diese Sohnesstellung und die Liebe des Vaters besser zu erkennen suchen! Lasst uns mit grösserer Einfalt auf den Vater vertrauen und Ihm als seine geliebten Kinder mit grösserer Hingabe dienen! Unsere Erkenntnis des Herrn Jesus Christus, unser Gehorsam und unsere Abhängigkeit von Ihm werden nicht darunter leiden, sondern vielmehr dadurch wachsen. Das Herz und der Blick des Vaters sind unablässig auf Ihn gerichtet, und in der Gemeinschaft mit dem Vater werden wir wahrhaftig erkennen, wie gross die Würde der Person Christi ist und die Schönheit und Herrlichkeit des «Sohnes des Menschen, der im Himmel ist».

Gott selbst hat sich in der Person seines geliebten Sohnes kundgetan, und in Ihm finden wir alles, was wir nötig haben: Leben, Gerechtigkeit, Beweggründe zum Handeln, Kraft und Weisheit. Die wahre Erkenntnis der Herrlichkeit der Person Christi öffnet uns das Verständnis für die Ratschlüsse Gottes; und in Ihm erkennen wir den Vater. Möchten wir durch die Kraft und Leitung des ewigen Geistes, der in uns wohnt und hier auf der Erde die Quelle aller unserer Erkenntnis des Vaters und des Sohnes ist, immer besser und völliger zu verwirklichen suchen, dass «unsere Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus» ist!