Die grosse Stille

Markus 6,50; Johannes 6,20

«Ich bin es; fürchtet euch nicht!» So rief der Herr seinen Jüngern im Sturm zu (Mk 6,50; Joh 6,20).

Jesus lebt! Jesus ist bei uns! Ist diese herrliche Wahrheit nicht dazu angetan, unter seinem Volk jede Angst zu vertreiben?

Er, der allmächtig ist, geht auf den Wellen. Die menschliche Vernunft mag die Dinge zwar anders beurteilen. Sie mag sagen, das blinde Schicksal, die unberechenbaren Umstände seien es, die das Los des Menschen bestimmten. Der Christ aber weiss, dass dem nicht so ist. «Die Stimme des HERRN ist über den Wassern» (Ps 29,3). Er sitzt am Steuer und leitet die von den Wogen hin und her geworfene Barke sicher in den Hafen.

Wie viele Male ist Er nicht schon zu uns gekommen, wie einst auch zu seinen Jüngern, als alles verloren schien, «um die vierte Nachtwache», als wir es am wenigsten erwarteten! Wie viele Male, als wir – wie einst der Apostel Paulus (Apg 27,20) – drauf und dran waren, Schiffbruch zu erleiden, als «weder Sonne noch Sterne schienen» und das Unwetter um uns her so heftig wurde, dass uns zuletzt alle Hoffnung auf Rettung entschwand –, wie viele Male in solchen Augenblicken haben wir nicht das Wort des Herrn Jesus vernommen, das das Heulen des Sturmes übertönte: «Ich bin es, fürchtet euch nicht!»

Lieber Mitchrist in der Prüfung, hörst du die Stimme, die dir mitten aus dem Sturm zuruft: «Ich bin es, fürchte dich nicht!»? Diese Stimme, wie einst die des Joseph, bevor er sich seinen Brüdern zu erkennen gab, mag dir fremd, ja sogar rau erscheinen, aber die Worte, die sie zum Ausdruck bringt, sind gleichwohl voller Liebe. Er sagt gleichsam:

«Ich bin es, der dieses Meer zum Toben bringt und Ich bin es, der es, wenn es sein Werk getan hat, mit den Worten beruhigen wird: Schweig, verstumme!

Jede dieser Wogen gehorcht meinem Wort. Jede deiner Prüfungen ist von mir angeordnet, zu einem heilsamen Zweck. Sie sind nicht dazu bestimmt, dich auf grausame, scharfe Klippen oder auf ein trostloses Ufer zu werfen, sondern um dich innerlich näher zum Himmel zu bringen.

Hat dich eine Krankheit befallen? Ach, Ich wusste doch, welche Schmerzen, welche Erschöpfung und wie viele schlaflose Nächte sie dir bringen würde! Aber ich bin es, der sie dir gesandt hat, in der Absicht, dich zu segnen.

Sind es Einsamkeit und Trauer, die bei dir Tränen hervorbringen? – Bin Ich denn nicht dein Tröster, der in diese Welt gekommen ist, um Mitleid mit dir haben zu können? Ich bin es, der die Geliebten, die du jetzt vermisst, zu mir genommen habe.

Ist es der Tod, der dich schreckt? Ich bin doch der Überwinder des Todes! ‹Wenn du durchs Wasser gehst, ich bin bei dir, und durch Ströme, sie werden dich nicht überfluten› (Jes 43,2). Ich bin es, der dich bald heimholen und dich für immer in das Haus des Vaters einführen wird.»

Bruder, Schwester, du wirst in Ewigkeit zweifellos Ursache haben, Gott für jeden Sturm zu danken, der dich hier auf der Erde angefallen hat; denn die Stürme sind für den Christen eine grosse Hilfe auf seinem Weg, um dem gewünschten Ziel näher zu kommen. Die Winde, die dir entgegen sind, und die Finsternis werden weichen, und bald wird das Morgenrot seine herrlichen Strahlen auf die Ufer der Ewigkeit werfen!

Welches soll also die Haltung des Kindes Gottes in der Prüfung sein?

Es soll beständig auf Jesus schauen und nicht mehr auf sich selbst, noch auf die Menschen; es soll den Blick des Glaubens fest auf den Heiland gerichtet halten. Oh, wie bannt doch die lebendige und wirkliche Betrachtung der Person Jesu Christi jede ungehörige Furcht! Die römischen Wachen gerieten bei der Auferstehung Jesu in einen solchen Schreck, dass sie «wie Tote wurden»; aber die armen jüdischen Frauen fürchteten sich nicht. Weshalb nicht? Weil sie «Jesus suchten».

«Er verwandelt den Sturm in Stille, und es legen sich die Wellen. Und sie freuen sich, dass sie sich beruhigen, und er führt sie in den ersehnten Hafen» (Ps 107,29.30).

Möge sich dein ermatteter Geist an diesen Worten erquicken und sagen: «Ich warte auf den HERRN, meine Seele wartet; und auf sein Wort harre ich» (Ps 130,5).